Inhalt

LG München II, Endurteil v. 26.04.2022 – 12 O 592/22
Titel:

Mietverträge, Sonderkündigungsrecht, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Zurückbehaltungsrecht, Widerklage, Tod des Nießbrauchers, Nießbrauchsrecht, Untervermietung, Mietverhältnis, Notarvertrag, Nießbrauchsberechtigten, Vermietung durch den Nießbraucher, Gemeinschaftliches Testament, Vertrag zu Gunsten Dritter, Kündigungsrecht, Schuldbeitritt, Vorweggenommene Erbfolge, Gewerbemietvertrag, Grundstückseigentümer, Genehmigung der Vermietung

Schlagworte:
Herausgabeanspruch, Mietvertrag, Kündigungsrecht, Genehmigung der Vermietung, Bevollmächtigung zur Vermietung, Gewerbemietvertrag
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Teilurteil vom 23.06.2022 – 32 U 2545/22
OLG München, Beschluss vom 05.09.2022 – 32 U 2545/22
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 12.06.2024 – XII ZR 92/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 58798

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, das Mietobjekt … in … P. über das gesamte Anwesen inkl. aller Hallen, Lagerflächen, Freiflächen und Garten sowie Wohnungen und Büros, Keller im Haupthaus an den Kläger herauszugeben.
2. Die Widerklage wird abgewiesen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, hinsichtlich der Kosten nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Die Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers hinsichtlich Ziff. 1. durch Sicherheitsleistung in Höhe von 25.000,00 € abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger macht gegen die Beklagte Herausgabe des Anwesens … in P. geltend.
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1. Der Kläger und die Geschäftsführerin der Beklagten, …, sind Geschwister. Sie waren die einzigen Kinder der Eheleute …. Die Mutter der Parteien, …, war Alleineigentümer des Anwesens … in P., vorgetragen im Grundbuch des Amtsgerichts Fürstenfeldbruck für P., …. Das Grundstück ist mit einem Wohnhaus und einem Fabrikgebäude bebaut. Es weist eine Fläche von 2.006 m² auf.
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Durch Notarvertrag vom 10.12.2002 des Notars … … in Fü. (…), vorgelegt durch die Beklagte, übertrug … das Eigentum an diesem Grundstück unentgeltlich auf den Kläger zur Vorwegnahme der Erbfolge. Unter Ziffer III. 2. des Notarvertrages behielt sie sich auf ihre Lebensdauer den Nießbrauch am gesamten überlassenen Grundbesitz vor. Unter III. 3. ist geregelt, dass nach dem Ableben von … der Nießbrauch mit gleichem Inhalt auch ihrem Ehegatten … auf dessen Lebensdauer zustehen sollte. Durch notariellen Nachtrag vom 15.01.2003, gleichfalls vor dem Notar … … (…) übernahm der Kläger die eingetragenen Grundpfandrechte. Der Kläger wurde am 21.02.2003 als Alleineigentümer eingetragen. Die Nießbrauchsrechte für … wurden am selben Tag im Grundbuch eingetragen.
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Die Ehegatten … errichteten am 10.03.2017 das als Anlage K 8 vorgelegte gemeinschaftliche Testament. Sie setzten sich gegenseitig zu Vollerben ein und nach dem Tod des länger Lebenden die Geschäftsführerin der Beklagten, … als Alleinerbin. Zu einem unbekannten Zeitpunkt nach dem 10.03.2017 verstarb …. Durch handschriftliche Testamente vom 04.09.2020 (Anlage K 7) und vom 14.06.2021 (Anlage K 6) setzte … zu seiner Alleinerbin … ein.
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Durch schriftlichen Mietvertrag vom 01.08.2017 mit Mietbeginn am selben Tag (vorgelegt durch die Beklagte ohne Bezifferung) vermietete … an … in dem Anwesen … die im 1. OG links gelegene Wohnung mit einer Fläche von 80 m².
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Mit Mietvertrag vom 01.07.2018 mit Mietbeginn am selben Tag (vorgelegt durch die Beklagte ohne Bezifferung) vermietete … in dem Anwesen … die im 1. OG rechts gelegenen Büro- und Lagerflächen an die Beklagte.
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Durch „Gewerbemietvertrag“ vom 19.05.2021 (Anlage K 1) vermietete … an die Beklagte das gesamte Anwesen … (“inkl. aller Hallen, Lagerflächen, Freiflächen und Garten sowie Wohnungen und Büros und Keller im Haupthaus“). Unter § 1 des Vertrages ist zudem angeführt, dass die Vermietung „zur gewerblichen Nutzung“ für Werkstätten, Handwerks-, Handels- und Dienstleistungsunternehmen sowie zur Untervermietung erfolge.
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Am 09.09.2021 verstarb ….
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Mit Schreiben der Klägervertreter vom 23.09.2021 (Anlage K 2) kündigten diese unter Hinweis auf § 1056 Abs. 2 BGB das Mietverhältnis zum 31.03.2022. Die Beklagte widersprach mit Schreiben vom 02.10.2021 (Anlage K 3).
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2. Der Kläger ist der Auffassung, dass er sich berechtigt auf § 1056 Abs. 2 BGB berufen könne. Unzutreffend sei, dass er Alleinerbe nach … geworden sei. Vielmehr sei dies die Geschäftsführerin der Beklagten geworden.
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3. Der Kläger beantragt,
Die Beklagte wird verurteilt, das Mietobjekt … in … P. über das gesamte Anwesen inkl. aller Hallen, Lagerflächen, Freiflächen und Garten sowie Wohnungen und Büros, Keller im Haupthaus an den Kläger herauszugeben.
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4. Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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5. Die Beklagte beantragt widerklagend,
den Kläger zu verurteilen, die Beklagte von vorgerichtlich entstandenen Anwaltskosten in Höhe von 1.577,40 Euro nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über Basiszins seit Rechtshängigkeit durch Zahlung freizustellen.
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6. Der Kläger beantragt,
die Widerklage abzuweisen.
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7. Die Beklagte ist der Auffassung, dass sich der Kläger nicht auf § 1056 Abs. 2 BGB berufen könne. So habe der BGH entschieden, dass bei vorweggenommener Erbfolge § 1056 Abs. 2 BGB nicht eingreife. Im Übrigen habe eine Vereinigung von Eigentümer- und Erbenstellung stattgefunden. Zudem habe der Kläger die Vermietung an die Beklagte genehmigt. Der Mietvertrag sei unter Mitwirkung des Klägers zustande gekommen. Außerdem habe der Kläger seinen Vater zum Abschluss des Mietvertrages bevollmächtigt. Der Kläger habe zudem auf das Sonderkündigungsrecht nach § 1056 Abs. 2 BGB verzichtet. Auch sei der Kläger durch Schuldbeitritt dem Mietvertrag beigetreten. Im Übrigen befänden sich in dem Anwesen mehrere Wohnungen. Die Flächen würden überwiegend zu Wohnzwecken genutzt. §§ 573 ff BGB seien deswegen zu beachten.
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Die Beklagte wendet ein Zurückbehaltungsrecht wegen Verwendungen ein. So habe … als Nießbraucher die Heizung erneuert, die Toranlage instand gesetzt und eine Grundsanierung der Halle vorgenommen. Für die Heizung seien 12.050,00 Euro und 11.510,00 Euro, für die Toranlage 5.124,00 Euro und für die Grundsanierung 87.198,59 Euro aufgewendet worden. Diese Ansprüche seien vererblich. Die Beklagte weist auf die Entscheidung des BGH vom 18.12.2015 (V ZR 269/14) hin.
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8. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätze und die von ihnen eingereichten Unterlagen Bezug genommen.
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Wegen des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift vom 26.04.2022 verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist in vollem Umfang begründet, während die zulässige Widerklage unbegründet ist.
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Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Herausgabe nach §§ 546 Abs. 1, 985, 1056 Abs. 2 BGB zu.
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1. Die Voraussetzungen des § 1056 Abs. 1 BGB liegen vor.
22
Der Nießbraucher … hat über das Grundstück … über die Dauer des Nießbrauchs hinaus mit der Beklagten einen Mietvertrag abgeschlossen. Es handelt sich um den Mietvertrag vom 19.05.2021. Der Mietvertrag war bis 31.05.2031 befristet und ging damit über die Dauer des Nießbrauchs, der mit Eintritt des Todes des Nießbrauchers endete, hinaus. Analog § 566 Abs. 1 BGB ging der Mietvertrag mit dem Tod des Nießbrauchers auf den Kläger als Grundstückseigentümer über.
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Dieser Mietvertrag ist durch die Kündigung des Klägers vom 23.09.2021 zum 31.03.2022 beendet worden, da die Voraussetzungen des § 1056 Abs. 2 BGB vorliegen. Nach dieser Vorschrift ist der Eigentümer berechtigt, das Mietverhältnis unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist zu kündigen. Der Kläger hat unter Berücksichtigung der Frist des § 580 a Abs. 2 BGB wirksam zum 31.03.2022 gekündigt.
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2. Sämtliche Einwendungen der Beklagten liegen – teils deutlich – neben der Sache.
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2.1. Das Kündigungsrecht des Klägers ist gemäß § 1056 Abs. 2 S. 2 analog nicht dadurch ausgeschlossen, dass er -entsprechend der (offensichtlich unzutreffenden)- Behauptung der Beklagten Alleinerbe des Nießbrauchers wurde. Der BGH hat zwar in seinen Entscheidungen vom 20.10.1989 (V ZR 341/87) und vom 20.10.2010 (XII ZR 25/09) ausgeführt, dass das vorzeitige Kündigungsrecht des Grundstückseigentümers in analoger Anwendung von § 1056 Abs. 2 S. 2 BGB dann ausgeschlossen sei, wenn der Grundstückseigentümer Alleinerbe des Nießbrauchers ist. Dies ist der Kläger gerade nicht. Es handelt sich bei dieser Behauptung der Beklagten ganz offenbar um einen bewusst falschen Vortrag von ihr. Denn der Geschäftsführerin der Beklagten, …, war aufgrund der von ihr vorgelegten Testamente ihrer Eltern und ihres Vaters positiv bekannt, dass sie Alleinerbin nach ihrem Vater geworden ist. Damit liegen schon die Voraussetzungen der Rechtsprechung für eine analoge Anwendung der Ausnahmevorschrift des § 1056 Abs. 2 S. 2 BGB nicht vor.
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2.2. Dass der Kläger die Vermietung durch den Nießbraucher genehmigt hätte, ist nicht substantiiert vorgebracht. Wie diese Genehmigung erfolgt sein könnte, hat die Beklagte nicht dargetan. Anhaltspunkte hierfür sind auch nicht ersichtlich. Insbesondere fehlt Vortrag dahingehend, wann, wie und gegenüber wem der Kläger die Genehmigung der Vermietung erklärt haben sollte.
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2.3. Ähnliches gilt für die Behauptung der Beklagten, der Kläger habe den Nießbraucher zur Vermietung bevollmächtigt. Dies ist schon deswegen abwegig, weil bei einer Bevollmächtigung der Vertreter, also der Nießbraucher, wirksam einen Mietvertrag für den Eigentümer in dessen Namen abschließen könnte. Dies ist ganz offensichtlich nicht erfolgt. Im Gegenteil. Die Vermietung ist gerade ein Kernstück des Nießbrauchsrechts. Vermietung bedeutet Ausübung des Nießbrauchsrechts und nicht Vertretung des Eigentümers. Der Vater des Klägers handelte auch ganz offensichtlich im eigenen Namen für sich selbst. Im Übrigen hat die Beklagte eine Vollmacht -ob nun mündlich oder schriftlich erteiltnicht schlüssig dargetan.
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2.4. Ähnliches gilt auch für die Behauptung der Beklagten, es habe eine Vereinigung von Eigentümer- und Erbenstellung stattgefunden. Dies ist ganz offensichtlich falsch, wie bereits oben angeführt worden ist.
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2.5. Auch ein behaupteter Verzicht der Beklagten auf das Sonderkündigungsrecht durch den Kläger ist völlig unsubstantiiert. Es ist unklar, wann, wo, wie und gegenüber wem der Kläger einen Verzicht erklärt haben sollte.
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2.6. Ähnliches gilt auch für einen behaupteten Schuldbeitritt des Klägers. Auch hier schweigt sich die Beklagte darüber aus, wann, wie, wo und gegenüber wem ein derartiger Beitritt erklärt worden sein sollte.
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2.7. Auf Ziffer IV. 2. des Notarvertrages kann sich die Beklagte insoweit gleichfalls nicht berufen. Dort ist geregelt, dass etwaige vom Nießbraucher abgeschlossene Mietverhältnisse „vom Erwerber bei Nießbrauchsende zu übernehmen“ seien. Zum einen handelt es sich bei dieser Vertragsregelung lediglich um eine Vereinbarung zwischen dem Kläger und seiner verstorbenen Mutter. Weder die Beklagte noch die Geschäftsführerin der Beklagten ist Partei des Notarvertrages. Dass es sich um einen Vertrag zu Gunsten Dritter handeln könnte, erschließt sich aus dem Wortlaut nicht. Üblicherweise erwähnen Notare explizit, wenn es sich um einen Vertrag zu Gunsten Dritter handeln soll, da ihnen die rechtliche Problematik ohne Weiteres bewusst ist. Im Übrigen wiederholt die Klausel lediglich die Rechtslage, wie sie sich aus §§ 1056 Abs. 1, 566 Abs. 1 BGB ergibt. Ein weiterer Regelungsgehalt der Klausel ist nicht ersichtlich.
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2.8. Die Beklagte kann sich auch nicht auf eine Wohnnutzung berufen.
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Der Vertrag vom 11.05.2021 ist ein Gewerbemietvertrag. Dies folgt zum einen aus der unzweideutigen Bezeichnung in der Überschrift und im Text nach dem Rubrum. Außerdem ist der Vermietungszweck eindeutig geregelt. Die Vertragsklausel lautet:
„Die Vermietung erfolgt zur gewerblichen Nutzung als:
- Werkstätten, Handwerks-, Handels- und Dienstleistungsunternehmen
- sowie Untervermietung.“
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Eine Wohnnutzung und ein Berufen auf § 573 d Abs. 1 BGB kommt nicht in Betracht. Ein Kündigungsgrund nach § 573 Abs. 1 BGB ist deswegen nicht erforderlich.
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2.9. Soweit in der mündlichen Verhandlung durch den Beklagtenvertreter anklang, dass die Meinung vertreten wird, dass der Mietvertrag vom 19.05.2021 die früheren Mietverträge, insbesondere den Wohnraummietvertrag vom 01.08.2017 nicht aufgehoben habe, kann sich dem das Gericht nicht anschließen. Der Vertragswortlaut des Vertrages vom 19.05.2021 ist eindeutig. Festgehalten ist:
„Zur Vereinfachung für den Vermieter werden die bereits vorhandenen Mietverträge zwischen ihm und der …sowie der …in diesem neuen Mietvertrag mit der …zusammengefasst.“
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Dieser Mietvertrag ist zudem von …, die Partei des Wohnraummietvertrages war, ohne Vertretungszusatz unterzeichnet. Durch den Vertrag der Anlage K 1 sind sämtliche, zwischen der Beklagten und … zuvor abgeschlossenen Mietverträge aufgehoben und beendet.
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2.10. Die Beklagte kann sich auch nicht auf ein Zurückbehaltungsrecht berufen.
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Hinsichtlich der Heizungsanlage und der Toranlage schon deswegen nicht, weil die vorgelegten Rechnungen der …vom 14.02.2014 und 18.03.2014 sowie … vom 11.04.2019 nicht vom Nießbrauchsberechtigten … getragen wurden und auch nicht an diesen gerichtet sind. Gerichtet sind sie vielmehr an die „…“.
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Hinsichtlich der Grundsanierung der Halle existiert noch nicht einmal ein schlüssiger Vortrag der Beklagten. Allein die Auflistung in Stichworten (einschließlich Rechtsanwaltskosten) ist noch nicht einmal im Ansatz eine sinnhafte Darstellung. Deswegen kann auch dahingestellt bleiben, ob der Beklagten überhaupt denkbar Ansprüche zustehen können.
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Die Widerklage ist unbegründet, da der Herausgabeanspruch des Klägers besteht und deswegen keine Veranlassung existiert, der Beklagten vorgerichtliche Anwaltskosten zuzusprechen.
41
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: §§ 708 Nr. 7, 711 ZPO und § 709 S. 2 ZPO.