Inhalt

OLG München, Beschluss v. 05.09.2022 – 32 U 2545/22
Titel:

Sonderkündigungsrecht eines Mietvertrags bei Beendigung des Nießbrauchs

Normenkette:
BGB § 570, § 1056 Abs. 2
Leitsatz:
Dem Grundstückseigentümer ist nach Treu und Glauben eine Ausübung des außerordentlichen Kündigungsrechts nach § 1056 Abs. 2 BGB verwehrt, wenn er unabhängig von § 1056 Abs. 1 BGB persönlich an den Mietvertrag gebunden ist, beispielsweise, wenn er ihn vor der Bewilligung des Nießbrauchs noch als Eigentümer selbst abgeschlossen hatte, wenn er dem Mietvertrag beigetreten oder wenn er Alleinerbe des Vermieters geworden ist. In einem solchen Fall muss sich der Eigentümer an einer vereinbarten bestimmten Laufzeit des Mietvertrages oder einer sonstigen Erschwerung der ordentlichen Kündigung festhalten lassen, denn anderenfalls würde die den Schutz des Mieters bezweckende Vorschrift des § 1056 BGB in ihr Gegenteil verkehrt (Anschluss an BGH BeckRS 2011, 25103 Rn. 13). (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Mietvertrag, Nießbrauch, Sonderkündigungsrecht, vorweggenommene Erbfolge
Vorinstanzen:
OLG München, Teilurteil vom 23.06.2022 – 32 U 2545/22
LG München II, Urteil vom 26.04.2022 – 12 O 592/22
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 12.06.2024 – XII ZR 92/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 58797

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 26.04.2022, Aktenzeichen 12 O 592/22, wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München II ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung aus Ziffer 1 des in Ziffer 1 genannten Urteils durch Sicherheitsleistung in Höhe von € 70.000,00 und im übrigen durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht der Kläger zuvor Sicherheitsleistung in Höhe des genannten Betrages bzw. in Höhe des jeweils zu vollstreckbaren Betrages leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 69.436,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger verlangt als Eigentümer nach beendetem Nießbrauch Herausgabe des Anwesens …str. 4 in P.
2
Das Anwesen ist mit einem Wohnhaus und einem Fabrikgebäude bebaut. Mit Notarvertrag vom 10.12.2002 übertrug C. G., die gemeinsame Mutter des Klägers und der Geschäftsführerin der Beklagten, R. E., das Eigentum an dem Grundstück zur Vorwegnahme der Erbfolge auf den Kläger und behielt sich den Nießbrauch an dem gesamten Grundstück vor. Nach ihrem Ableben sollte der Nießbrauch ihrem Ehegatten R. G., dem gemeinsamen Vater des Klägers und der Geschäftsführerin der Beklagten, zustehen.
3
Der Überlassungsvertrag lautet u.a.:
„IV. Besitzübergang …
2. Der Nießbrauchsberechtigte ist aufgrund des vorbehaltenen Nießbrauchs berechtigt, den Vertragsgegenstand erstmals oder erneut zu vermieten oder zu verpachten. Etwaige Miet- oder Pachtverhältnisse sind vom Erwerber bei Nießbrauchsende zu übernehmen. …“
4
Die Eheleute G. errichteten am 10.03.2017 ein gemeinschaftliches Testament, mit dem sie sich gegenseitig als Vollerben und nach dem Tod des länger lebenden die Geschäftsführerin der Beklagten als Alleinerbin einsetzten. C. G. verstarb nach dem 10.03.2017. Mit weiteren Testamenten vom 04.09.2020 und vom 14.06.2021 setzte R. G. die Geschäftsführerin der Beklagten zur Alleinerbin ein.
5
Mit Mietvertrag vom 01.08.2017 vermietete R. G. die im 1. OG links gelegene Wohnung an R. E. und mit Mietvertrag vom 01.07.2018 Räumlichkeiten im 1. OG rechts des Anwesens an die Beklagte.
6
Mit „Gewerbemietvertrag“ vom 19.05.2021 vermietete R. G. das gesamte Anwesen …straße 4 an die Beklagte. Er verstarb am ... 09.2021.
7
Mit Schreiben vom 23.09.2021 ließ der Kläger das Mietverhältnis unter Hinweis auf § 1056 Abs. 2 BGB zum 31.03.2022 kündigen. Die Beklagte widersprach der Kündigung mit Schreiben vom 02.10.2021.
8
Mit der Klage verlangte der Kläger Herausgabe des gesamten Anwesens.
9
Mit Endurteil vom 26.04.2022 hat das Landgericht die Beklagte antragsgemäß verurteilt.
10
Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts München II vom 26.04.2022 Bezug genommen.
11
Die Beklagte verfolgt mit der Berufung ihren erstinstanzlichen Antrag auf Klageabweisung weiter.
12
Die Beklagte beantragt,
1.
Unter Abänderung des am 26.04.2022 verkündeten und am 24.05.2022 zugestellten Endurteils des Landgerichts München II, Az. 12 O 592/22, wird die Klage abgewiesen.
2.
Hilfsweise wird die Beklagte zur Räumung des streitgegenständlichen Grundstücks nur Zug-um-Zug gegen Zahlung von EUR 400.000,00 verurteilt und Räumungsschutz gewährt.
13
Der Senat hat mit Beschluss vom 27.05.2022 den Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung zurückgewiesen. Mit Teilurteil vom 23.06.2022 hat der Senat den Antrag auf Abänderung des Ausspruchs über die vorläufige Vollstreckbarkeit zurückgewiesen. Der Senat hat mit Beschluss vom 23.06.2022 einen Hinweis nach § 522 Abs. 2 ZPO erteilt.
II.
14
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 26.04.2022, Aktenzeichen 12 O 592/22, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
15
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats vom 23.06.2022 Bezug genommen. Der Senat hält auch unter Berücksichtigung der nunmehr erfolgten Berufungsbegründung an seiner im Beschluss vom 23.06.2022 dargelegten Auffassung fest, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat.
16
1. Das Sonderkündigungsrecht des Klägers gemäß § 1056 Abs. 2 BGB ist nicht ausgeschlossen.
17
a) Nach § 1056 Abs. 2 Satz 1 BGB ist der Eigentümer berechtigt, das Miet- oder Pachtverhältnis unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist zu kündigen. Dadurch wird dem Eigentümer grundsätzlich die Möglichkeit eingeräumt, das Mietverhältnis außerordentlich unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist zu kündigen; dies ermöglicht dem Eigentümer eine (vorzeitige) Beendigung des Mietverhältnisses, wenn der Mietvertrag, in den er gemäß § 1056 Abs. 1 BGB eintritt, auf bestimmte Zeit geschlossen oder die ordentliche Kündigung erschwert oder ausgeschlossen ist (BGH, Urteil vom 12. Oktober 2011 – VIII ZR 50/11 –, Rn. 12, juris).
18
Dieses außerordentliche Kündigungsrecht trägt dem Umstand Rechnung, dass der Grundstückseigentümer gem. §§ 1056 Abs. 1, 566 Abs. 1 BGB in ein Mietverhältnis eintreten muss, an dem er ursprünglich nicht beteiligt war. Ihm soll die Möglichkeit gegeben werden, sich von diesem Vertrag, der ihm – vergleichbar einem Vertrag zu Lasten Dritter – durch die Regelung der §§ 1056 Abs. 1, 566 Abs. 1 BGB „aufgedrängt“ worden ist, zu lösen (BGH, Urteil vom 20. Oktober 2010 – XII ZR 25/09 –, Rn. 13, juris).
19
Dem Eigentümer ist jedoch nach Treu und Glauben eine Kündigung nach § 1056 Abs. 2 BGB verwehrt, wenn er unabhängig von § 1056 Abs. 1 BGB persönlich an den Mietvertrag gebunden ist, beispielsweise, wenn er ihn vor der Bewilligung des Nießbrauchs noch als Eigentümer selbst abgeschlossen hatte, wenn er dem Mietvertrag beigetreten oder wenn er Alleinerbe des Vermieters geworden ist. In einem solchen Fall muss sich der Eigentümer an einer vereinbarten bestimmten Laufzeit des Mietvertrages oder einer sonstigen Erschwerung der ordentlichen Kündigung festhalten lassen, denn anderenfalls würde die den Schutz des Mieters bezweckende Vorschrift des § 1056 BGB in ihr Gegenteil verkehrt (BGH, Urteil vom 12. Oktober 2011 – VIII ZR 50/11 –, Rn. 13, juris).
20
b) Gemessen an diesen Grundsätzen, die die Beklagte nicht verkennt, ergeben sich auch aus den in der Berufungsbegründung neu vorgetragenen Sachverhalten keine das Sonderkündigungsrecht beschränkenden Umstände. Der Kläger ist nicht persönlich an den Mietvertrag mit der Beklagten gebunden. Das Sonderkündigungsrecht wurde auch nicht in dem Überlassungsvertrag vom 10.12.2002 ausgeschlossen.
21
Der Kläger war an dem Abschluss des Mietvertrages vom 19.05.2021 nicht beteiligt und ist diesem Mietvertrag auch nicht später beigetreten. Die Mietverträge, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des Überlassungsvertrags bestanden, sind nicht gegenständlich. Sie bestanden zum Zeitpunkt des Erlöschens des Nießbrauchs nicht mehr. Die „Zusammenfassung“ der bisherigen Verträge durch den Mietvertrag vom 19.05.2021 bedeutet nicht eine Fortführung der älteren Verträge. Vielmehr wurde ein neuer Mietvertrag abgeschlossen. Der Kläger war auch nicht Alleinerbe nach dem Nießbrauchsberechtigten. Den insoweit missverständlichen Vortrag erhält die Beklagte in der Berufung auch nicht aufrecht.
22
Der Kläger hat in dem Überlassungsvertrag vom 10.12.2002 nicht auf das Sonderkündigungsrecht verzichtet. In Ziffer IV.2 heißt es: „Etwaige Miet- oder Pachtverhältnisse sind vom Erwerber bei Nießbrauchsende zu übernehmen.“ Der Regelungsgehalt geht nicht über den in § 1056 Abs. 1 BGB angeordneten Übergang der Mietverhältnisse auf den Erwerber hinaus. An dem Überlassungsvertrag waren nur die Eltern des Klägers und er selbst beteiligt.
23
Bestimmte Mietverhältnisse, bspw. insbesondere mit der Schwester des Klägers, werden in dem Überlassungsvertrag nicht erwähnt. Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Überlassungsvertrags war noch nicht abzusehen, wie lange der Nießbrauch währen würde, mit wem die Nießbrauchsberechtigten noch Mietverträge abschließen würden und welche feste Dauer diese Mietverträge haben würden. Der Formulierung in dem Überlassungsvertrag lässt sich nicht entnehmen, dass der Kläger an jeglichen Mietvertrag mit noch unbestimmten Dritten auf noch unbestimmte Dauer gebunden bleiben sollte.
24
2. Das Sonderkündigungsrecht des Klägers ist auch nicht durch eine spätere Abrede zwischen den Parteien ausgeschlossen. Aus dem Vortrag der Beklagten ergibt sich nicht, dass der Kläger rechtswirksam auf das Sonderkündigungsrecht verzichten wollte.
25
Die Beklagte trägt vor, der Kläger habe im Jahr 2017 der Geschäftsführerin der Beklagten und deren Ehemann bestätigt, dass er die Wohnraummietverträge nicht kündigen und Eigenbedarf geltend machen würde. Es ist schon zweifelhaft, ob aus diesem Vortrag in hinreichendem Ausmaß auf einen Rechtsbindungswillen des Klägers geschlossen werden kann. Jedenfalls hat der Kläger diese Aussagen nicht gegenüber der Beklagten und in Bezug auf das gewerbliche Mietverhältnis vom 19.05.2021 abgegeben. Hätte der Nießbrauchsberechtigte einzelne Wohnraummietverträge abgeschlossen, würden die bei Wohnraum geltenden Regelungen über den Kündigungsschutz gelten (BeckOGK/Servatius, 1.5.2022, BGB § 1056 Rn. 82). Der Kläger könnte eine ordentliche Kündigung eines Mietvertrages nur unter den Voraussetzungen des § 573 BGB aussprechen. Da es sich aber – wie schon ausgeführt – um ein gewerbliches Mietverhältnis handelt, gelten nur die allgemeinen, für gewerbliche Mietverhältnisse bestimmten Regelungen.
26
Äußerungen des Klägers gegenüber einem Dritten mögen Ansprüche im Verhältnis zu diesem begründen. Wenn der Kläger einem Untermieter der Beklagten zusagt, er werde keine Mietverträge, die seine Eltern abgeschlossen haben, kündigen, ist das keine Vereinbarung über einen Kündigungsverzicht mit der Beklagten.
27
3. Auf ein Zurückbehaltungsrecht kann sich die Beklagte schon im Hinblick auf § 570 BGB nicht berufen. Eine Räumungsfrist nach § 721 ZPO hatte das Landgericht nicht zu gewähren, da es sich bei der Beklagten nicht um eine Wohnraummieterin handelt und sich das Verfahren nicht gegen einzelne Wohnraummieter richtet.
28
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
29
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
30
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48, 41 GKG bestimmt. Anzusetzen ist der Jahresbetrag der monatlichen Miete in Höhe von € 5.786,38.