Titel:
Haftung des Geschäftsführers für den Betrieb eines Schneeballsystems (hier Containerverkauf)
Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, 826
InsO § 15a
ZPO § 531 Abs. 2, § 780
Leitsätze:
1. Eine allgemeine zivilrechtliche Prospekthaftung im engeren Sinn aufgrund typisierten Vertrauens kommt für den bloßen Erwerb einzelner Container mangels Beteiligung an einer Gesellschaft nicht in Betracht. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
2. Geschäftsführer, (faktische) Geschäftsleiter oder Vorstandsmitglieder einer Gesellschaft haften nach § 826 BGB auf Schadensersatz, wenn das von ihnen ins Werk gesetzte Geschäftsmodell der Gesellschaft von vornherein auf Täuschung und Schädigung der Kunden angelegt ist, es sich mithin um ein "Schwindelunternehmen" handelt (hier in Form eines Schneeballsystems; Anschluss an BGH BeckRS 2015, 18257). (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Unterstützung eines objektiv unzulässigen Vertriebssystems in herausgehobener und für dieses unerlässlicher Funktion (hier als Geschäftsführer mehrerer eingebundener Gesellschaften) ist sittenwidrig, wenn der Funktionsträger sich für dieses System hat einspannen lassen und es zugleich zumindest leichtfertig unterlassen hat, sich über die rechtlichen Rahmenbedingungen des Vertriebs zu vergewissern (Anschluss an BGH BeckRS 2015, 18257). (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die vorsätzliche Insolvenzverschleppung in der Absicht, das als unabwendbar erkannte Ende eines Unternehmens so lange wie möglich hinauszuzögern, erfüllt den Tatbestand einer sittenwidrigen Schädigung iSd § 826 BGB, wenn dabei die Schädigung der Unternehmensgläubiger billigend in Kauf genommen wird (Anschluss an BGH BeckRS 2021, 22748). (Rn. 71) (redaktioneller Leitsatz)
5. Die Haftung des Betreibers eines Schneeballsystems endet grundsätzlich nicht mit der formalen Entpflichtung als Organ, sondern erfasst auch solche Folgeanlagen, die in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der Tätigkeit als Organ stehen; eine zeitlich unbegrenzte Haftung für den Weiterbetrieb des Schneeballsystems durch eine beliebige Anzahl folgender Geschäftsführer besteht allerdings nicht (Abgrenzung von OLG München BeckRS 2022, 58699). (Rn. 123) (redaktioneller Leitsatz)
6. Die erstmalige Geltendmachung des Vorbehalts der beschränkten Erbenhaftung im Berufungsverfahren ist grundsätzlich nur unter den Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO zulässig, es sei denn, die Voraussetzungen des Vorbehalts sind zwischen den Parteien unstreitig. (Rn. 113) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatz, Haftung, Geschäftsführer, Prospekthaftung, Container, vorsätzlich sittenwidrige Schädigung, Schwindelunternehmen, Schneeballsystem, Unterstützung, Insolvenzverschleppung, Haftung für Folgeanlagen, zeitliche Grenze, Vorbehalt der beschränkten Erbenhaftung, Berufungsverfahren
Vorinstanz:
LG München I, Urteil vom 21.02.2020 – 22 O 12912/19
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 23.07.2024 – II ZR 222/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 58700
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 21.02.2020, Az. 22 O 12912/19 dahingehend abgeändert, dass der Beklagten vorbehalten bleibt, hinsichtlich der Verurteilung in Ziffern 1, 2, 4 und 5 des Tenors des landgerichtlichen Urteils die Beschränkung ihrer Haftung auf den Nachlass des am … 2018 verstorbenen W. S. geltend zu machen.
II. Die weitergehende Berufung der Beklagten und die Berufung der Klägerin werden zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klagepartei 45%, die Beklagte trägt 55%.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer I. genannte Endurteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils gegen sie vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
VI. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 161.454,61 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Die Klägerin verlangt von der Beklagten als Gesamtrechtsnachfolgerin des verstorbenen W. S. Schadensersatz im Zusammenhang mit P. Container-Investments.
2
Nach den Feststellungen des Landgerichts gründete H. R. 19… die sog. P.-Gruppe. Zur P.-Gruppe gehören in Deutschland vier operative Gesellschaften, die P. Container Vertriebs- und Verwaltungs-GmbH (künftig: P. Container GmbH), die P. Container Leasing GmbH, die P. Gebrauchtcontainer Vertriebs- und Verwaltungs GmbH (künftig: P. Gebrauchtcontainer GmbH) und die P. Transport-Container GmbH. H. R. hielt 100% der Gesellschaftsanteile der P. Transport-Container GmbH und der P. E. Finance Corp. sowie 47,5% an der P. AG, die ihrerseits 100% der Geschäftsanteile an den drei weiteren deutschen Vertriebsgesellschaften hielt. Weitere 47,5% an der P. AG hielt der Sohn von H. R., Ha. R.
3
Die vier deutschen P. Gesellschaften sind die Emittenten der P.-Kapitalanlagen, die jeweils nahezu identisch konzipiert und ausgestaltet wurden. Unternehmensgegenstand der Gesellschaften ist nach dem Handelsregister der Vertrieb und die Verwaltung von Containern. Die P.-Gesellschaften erwarben neue oder gebrauchte Seefrachtcontainer und vermieteten diese dann an Leasinggesellschaften oder Reedereien. Daneben schlossen sie mit einer Vielzahl von Anlegern Kauf- und Verwaltungsverträge über Seefrachtcontainer. Die Anleger kauften eine bestimmte Anzahl von Containern und sollten das Eigentum an diesen erwerben. Zugleich schloss der Anleger mit der jeweiligen P.-Gesellschaft einen Verwaltungsvertrag mit einer Laufzeit von in der Regel fünf Jahren, während der er einen garantierten Mietzins erhalten sollte. Zum Ende der Laufzeit war zum Teil vereinbart, dass die jeweilige Gesellschaft bereit sei, die Container zurückzukaufen und ein Kaufangebot zu unterbreiten (vgl. Ziff. 4 der Verwaltungsverträge, Anlage K 1/ K 4).
4
Ab dem Jahr 2007 begann das Geschäftsmodell der P.-Gruppe in Schieflage zu geraten und die Ansprüche der Anleger konnten nicht mehr vollständig aus den Mitteln und der Liquidität der P.-Equipment & Finance Corp. erfüllt werden. Es wurde versucht, die auftretenden Liquiditätslücken mit neuem Anlegerkapital zu decken, welches über die deutschen Vertriebsgesellschaften an die P.-Equipment & Finance Corp. weitergeleitet wurde. So entstand ein Schneeballsystem. Die Gelder neuer Anleger wurden nicht mehr für den Kauf von Containern verwendet, sondern für die Auszahlungen an Altanleger. Zu Beginn des Jahres 2018 brach das System zusammen, da nicht mehr genügend neue Anlegergelder eingeworben werden konnten, um die Altanleger zu befriedigen. Im März/April 2018 stellten die P. Container GmbH, die P. Container Leasing GmbH, die P Gebrauchtcontainer GmbH und die P. Transport-Container GmbH Insolvenzantrag beim Amtsgericht München. Die vorläufigen Insolvenzverwalter erstellten am 20./23.07.2018 Insolvenzgutachten zu den Insolvenzantragsverfahren über das Vermögen der P& R-Gesellschaften (Anlage K14). Durch Beschlüsse des Amtsgerichts München vom 24.07.2018 wurde über das Vermögen der Gesellschaften wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung das Insolvenzverfahren eröffnet.
5
Seit 20.02.2013 war W. S. Geschäftsführer der P. Container GmbH, der P. Container Leasing GmbH und der P. Gebrauchtcontainer GmbH. Seit 03.04.2013 war er zudem Geschäftsführer der P. Transport-Container GmbH. Am …2016 verstarb der Mitgeschäftsführer, W.F. Am 27.06.2016 wurde W. S. als Geschäftsführer der P. Container GmbH, der P. Container Leasing GmbH und der P. Gebrauchtcontainer GmbH abberufen und H. R. übernahm wieder die alleinige Geschäftsführung. Am 08.07.2016 wurde W. S. als Geschäftsführer der P. Transport-Container GmbH abberufen. Er verstarb am 13.06.2018. Alleinerbin ist die Beklagte.
6
Die Klagepartei unterzeichnete am 05.09.2014 einen „Kauf- und Verwaltungsvertrag“ (Vertragsnummer …328) mit der P. Container Vertriebs- und Verwaltungs-GmbH mit einer Investitionssumme von 42.240,- €. Zudem beauftragte sie die P. Gebrauchtcontainer Vertriebs- und Verwaltungs-GmbH mit der Verwaltung der erworbenen Container.
7
Die Klagepartei unterzeichnete am 21.04.2015 einen „Kauf- und Verwaltungsvertrag“ (Vertragsnummer …741) mit der P. Container Vertriebs- und Verwaltungs-GmbH mit einer Investitionssumme von 26.015,- €. Zudem beauftragte die Klagepartei die P. Gebrauchtcontainer Vertriebs- und Verwaltungs-GmbH mit der Verwaltung der erworbenen Container.
8
Die Klagepartei unterzeichnete am 21.04.2016 einen „Kauf- und Verwaltungsvertrag“ (Vertragsnummer …363) mit der P. Gebrauchtcontainer Vertriebs- und Verwaltungs-GmbH mit einer Investitionssumme von 31.240,- €. Zudem beauftragte die Klagepartei die P. Gebrauchtcontainer Vertriebs- und Verwaltungs-GmbH mit der Verwaltung der erworbenen Container.
9
Die Klagepartei unterzeichnete am 21.12.2016 einen „Kauf- und Verwaltungsvertrag“ (Vertragsnummer …373) mit der P. Gebrauchtcontainer Vertriebs- und Verwaltungs-GmbH mit einer Investitionssumme von 41.100,- €. Zudem beauftragte die Klagepartei die P. Gebrauchtcontainer Vertriebs- und Verwaltungs-GmbH mit der Verwaltung der erworbenen Container.
10
Weiter unterzeichnete die Klagepartei am 13.06.2017 einen „Kauf- und Verwaltungsvertrag“ (Vertragsnummer …028) mit der P. Transport-Container Vertriebs- und Verwaltungs-GmbH mit einer Investitionssumme von 26.730,- €.
- auf den Vertrag mit der Nummer …328 Mietzahlungen in Höhe von 13.005,35 €,
- auf den Vertrag mit der Nummer …741 Mietzahlungen in Höhe von 6.142,76 €,
- auf den Vertrag mit der Nummer …363 Mietzahlungen in Höhe von 4.878,06 €,
- auf den Vertrag mit der Nummer …373 Mietzahlungen in Höhe von 4.033,59 €,
- auf den Vertrag mit der Nummer …028 Mietzahlungen in Höhe von 1.292,20 €
12
Die Klägerin bringt danach vor, die P. Gesellschaften seien bereits zum Zeitpunkt der Vertragsabschlüsse insolvenzreif gewesen. Dies ergebe sich aus den Insolvenzgutachten. Danach erwarben bereits ab 2007 die Gesellschaften nicht mehr die Anzahl an Containern, die sie an die Anleger weiterverkauft haben. Hiervon habe W. S. als alleiniger Geschäftsführer Kenntnis gehabt oder haben müssen. Er sei ferner verpflichtet gewesen, zu überprüfen, ob die Gelder vertragsgemäß für den Kauf von Containern verwendet wurden und in welcher Höhe Einnahmen aus Vermietung der Container erzielt würden. W. S. habe zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt. Die eingeworbenen Gelder seien insbesondere ab 2011 von den deutschen Vertriebsgesellschaften unmittelbar dazu genutzt worden, Ansprüche vorheriger Anleger zu bedienen. Dies sei ein Anzeichen eines Schneeballsystems gewesen. Der Beklagte hafte infolge Insolvenzverfahrensverschleppung gemäß §§ 15 a InsO i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB sowie wegen sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB und § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB.
13
Die Beklagte hat eingewandt, W. S. habe von dem maßgeblichen, letztlich zur Insolvenz der P. Gruppe führenden Geschäftsgebaren des Initiators H. R. keine Kenntnis gehabt. Die deutschen Gesellschaften hätten das Anlagekapital lediglich eingeworben und dem Konzept gemäß an die P. E. & Finance Corp. weitergeleitet. Wegen der von H. R. strikt durchgeführten Informationsabschottung hätten ihm wesentliche Unternehmensinterna der Schweizer P. Equipment & Finance Corp. verborgen bleiben müssen. Er sei davon ausgegangen, dass die deutschen Vertriebsgesellschaften mindestens im gleichen Umfang werthaltige Forderungen gegenüber der Schweizer Gesellschaft hatten wie sie Verbindlichkeiten gegenüber Anlegern zu erfüllen hatten. Allein H. R. habe Kenntnis über die wahren Umstände gehabt, über die er W. S. jedoch nie informiert habe. Krisenanzeichen hätten sich für ihn nicht ergeben, zumal die Vertriebsgesellschaften während seiner Geschäftsführerzeit kontinuierlich Überschüsse erzielt hätten. Auch sei sein Aufgabenkreis rein auf den „Vertrieb“ beschränkt gewesen, die kaufmännische Leitung habe W. F. oblegen, schon deshalb hafte dieser nicht.
14
Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 137.973,04 € an die Klägerin nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Abtretung aller Rechte der Klägerin aus den Kauf- und Verwaltungsverträgen, sowie außergerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren zu verurteilen. Ferner hat sie beantragt, festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin von jeglichen Zahlungen im Zusammenhang mit den genannten Verträgen freizustellen, insbesondere von Zahlungsansprüchen des Insolvenzverwalters sowie dass sich die Beklagte mit der Zug-um-Zug-Leistung in Verzug befindet. Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
15
Das Landgericht München I hat die Beklagte mit Endurteil vom 21.02.2020 in Höhe von 75.468,83 € zur Zahlung Zug um Zug gegen Abtretung der Rechte verurteilt. Nicht zugesprochen wurden Beträge aus Investitionen, die die Klägerin nach dem Ausscheiden des W. S. als Geschäftsführer tätigte.
16
Das Landgericht führt aus, die Klägerin könne von der Beklagten nach § 826 BGB Ersatz des ihr aus der Eingehung der Kauf- und Verwaltungsverträge zurechenbar entstandenen Schadens verlangen. Bei den P.- Gesellschaften habe es sich um ein Schwindelunternehmen im Sinne der BGH-Rechtsprechung gehandelt. Seit jedenfalls 2007 sei ein Schneeballsystem betrieben worden. Der Erblasser S. sei als Geschäftsführer der Vertriebsgesellschaften unmittelbar daran beteiligt gewesen und habe vorsätzlich und mit Schädigungsabsicht gehandelt.
17
Die teilweise Abweisung hat das Landgericht damit begründet, dass W. S. bei Zeichnung der Anlage bereits als Geschäftsführer abberufen gewesen sei. Ansprüche nach § 826 und § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15 a InsO seien deswegen insoweit nicht gegeben.
18
Bezüglich der näheren Einzelheiten wird auf den Inhalt des angegriffenen Urteils verwiesen.
19
Gegen das Endurteil legten die Beklagte am 23.03.2020 und die Klägerin am 25.03.20 Berufung ein. Beide Parteien begründeten ihr Rechtsmittel innerhalb verlängerter Frist am 25.05.2020.
20
Die Beklagte beantragt,
I. Das Urteil des LG München I vom 21.02.2020 (Geschäftsnummer: 22 O 12912/19) wird aufgehoben,
1. soweit die Beklagte verurteilt wird, an die Klagepartei € 75.468,83 nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 07.02.2019 zu zahlen, Zug um Zug gegen Abtretung aller Rechte der Klagepartei aus folgenden von ihr unter der Kundennummer …415 abgeschlossenen Kauf- und Verwaltungsverträgen:
2. soweit festgestellt wird, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Klagepartei von jeglichen Zahlungsverpflichtungen im Zusammenhang mit den in Ziffer 1 genannten Kaufvon Verwaltungsverträgen freizustellen; dies betrifft insbesondere Zahlungsansprüche des Insolvenzverwalters gegen die Klagepartei aus Insolvenzanfechtungstatbeständen gemäß §§ 129 ff. InsO.
3. soweit festgestellt wird, dass sich die Beklagte mit der in Ziffer 1 genannten Zug-um-Zug-Leistung in Verzug befindet.
4. soweit die Beklagte verurteilt wird, an die Klagepartei außergerichtlich angefallene Gebühren in Höhe von € 4.410,14 zu bezahlen.
II. Die Klage wird abgewiesen.
III. Hilfsweise wird beantragt, der Beklagten die Beschränkung der Haftung auf den Nachlass des am ... 06.2018 verstorbenen Herrn W. S. vorzubehalten
21
Die Klägerin beantragt,
Das Urteil des Landgerichts München I vom 21.02.2020, Az. 22 O 12912/19 wird wie folgt abgeändert:
I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 137.973,04 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 07.02.2019 zu zahlen, Zug-um-Zug gegen Abtretung aller Rechte der Klägerin aus folgenden von ihr unter der Kundennummer …415 abgeschlossenen Kauf- und Verwaltungsverträgen:
II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin von jeglichen Zahlungsverpflichtungen im Zusammenhang mit den in Ziffer I genannten Kauf- und Verwaltungsverträgen freizustellen. Dies betrifft insbesondere Zahlungsansprüche des Insolvenzverwalters gegen die Klägerin aus Insolvenzanfechtungstatbeständen gem. §§ 129 ff. InsO.
III. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der in Ziffer I genannten Zug-um-Zug-Leistung in Verzug befindet.
IV. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin außergerichtlich angefallene Gebühren in Höhe von 4.410,14 EUR zu zahlen.
22
Beide Parteien beantragen zudem jeweils die Zurückweisung der gegnerischen Berufung.
23
Die Beklagte begründet Ihre Berufung damit, dass das Landgericht zu Unrecht einen Anspruch der Klägerin bejaht habe. Ein subjektiv sittenwidriges und vorsätzliches Verhalten des W. S. liege nicht vor; dieser habe keine Kenntnis von den Handlungen des H. R. bzw. der Schweizer E. Gesellschaft gehabt.
24
Die Klägerin meint, das Landgericht habe zu Unrecht die Klage teilweise abgewiesen. Der Vorsatz des Geschäftsführers W. S. habe sich darauf erstreckt, dass auch nach der Abberufung als Geschäftsführer durch den Fortbetrieb des Schneeballsystems neuen Anlegern Schaden zugefügt werde. Auch hinsichtlich der Insolvenzverschleppung sei ihm der nach seiner Abberufung eingetretene Schaden zurechenbar.
25
Der Senat hat mit Beschluss vom 13.07.2020 (Bl. 178 d. A.) festgestellt, dass das Verfahren kraft Gesetzes gemäß § 240 ZPO unterbrochen ist, da mit Beschluss des Amtsgerichts München vom 17.06.2020 (Gz. 1509 IN 1157/20) die vorläufige Insolvenzverwaltung über den Nachlass des W. S. angeordnet und der Erbin ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt wurde, § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Alt. 1 InsO. Mit Schriftsatz vom 06.04.21 (Bl. 189 d. A.) hat die Beklagte sodann gemäß § 250 ZPO das Verfahren wiederaufgenommen.
26
Zur weiteren Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf alle zwischen den Beteiligten in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die gerichtlichen Entscheidungen und Protokolle Bezug genommen.
27
Die nach § 511 Abs. 1 ZPO statthaften Berufungen sind zulässig, da sie form- und fristgerecht eingelegt (§§ 517, 519, 520 ZPO) und begründet wurden.
28
Die Berufung der Beklagten ist überwiegend unbegründet. Der Klägerin steht in Höhe der Verurteilung ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte gemäß §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15 a InsO sowie gemäß §§ 826 BGB zu. Lediglich im Hilfsantrag hat die Berufung Erfolg.
29
Die Berufung der Klägerin ist unbegründet.
30
Das gemäß § 240 ZPO unterbrochene Verfahren wurde ordnungsgemäß wieder aufgenommen. Der Senat konnte daher in der Sache entscheiden.
31
Die Aufnahme des Verfahrens richtet sich nach der Insolvenzordnung (BGH NJW-RR 14, 1270), ihre Form richtet sich nach § 250 ZPO. Voraussetzung für die Aufnahme des Rechtsstreits ist nach §§ 179 Abs. 1 und 2, 180 Abs. 2 InsO zunächst, dass die Forderung zur Tabelle angemeldet, geprüft und bestritten worden ist (vgl. BGH NZI 2020, 782 Rn. 10f.; das betrifft allerdings die Insolvenz der Partei). Die Beklagte ist zwar nur Erbin des Insolvenzschuldners; sie gilt aber für das Nachlassinsolvenzverfahren – mit Ausnahme der Beschränkungen, die an das Verhalten oder die Vermögensverhältnisse des den Insolvenzgrund setzenden Erblassers anknüpfen – als Schuldnerin (Gottwald/Haas, Insolvenzrechts-Handbuch, § 110 Rn. 2, 4).
32
Nach Vortrag der Beklagten hat die Klägerin im Nachlassinsolvenzverfahren unter Nr. 189 eine Forderung in Höhe von 167.325,00 € angemeldet. Die Beklagte hat im Prüftermin die Forderung bestritten; sie war als Insolvenzschuldnerin daher zur Aufnahme befugt und hat den Rechtsstreit ordnungsgemäß gem. § 250 ZPO aufgenommen.
33
Eine Antragsumstellung war trotz des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des W. S. nicht erforderlich. Dies wird zwar bei der Aufnahme eines Prozesses während eines eine Partei betreffenden Insolvenzverfahrens grundsätzlich verlangt, da Streitgegenstand nunmehr die (negative) Feststellung des bestrittenen Insolvenzgläubigerrechts ist (BGH NJW 1962, 153 (154); ZIP 1994, 1193; vgl. Uhlenbruck, InsO, § 180 Rn. 26 ff.). Da hier aber die Beklagte nur Erbin des Insolvenzschuldners ist und kein Insolvenzverfahren bezüglich ihres eigenen Vermögens besteht, spielt dies hier keine Rolle, auch wenn die Erbin im Rahmen des Nachlassinsolvenzverfahrens teilweise dem Insolvenzschuldner gleichgestellt wird (und deshalb Unterbrechung des Zivilprozesses eintritt, s.o.).
34
Die Berufung der Beklagten hat im Hilfsantrag Erfolg, ansonsten ist sie unbegründet.
35
I. Entgegen der Ansicht der Beklagten steht der Klägerin – wie das Landgericht zu Recht angenommen hat – ein Anspruch auf Schadensersatz hinsichtlich der vor Abberufung des W. S. als Geschäftsführer abgeschlossenen Kauf- und Verwaltungsverträge zu.
36
1. Vorrangige Ansprüche aus Prospekthaftung kommen vorliegend zwar nicht in Betracht.
37
a) Eine spezialgesetzliche Prospekthaftung scheidet bereits aus, weil die hier streitgegenständlichen Kauf- und Verwaltungsverträge aus der Zeit von 2014 bis 2016 noch keiner gesetzlichen Prospektpflicht unterlagen und deshalb die Inhaltsanforderungen an Prospekte aus § 7 VermAnlG bzw. der VermVerkProspV hier nicht herangezogen werden können. Hinsichtlich des im Jahr 2017 geschlossenen Vertrags kommt ein Anspruch gegen die Beklagte nicht in Betracht, weil W. S. bereits als Geschäftsführer ausgeschieden war, an dem Vertrag auch sonst nicht mehr beteiligt war, und daher nicht mehr zu dem Adressatenkreis der Prospekthaftung im engeren Sinne gehörte.
38
b) Auch eine allgemeine zivilrechtliche Prospekthaftung des W. S. im engeren Sinn aufgrund typisierten Vertrauens scheidet aus. Eine solche wurde u.a. bejaht für Initiatoren, Gründer, Gestalter, Manager und mutmaßliche Hintermänner sowie sonstige für den Anlageprospekt verantwortliche Personen einer Publikumsgesellschaft, die auf die Geschicke der KG maßgeblichen Einfluss ausüben und damit für die Herausgabe des Prospekts (mit) verantwortlich sind. Insofern wäre eine Haftung des W. S. als Geschäftsführer aller Vertriebsgesellschaften und Vorstand der Holding AG, der für den Vertrieb und damit die Anwerbung neuer Anleger zuständig war, durchaus denkbar. Von einem maßgeblichen Einfluss auf die Anlagekonzeption, einen Prospekt sowie seiner Kenntnis vom Prospekt kann insofern ausgegangen werden (vgl. BGH WM 2006, 427 (428). Dass die spezialgesetzliche Prospekthaftung in ihrem Anwendungsbereich eine Haftung etwa der Gründungsgesellschafter als Prospektveranlasser unter dem Aspekt einer vorvertraglichen Pflichtverletzung aufgrund der Verwendung eines unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung ausschließt, hat der BGH jetzt ausdrücklich anerkannt (BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – IX ZB 35/18). Ob dies auch für noch nicht erfasste Geschäfte wie die streitgegenständlichen gelten muss, kann hier letztlich dahinstehen, denn eine Prospekthaftung im engeren Sinne kommt bereits aus anderen Gründen nicht in Betracht. Denn unabhängig davon, dass die Klageseite auch keine konkreten Prospektfehler dargelegt hat, fehlt es vorliegend bereits an einer „Beteiligung“ an einer Gesellschaft. Der Kauf der streitgegenständlichen Container stellt vielmehr einen Erwerb einzeln zuzuordnender Vermögensgegenstände dar und steht damit dem Erwerb von Immobilien oder Waren gleich (vgl. BGH, Urteil vom 13.08.2020 – III ZR 148/19, WM 2020, 1862 mit Anmerkung Hermann, WM 2021, 261). Eine für die Prospekthaftung vorausgesetzte gemeinsame unternehmerische Betätigung am Markt ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
39
2. Die Beklagte haftet als Gesamtrechtsnachfolgerin des W. S. aber gemäß § 826 BGB auf Schadensersatz für die während seiner Geschäftsführertätigkeit erfolgten Zeichnungen der Klägerin.
40
a) Nach der Rechtsprechung des BGH haften Geschäftsführer, (faktische) Geschäftsleiter oder Vorstandsmitglieder einer Gesellschaft nach § 826 BGB auf Schadensersatz, wenn das von ihnen ins Werk gesetzte Geschäftsmodell der Gesellschaft von vornherein auf Täuschung und Schädigung der Kunden angelegt ist, es sich mithin um ein „Schwindelunternehmen“ handelt (BGH Urt. V. 15.09.2015 – VI ZR 480/14, BeckRS 2015, 18257, beck-online).
41
Der Geschädigte genügt dabei seiner Darlegungslast regelmäßig bereits dadurch, dass er Umstände vorträgt, die das (weitere) Betreiben eines solchen „Schneeballsystems“ als naheliegend erscheinen lassen. Den Gegner trifft in solchen Fällen eine sekundäre Darlegungslast. Er hat sich im Rahmen der ihm nach § 138 II ZPO obliegenden Erklärungspflicht zu den Behauptungen der beweispflichtigen Partei zu äußern; anderenfalls gilt das Vorbringen des Geschädigten als zugestanden (§ 138 III ZPO; BGH, Versäumnisurteil vom 4.2.2021 – III ZR 7/20).
42
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Unterstützung eines objektiv unzulässigen Vertriebssystems in herausgehobener und für dieses unerlässlicher Funktion sittenwidrig, wenn der Funktionsträger sich für dieses System hat einspannen lassen und es zugleich zumindest leichtfertig unterlassen hat, sich über die rechtlichen Rahmenbedingungen des Vertriebs zu vergewissern (BGH, Urteil vom 10. Februar 2015 – VI ZR 569/13, Rz. 10 ff., für unzulässiges Einlagengeschäft).
43
b) Unter Anwendung dieser Grundsätze liegt eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung des W. S. vor.
44
aa) Nach den nicht zu beanstandenden und mit der Berufungsbegründung auch nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts entstand bereits ab dem Jahr 2007 durch die finanzielle Schieflage der Schweizer P. -E. & Finance Corp. Gesellschaft in der P. Gruppe ein Schneeballsystem. Die Ansprüche der Anleger haben nicht mehr vollständig aus den Mitteln und der Liquidation der P.E. & Finance Corp. erfüllt werden können. Es sei versucht worden, die auftretenden Liquiditätslücken mit neuem Anlegerkapital zu decken, welches über die deutschen Vertriebsgesellschaften an die P.Equipment weitergeleitet worden sei. Die Gelder neuer Anleger seien nicht mehr für den Kauf von Containern verwendet worden, sondern für die Auszahlungen an Altanleger. Zu Beginn des Jahres 2018 sei das System zusammengebrochen, da nicht mehr genügend neue Anleger eingeworben werden konnten, um die Altanleger zu befriedigen. Diese Feststellungen sind zugrunde zu legen.
45
bb) Danach haben die Gesellschaften der P. Gruppe es bei arbeitsteiligem Zusammenwirken unternommen, die Anleger zu beschwindeln. Die deutschen Vertriebsgesellschaften haben Anleger geworben und von diesem zum Erwerb von Containern Geld vereinnahmt, das dann – entgegen der eingegangenen vertraglichen Verpflichtung – von der Schweizer Firma nicht hierfür verwandt worden ist. Eine objektive Sittenwidrigkeit liegt vor.
46
cc) Der Einwand der Beklagten, sie habe lediglich zugestanden, dass die Schweizer Gesellschaft ein Schneeballsystem betreibe, dass auf Ebene der deutschen Gesellschaften ein Schneeballsystem betrieben worden sei, sei aber ausdrücklich bestritten worden, führt nicht weiter. Denn ohne das Anwerben der Anleger zur Beschaffung neuen Kapitals ist ein Schneeballsystem nicht denkbar. Diesen Teil übernahmen in der P. Gruppe die deutschen Vertriebsgesellschaften. Sie waren daher jedenfalls in objektiver Hinsicht unabdingbarer Teil des sittenwidrigen Schneeballsystems. Der Aufbau eines Containerfehlbestandes war ohne Zutun der deutschen Vertriebsgesellschaften überhaupt nicht möglich.
47
W. S. war seit 20.02.2013 – also bereits vor Abschluss der hier maßgeblichen Verträge – Geschäftsführer der hier vertragschließenden Vertriebsgesellschaften. Als Vertriebsgeschäftsführer war er für die Beschaffung neuer Anleger und den Abschluss neuer Verträge verantwortlich, seine Funktion war für das Gesamtsystem, wie dargelegt, unerlässlich. Er war damit an dem beschriebenen Schneeballsystem unmittelbar und in herausgehobener Funktion beteiligt.
48
dd) W. S. hat aber auch subjektiv sittenwidrig gehandelt, indem er sich für dieses System hat einspannen lassen und es zugleich unterlassen hat, sich über die rechtlichen Rahmenbedingungen – insbesondere auch die Erfüllung der Eigentumsverschaffungspflicht – zu vergewissern.
49
(1) Dies war bereits von Anfang an der Fall. Wie bereits das Landgericht zurecht ausgeführt hat, war Herrn S. bewusst, dass die deutschen Vertriebsgesellschaften und er als deren Geschäftsführer – nach eigenem Vortrag – weder eigene Informationen über die Art der Verwendung der weitergeleiteten Gelder durch die P. E. & Finance Corp. hatten, noch die Möglichkeit bestand, insoweit Informationen von der P. E. & Finance Corp. zu erlangen, da Herr H. R. insoweit eine strikte „Informationsabschottung“ betrieb. Herr S. war sich mithin auch bewusst, dass mangels Überprüfbarkeit des Containerbestands der Abschluss von Vertriebs- und Verwaltungsverträgen über tatsächlich nicht existierende Container, sog. „Leerverkäufe“, möglich und nicht kontrollierbar war und ihm war auch bekannt, dass keine Informationen von der P. E. & Finance Corp. über die Verwendung des Geldes zu erhalten waren.
50
Das legt die Folgerung nahe, dass sich Herr S. in seiner herausgehobenen und wesentlichen Funktion im Rahmen des Vertriebs der Anlage für dieses Schneeballsystem hat einspannen lassen, ohne sich über die rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen dieses Vertriebssystems zu vergewissern.
51
Hierfür spricht auch, dass jedenfalls hinsichtlich der Jahresabschlüsse ab 2010 bis 2016 lediglich eingeschränkte Bestätigungsvermerke erteilt wurden, da nicht nur Angaben zu den Gesamtbezügen der Geschäftsführer, sondern auch Angaben zu nicht in der Bilanz enthaltenen Geschäften bzw. der Gesamtbetrag der sonstigen finanziellen Verpflichtungen fehlten (vgl. Insolvenzgutachten S. 72 ff., für die P. Container; PwC Gutachten, S. 30). Bei Vorhandensein nur eingeschränkter Bestätigungsvermerke musste W. S. das Geschäftsmodell schon bei Übernahme der Geschäftsprüfung einer besonders eingehenden Kontrolle unterziehen. Hieran vermag auch der Einwand einer fehlenden Ressortzuständigkeit nichts zu ändern, denn zur Vertriebszuständigkeit gehört jedenfalls auch, ein plausibles Geschäftsmodell anzubieten. Dabei muss er aber die eigene Bonität und die Wirtschaftlichkeit und Plausibilität des Geschäftsmodells ständig überprüfen.
52
Selbst wenn W. S. von dem Vorhandensein der nur eingeschränkten Bestätigungsvermerke keine Kenntnis gehabt hätte, würde ihn dies als Geschäftsführer jedenfalls nicht entlasten, sondern würde nur ein weiteres leichtfertiges Unterlassen darstellen, sich über die rechtlichen Rahmenbedingungen zu informieren und diese zu überprüfen.
53
(2) Spätestens aber mit auch nur grober Kenntnis der vom Landgericht überzeugend festgestellten Containerfehlbestände lagen für Herrn S. Umstände vor, die das (weitere) Betreiben eines „Schneeballsystems“ als naheliegend erscheinen haben lassen.
54
(3) Zumindest grobe Kenntnis der Containerfehlbestände hat Herr S. spätestens bei der Aufsichtsratssitzung vom 04.06.2014 und der dortigen Erörterung des „Projekts Isar“ erhalten.
55
Im Auftrag der P. AG war eine Analyse der Datenbestände zwischen den deutschen Gesellschaften und der schweizerischen Gesellschaft erfolgt, deren Zwischenergebnis in der – wohl von Herrn Dr. B. erstellten – Präsentation vom 17.03.2014 (Projekt ISAR, Anlage K 7) enthalten ist. Auch wenn der Beklagten zuzugeben ist, dass diese Anlage teils schwer lesbar und schwer verständlich ist, so lässt sich daraus doch objektiv entnehmen, dass es danach zum Ende des ersten Quartals 2014 einen Container-Fehlbestand im Umfang von von 516.743 CEU (“cost equivalent unit“) gegeben haben soll (K 7, dort bei P. AG „Aktive CEU: 1.802.597 CEU von deutschen Vertriebsgesellschaften verwaltet, bei P. EF unter „CEU zum Periodenende“: 1.285.854 CEU, damit ein Fehlbestand von 516.743 CEU nach dieser Berechnung).
56
Diese Präsentation war laut Deckblatt an die Organe der P. AG gerichtet, zu denen zu diesem Zeitpunkt Herr F. und Herr S. gehörten.
57
Soweit die Beklagte gleichwohl bestreitet, dass Herr S. über die maßgeblichen Ergebnisse des Projekts ISAR informiert worden sei, und dass diesem die Präsentation vom 17.03.2014 zugegangen sei, ist bisher nicht ersichtlich, woher die Beklagte als Erbin dies zu wissen glaubt. Für ein Bestreiten mit Nichtwissen, wie im weiteren Schriftsatz vom 08.04.22 (Bl. 257) klargestellt, sind die Voraussetzungen bereits nicht dargetan, nachdem auch insoweit für die Beklagte als Erbin zumindest eine Erkundigungspflicht besteht (BGH NJW 1990, 453; vgl. T/P § 139 Rn. 20). Insoweit sei vorsorglich auch auf die als Anlage K 11 vorgelegte polizeiliche Aussage der Mutter der Beklagten hingewiesen, wonach ihr Mann gesagt habe, dass es da eine kleine Lücke im Containerbestand gebe, die er aber innerhalb von zwei Jahren schließen könne.
58
Ausweislich des Protokolls Anlage K 13 hat Herr S. das Projekt ISAR in der Aufsichtsratssitzung am 04.06.2014 aber sogar von sich aus angesprochen. Dass dies ohne Kenntnis der Präsentation vom 17.03.2014 erfolgt sein soll, erscheint dem Senat nicht glaubhaft. In diesem Protokoll heißt es: “Anschließend sprach Herr S. das Thema Flottenproblematik Deutschland Schweiz an (Isar). Herr S. verweist auf die Herren R. und deren bessere Erkenntnis zu diesem Sachverhalt. Derzeit kann durch eine neu entwickelte Software die Container Flotte detaillierter analysiert und abgeglichen werden (Inventur). Die Ergebnisse werden nicht in Zahlen benannt. Der Aufsichtsratsvorsitzende R. schilderte ausführlich, dass die Flottenproblematik seiner Ansicht nach innerhalb der nächsten zwei Jahre nahezu gelöst sei.“ Zumindest eine Kenntnis der in der Aufsichtsratssitzung besprochenen Sachverhalte wird von der Beklagten auch nicht in Abrede gestellt.
59
Danach war, unabhängig von der Kenntnis konkreter Zahlen, jedenfalls spätestens zu diesem Zeitpunkt eine grobe Kenntnis einer „Flottenproblematik“ im Sinne eines Fehlbestands – da P. keine Schiffe betrieben hat, können damit nur die Container gemeint sein – der deutschen Gesellschaften und der Schweizer Gesellschaft auch bei Herrn S. vorhanden, die zumindest Anlass für weitere Nachforschungen hätte sein müssen. Auch das Weiterbetreiben eines danach von Herrn S. zumindest zu vermutenden Schneeballsystems für weitere zwei Jahre erschiene im Übrigen noch sittenwidrig.
60
(4) Der Senat ist aber darüber hinaus der tatrichterlichen Überzeugung, dass Wolfgang S. auch konkrete Kenntnis von dem Containerfehlbestand hatte. Dass damit Verträge der P. Gesellschaften mit Anlegern nicht erfüllt wurden und damit ein Schneeballsystem betrieben wurde, lag auf der Hand.
61
Der Inhalt der Aufsichtsratssitzung mit der expliziten Nachfrage des Wolfgang S. zum Projekt Isar belegt bereits, dass die auch an ihn adressierte Präsentation zum „Projekt Isar“ Wolfgang S. erreichte. Dass er ohne Kenntnis der an ihn adressierten Präsentation vom 17.03.2014 nachgefragt haben soll, erscheint dem Senat, wie dargelegt, nicht glaubhaft. Die Ergebnisse des Projekts ISAR waren Herrn S. bekannt. Diese Ergebnisse waren, wie sich aus den protokollierten Angaben des Erstellers der Präsentation zum Projekt „ISAR“, des Herrn B., ergibt, „dass es eine Unit-Differenz gab und der Euro und der Dollarbetrag nicht übereinander lagen“ (Anlage K 8, Seite 5). Dass Herrn S. das wesentliche Ergebnis des im Aufsichtsrat erörterten Projekts in Form eines Fehlbestands nicht bekannt gewesen sein soll, glaubt der Senat ebenfalls nicht. Dies steht mit der bereits dargestellten Aussage der Mutter der Beklagten im Einklang, der Herr S. von einer „kleinen Lücke“ im Containerbestand berichtet habe, die er aber innerhalb von zwei Jahren schließen könne. Wenn man zum Schließen zwei Jahre braucht, kann die Lücke aber wohl nicht ganz so klein gewesen sein.
62
Ferner gab Herr B. dort an, er denke, dass seine E-Mail, mit der er den Mitgeschäftsführer F. über den Containerfehlbestand informiert habe, auch in cc an Herrn S. gegangen sei (Anlage K 8). Die ebenfalls vernommene Mitarbeiterin L. meinte, dass sowohl bei der Auftragserteilung zum „Projekt Isar“ als auch bei der Vorstellung der Ergebnisse Herr S. zugegen gewesen sei (Anlage K 9). Schließlich gab auch der Gründer der P. Gruppe, Herr H. R., in seiner Vernehmung an, jedenfalls W. S. habe von den Fehlbeständen gewusst (Anlage K 10).
63
Insgesamt hat der Senat keinen Zweifel daran, dass Herrn S. der Fehlbestand und damit auch die fehlende Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen gegenüber Anlegern und das daraus folgende Schneeballsystem bekannt waren. Dennoch betrieb er das Geschäftsmodell unverändert weiter.
64
(5) Dieses sittenwidrige Verhalten des Geschäftsführers W. S. war jedenfalls für die aus den Vertragsschlüssen während seiner Geschäftsführerzeit entstandenen Schäden kausal.
65
Auch die Zurechenbarkeit ist gegeben, da klar ist, dass die Käufer darauf vertrauen, dass die P. kein Schneeballsystem betreibt, und nur unter dieser Prämisse die vertraglichen Beziehungen mit der P. Gesellschaft eingehen. Die Neuanleger sind auch vom Schutzzweck des § 826 BGB gedeckt, § 826 BGB soll gerade Vertragspartner vor sittenwidriger Schädigung schützen.
66
Der Schaden liegt nach der Differenzhypothese auch hier, wie vom Landgericht richtig festgestellt, im Abschluss des jeweiligen Kauf- und Verwaltungsvertrages. Dabei hat sich die Klägerin Vorteile, wie die erhaltenen Mietzinsen, anrechnen zu lassen. Im übrigen wurde die Höhe des geltend gemachten Schadens von Beklagtenseite nicht gerügt, weitere Ausführungen erübrigen sich daher.
67
(6) W. S. handelte insoweit auch mit Schädigungsvorsatz.
68
Zum Vorsatz gehört, dass der Schädiger Art und Richtung des Schadens und die Schadensfolgen vorausgesehen und die Schädigung zumindest, mag er sie auch nicht wünschen, doch zur Erreichung seines Ziels billigend in Kauf genommen hat.
69
Für den Nachweis lässt sich häufig aus der Art und Weise, in der sich das sittenwidrige Verhalten kundtut, folgern, dass der Täter bezüglich der Schädigung vorsätzlich gehandelt hat (BGH WM 1995, 882). Insbesondere lässt sich der Nachweis bedingten Vorsatzes oft nur dahin erbringen, der Schädiger habe so leichtfertig gehandelt, dass daraus im Sinne eines Indizes gefolgert werden kann, er habe eine Schädigung des anderen Teils billigend in Kauf genommen (BGH NJW 2008, 2245). So liegt es in der Regel bei Durchführung eines Vorhabens in Kenntnis bzw. Offensichtlichkeit starker Gefährdung eines Rechtsguts, deren Verwirklichung zwar dem Zufall überlassen wird, aber naheliegt (BGH NJW 04, 446; NJW-RR 13, 550).
70
So liegt der Fall hier. Indem W. S. die Geschäfte führte, obwohl er wusste, dass er die Einhaltung der vertraglichen Verpflichtungen und die Verwendung des angelegten Geldes durch die Schweizer Gesellschaft in keiner Weise kontrollieren konnte und damit auch keinen Überblick über die finanzielle Lage und die Profitabilität des Anlagemodells hatte, war die Vornahme von „Leerkäufen“ möglich und bei Verschlechterung des Schiffscontainermarktes angesichts der garantierten Mieten und den faktisch zugesagten Rückkäufen sogar naheliegend. Spätestens ab dem 04.06.2014 wusste er jedenfalls auch, dass es eine „Flottenproblematik“ gab, die nichts anderes war als ein massiver Fehlbestand an Containern (vgl. oben). Mit der Fortführung der Geschäfte unter diesen Bedingungen nahm er eine Schädigung der vertragschließenden Anleger jedenfalls billigend in Kauf. Ihm klar, dass diese im Falle eines Schneeballsystems keine werthaltigen Gegenforderungen erhielten.
71
ee) Spätestens ab dem Zeitpunkt der Kenntnis vom Containerfehlbestand (jedenfalls ab 04.06.14) ist aber auch eine Haftung des Herrn S. wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung gemäß § 826 BGB gegeben. Die vorsätzliche Insolvenzverschleppung in der Absicht, das als unabwendbar erkannte Ende eines Unternehmens so lange wie möglich hinauszuzögern, erfüllt den Tatbestand einer sittenwidrigen Schädigung i.S.d. § 826 BGB, wenn dabei die Schädigung der Unternehmensgläubiger billigend in Kauf genommen wird (BGH Urteil v. 27.7.21 – II ZR 164/20, BeckRS 2021, 22748).
72
3. Unabhängig davon hat die Klagepartei hinsichtlich der Zeichnungen während der Geschäftsführerstellung des Wolfgang S. auf der Grundlage der landgerichtlichen Feststellungen und der vorgelegten Unterlagen auch Anspruch auf Schadensersatz aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15 a InsO. Wolfgang S. hat als Geschäftsführer bereits vor der ersten Zeichnung der Klägerin im September 2014 pflichtwidrig gegen § 15 a InsO als Schutzgesetz verstoßen, indem er trotz bestehender Überschuldung nicht rechtzeitig einen Insolvenzantrag gestellt hat.
73
a) § 15 a InsO stellt ein Schutzgesetz iSd § 823 Abs. 2 BGB dar (BGH, Urt. v. 14.05.2012 – II ZR 130/10). In den persönlichen Schutzbereich des § 15 a InsO fallen danach sämtliche Gläubiger, die einen Anspruch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen die Gesellschaft erworben haben (BGH NJW 2012, 3510). Die Klägerin fällt als Neugläubigerin, die erst nach Verletzung der Insolvenzantragspflicht mit den Gesellschaften Verträge geschlossen hat, daher in den Schutzbereich.
74
b) Die P. Gesellschaften waren ab dem 1.1.2011, jedenfalls aber vor Abschluss der streitgegenständlichen Verträge überschuldet.
75
aa) Den Beweis für das Vorliegen der objektiven Voraussetzungen der Insolvenzantragspflicht hat grundsätzlich der Gläubiger zu erbringen. Steht fest, dass die Gesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt rechnerisch überschuldet war, so ist es allerdings Sache des Geschäftsführers, die Umstände darzulegen, die es aus damaliger Sicht rechtfertigten, das Unternehmen trotzdem fortzuführen. Hierzu ist er weit besser in der Lage als ein außenstehender Gläubiger. Dem Geschäftsführer ist die Darlegung dieser Umstände zumutbar, weil er ohnehin zu einer laufenden Prüfung der Unternehmenslage verpflichtet ist (vgl. BGH, Urteil vom 06.06.1994 – II ZR 292/91).
76
bb) Die Klägerin hat eine Überschuldung der streitgegenständlichen Gesellschaften für den hier maßgeblichen Zeitraum schlüssig dargelegt. Die Darlegung und der Nachweis der Überschuldung erfolgt regelmäßig durch Vorlage einer Überschuldungsbilanz, in der die Vermögenswerte der Gesellschaft mit ihren aktuellen Verkehrs- und Liquidationswerten auszuweisen sein (BGH NZG 2009, 750; BGH NJW-RR 2010, 1048). Danach hat die Klagepartei durch Vorlage und Auswertung der PwC-Gutachten zur Überschuldung vom 12.09.2018 (Anlage K 19, mit dem Ergebnis Überschuldung der P. Gruppe seit spätestens 01.01.2011) noch vor Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht diese hinreichend substantiiert dargelegt.
77
cc) Die hiergegen erhobenen Einwendungen der Beklagten überzeugen den Senat nicht.
78
(1) Dabei hat die Beklagte die vorgetragene Überschuldung bereits nicht ausreichend bestritten. Sie bestreitet zwar in der Klageerwiderung (S. 14/15, Bl. 40ff. d. A.) pauschal eine Überschuldung der Gesellschaften und hat dies im Berufungsverfahren wiederholt (Schriftsatz vom 13.04.2022, Seite 2). Ein substantiiertes Bestreiten der konkret zugrunde gelegten Tatsachen erfolgt jedoch nicht.
79
Nach den Feststellungen des Landgerichts ist im Übrigen unstreitig, dass die deutschen Vertriebsgesellschaften ab 2007 die erforderliche Liquidität in wechselndem Umfang dem neuen Anlegerkapital entnommen haben (Endurteil vom 21.02.2020, Seite 5 letzter Absatz). Dies ist Merkmal eines Schneeballsystems (dazu s.o. bei § 826 BGB) und deutet auf eine Überschuldung hin.
80
Auch der Verweis darauf, dass in den Handelsbilanzen keine Fehlbeträge ausgewiesen seien, genügt unter diesen Umständen für ein ausreichend substantiiertes Bestreiten nicht.
81
(2) Der Einwand der Beklagten, die Klägerin lege bei der Überschuldungsbilanz zu Unrecht eine gesellschaftsübergreifende Betrachtung zugrunde und deshalb sei die Überschuldung für die einzelnen deutschen Vertriebsgesellschaften nicht substantiiert dargelegt überzeugt ebenfalls nicht. Dass sich die Ausführungen im Zusammenhang mit der erstellten Überschuldungsbilanz häufig auf die gesamte P. Gruppe beziehen, folgt daraus, dass das Liquiditätsmanagement und die gesamte Abwicklung gesellschaftsübergreifend praktiziert wurden. Das zeigt sich letztlich auch daran, dass alle vier deutschen Gesellschaften der P. Gruppe zeitnah im März 2018 bzw. die P . TC im Juli 2018 Insolvenzantrag gestellt haben. Außerdem hat die Klagepartei bzw. das von ihr in Bezug genommene Gutachten neben der gruppenweiten Betrachtung auch eine Einzelbetrachtung der Gesellschaften vorgenommen und gerade für jede Gesellschaft gesondert einen Überschuldungsstatus erstellt (vgl. Anlage K 19 Seit 45 ff.).
82
(3) Auch der Einwand (vgl. Schriftsatz vom 13.04.2022), die im Rahmen der Überschuldungsbilanzen vorgenommenen Abzüge von Forderungen gegenüber der P. EF erfolgten aufgrund eines modellhaft ermittelten, gruppenweiten Verteilungsschlüssels, und es liege daher auch den einzelnen Überschuldungsbilanzen eine gruppenweite Betrachtung zugrunde, verfängt nicht. Dies ist, wie dargelegt, Folge des gesellschaftsübergreifend praktizierten Schneeballsystems. Denn es waren nicht nur die deutschen P. Gesellschaften und die Schweizer P. EF verwoben, sondern auch die deutschen Gesellschaften untereinander: nach Ablauf der Erstvermietung der Neucontainer wurden etwa über die P. Gebrauchtcontainer GmbH Weitervermietungen betrieben, viele Anleger haben – wie vorliegend die Klägerin – Verträge mit der P. Container GmbH und der P. Gebrauchtcontainer GmbH geschlossen. Sämtliche deutschen Gesellschaften wurden ferner in der P. AG als Holding zusammengefasst. Dass dies auch Eingang in die Überschuldungsbilanzen der einzelnen Gesellschaften finden muss, versteht sich von selbst.
83
(4) Schließlich überzeugt auch der Einwand der Beklagten nicht, in den Überschuldungsbilanzen seien Rückkaufverpflichtungen der P. Vertriebsgesellschaften aufgenommen worden, obwohl derartige Verpflichtungen gar nicht bestanden hätten: Auch im Rahmen eines Überschuldungsstatus sind grundsätzlich alle Verbindlichkeiten zu passivieren (K. Schmid, InsO, § 19 Rn. 34). In den Verträgen bis zum Jahr 2015 war – entgegen der Ansicht der Beklagten – eine rechtliche Verpflichtung der Beklagten zum Rückkauf enthalten. In Ziffer 4 war geregelt (vgl. K 1/ K 4): „Nach Ablauf der Garantiezeit ist P. bereit, den/ die Container zurückzukaufen, und wird rechtzeitig vor Ablauf des Vertrages ein Kaufangebot unterbreiten“. Wie diese Klausel anders ausgelegt werden könnte, als dass die Beklagte sich zu einem Rückkaufangebot verpflichtet hat, erschließt sich nicht, zumal die Verträge unstreitig auch entsprechend gelebt wurden, die Container nach Ablauf der Mietzeit stets zurückgekauft wurden.
84
Auch dass die P. Gesellschaften selbst im Jahr 2015 Anlass sahen, diese Formulierung im Hinblick auf eine etwaige Prospektpflicht zu ändern, spricht dafür, dass diese selbst von einer derartigen Verpflichtung ausgingen. Dass der Rückkaufpreis noch nicht fest vereinbart war, steht dem nicht entgegen, zumal die P. Gesellschaften insoweit selbst mit Prognosen arbeiteten und Renditen berechneten.
85
Auch für derartige Fälle der Höhe nach ungewisser Verbindlichkeiten sind Rückstellungen zu passivieren (BGH NJW 2003, 3629 (3631)).
86
(5) Soweit die Beklagte nun eine vertragliche Rückkaufsverpflichtung jedenfalls teilweise bestreiten möchte, ist dies zum einen verspätet. Zum anderen ergibt sich bereits aus Anlage K 4, dass im vorliegenden Fall bei den Käufen 2014 und 2015 noch oben genannte Vertragsformulierung verwendet wurde. Auch der Insolvenzgutachter hat die Verwendung dieser Formulierung bis 2015 für die P. Container und Gebrauchtcontainer GmbH in seinen Gutachten jeweils festgestellt.
87
Damit bestand aber jedenfalls bis zum Jahr 2015 eine rechtliche Verpflichtung der Beklagten zum Rückkauf der Container und waren diese Verbindlichkeiten daher – wie von PwC angesetzt – auch im Überschuldungsstatus zu passivieren, bei Unsicherheit wegen der Höhe der Verbindlichkeit jedenfalls als Rückstellung.
88
(6) Zwar trifft es zu, dass in den späteren Kauf- und Verwaltungsverträgen – wohl zur Vermeidung einer Prospektpflicht – keine Rückkaufpflicht mehr vereinbart wurde, sondern lediglich eine Rückkaufoption in Aussicht gestellt wurde. Dass allein die Änderung der vertraglichen Formulierung die – wie dargelegt spätestens seit 1.1.2011 – bestehende Überschuldung beseitigt haben sollte, wird wohl auch die Beklagte kaum behaupten. Allein der Formulierungswechsel in den Verträgen stellt insoweit jedenfalls keinen substantiierten Vortrag dar.
89
(7) Letztlich kommt es auf die genaue Ausgestaltung auch gar nicht an, denn faktisch war der Rückkauf der Container jedenfalls stets zwingender Bestandteil des Anlagekonzepts. Bei Nicht-Einhaltung der Rückkaufoption wäre zumindest mit einem erheblichen Einbruch des Neugeschäftsvolumens zu rechnen gewesen. Daher kaufte P. bis zur Insolvenzantragstellung 2018 – insoweit unstreitig – die Container stets zurück. Deshalb erscheint es auch bilanzrechtlich so offensichtlich, dass diese Rückkaufverpflichtungen – selbst wenn man nur von einer faktischen Verpflichtung ausgeht – in den Überschuldungsbilanzen bilanziell zu passivieren waren, dass der Senat meint, dies ohne Sachverständigengutachten selbst beurteilen zu können: Auch Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten sind in der Überschuldungsbilanz zu passivieren (BGH Urt.v. 22.09.2003 – II ZR 229/02, NJW 2003, 3629, 3231). Dabei muss die Höhe und Fälligkeit der Schuld noch nicht mit Sicherheit feststehen (K. Schmid, InsO, § 19 Rn. 34), lediglich reine Kulanzrückstellungen sind nicht aufzunehmen, da diese bei unterstellter planmäßiger Liquidation nicht mehr erbracht würden (MüKo, InsO, § 19 Rn. 130). Für sog. Verbindlichkeitsrückstellungen, die ausgelöst werden durch eine finanzielle Verpflichtung, der sich das Unternehmen nicht entziehen kann, besteht auch im Überschuldungsstatus Ansatzpflicht, soweit die finanzielle Verpflichtung im Rahmen der planmäßigen Liquidation nicht zum Erliegen kommt (MüKo, InsO, § 19 Rn. 131).
90
Vorliegend bestand jedenfalls, wie oben dargelegt, ein faktischer Leistungszwang, der nicht mit einer nicht zu berücksichtigenden Kulanzgewährleistung vergleichbar ist. Die Möglichkeit der Rückveräußerung war hier dem Anlagemodell immanent, wie auch das Vorhandensein einer eigenen Gebrauchtcontainer und einer Transport Leasing Gesellschaft suggerierten. Da für den Privatanleger auch kein geregelter Markt vorhanden war, an dem die Container leicht selbst veräußert werden konnten, war P. klar, dass die Anleger von einem Rückkauf ausgingen und dies auch im Rahmen einer planmäßigen Liquidation erfolgen müsste. Ein durchschnittlicher Anleger wäre nicht das Risiko eingegangen, dass ihm nach Vertragsende ein Überseecontainer gehört, den er dann eigenständig veräußern oder lagern muss. So wurde folgerichtig auch bis zur Beantragung der Insolvenz im Jahr 2018 dieser (faktischen) Rückkaufspflicht stets Rechnung getragen. Dass diese Rückkaufverpflichtungen – auch wenn die Höhe noch nicht feststand, aber ein Prognosewert wohl vorhanden war -zumindest wie Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten auch in der Überschuldungsbilanz zu passivieren waren, liegt auf der Hand. Alles andere würde zu einem offensichtlich verfälschten Bild der tatsächlichen finanziellen Lage der P . Gesellschaften führen und würde durch die Überschuldungsbilanz die von der Unternehmensfortführung ausgehende Gläubigergefährdung überhaupt nicht wirklichkeitsgetreu abgebildet. So würde der Sinn und Zweck des Überschuldungstatbestandes letztlich unterlaufen.
91
dd) Abgesehen davon hat sich der Senat aber auch die tatrichterliche Überzeugung gebildet, dass eine Überschuldung der hier maßgeblichen P. Gesellschaften zum 1.1.2011, spätestens aber im Juli 2013 vorlag. Nach den Feststellungen des Landgerichts begann das Geschäftsmodell der P. Gruppe ab dem Jahr 2007 in Schieflage zu geraten und konnten die Ansprüche der Anleger nicht mehr vollständig aus den Mitteln und der Liquidität der P. EF erfüllt werden. Es wurde versucht, die auftretenden Liquiditätslücken mit neuem Anlegerkapital zu decken, welches über die deutschen Vertriebsgesellschaften an die Schweizer Gesellschaft weitergeleitet wurde. So entstand ein Schneeballsystem; die Gelder neuer Anleger wurde nicht mehr für den Kauf von Containern verwendet, sondern für die Auszahlungen an Altanleger.
92
Zu diesem Ergebnis kommt nach umfangreicher Bestandsaufnahme und Sichtung der Unterlagen auch der Insolvenzverwalter in seinen Insolvenzgutachten (Anlage K 14). So führt dieser etwa im Gutachten aus, dass die Einnahmen aus dem vorhandenen Containerbestand der P. Gruppe schon seit vielen Jahren nicht ansatzweise ausreichten, um die aus den Verträgen mit den Anlegern übernommenen Zahlungspflichten zu erfüllen. Die Bestandsanleger seien, solange es die Liquidität der P. Gruppe zugelassen habe, vor allem mit den vereinnahmten Geldern aus Neuanlagen bezahlt worden. Ein funktionierendes Geschäftsmodell sei jedenfalls schon seit über einem Jahrzehnt nicht mehr vorhanden gewesen (Insolvenzgutachten vom 20.07.2018, Anlage K 14, S. 126).
93
ee) Wesen eines Schneeballsystems ist, wie das Landgericht zurecht ausgeführt hat, dass sich die finanzielle Lage der betroffenen Gesellschaft stetig verschlechtert. Die Überschuldungslage einer Gesellschaft, die ein Schneeballsystem betreibt, wird sich kontinuierlich verschlechtern, und zwar unabhängig davon, ob dies vorsätzlich erfolgt oder nicht. Eine Verbesserung wäre nur durch tiefgreifende Eingriffe möglich, die aber vorliegend nicht ersichtlich sind und sich insbesondere auch nicht aus dem „Projekt Isar“ ergeben (dazu unten). Die Überschuldung der Gesellschaften konnte sich somit bei dem seit 2007 bestehenden Schneeballsystem in den folgenden Jahren nur verfestigen, angesichts der bestehenden Abhängigkeiten auch dann, wenn der Containerfehlbestand – wie die Beklagte meint – „nur“ auf Ebene der Schweizer Gesellschaft bestand. Dass die deutschen P. Gesellschaften bei Vorhandensein eines erheblichen Containerfehlbestandes teilweise ihre Verträge nicht erfüllen und sie die Schieflage daher ebenso betrifft wie die Schweizer Gesellschaft, liegt auf der Hand. Daher hat das Gericht keinen Zweifel daran, dass die P. Gesellschaften, wie von Klägerseite dargelegt zum 1.1.2011, spätestens aber zum streitgegenständlichen Zeitpunkt überschuldet waren.
94
ff) Eine Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens war nicht erforderlich. Dabei war bereits mangels ausreichenden Bestreitens der Beklagten eine Beweisergebung nicht erforderlich (s.o.). Im übrigen konnte sich das Gericht auch auf Grundlage der unstreitigen Tatsachen und vorgelegten Unterlagen eine entsprechende Überzeugung bilden (s.o.). Die Frage der Überschuldung ist auch bereits in erster Instanz ausführlich zwischen den Parteien erörtert worden.
95
gg) Das erstmals in zweiter Instanz und zudem nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist von der Beklagten zum Gegenbeweis, dass zu den Zeitpunkten, als die Klägerin investierte, bei den jeweiligen Gesellschaften keine Überschuldung eingetreten sei (und eine Fortführungsprognose zu bejahen wäre), angebotene Sachverständigengutachten (Schriftsatz vom 13.04.2022, Seite 4, Bl. 260 d. A.) ist verspätet und zurückzuweisen (§ 531 Abs. 2 ZPO). Gleiches gilt auch für das mit demselben Schriftsatz unterbreitete Angebot eines Sachverständigengutachtens zur Fortführungsprognose.
96
hh) Abgesehen davon spricht auch vieles dafür, dass das jahrelange Vorliegen eines Schneeballsystems, das hier jedenfalls für die Schweizer Gesellschaft unstreitig seit 2007 betrieben wurde, per se zu einer Überschuldungsvermutung führt. Auch wenn nach der Rechtsprechung des BGH eine derartige Indizwirkung bislang nur für den Bereich der Zahlungsunfähigkeit bei Vorliegen von Zahlungseinstellung vertreten wird, liegt der Fall doch zumindest ähnlich. Ziel des Schneeballsystems ist es gerade, eine ansonsten eintretende Zahlungsunfähigkeit bzw. Zahlungseinstellung zu verhindern, mit der die finanzielle Schieflage offenbar würde. Ein derartiges System ist ersichtlich auf Überschuldung ausgelegt. Werden aber neue Gelder nicht vertragsgemäß verwendet, sondern zum „Stopfen von Löchern“ benutzt, liegen ein Überschuss an Verbindlichkeiten und damit eine Überschuldung und gleichzeitig auch die fehlende Fortführungsprognose auf der Hand.
97
Es wäre daher Sache des Geschäftsführers gewesen, die Umstände darzulegen, die es aus damaliger Sicht gerechtfertigt haben sollen, das Unternehmen trotzdem fortzuführen. Derartiges ist von der Beklagten weder dargelegt worden, noch wurde hierzu ausreichend Beweis angeboten.
98
Eine Fortführungsprognose ergibt sich jedenfalls nicht daraus, dass die Geschäfte der P. Gruppe noch bis 2018 weiter betrieben wurden, wie die Beklagte meint. Denn es ist einem Schneeballsystem immanent, dass durch die Einwerbung neuer Liquidität bei Neuanlegern der Zusammenbruch des Systems trotz formeller Überschuldung und Fehlen einer positiven Fortführungsprognose oft jahrelang hinausgeschoben wird.
99
Wie die Beklagte angesichts der bereits mit dem Projekt ISAR (s.o.) festgestellten Containerfehlbeständen auf eine positive Fortführungsprognose schließen will, ist nicht verständlich. Im übrigen würde auch eine angenommene – und nicht ersichtliche – Beseitigung der Fehlbestände binnen zwei Jahren bei Weiterbetreiben des Schneeballsystems keine positive Fortführungsprognose begründen. Tatsächlich wurden die Fehlbestände bis zur Insolvenzbeantragung in 2018 im übrigen nicht reduziert, sondern weiter aufgebaut.
100
Der Senat ist in einer Gesamtschau aller Umstände überzeugt, dass eine positive Fortführungsprognose spätestens ab 1.1.2011 nicht mehr bestand. Nach den Feststellungen des Landgerichts war seit spätestens 2007 ein erheblicher Containerfehlbestand vorhanden. Es wurde auf Seiten der Schweizer Firma ein Schneeballsystem betrieben. Schneeballsysteme haben aber per se keine positive Fortführungsprognose im insolvenzrechtlichen Sinne. Der Insolvenzverwalter legt im Insolvenzgutachten ebenfalls das Fehlen einer positiven Fortführungsprognose seit über einem Jahrzehnt dar.
101
c) W. S. als antragspflichtiger Geschäftsführer hat keinen rechtzeitigen Insolvenzantrag gestellt und damit gegen § 15 a InsO verstoßen. Die beiden P. Gesellschaften waren bereits deutlich vor Abschluss der streitgegenständlichen Verträge ab 2014 überschuldet, so dass auch die 3-Wochen-Frist des § 15 a Abs. 1, Abs. 5 InsO längst abgelaufen war. Ein Insolvenzantrag wurde erst im Jahr 2018 gestellt.
102
d) W. S. hat insoweit auch schuldhaft (§§ 823 Abs. 2, 276 BGB, § 15 a Abs. V InsO), also zumindest fahrlässig gegen diese Pflicht verstoßen.
103
Wie oben dargelegt, hätte die Beklagte ein mangelndes Verschulden des W. S. zu beweisen gehabt. Das für die Ersatzpflicht aus § 823 Abs. 2 BGB erforderliche Verschulden des Geschäftsführers wird insoweit vermutet (BGHZ 126, 181 (200) = NJW 1994, 2220). Die Beklagte hat diese Vermutung nicht widerlegt. Auf die oben gemachten Ausführungen zur Kenntnis des W. S. hinsichtlich des Containerfehlbestands und des Vorhandenseins eines Schneeballsystems wird ergänzend Bezug genommen.
104
e) Durch diese Schutzgesetzverletzung ist kausal ein Schaden entstanden.
105
Dabei ist grundsätzlich derjenige hypothetische Kausalverlauf zu unterstellen, der ohne besondere Vorkommnisse zu erwarten gewesen wäre (MüKo, InsO, § 15 a Rn. 187 f.). Vorliegend hätte die Klägerin die Anlage nicht mehr gekauft, wenn W. S. rechtzeitig Insolvenzantrag gestellt hätte; dabei kann unterstellt werden, dass die Klägerin in diesem Falle den geschäftlichen Kontakt als Anlegerin mit einer insolvenzreifen Gesellschaft vermieden hätte (vgl. dazu auch MüKo, InsO, § 15 a Rn. 187 ff.).
106
Nach wohl allgA ist gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15 a InsO das negative Interesse zu ersetzen. Der Neugläubiger ist deshalb vom Geschäftsführer so zu stellen, wie wenn er mit der insolvenzreifen Gesellschaft keinen Vertrag geschlossen hätte (BGH NGZ 2009, 750). Die Klägerin ist also so zu stellen, wie wenn sie die streitgegenständlichen Kauf- und Mietverträge nicht abgeschlossen hätte. Der Schaden besteht dann in dem gezahlten Kaufpreis, wobei sich die Klägerin Vorteile wie erhaltene Mietzahlungen anrechnen lassen muss. Dies wird von der Berufung auch nicht weiter gerügt.
107
Die Feststellungsanträge der Klagepartei sind hinsichtlich der Verträge bis zum Ausscheiden W. S. wie vom Landgericht zutreffend ausgesprochen ebenfalls begründet. Die Berufung der Beklagten hat auch insoweit keinen Erfolg.
108
Der Antrag auf Feststellung der Verpflichtung zur Freistellung ist begründet. In Hinblick auf das Insolvenzverfahren besteht die Gefahr von Rückforderungen, die Klägerin kann insoweit Freistellung verlangen.
109
Die Feststellung des Annahmeverzugs war, wie geschehen, ebenfalls auszusprechen. Die Beklagte befindet sich gemäß § 293 BGB in Annahmeverzug. Die Klägerin hat ihrerseits die Übertragung der Rechte Zug um Zug angeboten. Nachdem sich die Beklagte bereits dem Grunde nach gegen den Anspruch wehrte, war ein wörtliches Angebot ausreichend.
110
Der Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten besteht ebenfalls wie vom Landgericht zutreffend ausgesprochen.
111
Die Berufung der Beklagten bleibt damit im Hauptantrag insgesamt ohne Erfolg.
112
Sie ist jedoch hinsichtlich des Hilfsantrags begründet. Die Beklagte hat Anspruch darauf, dass ihr auf ihre entsprechende Einrede die Geltendmachung der Beschränkung der Haftung auf den Nachlass des W. S. vorbehalten bleibt.
113
1. Zwar hat die Beklagte den Vorbehalt der beschränkten Erbenhaftung nach § 780 ZPO erst in der Berufungsinstanz geltend gemacht. Dies wäre grundsätzlich nur unter den Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO zulässig (vgl. MüKoZPO/Karsten Schmidt/Brinkmann, 6. Aufl. 2020, ZPO § 780 Rn. 16). Im vorliegenden Fall liegen jedoch die Voraussetzungen für den Vorbehalt unstreitig vor. In einem solchen Fall ist die Geltendmachung ausnahmsweise unabhängig von den Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO zulässig (vgl. BGH, Urteil vom 2. 2. 2010 – VI ZR 82/09; MüKoZPO/Karsten Schmidt/Brinkmann, 6. Aufl. 2020, ZPO § 780 Rn. 16).
114
2. Zudem bezieht sich der Vorbehalt nicht auf die Prozesskosten. Wegen der Kosten eines Rechtsstreits gegen den Erben kann der Erbe eine Haftungsbeschränkung auf den Nachlass nur dann erfolgreich geltend machen, wenn die Kosten bereits durch die Prozessführung des Erblassers veranlasst wurden (BeckOK ZPO/Preuß, § 780 Rn. 18, 19). Auch der BGH geht davon aus, dass etwa die Kosten eines Revisionsverfahrens keine Nachlassverbindlichkeiten, sondern Eigenschulden darstellen, weil ein Kläger die Revision erst nach dem Tod des Erblassers eingelegt hat (BGH, Beschluss v. 13.1.2004 – XI ZR 35/01, BeckRS 2004, 01156). Da vorliegend die Klage von vornherein gegen die Erbin erhoben wurde, handelt es sich bei den Prozesskosten daher nicht um eine Erblasserverbindlichkeit, sondern um selbst veranlasste Kosten des Erben. Dies gilt entgegen der Ansicht der Beklagten, wie oben dargelegt, unabhängig davon, ob es sich um einen Aktiv- oder einen Passivprozess des Erben handelt.
115
Nachdem der Anspruch insoweit besteht, war das Ersturteil entsprechend abzuändern.
116
Die Berufung der Klägerin ist unbegründet. Ansprüche aus § 826 BGB bestehen hinsichtlich der Anlagen, die die Klagepartei nach dem Ausscheiden des W. S. als Geschäftsführer der P. – Gesellschaften zeichnete, nicht.
117
I. Die P. -Gesellschaften wurden über Jahre hinweg als Schwindelunternehmen ohne tragfähiges Geschäftsmodell im Wege eines Schneeballsystems betrieben (vgl. oben). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs haften Geschäftsführer, (faktische) Geschäftsleiter oder Vorstandsmitglieder einer Gesellschaft nach § 826 BGB auf Schadensersatz, wenn das von ihnen ins Werk gesetzte Geschäftsmodell der Gesellschaft von vornherein auf Täuschung und Schädigung der Kunden angelegt ist, es sich mithin um ein Schwindelunternehmen handelt (vgl. zB BGH, Versäumnisurteil vom 14. Juli 2015 – VI ZR 463/14, WM 2015, 2112 Rn. 24 mwN; Urteil vom 28. Februar 1989 – XI ZR 70/88, ZIP 1989, 830, 831).
118
II. Entgegen der Ansicht des Landgerichts kommt es für den Anspruch aus § 826 BGB zwar nicht auf die formale Stellung als Organ an. Maßgeblich ist allein, ob alle in § 826 BGB normierten Voraussetzungen vorliegen. Dies ist hinsichtlich der berufungsgegenständlichen weiteren Anlagen vom 21.12.2016 und 13.06.2017 jedoch letztlich nicht der Fall.
119
1. Zwar war W. S. über Jahre hinweg einer der Betreiber eines Schneeballsystems und hat vor dem Vorliegen eines Schneeballsystems und der Insolvenzreife der P. -Gruppe zumindest die Augen verschlossen (s.o.). Er handelte dadurch sittenwidrig.
120
2. Auch handelte er zumindest mit bedingtem Schädigungsvorsatz. Dies gilt auch für Anlagen, die nach seiner Abberufung als Geschäftsführer getätigt wurden.
121
Denn für die Annahme eines Schädigungsvorsatzes ist es nicht erforderlich, dass der Schädiger die Einzelheiten des Schadensverlaufs und Höhe und Umfang des Schadens vorausgesehen hat oder der Schädiger die konkret geschädigten Personen oder deren Zahl kennt (BGH NJW 2004, 2971). Es genügt, dass er die Richtung, in der sich sein Verhalten zum Schaden anderer auswirken könnte und die Art des möglicherweise eintretenden Schadens vorausgesehen und mindestens billigend in Kauf genommen hat (BGH NJW-RR 2013, 550). Die Annahme eines Vorsatzes iSv § 826 BGB setzt nicht voraus, dass der Täter weiß, welche oder wieviele Personen durch sein Verhalten geschädigt werden (BGH Urt. v. 27.7.2021 – II ZR 164/20, BeckRS 2021, 22748).
122
3. Allerdings fehlt es im konkreten Fall an der Kausalität zwischen dem Verhalten des W. S. und den bei der Klägerin durch die weiteren Anlagen eingetretenen Schäden.
123
a) Zwar ist auch der Senat der Auffassung, dass die Haftung des Betreibers eines Schneeballsystems nicht mit der formalen Entpflichtung als Organ endet. Insbesondere solche Folgeanlagen, die in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der Tätigkeit als Organ stehen, beruhen jedenfalls kausal auf dieser (zu einer solchen Fallgestaltung vgl. OLG München, Urteil vom 19.05.2022 – 8 U 2506/20). Eine zeitlich unbegrenzte Haftung für den Weiterbetrieb des Schneeballsystems durch eine beliebige Anzahl folgender Geschäftsführer würde jedoch zu weit gehen.
124
b) Im konkreten Fall besteht insbesondere ein enger zeitlicher Zusammenhang nicht. Zwar hatte die Klägerin bereits zuvor investiert. Sie fasste jedoch am 21.12.2016 und 13.06.2017 und damit fast ein halbes Jahr bzw. fast ein Jahr nach dem vom Landgericht fehlerfrei festgestellten endgültigen Ausscheiden W. S. als Geschäftsführer einer Gesellschaft der P. – Gruppe jeweils einen neuen Anlageentschluss. Auf diese Anlageentscheidung hatte W. S. keinen Einfluss mehr.
125
Schädigende Handlungen nahm er nach seinem Ausscheiden nicht mehr vor. Eine irgendwie geartete Beteiligung W. S. an dem weiteren Betrieb von P. ist nicht ersichtlich. Er war an weiteren Zeichnungen nicht beteiligt und hatte keine Kenntnis von künftigen Anlegern und von ihren künftigen Anlageentscheidungen. Insbesondere solche Anleger, die zuvor noch nie in P. Container investiert hatten, konnten ihm nicht einmal bekannt sein.
126
c) Zudem gab es einen neuen Geschäftsführer, den ab seinem Eintritt die Pflicht traf, einen Insolvenzantrag zu stellen. W. S. hatte mit seinem Ausscheiden nicht mehr die Möglichkeit, dieser von ihm zuvor versäumten Pflicht nachzukommen, weil er nicht mehr insolvenzantragsberechtigt war. Einwirkungsmöglichkeiten auf seinen Nachfolger hatte er – zumindest rechtlich betrachtet – ebenfalls nicht. Auch sonst ist nicht ersichtlich oder vorgetragen, wie genau W. S. weiteren Schaden hätte verhindern sollen.
127
d) Hinzu kommt, dass es sich bei dem Nachfolger des W. S. um H. R. handelte. Dieser wurde nach der Abberufung S. wieder als alleiniger Geschäftsführer bestellt. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte H. R. die P. – Gruppe gegründet und jahrelang geleitet. Es wurde also nicht ein neuer Geschäftsführer bestellt, der sich erst mit dem Geschäftsmodell der P. – Gruppe vertraut machen musste und bei dem wenigstens vorstellbar wäre, dass er von dem Schneeballsystem eine Zeitlang nichts wusste. Vielmehr übernahm der „Erfinder“ von P., H. R., nach dem Ausscheiden W. S. die alleinige Geschäftsführung.
128
e) Die Schädigung der Klägerin durch die letzten beiden Anlagezeichnungen beruhte unter diesen Umständen nicht mehr adäquat kausal auf dem Handeln oder Unterlassen des W. S., sondern auf der Verletzung der Insolvenzantragspflicht und dem Weiterbetrieb des Schneeballsystems durch seinen Nachfolger. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, ist die Klägerin insoweit rechtlich auch nicht schutzlos gestellt, weil sie den oder die Nachfolgegeschäftsführer in Anspruch nehmen kann.
129
4. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB iVm § 15a InsO für die Zeit nach dem Ausscheiden des W. S. als Geschäftsführer besteht nicht. Auf die zutreffenden Ausführungen des Ersturteils wird Bezug genommen.
130
Das Landgericht hat die Klage zutreffend teilweise abgewiesen. Die Berufung der Klägerin bleibt ohne Erfolg.
131
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, §§ 91, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
132
Die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
133
Der Streitwert wurde – nachdem von beiden Seiten Berufung eingelegt wurde – entsprechend dem beantragten Gesamtzahlungsbetrag zuzüglich des Wertes für den Feststellungsantrag angesetzt. Letzterer wurde mit 80% der Mietauszahlungen beziffert, da die Rückforderung durch den Insolvenzverwalter droht (§§ 47, 48 GKG, § 3 ZPO).
134
Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe für die Zulassung im Sinne des § 543 ZPO liegen nicht vor. Es handelt sich letztlich um eine Einzelfallentscheidung. Insbesondere liegt der vom 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München mit Urteil vom 19.05.2022 – 8 U 2506/20 – ebenfalls zum Komplex P. entschiedene Fall in tatsächlicher Hinsicht anders, weil die fragliche Anlage nach dem Ausscheiden des W. S. als Geschäftsführer, für die der 8. Zivilsenat eine Haftung bejaht hat, zeitlich unmittelbar nach dem Ausscheiden gezeichnet wurde.