Inhalt

OLG München, Endurteil v. 19.05.2022 – 8 U 2506/20
Titel:

Rechtsanwaltsgebühren, Vorbehalt der beschränkten Erbenhaftung, Geschäftsführerbestellung, Sittenwidrige Schädigung, Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Vorläufiger Insolvenzverwalter, Gesamtrechtsnachfolger, Haftung des Geschäftsführers, Insolvenzverschleppungshaftung, Überschuldungsbilanz, Prospekthaftung, Zug-um-Zug-Leistung, Positive Fortführungsprognose, Substantiiertes Bestreiten, Darlegungslast, Feststellungsantrag, Abberufung als Geschäftsführer, Insolvenzantragspflicht, Geschäftsführertätigkeit, Einholung eines Sachverständigengutachtens

Schlagworte:
Schadensersatz, Insolvenzverschleppung, Sittenwidrige Schädigung, Schneeballsystem, Überschuldung, Prospekthaftung, Rückkaufverpflichtung, Haftung des Geschäftsführers, Sittenwidrigkeit, Darlegungslast, Kausalität, Vorsatz
Vorinstanz:
LG München I, Urteil vom 02.04.2020 – 29 O 11139/19
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 23.07.2024 – II ZR 206/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 58699

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts München I vom 02.04.20 (Az.: 29 O 11139/19) aufgehoben und insgesamt wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 51.611,60 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 23.07.2019 zu zahlen, Zug-um-Zug gegen Abtretung aller Rechte der Klägerin aus folgenden von ihr unter der Kundennummer …694 abgeschlossenen Kauf- und Verwaltungsverträgen:
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin von jeglichen Zahlungsverpflichtungen im Zusammenhang mit den in Ziffer 1. genannten Kauf- und Verwaltungsverträgen freizustellen. Dies betrifft insbesondere Zahlungsansprüche des Insolvenzverwalters gegen die Klägerin aus Insolvenzanfechtungstatbeständen gem. §§ 129 ff. InsO.
3. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der in Ziffer 1. genannten Zug-um-Zug-Leistung in Verzug befindet.
4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin außergerichtlich angefallene Gebühren in Höhe von 2.085, 95 € zu zahlen.
5. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
6. Der Beklagten wird im Hinblick auf die Ziffern 1. bis 4. des Tenors vorbehalten, die Beschränkung ihrer Haftung auf den Nachlass des am 13.06.2018 verstorbenen Herrn W. S. geltend zu machen.
7. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens erster Instanz.
II. Die Berufung der Beklagten und die weitergehende Berufung der Klägerin werden zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
V. Die Revision zum Bundesgerichtshof wird in dem aus den Gründen ersichtlichen Umfang zugelassen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Klägerin verlangt von der Beklagten als Gesamtrechtsnachfolgerin des verstorbenen W. S. Schadensersatz im Zusammenhang mit P. C.-Investments.
2
Nach den Feststellungen des Landgerichts gründete H. R. 1975 die sog. P.-Gruppe. Zur P.-Gruppe gehören in Deutschland vier operative Gesellschaften, die P. Container Vertriebs- und Verwaltungs-GmbH (künftig: P. Container GmbH), die P. Container Leasing GmbH, die P. Gebrauchtcontainer Vertriebs- und Verwaltungs GmbH (künftig: P . Gebrauchtcontainer GmbH) und die P. Transport-Container GmbH. H. R. hielt 100% der Gesellschaftsanteile der P. Transport-Container GmbH und der P. Equipment Finance Corp. sowie 47,5% an der P. AG, die ihrerseits 100% der Geschäftsanteile an den drei weiteren deutschen Vertriebsgesellschaften hielt. Weitere 47,5% an der P. AG hielt der Sohn von H. R., Ha. R.
3
Die vier deutschen P. Gesellschaften sind die Emittenten der P.-Kapitalanlagen, die jeweils nahezu identisch konzipiert und ausgestaltet wurden.
4
Unternehmensgegenstand dieser Gesellschaften ist nach dem Handelsregister der Vertrieb und die Verwaltung von Containern. Die P.-Gesellschaften erwarben neue oder gebrauchte Seefrachtcontainer und vermieteten diese dann an Leasinggesellschaften oder Reedereien. Daneben schlossen die P.-Gesellschaften mit einer Vielzahl von Anlegern Kauf- und Verwaltungsverträge über Seefrachtcontainer. Die Anleger kauften eine bestimmte Anzahl von Containern und sollten das Eigentum an diesen erwerben. Zugleich schloss der Anleger mit der jeweiligen P.-Gesellschaft einen Verwaltungsvertrag in der Regel mit einer Laufzeit von fünf Jahren, während der er einen garantierten Mietzins erhalten sollte. Zum Ende der Laufzeit war zum Teil vereinbart, dass die jeweilige Gesellschaft bereit sei, die Container zurückzukaufen und ein Kaufangebot zu unterbreiten (vgl. Ziff. 4 der Verwaltungsverträge).
5
Ab dem Jahr 2007 begann das Geschäftsmodell der P.-Gruppe in Schieflage zu geraten und die Ansprüche der Anleger konnten nicht mehr vollständig aus den Mitteln und der Liquidität der P.-Equipment & Finance Corp. erfüllt werden. Es wurde versucht, die auftretenden Liquiditätslücken mit neuem Anlegerkapital zu decken, welches über die deutschen Vertriebsgesellschaften an die P.-Equipment & Finance Corp. weitergeleitet wurde. So entstand ein Schneeballsystem. Die Gelder neuer Anleger wurden nicht mehr für den Kauf von Containern verwendet, sondern für die Auszahlungen an Altanleger. Zu Beginn des Jahres 2018 brach das System zusammen, da nicht mehr genügend neue Anlegergelder eingeworben werden konnten, um die Altanleger zu befriedigen. Im März/April 2018 stellten die P. Container GmbH, die P. Container Leasing GmbH, die P. Gebrauchtcontainer GmbH und die P. Transport-Container GmbH Insolvenzantrag beim Amtsgericht München. Die vorläufigen Insolvenzverwalter erstellten am 20./23.07.2018 Insolvenzgutachten zu den Insolvenzantragsverfahren über das Vermögen der P.-Gesellschaften (Anlage K13). Durch Beschlüsse des Amtsgerichts München vom 24.07.2018 wurde über das Vermögen der Gesellschaften wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung das Insolvenzverfahren eröffnet.
6
Seit 20.02.2013 war W. S. Geschäftsführer der P. Container GmbH, der P. Container Leasing GmbH und der P. Gebrauchtcontainer GmbH. Seit 03.04.2013 war er zudem Geschäftsführer der P. Transport-Container GmbH. Am 08.05.2016 verstarb der Mitgeschäftsführer, W. F. Am 27.06.2016 wurde W. S. als Geschäftsführer der P. Container GmbH, der P. Container Leasing GmbH und der P. Gebrauchtcontainer GmbH abberufen und H. R. übernahm wieder die alleinige Geschäftsführung. Am 08.07.2016 wurde W. S. als Geschäftsführer der P. Transport-Container GmbH abberufen. Er verstarb am 13.06.2018. Alleinerbin ist die Beklagte (Anlage K2).
7
Die Klagepartei schloss am 17.07.2013 mit der P. Gebrauchtcontainer GmbH einen Kauf- und Verwaltungsvertrag über den Kauf und die Verwaltung von neun Containern vom Typ „20 “ STANDARD S“ zum Einzelpreis von 2.255,00 EUR, insgesamt 20.295,00 EUR (Anlage K4, Nummer GC …181), am 14./17.07.2014 mit der P. Container GmbH einen weiteren Kauf- und Verwaltungsvertrag über den Kauf und die Verwaltung von sechs Containern vom Typ „40 “ HIGH CUBE“ zum Einzelpreis von 3.900,00 EUR, insgesamt 23.280,00 EUR (Anlage K4, Nummer LF-…387), am 06./08.10.2015 mit der P. Container GmbH einen weiteren Kauf- und Verwaltungsvertrag über den Kauf und die Verwaltung von zehn Containern vom Typ „20 “ STANDARD S“ zum Einzelpreis von 2.190,00 EUR, insgesamt 21.500,00 EUR (Anlage K4, Nummer LF-…696) und am 06./07.07.2016 mit der P. Gebrauchtcontainer GmbH einen weiteren Kauf- und Verwaltungsvertrag über den Kauf und die Verwaltung von drei Containern vom Typ „40 “ HIGH CUBE“ zum Einzelpreis von 2.675,00 EUR, insgesamt 8.025,00 EUR (Anlage K4, Nummer GC-…634). Den Gesamtkaufpreis in Höhe von 73.100,00 EUR hat die Klagepartei an die jeweilige P.Gesellschaft gezahlt. Mietzahlungen hat die Klagepartei in Höhe von insgesamt 21.488,40 EUR erhalten (Anlage K3).
8
Mit anwaltlichem Schreiben vom 08.07.2019 forderte die Klagepartei W. S. vorgerichtlich zur Schadensregulierung bis zum 22.07.2019 auf.
9
Die Klägerin trägt danach vor, dass die P. Gesellschaften bereits zum Zeitpunkt der Vertragsabschlüsse insolvenzreif gewesen seien, dies ergebe sich aus den Insolvenzgutachten. Danach erwarben bereits ab 2007 die Gesellschaften nicht mehr die Anzahl an Containern, die sie an die Anleger weiterverkauft haben. Hiervon habe W. S. als alleiniger Geschäftsführer Kenntnis gehabt bzw. haben müssen. Er sei ferner verpflichtet gewesen, zu überprüfen, ob die Gelder vertragsgemäß für den Kauf von Containern verwendet wurden und in welcher Höhe Einnahmen aus Vermietung der Container erzielt würden. W. S. habe zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt. Die eingeworbenen Gelder seien insbesondere ab 2011 von den deutschen Vertriebsgesellschaften unmittelbar dazu genutzt worden, Ansprüche vorheriger Anleger zu bedienen. Dies sei ein Anzeichen eines Schneeballsystems gewesen. Der Beklagte hafte daher wegen Insolvenzverschleppung gemäß §§ 15 a InsO i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB sowie wegen sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB und § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB.
10
Die Beklagte hat eingewandt, W. S. habe von dem maßgeblichen, letztlich zur Insolvenz der P . Gruppe führenden Geschäftsgebaren des Initiators H. R. keine Kenntnis gehabt. Die deutschen Gesellschaften hätten das Anlagekapital lediglich eingeworben und konzeptionsgemäß an die P. Equipment & Finance Corp. weitergeleitet. Wegen der von H. R. strikt durchgeführten Informationsabschottung hätten ihm wesentliche Unternehmensinterna der Schweizer P. Equipment & Finance Corp. verborgen bleiben müssen. Er sei davon ausgegangen, dass die deutschen Vertriebsgesellschaften mindestens im gleichen Umfang werthaltige Forderungen gegenüber der Schweizer Gesellschaft hatten wie sie Verbindlichkeiten gegenüber Anlegern zu erfüllen hatten. Allein H. R. habe Kenntnis über die wahren Umstände gehabt, über die er W. S. jedoch nie informiert habe. Krisenanzeichen hätten sich für ihn nicht ergeben, zumal die Vertriebsgesellschaften während seiner Geschäftsführerzeit kontinuierlich Überschüsse erzielt hätten. Auch sei sein Aufgabenkreis rein auf den „Vertrieb“ beschränkt gewesen, die kaufmännische Leitung habe Werner Feldkamp oblegen, schon deshalb hafte dieser nicht.
11
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 51.611,60 € an die Klägerin nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Abtretung aller Rechte der Klägerin aus den vier genannten Kauf- und Verwaltungsverträgen, sowie von 2.403,21 € außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren zu verurteilen. Ferner hat sie beantragt, festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin von jeglichen Zahlungen im Zusammenhang mit den genannten Verträgen freizustellen, insbesondere von Zahlungsansprüchen des Insolvenzverwalters sowie dass sich die Beklagte mit der Zug-um-Zug-Leistung in Verzug befindet. Die Beklagte hat Klageabweisung und hilfsweise die Beschränkung der Haftung auf den Nachlass des am 13.06.2018 verstorbenen W. S. beantragt.
12
Das Landgericht München I hat die Beklagte mit Urteil vom 02.04.2020 überwiegend antragsgemäß verurteilt und der Beklagten vorbehalten, die Beschränkung ihrer Haftung auf den Nachlass des W. S. geltend zu machen. Nicht zugesprochen wurde ein Betrag in Höhe von 7.075,51 €, der sich auf den vierten Kauf- und Mietvertrag vom 06./07.07.2016 bezieht. Zudem wurden vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten nur i.H.v. 1.954,46 € zuerkannt.
13
Das Landgericht vertrat die Auffassung, die Klägerin könne von der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15 a InsO und aus § 826 BGB Ersatz des ihr aus der Eingehung der Kauf- und Verwaltungsverträge zurechenbar entstandenen Schadens verlangen. Die P. Gesellschaften seien seit spätestens 31.12.2009 überschuldet gewesen, dies ergebe sich aus den entsprechenden Insolvenzgutachten. Der Insolvenzverwalter habe dabei die vertragliche Regelung richtig erkannt. W. S. habe sodann fahrlässig keinen Insolvenzantrag gestellt. Das insoweit vermutete Verschulden habe die Beklagte nicht entkräftet. Insbesondere sei er verpflichtet gewesen, sich stets über die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft zu vergewissern. Auch eine Haftung aus § 826 BGB greife ein, da es sich bei der P. Gruppe jedenfalls ab 2007 um ein in Form eines Schneeballsystems betriebenes „Schwindelunternehmen“ gehandelt habe. Dabei habe auch Wolfgang S. gegen die guten Sitten verstoßen, indem er als Geschäftsführer Anlegergelder über Kauf- und Verwaltungsverträge wie den streitgegenständlichen einwarb, ohne hierbei sichere Kenntnis davon zu haben, dass er die dortigen Verpflichtungen zur Eigentumsübertragung und Verwaltung auch tatsächlich erfüllen kann. Dabei handelte er zumindest bedingt vorsätzlich. Denn auch falls er keine positive Kenntnis vom sittenwidrigen Verhalten des Haupttäters hatte, genüge hierfür, dass der Gehilfe die Augen bewusst vor der sich aufdrängenden Erkenntnis der Sittenwidrigkeit des Geschäftsmodells des Haupttäters verschließt und diesem das unkontrollierte Betreiben seines Geschäftsmodells ermöglicht und so die Verwirklichung der erkannten Gefahr dem Zufall überlässt. Dies sei angesichts der erkannten Informationsabschottung, des konkreten Geschäftsmodells mit der P. Equipment & Finance Corp. und der bekannten fehlenden Überprüfbarkeit des Containerbestandes bei W. S. der Fall.
14
Hinsichtlich des Vertrages vom 06./07.07.2016 hat das Landgericht jedoch die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es angeführt, dass eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15 a InsO ausscheide, da mit der Beendigung der Organstellung die Insolvenzantragspflicht entfalle und aufgrund dieser Zäsur auch eine Haftungsbeschränkung vorzunehmen sei. Auch § 826 BGB scheide nach der Abberufung des W. S. als Geschäftsführer aus, da er weder Kenntnis von dem Eintritt des Schadens noch der Kausalität des eigenen Verhaltens gehabt habe und damit ein Vorsatz fehle.
15
Bezüglich der näheren Einzelheiten wird auf den Inhalt des angegriffenen Urteils verwiesen.
16
Gegen das beiden Parteien am 02.04.20 zugestellte Endurteil (zu Bl. 110/139) hat die Klägerin am 22.04.20, eingegangen bei Gericht am selben Tag, Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 02.06.20, eingegangen bei Gericht am selben Tag, begründet. Die Beklagte hat gegen das Endurteil mit Schriftsatz vom Montag, den 04.05.20, eingegangen bei Gericht am selben Tag, ebenfalls Berufung eingelegt und diese, nach Fristverlängerungen mit Verfügung vom 03.06.20, 08.06.21 und 05.07.21 mit Schriftsatz vom 14.07.21, eingegangen bei Gericht am selben Tag, begründet.
17
Dabei verfolgt die Beklagte mit ihrer Berufung ihren Klageabweisungsantrag erster Instanz weiter, die Klägerin begehrt mit ihrer Berufung eine volle Verurteilung entsprechend ihrer erstinstanzlichen Anträge.
18
Die Beklagte hat daher zuletzt beantragt (Schriftsatz vom 14.07.21 (Bl. 187):
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Das Urteil des LG München I vom 02.04.2020 (Geschäftsnummer: 29 O 11139/19) wird aufgehoben, soweit die Beklagte dort verurteilt wird.
20
Die Klägerin hat zuletzt beantragt (Schriftsatz vom 02.06.20, Bl. 150):
21
Das Urteil des Landgerichts München I vom 02.04.2020, Az. 29 O 11139/19, wird wie folgt abgeändert:
I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 51.611,60 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 23.07.2019 zu zahlen, Zug-um-Zug gegen Abtretung aller Rechte der Klägerin aus folgenden von ihr unter der Kundennummer 14694 abgeschlossenen Kauf- und Verwaltungsverträgen:
- P. Container Vertriebsu. Verwaltungs-GmbH:
Vertragsnummer Vertragsabschluss Investitionssumme
…387 14.07.2014 23.280,00 €
…696 06.10.2015 21.500,00 €
- P. Gebrauchtcontainer Vertriebsu. Verwaltungs-GmbH:
Vertragsnummer Vertragsabschluss Investitionssumme
…181 17.07.2013 20.295,00 €
…634 06.07.2016 8.025,00 €
II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin von jeglichen Zahlungsverpflichtungen im Zusammenhang mit den in Ziffer I genannten Kauf- und Verwaltungsverträgen freizustellen. Dies betrifft insbesondere Zahlungsansprüche des Insolvenzverwalters gegen die Klägerin aus Insolvenzanfechtungstatbeständen gem. §§ 129 ff. InsO.
III. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der in Ziffer I genannten Zug-um-ZugLeistung in Verzug befindet.
IV. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin außergerichtlich angefallene Gebühren in Höhe von 2.403,21 EUR zu zahlen.
V. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
VI. Das Urteil ist notfalls gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
22
Beide Parteien beantragen im übrigen wechselseitig die Zurückweisung der gegenseitigen Berufung.
23
Die Beklagte begründet Ihre Berufung damit, dass das Landgericht zu Unrecht eine Überschuldung der P. Gesellschaften ab 31.12.2009 angenommen habe; jedenfalls hätte hierüber Beweis erhoben werden müssen. Ferner liege auch kein subjektiv sittenwidriges und vorsätzliches Verhalten des W. S. vor; dieser habe keine Kenntnis von den Vorgängen des H. R. bzw. der Schweizer E. Gesellschaft gehabt.
24
Die Klägerin meint, das Landgericht habe zu Unrecht die Klage hinsichtlich des Schadensersatzanspruchs im Zusammenhang mit dem Kauf- und Verwaltungsvertrag vom 06.07.16 abgewiesen. Der Vorsatz des Geschäftsführers W. S. habe sich darauf erstreckt, dass auch nach der Abberufung als Geschäftsführer durch den Fortbetrieb des Schneeballsystems neuen Anlegern Schaden zugefügt werde. Auch hinsichtlich der Insolvenzverschleppung sei ihm der nach seiner Abberufung eingetretene Schaden zurechenbar.
25
Das Oberlandesgericht hat mit Beschluss vom 09.07.2020 festgestellt, dass das Verfahren kraft Gesetzes gemäß § 240 ZPO unterbrochen ist, da mit Beschluss des Amtsgerichts München vom 17.06.2020 (Gz. 1509 IN 1157/20) die vorläufige Insolvenzverwaltung über den Nachlass des W. S. angeordnet und der Erbin ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt wurde, § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Alt. 1 InsO. Mit Schriftsatz vom 06.04.21 (Bl. 170) hat die Beklagte sodann gemäß § 250 ZPO das Verfahren wiederaufgenommen.
26
Zur weiteren Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf alle zwischen den Beteiligten in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die gerichtlichen Entscheidungen und Protokolle Bezug genommen.
II.
27
Die nach § 511 Abs. 1 ZPO statthaften Berufungen sind zulässig, da sie form- und fristgerecht eingelegt (§§ 517, 519, 520 ZPO) und begründet wurden.
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Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Der Klägerin steht in Höhe der Verurteilung ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte gemäß §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15 a InsO sowie gemäß §§ 826 BGB zu. Auch kann sie die ausgesprochenen Feststellungen verlangen.
29
Die Berufung der Klägerin hat ganz überwiegend in der Sache Erfolg, da ihr auch soweit das Landgericht im Hinblick auf die im Zusammenhang mit dem Vertrag vom 06.07.16 entstandenen Schäden die Klage abgewiesen hat ein Ersatzanspruch zusteht. Auch insoweit kann Feststellung verlangt werden. Ein weiterer Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten kommt jedoch nur teilweise in Betracht. Den Vorbehalt der Beschränkung der Haftung auf den Nachlass hat das Landgericht zurecht ausgesprochen, die Prozesskosten davon ebenfalls zurecht ausgenommen.
30
A. Das gemäß § 240 ZPO unterbrochene Verfahren wurde ordnungsgemäß wieder aufgenommen. Der Senat konnte daher vorliegend in der Sache entscheiden.
31
Die Aufnahme des Verfahrens richtet sich nach der Insolvenzordnung (BGH NJW-RR 14, 1270), ihre Form richtet sich nach § 250 ZPO. Voraussetzung für die Aufnahme des Rechtsstreits ist nach §§ 179 Abs. 1 und 2, 180 Abs. 2 InsO zunächst, dass die Forderung zur Tabelle angemeldet, geprüft und bestritten worden ist (vgl. BGH NZI 2020, 782 Rn. 10f.; das betrifft allerdings die Insolvenz der Partei). Die Beklagte ist zwar nur Erbin des Insolvenzschuldners; sie gilt aber für das Nachlassinsolvenzverfahren – mit Ausnahme der Beschränkungen, die an das Verhalten oder die Vermögensverhältnisse des den Insolvenzgrund setzenden Erblassers anknüpfen – als Schuldnerin (Gottwald/Haas, Insolvenzrechts-Handbuch, § 110 Rn. 2, 4).
32
Nach Vortrag der Beklagten hat die Klägerin unter Nr. 329 im Nachlassinsolvenzverfahren unter Nr. 329 eine Forderung in Höhe von 73.100 € angemeldet. Die Beklagte hat im Prüftermin (vgl. Anlage zum SS v. 06.04.21, Bl. 170/171) die Forderung bestritten; sie war als Insolvenzschuldnerin daher zur Aufnahme befugt und hat den Rechtsstreit ordnungsgemäß gem. § 250 ZPO aufgenommen.
33
Eine Antragsumstellung war trotz des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des W. S. nicht erforderlich. Dies wird zwar bei der Aufnahme eines Prozesses während eines eine Partei betreffenden Insolvenzverfahrens grundsätzlich verlangt, da Streitgegenstand nunmehr die (negative) Feststellung des bestrittenen Insolvenzgläubigerrechts ist (BGH NJW 1962, 153 (154); ZIP 1994, 1193; vgl. Uhlenbruck, InsO, § 180 Rn. 26 ff.). Da hier aber die Beklagte nur Erbin des Insolvenzschuldners ist und kein Insolvenzverfahren bezüglich ihres eigenen Vermögens besteht, spielt dies hier keine Rolle, auch wenn die Erbin im Rahmen des Nachlassinsolvenzverfahrens teilweise dem Insolvenzschuldner gleichgestellt wird (und deshalb Unterbrechung des Zivilprozesses eintritt, s.o.).
34
B. Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg. Der Klägerin steht – wie das Landgericht im Ergebnis zurecht angenommen hat – ein Anspruch auf Schadensersatz hinsichtlich der drei vor Abberufung des W. S. als Geschäftsführer abgeschlossenen Kauf- und Verwaltungsverträge vom 17.07.2013 (P. Gebrauchtcontainer GmbH), vom 14.07.2014 und vom 06.10.2015 (jeweils P. Container GmbH) zu. Auch die Feststellungsanträge hat es zutreffend als begründet angesehen.
35
1. Vorrangige Ansprüche aus Prospekthaftung kommen vorliegend nicht in Betracht.
36
a) Eine spezialgesetzliche Prospekthaftung scheidet vorliegend bereits aus, weil die hier streitgegenständlichen Kauf- und Verwaltungsverträge aus den Jahren 2013 bis 2016 noch keiner gesetzlichen Prospektpflicht unterlagen und deshalb die Inhaltsanforderungen an Prospekte aus § 7 VermAnlG bzw. der VermVerkProspV hier nicht herangezogen werden können. Der Gesetzgeber hat § 1 Abs. 2 Nr. 7 VermAnlG erst mit Wirkung ab dem 31.12.2016 dahingehend verschärft, dass nunmehr „sonstige Anlagen, die eine Verzinsung und Rückzahlung oder einen vermögenswerten Barausgleich im Austausch für die zeitweise Überlassung von Geld gewähren oder in Aussicht stellen“ – also auch das streitgegenständliche Geschäft – erfasst sind (vgl. hierzu ausführlich OLG München, Hinweisbeschluss vom 13.07.20, 8 U 2610/20).
37
b) Aber auch eine allgemeine zivilrechtliche Prospekthaftung des W. S. im engeren Sinn aufgrund typisierten Vertrauens scheidet aus.
38
Eine solche wurde u.a. bejaht für Initiatoren, Gründer, Gestalter, Manager und mutmaßliche Hintermänner sowie sonstige für den Anlageprospekt verantwortliche Personen einer Publikumsgesellschaft, die auf die Geschicke der KG maßgeblichen Einfluss ausüben und damit für die Herausgabe des Prospekts (mit) verantwortlich sind.
39
Insofern wäre eine Haftung des W. S. als Geschäftsführer aller Vertriebsgesellschaften und Vorstand der Holding AG, der für den Vertrieb und damit die Anwerbung neuer Anleger zuständig war, durchaus denkbar. Von einem maßgeblichen Einfluss auf die Anlagekonzeption, einen Prospekt sowie seiner Kenntnis vom Prospekt kann insofern ausgegangen werden (vgl. BGH WM 2006, 427 (428).
40
Dass die spezialgesetzliche Prospekthaftung in ihrem Anwendungsbereich eine Haftung etwa der Gründungsgesellschafter als Prospektveranlasser unter dem Aspekt einer vorvertraglichen Pflichtverletzung aufgrund der Verwendung eines unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung ausschließt, hat der BGH jetzt ausdrücklich anerkannt (BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – IX ZB 35/18). Ob dies auch für noch nicht erfasste Geschäfte wie die Streitgegenständlichen gelten muss, kann hier letztlich dahinstehen, denn eine Prospekthaftung im engeren Sinne kommt bereits aus anderen Gründen hier nicht in Betracht.
41
Denn unabhängig davon, dass die Klageseite auch keine konkreten Prospektfehler dargelegt hat, fehlt es vorliegend bereits an einer „Beteiligung“ an einer Gesellschaft. Der Kauf der streitgegenständlichen Container stellt vielmehr einen Erwerb einzeln zuzuordnender Vermögensgegenstände dar und steht damit dem Erwerb von Immobilien oder Waren gleich (vgl. BGH, Urteil vom 13.08.2020 – III ZR 148/19, WM 2020, 1862 mit Anmerkung Hermann, WM 2021, 261). Eine für die Prospekthaftung vorausgesetzte gemeinsame unternehmerische Betätigung am Markt ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
42
2. Das Landgericht hat aber im Ergebnis zurecht eine Haftung der Beklagten als Gesamtrechtsnachfolgerin des W. S. aus §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15 a InsO für Zeichnungen während seiner Geschäftsführertätigkeit bejaht.
43
a) W. S. hat als Geschäftsführer vor der ersten Zeichnung am 17.07.2013 pflichtwidrig gegen § 15 a InsO als Schutzgesetz verstoßen, indem er trotz bestehender Überschuldung nicht rechtzeitig einen Insolvenzantrag gestellt hat.
44
aa) § 15 a InsO stellt ein Schutzgesetz iSd § 823 Abs. 2 BGB dar (BGH, Urt. v. 14.05.2012 – II ZR 130/10). In den persönlichen Schutzbereich des § 15 a InsO fallen danach sämtliche Gläubiger, die einen Anspruch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen die Gesellschaft erworben haben (BGH NJW 2012, 3510). Die Klägerin fällt als Neugläubigerin, die erst nach Verletzung der Insolvenzantragspflicht mit den Gesellschaften Verträge geschlossen hat, daher in den Schutzbereich.
45
bb) Zu diesem Anspruch hat der BGH – wenn auch zur insoweit identischen Vorgängernorm des § 64 GmbHG (vgl. MüKoInsO/Klöhn, 4. Aufl. 2019, InsO § 15a Rn. 2) – in seinem grundlegenden Urteil vom 06.06.1994, Gz. II. ZR 292/91 (z.B. NJW 1994, 2220), folgendes ausgeführt:
„Als Instrument des Gläubigerschutzes muss das Gebot der rechtzeitigen Konkursantragstellung schadensersatzrechtlich – und nicht nur strafrechtlich – so sanktioniert sein, dass dieser Schutz wirksam ist. Die Haftung des Geschäftsführers für die durch die Konkursverschleppung verursachten Gläubigerschäden bedeutet für diesen keine unzumutbare Belastung. Die Haftung setzt Verschulden voraus; fahrlässiges Verhalten genügt. Der Geschäftsführer hat die Entscheidung darüber, ob er die Konkurseröffnung beantragen muss, mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters zu treffen. Als solcher ist er verpflichtet, die wirtschaftliche Lage des Unternehmens laufend zu beobachten. Bei Anzeichen einer Krise wird er sich durch Aufstellung eines Vermögensstatus einen Überblick über den Vermögensstand verschaffen müssen. Stellt sich dabei eine rechnerische Überschuldung heraus, dann muss er prüfen, ob sich für das Unternehmen eine positive Fortbestehensprognose stellt. Gibt es begründete Anhaltspunkte, die eine solche Prognose rechtfertigen, so kann das Unternehmen weiterbetrieben werden. Hierbei ist dem Geschäftsführer ein gewisser Beurteilungsspielraum zuzubilligen; vor allem kommt es nicht auf nachträgliche Erkenntnisse, sondern auf die damalige Sicht eines ordentlichen Geschäftsleiters an. Notfalls muss sich der Geschäftsführer fachkundig beraten lassen. Hält er sich an diese Anforderungen, die für den Geschäftsführer einer mit einem beschränkten Haftungsvermögen ausgestatteten Gesellschaft eigentlich selbstverständlich sind, dann ist das Risiko, wegen verspäteter Konkursantragstellung belangt zu werden, nicht unzumutbar groß. Die Gefahr, dass sich ein seriöser Geschäftsleiter durch die drohende Haftung von aussichtsreichen Sanierungsbemühungen abhalten lässt, braucht nicht ernstlich befürchtet zu werden. Für solche Sanierungsversuche gilt, soweit sie vertretbar sind, die Dreiwochenfrist des § 64 I GmbHG.
Den Beweis für das Vorliegen der objektiven Voraussetzungen der Konkursantragspflicht hat grundsätzlich der Gläubiger zu erbringen. Steht fest, dass die Gesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt rechnerisch überschuldet war, so ist es allerdings Sache des Geschäftsführers, die Umstände darzulegen, die es aus damaliger Sicht rechtfertigten, das Unternehmen trotzdem fortzuführen. Hierzu ist er weit besser in der Lage als ein außenstehender Gläubiger, der in aller Regel von den für die Zukunftsaussichten der Gesellschaft maßgebenden Umständen keine Kenntnis haben wird. Dem Geschäftsführer ist die Darlegung dieser Umstände zumutbar, weil er, wie bereits gesagt, ohnehin zu einer laufenden Prüfung der Unternehmenslage verpflichtet ist. Ob über diese Verteilung der Darlegungslast hinaus der Geschäftsführer hinsichtlich der Fortbestehensprognose auch die Beweislast trägt, ist dagegen zweifelhaft; das ist hier indessen nicht zu entscheiden. Mangelndes Verschulden hat freilich der Geschäftsführer zu beweisen.“
46
cc) Unter Anwendung dieser Grundsätze geht der Senat vorliegend von einer Überschuldung der P. Gesellschaften ab dem 1.1.2011, jedenfalls aber vor Abschluss der streitgegenständlichen Verträge aus.
47
(1) Die Klägerin hat eine Überschuldung der streitgegenständlichen Gesellschaften für den hier maßgeblichen Zeitraum schlüssig dargelegt.
48
Die Darlegung und der Nachweis der Überschuldung erfolgt regelmäßig durch Vorlage einer Überschuldungsbilanz, in der die Vermögenswerte der Gesellschaft mit ihren aktuellen Verkehrs- und Liquidationswerten auszuweisen sein (BGH NZG 2009, 750; BGH NJW-RR 2010, 1048).
49
Danach hat die Klagepartei durch Vorlage und Auswertung der PwCGutachten zur Überschuldung vom 12.09.2018 (Anlage K 19, mit dem Ergebnis Überschuldung der P. Gruppe seit spätestens 01.01.2011) noch vor Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht diese hinreichend substantiiert dargelegt.
50
Damit kann aber dahinstehen, ob sich eine hinreichende Darlegung der Überschuldung der deutschen P.Gesellschaften auch bereits aus dem Insolvenzgutachten ergab, wie das Landgericht meint, obwohl das Insolvenzgutachten dies nur für den Zeitpunkt 2018 konkret feststellt und es hinsichtlich früherer Zeitpunkte wohl nur eher unkonkrete Feststellungen enthält.
51
(2) Die hiergegen erhobenen Einwendungen der Beklagten überzeugen den Senat nicht, zumal die Berufungsbegründung der Beklagten hierzu entgegen der Allgemeinen Verfahrenshinweise des Senats ausführt, dass ein konkretes Bestreiten erfolgt sei, ohne dies in tatsächlicher Hinsicht zu konkretisieren.
52
(a) Dabei hat die Beklagte die vorgetragene Überschuldung bereits nicht ausreichend bestritten. Sie bestreitet zwar in der Klageerwiderung (S. 14/15, Bl. 42/42) pauschal eine Überschuldung der Gesellschaften und wiederholt dies auch in der Berufungsbegründung. Ein substantiiertes Bestreiten der konkret zugrunde gelegten Tatsachen erfolgt jedoch nicht. Soweit die Beklagte erstinstanzlich bestritten hat, dass der Liquiditätsbedarf der deutschen Vertriebsgesellschaften ausschließlich durch Einwerbung von weiterem Anlegerkapital gedeckt worden sei, diese habe vielmehr bis 2018 Liquidität von der Schweizer P. erhalten, sind die konkreten Zahlungsflüsse wohl schon nicht Gegenstand der Überschuldungsbilanz. Außerdem würde dies nichts daran ändern, dass – insoweit ausweislich der Feststellungen des Landgericht unstreitig – die deutschen Vertriebsgesellschaften die erforderliche Liquidität in wechselndem Umfang dem neuen Anlegerkapital entnommen haben, was Merkmal eines sog. “Schneeballsystems“ ist (dazu s.u. bei § 826 BGB), soweit sie nicht von der Schweizer Gesellschaft zur Verfügung gestellt wurde.
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Auch der Verweis darauf, dass in den Handelsbilanzen keine Fehlbeträge ausgewiesen seien, genügt unter diesen Umständen für ein ausreichend substantiiertes Bestreiten nicht.
54
(b) Der Einwand der Beklagten, die Klägerin lege bei der Überschuldungsbilanz (und auch das Landgericht in seinem Urteil) zu Unrecht eine gesellschaftsübergreifende Betrachtung zugrunde und deshalb sei die Überschuldung für die einzelnen deutschen Vertriebsgesellschaften nicht substantiiert dargelegt (BB S. 11, Bl. 197), überzeugt ebenfalls nicht. Dass sich die Ausführungen im Zusammenhang mit der erstellten Überschuldungsbilanz häufig auf die gesamte P. Gruppe beziehen, ist Folge davon, dass das Liquiditätsmanagement und die gesamte Abwicklung gesellschaftsübergreifend praktiziert wurden. Das zeigt sich letztlich auch darin, dass alle vier deutschen Gesellschaften der P. Gruppe zeitnah im März 2018 bzw. die P. TC im Juli 2018 Insolvenzantrag gestellt haben. Außerdem hat die Klagepartei bzw. das von ihr in Bezug genommene Gutachten neben der gruppenweiten Betrachtung auch eine Einzelbetrachtung der Gesellschaften vorgenommen und gerade für jede Gesellschaft gesondert eine Überschuldungsbilanz erstellt (vgl. Anlage K 17).
55
Auch der weitere Einwand im Schriftsatz vom 08.04.22 (S. 3, Bl. 255), die im Rahmen der Überschuldungsbilanzen vorgenommenen Abzüge von Forderungen gegenüber der P. EF erfolgten aufgrund eines modellhaft ermittelten, gruppenweiten Verteilungsschlüssels und es liege daher auch den einzelnen Überschuldungsbilanzen eine gruppenweite Betrachtung zugrunde, verfängt nicht. Dies ist, wie dargelegt, Folge des gesellschaftsübergreifend praktizierten Schneeballsystems. Denn es waren nicht nur die deutschen P. Gesellschaften und die Schweizer P. EF verwoben, sondern auch die deutschen Gesellschaften untereinander: nach Ablauf der Erstvermietung der Neucontainer wurden etwa über die P.Gebrauchtcontainer GmbH Weitervermietungen betrieben, viele Anleger haben – wie vorliegend die Klägerin – Verträge mit der P. Container GmbH und der P. Gebrauchtcontainer GmbH geschlossen.
56
Sämtliche deutschen Gesellschaften wurden ferner in der P. AG als Holding zusammengefasst. Dass dies auch Eingang in die Überschuldungsbilanzen der einzelnen Gesellschaften finden muss, versteht sich von selbst.
57
(c) Schließlich überzeugt auch der Einwand der Beklagten, in den Überschuldungsbilanzen seien Rückkaufverpflichtungen der P. Vertriebsgesellschaften aufgenommen worden (vgl. Gutachten vom 12.09.2018 S. 29), obwohl derartige Verpflichtungen gar nicht bestanden hätten, es sei deshalb falsch gewesen, diese insolvenzrechtlich zu passivieren, den Senat nicht:
58
Dabei sind grundsätzlich auch im Rahmen eines Überschuldungsstatus alle Verbindlichkeiten zu passivieren (K. Schmid, InsO, § 19 Rn. 34).
59
(aa) In den Verträgen bis zum Jahr 2015 war – entgegen der Ansicht der Beklagten – eine rechtliche Verpflichtung der Beklagten zum Rückkauf enthalten. In Ziffer 4 war geregelt (vgl. K4): „nach Ablauf der Garantiezeit ist P. bereit, die Container zurückzukaufen und wird rechtzeitigt vor Ablauf des Vertrages ein Kaufangebot unterbreiten“. Wie diese Klausel anders ausgelegt werden könnte, als dass die Beklagte sich zu einem Rückkaufangebot verpflichtet hat, erschließt sich nicht, zumal die Verträge unstreitig auch entsprechend gelebt wurden, die Container nach Ablauf der Mietzeit stets zurückgekauft wurden. Auch dass die P. Gesellschaften selbst im Jahr 2015 Anlass sahen, diese Formulierung im Hinblick auf eine etwaige Prospektpflicht zu ändern (dazu unten), spricht dafür, dass diese selbst von einer derartigen Verpflichtung ausgingen. Dass der Rückkaufpreis noch nicht fest vereinbart war, steht dem nicht entgegen, zumal die P. Gesellschaften insoweit selbst mit Prognosen arbeiteten und – wie dem Senat aus anderen Verfahren bekannt – Renditen berechneten. Auch für derartige Fälle der Höhe nach ungewisser Verbindlichkeiten sind Rückstellungen zu passivieren (BGH NJW 2003, 3629 (3631)). Dass die Beklagte die Verwendung derartiger Vertragsformulare bis 2015 nun bestreitet (Schriftsatz vom 08.04.22, S. 4) – im Schriftsatz vom 10.03.20 hatte die Beklagte sich noch ohne zeitliche Differenzierung auf beide Formulierungen, jeweils K 1, gestützt – ist bereits verspätet und deshalb zurückzuweisen. Im übrigen ist das Bestreiten in seiner Pauschalität auch unbehelflich, denn es ergibt sich bereits aus den Anlagen K 4, dass im vorliegenden Fall bei den Käufen 2013 und 2014 noch derartige Vertragsformulierungen verwendet wurden. Auch der Insolvenzgutachter hat die Verwendung dieser Formulierung bis 2015 für die P. Container und Gebrauchtcontainer GmbH in seinen Gutachten jeweils festgestellt.
60
Damit bestand aber jedenfalls bis zum Jahr 2015 eine rechtliche Verpflichtung der Beklagten zum Rückkauf der Container und waren diese Verbindlichkeiten daher – wie von PwC angesetzt – auch im Überschuldungsstatus zu passivieren, bei Unsicherheit wegen der Höhe der Verbindlichkeit jedenfalls als Rückstellung.
61
(bb) Zwar trifft es zu, dass in den späteren Kauf- und Verwaltungsverträgen – wohl zur Vermeidung einer Prospektpflicht (vgl. dazu Senat, Hinweis-Beschluss vom 13.07.2020, Az. 8 U 2610/20, WM 2020, 1822) – keine Rückkaufpflicht mehr vereinbart wurde, sondern lediglich eine Rückkaufoption in Aussicht gestellt wurde.
62
Dass allein die Änderung der vertraglichen Formulierung die – wie dargelegt spätestens seit 1.1.2011 – bestehende Überschuldung beseitigt haben sollte, wird wohl auch die Beklagte kaum behaupten. Allein der Formulierungswechsel in den Verträgen stellt insoweit jedenfalls keinen substantiierten Vortrag dar.
63
(cc) Letztlich kommt es auf die genaue Ausgestaltung auch gar nicht an, denn faktisch war der Rückkauf der Container jedenfalls stets zwingender Bestandteil des Anlagekonzepts. Bei NichtEinhaltung der Rückkaufoption wäre zumindest mit einem erheblichen Einbruch des Neugeschäftsvolumens zu rechnen gewesen. Daher kaufte P. bis zur Insolvenzantragstellung 2018 – insoweit unstreitig -die Container stets zurück. Deshalb erscheint es auch bilanzrechtlich so offensichtlich, dass diese Rückkaufverpflichtungen – selbst wenn man nur von einer faktischen Verpflichtung ausgeht – in den Überschuldungsbilanzen bilanziell zu passivieren waren, dass der Senat meint, dies ohne Sachverständigengutachten selbst beurteilen zu können:
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Auch Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten sind in der Überschuldungsbilanz zu passivieren (BGH Urt.v. 22.09.2003 – II ZR 229/02, NJW 2003, 3629, 3231). Dabei muss die Höhe und Fälligkeit der Schuld noch nicht mit Sicherheit feststehen (K. Schmid, InsO, § 19 Rn. 34), lediglich reine Kulanzrückstellungen sind nicht aufzunehmen, da diese bei unterstellter planmäßiger Liquidation nicht mehr erbracht würden (MüKo, InsO, § 19 Rn. 130). Für sog. Verbindlichkeitsrückstellungen, die ausgelöst werden durch eine finanzielle Verpflichtung, der sich das Unternehmen nicht entziehen kann, besteht auch im Überschuldungsstatus Ansatzpflicht, soweit die finanzielle Verpflichtung im Rahmen der planmäßigen Liquidation nicht zum Erliegen kommt (MüKo, InsO, § 19 Rn. 131).
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Vorliegend bestand jedenfalls, wie oben dargelegt, ein faktischer Leistungszwang, der nicht mit einer nicht zu berücksichtigenden Kulanzgewährleistung vergleichbar ist. Die Möglichkeit der Rückveräußerung war hier dem Anlagemodell immanent, wie auch das Vorhandensein einer eigenen Gebrauchtcontainer und einer Transport Leasing Gesellschaft suggerierten. Da für den Privatanleger auch kein geregelter Markt vorhanden war, an dem die Container leicht selbst veräußert werden konnten, war P . klar, dass die Anleger von einem Rückkauf ausgingen und dies auch im Rahmen einer planmäßigen Liquidation erfolgen müsste. So wurde folgerichtig auch bis zur Beantragung der Insolvenz im Jahr 2018 dieser (faktischen) Rückkaufspflicht stets Rechnung getragen. Dass diese Rückkaufverpflichtungen – auch wenn die Höhe noch nicht feststand, aber ein Prognosewert wohl vorhanden war -zumindest wie Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten auch in der Überschuldungsbilanz zu passivieren waren, liegt auf der Hand. Alles andere würde zu einem offensichtlich verfälschten Bild der tatsächlichen finanziellen Lage der P. Gesellschaften führen und würde durch die Überschuldungsbilanz die von der Unternehmensfortführung ausgehende Gläubigergefährdung überhaupt nicht wirklichkeitsgetreu abgebildet. So würde der Sinn und Zweck des Überschuldungstatbestandes letztlich unterlaufen.
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(dd) Der weitere erstinstanzliche Einwand der Beklagten, die Rückkaufverpflichtungen seien mangels Zuordenbarkeit der Container gar nicht bestimmbar, geht ebenfalls fehl, da sich die faktische Rückkaufpflicht nicht nach den tatsächlichen Eigentumsverhältnissen richtet, sondern nach dem jeweiligen Vertrag und dessen feststehenden Fälligkeiten.
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(3) Abgesehen davon hat sich der Senat aber auch die tatrichterliche Überzeugung gebildet, dass eine Überschuldung der hier maßgeblichen P. Gesellschaften zum 1.1.2011, spätestens aber im Juli 2013 vorlag. Nach den Feststellungen des Landgerichts begann das Geschäftsmodell der P. Gruppe ab dem Jahr 2007 in Schieflage zu geraten und konnten die Ansprüche der Anleger nicht mehr vollständig aus den Mitteln und der Liquidität der P. EF erfüllt werden. Es wurde versucht, die auftretenden Liquiditätslücken mit neuem Anlegerkapital zu decken, welches über die deutschen Vertriebsgesellschaften an die Schweizer Gesellschaft weitergeleitet wurde. So entstand ein Schneeballsystem; die Gelder neuer Anleger wurde nicht mehr für den Kauf von Containern verwendet, sondern für die Auszahlungen an Altanleger (LGU, S. 3). Zu diesem Ergebnis kommt nach umfangreicher Bestandsaufnahme und Sichtung der Unterlagen auch der Insolvenzverwalter in seinen Insolvenzgutachten (Anlage K 14 a – d). So führt dieser etwa im Gutachten zur P. Container GmbH aus, dass die Einnahmen aus dem vorhandenen Containerbestand der P.Gruppe schon seit vielen Jahren nicht ansatzweise ausreichten, um die aus den Verträgen mit den Anlegern übernommenen Zahlungspflichten zu erfüllen. Die Bestandsanleger seien, solange es die Liquidität der P. Gruppe zugelassen habe, vor allem mit den vereinnahmten Geldern aus Neuanlagen bezahlt worden. Ein funktionierendes Geschäftsmodell sei jedenfalls schon seit über einem Jahrzehnt nicht mehr vorhanden gewesen (Insolvenzgutachten vom 20.07.2018, K 14 a, S. 126).
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Wesen eines Schneeballsystems ist, wie das Landgericht zurecht ausgeführt hat, dass sich die finanzielle Lage der betroffenen Gesellschaft stetig verschlechtert. Die Überschuldungslage einer Gesellschaft, die ein Schneeballsystem betreibt, wird sich kontinuierlich verschlechtern, und zwar unabhängig davon, ob dies vorsätzlich erfolgt oder nicht. Eine Verbesserung wäre nur durch tiefgreifende Eingriffe möglich, die aber vorliegend nicht ersichtlich sind und sich insbesondere auch nicht aus dem „Projekt Isar“ ergeben (dazu unten). Die Überschuldung der Gesellschaften konnte sich somit bei dem seit 2007 bestehenden Schneeballsystem in den folgenden Jahren nur verfestigen, angesichts der bestehenden Abhängigkeiten auch dann, wenn der Containerfehlbestand – wie die Beklagte meint – „nur“ auf Ebene der Schweizer Gesellschaft bestand. Dass die deutschen P. Gesellschaften bei Vorhandensein eines erheblichen Containerfehlbestandes teilweise ihre Verträge nicht erfüllen und sie die Schieflage daher ebenso betrifft wie die Schweizer Gesellschaft, liegt auf der Hand. Daher hat das Gericht keinen Zweifel daran, dass die P . Gesellschaften, wie von Klägerseite dargelegt zum 1.1.2011, spätestens aber zum streitgegenständlichen Zeitpunkt überschuldet waren.
69
(4) Es war auch nicht, wie die Beklagte meint, eine Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich.
70
Dabei war bereits mangels ausreichenden Bestreitens der Beklagten eine Beweisergebung nicht erforderlich (s.o.). Im übrigen konnte sich das Gericht auch auf Grundlage der unstreitigen Tatsachen und vorgelegten Unterlagen eine entsprechende Überzeugung bilden (s.o.).
71
Soweit die Beklagte nun ein Sachverständigengutachten als Gegenbeweis für die Überschuldung anbietet, kommt es darauf bereits mangels substantiierten Bestreitens der Beklagten nicht an (vgl. Hinwies). Jedenfalls ist dieses auch als verspätet zurückzuweisen.
72
Das erstmals in der Berufungsbegründung von der Beklagten zum Gegenbeweis, dass zu den Zeitpunkten, als die Klägerin investierte, bei den jeweiligen Gesellschaften keine Überschuldung eingetreten sei (und eine Fortführungsprognose zu bejahen wäre), angebotene Sachverständigengutachten (BB S. 9, Bl. 195, sowie SS v. 08.04.22) ist verspätet und als solches zurückzuweisen.
73
Warum dies nicht bereits in erster Instanz angeboten wurde, wird nicht ausgeführt. Insbesondere war bereits in erster Instanz die Frage der Überschuldung ein Kernpunkt der Streitigkeit und hatte die Klägerin bereits erstinstanzlich dezidiert hierzu unter Bezugnahme auf das PwCGutachten vorgetragen (und auch selbst Sachverständigenbeweis angeboten); die Beklagte hat hierzu auch ausdrücklich im Schriftsatz vom 10.03.20 Stellung genommen, ohne ein derartiges Gegenbeweisangebot vorzubringen. Das Landgericht hat sodann auch eine Überschuldung angenommen und seine Überzeugung auf das von der Klägerin vorgelegte Insolvenzgutachten gestützt.
74
Dabei hat das Landgericht auch nicht gegen § 139 ZPO verstoßen, wie die Beklagte meint (BB S. 9). Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) wäre nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erst dann verletzt, wenn das Gericht den Hinweis auf einen entscheidungserheblichen rechtlichen Gesichtspunkt unterlassen hätte, mit dem auch ein gewissenhafter und rechtskundiger Prozessbeteiligter nicht zu rechnen brauchte (BVerfG NJW 2004, 1371 [1373] m.w.N.). Um einen solchen Aspekt handelt es sich hier nicht. Nachdem die Frage der Überschuldung ein Kernpunkt des klägerischen Vortrags darstellte und die Klägerin verschiedene Beweisangebote in diesem Zusammenhang vorbrachte, ist nicht ersichtlich, weshalb das Landgericht die anwaltlich vertretene Beklagte auf die Möglichkeit eines Gegenbeweisangebotes hätte hinweisen müssen.
75
Das Beweisangebot in der Berufungsbegründung ist daher gemäß § 531 II ZPO neu und – da die Verspätung nicht genügend entschuldigt wurdezurückzuweisen.
76
(5) Abgesehen davon spricht auch vieles dafür, dass das jahrelange Vorliegen eines Schneeballsystems, das hier jedenfalls für die Schweizer Gesellschaft unstreitig seit 2007 betrieben wurde, per se zu einer Überschuldungsvermutung führt. Auch wenn nach der Rechtsprechung des BGH eine derartige Indizwirkung bislang nur für den Bereich der Zahlungsunfähigkeit bei Vorliegen von Zahlungseinstellung vertreten wird, liegt der Fall doch zumindest ähnlich. Ziel des Schneeballsystems ist es gerade, eine ansonsten eintretende Zahlungsunfähigkeit bzw. Zahlungseinstellung zu verhindern, mit der die finanzielle Schieflage offenbar würde. Ein derartiges System ist ersichtlich auf Überschuldung ausgelegt. Werden aber neue Gelder nicht vertragsgemäß verwendet, sondern zum „Stopfen von Löchern“ benutzt, liegt ein Überschuss an Verbindlichkeiten und damit eine Überschuldung auf der Hand.
77
dd) Es wäre daher Sache des Geschäftsführers gewesen, die Umstände darzulegen, die es aus damaliger Sicht rechtfertigten, das Unternehmen trotzdem fortzuführen. Derartiges ist von der Beklagten weder dargelegt worden noch wurde hierzu ausreichend Beweis angeboten.
78
Der beklagte Geschäftsführer trägt, wie dargelegt, wegen seiner größeren Sachnähe und fortlaufenden Beobachtungspflicht die Darlegungslast dafür, dass bei der Prüfung der Überschuldung von einer Fortführungsprognose auszugehen war (BGH NZI 2007, 44; BGH NZG 2009, 750; BGH NZG 2010, 1393 Rn. 11; BGH NJW 2011, 2427). Die Erfüllung der Darlegungslast setzt eine umfassende Einschätzung der Unternehmenslage voraus (BGH NZI 2007, 44 Rn. 3; BGH NZG 2010, 1393 Rn. 13; BGH NJW 2011, 2427 Rn. 31). Erforderlich ist grundsätzlich ein aussagekräftiger, schriftlich dokumentierter Ertrags- und Finanzplan (BGH NZI 2007, 44 Rn. 3; BGH NZG 2010, 1393 Rn. 13).
79
Derartiges ergibt sich jedenfalls nicht daraus, dass die Geschäfte der P. Gruppe noch bis 2018 weiter betrieben wurden, wie die Beklagte meint. Denn es ist einem Schneeballsystem immanent, dass durch die Einwerbung neuer Liquidität bei Neuanlegern der Zusammenbruch des Systems trotz formeller Überschuldung und Fehlen einer positiven Fortführungsprognose oft jahrelang hinausgeschoben wird.
80
Aber auch der Einwand der Beklagten in der Berufung, der Geschäftsplan (Projekt I., Anlage K 7) habe es nicht nahegelegt, vom Fehlen einer positiven Fortführungsprognose auszugehen, wird den von der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen an die Darlegung einer Fortführungsprognose nicht gerecht. Der mit Anlage K 7 von der Klägerin vorgelegte, und von Beklagtenseite nicht näher erläuterte, vorläufige Arbeitsstand Projekt „I.“ bezieht sich bereits nicht auf den maßgeblichen Zeitpunkt, nämlich die dargelegte Überschuldung zum 01.01.2011, sondern stellt den Arbeitsstand am 17.03.2014 dar und basiert auf Zahlen zum 31.03.2013, besagt also daher schon aus diesem Grund nichts über eine Fortführungsprognose Ende 2010 und inwiefern dort Fortführungswerte zugrunde zu legen seien. Zudem stellt das Projekt „Isar“ nach eigenem Titel eine Analyse des Flottenbestandes und der Liquidität der P. AG und der P. E F dar und keinen Ertrags- oder Finanzplan. Eine schriftliche umfassende Einschätzung der Unternehmenslage, samt Ertrags- und Finanzplan, die eine aussagekräftige Planung enthält, wie der Krise in der Folgezeit begegnet werden kann, ist damit nicht vorhanden und auch nicht aus der Anlage K 7 ersichtlich. Im Gegenteil ergeben sich aus den dortigen Aufstellungen gerade erhebliche Containerfehlbestände (vgl. dazu näher unten). Sodann endet die Analyse mit dem Hinweis, „dass sich zur Refinanzierung der Umsätze der PRAG der Jahre 2012 und 2013 in den Jahren 2017 und 2018 signifikante Verpflichtungen erwarten lassen, die durch zusätzliches Geschäft aus der fortlaufenden Geschäftstätigkeit zusätzlich ansteigen werden. Es muss noch im Detail und unter Abstimmung zwischen den Organträgern ausgearbeitet werden, wie dies im Gleichklang mit den Potentialen aus den durch (Re-)Investitionen erworbenen Containerassets der PREF und den Anforderungen an die allgemeine, rechtgültige Fortführung der Geschäftstätigkeit erfolgen kann“ (vgl. Anlage K 7, S. 10). Ob und inwieweit die Überschuldung für den Geschäftsführer W. S. erkennbar war, wird im übrigen erst im Rahmen des Verschuldens relevant.
81
Wie die Beklagte von den festgestellten Containerfehlbeständen auf eine positive Fortführungsprognose schließen will, ist nicht verständlich. Im übrigen würde auch eine angenommene – und nicht ersichtliche – Beseitigung der Fehlbestände binnen zwei Jahren bei Weiterbetreiben des Schneeballsystems keine positive Fortführungsprognose begründen. Tatsächlich wurden die Fehlbestände bis zur Insolvenzbeantragung in 2018 im übrigen nicht reduziert, sondern weiter aufgebaut. Zudem ist der Vortrag der Beklagtenseite auch widersprüchlich, behauptet diese doch in anderem Zusammenhang (Kenntnis vom Fehlbestand), W. S. habe von der Ausarbeitung Anlage K 7 keine eigene Kenntnis gehabt, diese sei nur dem Mitgeschäftsführer zugegangen (s.u.).
82
Der Einwand, in dem Plan „Projekt I.“ sei sogar eine Liquidität bis 2033 prognostiziert worden, ist ebenfalls nicht zielführend, wird diese eben nur durch Fortführung eines Schneeballsystems erlangt. Ziel eines Schneeballsystems ist es gerade, wie dargelegt, trotz fehlender Wirtschaftlichkeit die Liquidität – bis zum Zusammenbruch – zu erhalten. Selbst eine derartige Liquidität unterstellt, könnte diese eine positive Fortführungsprognose unter diesen Umständen nicht begründen.
83
Demgegenüber hat die Klägerin im Gegenteil mit der Vorlage des Gutachtens PwC (K 17, S. 26 ff.) konkret dargelegt, dass und warum zu diesem Zeitpunkt für die P. Gesellschaften keine positive, sondern vielmehr eine negative Fortführungsprognose bestand.
84
Der Senat hat sich im übrigen auch die Überzeugung gebildet, dass eine positive Fortführungsprognose spätestens ab 1.1.2011 nicht mehr bestand. Nach den Feststellungen des Landgerichts war seit spätestens 2007 ein erheblicher Containerfehlbestand vorhanden und wurde auf Seiten der Schweizer Firma ein Schneeballsystem betrieben. Auch die Auswertung des als Anlage K 7 vorgelegten „Projekts Isar“ belegt dies (vgl. o.). Der Insolvenzverwalter legt im Insolvenzgutachten ebenfalls das Fehlen einer positiven Fortführungsprognose seit über einem Jahrzehnt dar (etwa Anlage K 14 a, S. 126). In der Gesamtschau ist der Senat daher vom Fehlen einer positiven Fortführungsprognose bereits ab 2011 überzeugt.
85
Auf das hierzu vorgebrachte (Gegen) Beweisangebot eines Sachverständigengutachtens kommt es mangels substantiierten Vortrags bereits nicht an. Jedenfalls ist dieses ebenfalls verspätet und als solches zurückzuweisen, die Beklagte damit zudem beweisfällig geblieben.
86
In der Berufungsbegründung hat die Beklagte erstmals Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens (zum Gegenbeweis) angeboten, dass zu den Zeitpunkten, als die Klägerin investierte, bei den jeweiligen Gesellschaften eine Fortführungsprognose zu bejahen war (BB S. 9 Bl. 195).
87
Auch dieses Beweisangebot ist verspätet. Die Klägerin hat bereits mit Schriftsatz vom 21.02.20 erstinstanzlich unter Bezugnahme auf das Gutachten von PwC vorgetragen, dass spätestens ab 1.1.2011 eine negative Fortbestehensprognose bestand (Bl. 76). In ihrem Schriftsatz vom 10.03.20 hat die Beklagte daraufhin lediglich bestritten, dass die P. Gesellschaften über keine positive Fortführungsprognose verfügten und im übrigen auf die operative Tätigkeit der Gesellschaften bis 2018 und das Projekt I. verwiesen (Bl. 99), zu dem die Klägerin bereits erstinstanzlich ausführlich vorgetragen hatte. Ein Angebot eines Sachverständigengutachtens zum Beweis durch die Beklagte erfolgte erstinstanzlich nicht, dieses ist daher neu. Warum ein Sachverständigengutachten zum Beweis erst in der Berufungsinstanz von der Beklagten angeboten wurde, wird im Weiteren nicht entschuldigt. Ein Verstoß des Landgerichts gegen § 139 ZPO ist auch hier angesichts der ausführlichen schriftsätzlichen Diskussion der Problematik zwischen den Parteien in erster Instanz nicht ersichtlich (s.o.).
88
ee) Herr S. als antragspflichtiger Geschäftsführer hat keinen rechtzeitigen Insolvenzantrag gestellt und damit gegen § 15 a InsO verstoßen. Die beiden P. Gesellschaften waren bereits deutlich vor Abschluss der streitgegenständlichen Verträge ab 2013 überschuldet, so dass auch die 3Wochen-Frist des § 15 a Abs. 1, Abs. 5 InsO längst abgelaufen war.
89
Insolvenzantrag hinsichtlich der beiden hier als Vertragspartner beteiligten P. Gesellschaften wurde erst am 15.03.2018 durch Martin Ebben gestellt.
90
b) W. S. hat insoweit auch schuldhaft (§§ 823 Abs. 2, 276 BGB, § 15 a Abs. V InsO), also zumindest fahrlässig gegen diese Pflicht verstoßen.
91
Wie oben dargelegt, hätte die Beklagte ein mangelndes Verschulden des W. S. zu beweisen gehabt. Das für die Ersatzpflicht aus § 823 Abs. 2 BGB erforderliche Verschulden des Geschäftsführers wird insoweit vermutet (BGHZ 126, 181 (200) = NJW 1994, 2220).
92
Die Beklagte hat diese Vermutung nicht widerlegt, wie auch das Landgericht zutreffend angenommen hat.
93
aa) Die Beklagte hat bereits nicht dargelegt, dass W. S. diese Anforderungen an einen sorgfältigen Geschäftsführer beachtet hat und warum er dennoch nicht erkennen konnte, dass die Gesellschaft bereits überschuldet war. Insbesondere dass ein langfristiges (unstreitig betrieb jedenfalls die Schweizer Gesellschaft seit 2007 ein Schneeballsystem) Nichterfüllen von vertraglichen Pflichten zur Eigentumsverschaffung, die W. S. in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer Vertrieb für die Gesellschaft einging, für einen ordentlichen Kaufmann nicht erkennbar gewesen wäre, ist nicht ersichtlich. Auch hat die Berufung nicht dargelegt, dass W. S. einen Vermögensstatus zur Feststellung einer etwaigen Überschuldung in der Folge des 31.10.2010 erstellt und sich einen Überblick verschafft hätte (s.o.).
94
bb) Soweit beklagtenseits darauf hingewiesen wurde, dass ein Verschulden entfalle, weil von Seiten der Schweizer Gesellschaft eine umfassende Informationsabschottung betrieben worden sei und daher kein Einblick in die schweizerische Containerverwaltung möglich gewesen sei, ergibt sich daraus ebenfalls keine Entlastung:
95
Denn nach der Rspr. des BGH hat sich der Geschäftsführer zunächst über die Rahmenbedingungen des Geschäfts zu vergewissern (BGH, Urteil vom 10. Februar 2015 – VI ZR 569/13, Rz. 10 ff., für unzulässiges Einlagengeschäft). Unabhängig davon, ob und wann W. S. Kenntnis von den Containerfehlbeständen und der Verwendung der Kapitals der Neuanleger zur Deckung des Liquiditätsbedarfs hatte (dazu unten bei § 826 BGB), hatte er danach jedenfalls die Pflicht, bei Beginn seiner Tätigkeit als Geschäftsführer die Grundstrukturen (auch) der Einnahmen (hier: die Zuverlässigkeit/Sicherheit der Überweisungen von der in der Schweiz ansässigen Muttergesellschaft, von welchen die deutschen Tochtergesellschaften abhängig waren), zu prüfen. Kenntnis und Hinnahme dieser Informationsstruktur und -politik stellen daher ebenfalls einen Sorgfaltsverstoß und keinen Entlastungsgrund dar. Notfalls hätte er – wollte er die Übernahme der Geschäftsführung nicht ablehnen – die Abläufe so neu organisieren müssen, dass er die notwendigen Informationen erhält.
96
cc) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Ressortaufteilung zwischen ihm und dem kaufmännischen Geschäftsführer F.
97
Die Insolvenzantragspflicht ist eine nicht delegierbare Pflichtaufgabe jedes Antragspflichtigen. Der Antragspflichtige kann sich daher nicht mit dem Hinweis darauf entlasten, er sei intern nicht für die Überwachung der Finanzlage und Stellung des Insolvenzantrags zuständig gewesen (BGH NJW 1994, 2149, 2150). Zwar kann er sich ggf. auf Informationen oder das Verhalten anderer Geschäftsführer verlassen. Allerdings treffen den Mitgeschäftsführer im Falle derartiger nicht delegierbarer Aufgaben besonders weitgehende Kontroll- und Überwachungspflichten (BGH NJW, 2149, 2150).
98
W. S. war daher unabhängig vom konkreten Ressortzuschnitt jedenfalls verpflichtet, sich einen Überblick über die Wirtschaftlichkeit und Finanzlage des Unternehmens zu verschaffen. Dies gilt vorliegend um so mehr, als die Pflicht zur Verschaffung von Eigentum gerade eine die Gesellschaft im Zuge der durch den Vertrieb – und hier W. S. persönlich in Vertretung unterschriebenen – geschlossenen Verträge treffende Verpflichtung darstellt. Um deren Sicherstellung musste sich W. S. daher unabhängig vom konkreten Ressortzuschnitt kümmern. Insofern läuft auch der Vorwurf der Berufung, das Landgericht habe zu unrecht eine Ressortzuständigkeit bejaht und daher auf fehlerhafter Tatsachenbasis entschieden, ins Leere.
99
Eine Beweisaufnahme hierzu war daher, abgesehen davon, dass die Beklagte in der Berufung auch keine konkreten Beweismittel benannt oder als übergangen gerügt hat, bereits mangels Erheblichkeit nicht angezeigt.
100
c) Durch diese Schutzgesetzverletzung ist kausal ein Schaden entstanden.
101
Dabei ist grundsätzlich derjenige hypothetische Kausalverlauf zu unterstellen, der ohne besondere Vorkommnisse zu erwarten gewesen wäre (MüKo, InsoO, § 15 a Rn. 187 f.).
102
Vorliegend hätte die Klägerin die Anlage nicht mehr gekauft, wenn W. S. rechtzeitig Insolvenzantrag gestellt hätte; dabei kann unterstellt werden, dass die Klägerin in diesem Falle den geschäftlichen Kontakt als Anlegerin mit einer insolvenzreifen Gesellschaft vermieden hätte (vgl. dazu auch MüKo, InsO, § 15 a Rn. 187 ff.).
103
Nach wohl allgA ist gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15 a InsO das negative Interesse zu ersetzen. Der Neugläubiger ist deshalb vom Geschäftsführer so zu stellen, wie wenn er mit der insolvenzreifen Gesellschaft keinen Vertrag geschlossen hätte (BGH NGZ 2009, 750).
104
Die Klägerin ist also so zu stellen, wie wenn sie die streitgegenständlichen Kauf- und Mietverträge nicht abgeschlossen hätte. Der Schaden besteht dann in dem gezahlten Kaufpreis, wobei sich die Klägerin Vorteile wie erhaltene Mietzahlungen anrechnen lassen muss. Dies wird von der Berufung auch nicht weiter gerügt.
105
3. Die Beklagte haftet als Gesamtrechtsnachfolgerin des W. S. aber auch gemäß § 826 BGB auf Schadensersatz für die während seiner Geschäftsführertätigkeit erfolgten Zeichnungen der Klägerin.
106
a) Nach der Rechtsprechung des BGH haften Geschäftsführer, (faktische) Geschäftsleiter oder Vorstandsmitglieder einer Gesellschaft nach § 826 BGB auf Schadensersatz, wenn das von ihnen ins Werk gesetzte Geschäftsmodell der Gesellschaft von vornherein auf Täuschung und Schädigung der Kunden angelegt ist, es sich mithin um ein „Schwindelunternehmen“ handelt (BGH Urt. V. 15.09.2015 – VI ZR 480/14, BeckRS 2015, 18257, beck-online).
107
Der Geschädigte genügt dabei seiner Darlegungslast regelmäßig bereits dadurch, dass er Umstände vorträgt, die das (weitere) Betreiben eines solchen „Schneeballsystems“ als naheliegend erscheinen lassen. Den Gegner trifft in solchen Fällen eine sekundäre Darlegungslast. Er hat sich im Rahmen der ihm nach § 138 II ZPO obliegenden Erklärungspflicht zu den Behauptungen der beweispflichtigen Partei zu äußern; anderenfalls gilt das Vorbringen des Geschädigten als zugestanden (§ 138 III ZPO; BGH, Versäumnisurteil vom 4.2.2021 – III ZR 7/20).
108
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Unterstützung eines objektiv unzulässigen Vertriebssystems in herausgehobener und für dieses unerlässlicher Funktion sittenwidrig, wenn der Funktionsträger sich für dieses System hat einspannen lassen und es zugleich zumindest leichtfertig unterlassen hat, sich über die rechtlichen Rahmenbedingungen des Vertriebs zu vergewissern (BGH, Urteil vom 10. Februar 2015 – VI ZR 569/13, Rz. 10 ff., für unzulässiges Einlagengeschäft).
109
b) Unter Anwendung dieser Grundsätze liegt eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung des W. S. vor.
110
aa) Nach den Feststellungen des Landgerichts entstand bereits ab dem Jahr 2007 durch die finanzielle Schieflage der Schweizer P. -Equipment & Finance Corp. Gesellschaft in der P. Gruppe ein Schneeballsystem. Die Ansprüche der Anleger haben nicht mehr vollständig aus den Mitteln und der Liquidation der P. Equipment & Finance Corp. erfüllt werden können. Es sei versucht worden, die auftretenden Liquiditätslücken mit neuem Anlegerkapital zu decken, welches über die deutschen Vertriebsgesellschaften an die P. Equipment weitergeleitet worden sei. Die Gelder neuer Anleger seien nicht mehr für den Kauf von Containern verwendet worden, sondern für die Auszahlungen an Altanleger. Zu Beginn des Jahres 2018 sei das System zusammengebrochen, da nicht mehr genügend neue Anleger eingeworben werden konnten, um die Altanleger zu befriedigen. Diese Feststellungen sind zugrunde zu legen.
111
Danach haben die Gesellschaften der P. Gruppe es bei arbeitsteiligem Zusammenwirken unternommen, die Anleger zu beschwindeln. Die deutschen Vertriebsgesellschaften haben Anleger geworben und von diesem zum Erwerb von Containern Geld vereinnahmt, das dann – entgegen der eingegangenen vertraglichen Verpflichtung – von der Schweizer Firma nicht hierfür verwandt worden ist. Eine objektive Sittenwidrigkeit liegt vor.
112
Der Einwand der Beklagten, sie habe lediglich zugestanden, dass die Schweizer Gesellschaft ein Schneeballsystem betreibe, dass auf Ebene der deutschen Gesellschaften ein Schneeballsystem betrieben worden sei, sei ausdrücklich bestritten worden, führt nicht weiter. Denn ohne das Anwerben der Anleger zur Beschaffung neuen Kapitals ist ein Schneeballsystem nicht denkbar. Diesen Teil übernahmen in der P. Gruppe die deutschen Vertriebsgesellschaften. Sie waren daher jedenfalls in objektiver Hinsicht unabdingbarer Teil des sittenwidrigen Schneeballsystems. Der Aufbau eines Containerfehlbestandes war ohne Zutun der deutschen Vertriebsgesellschaften überhaupt nicht möglich.
113
W. S. war seit 20.02.2013, also vor Abschluss der hier maßgeblichen Verträge, Geschäftsführer der hier vertragschließenden Vertriebsgesellschaften. Als Vertriebsgeschäftsführer war er für die Beschaffung neuer Anleger und den Abschluss neuer Verträge verantwortlich, seine Funktion war für das Gesamtsystem, wie dargelegt, unerlässlich. Er war damit an dem beschriebenen Schneeballsystem unmittelbar und in herausgehobener Funktion beteiligt.
114
bb) W. S. hat aber auch subjektiv sittenwidrig gehandelt, indem er sich für dieses System hat einspannen lassen und es zugleich zumindest leichtfertig unterlassen hat, sich über die rechtlichen Rahmenbedingungen – insbesondere auch die Erfüllung der Eigentumsverschaffungspflicht – zu vergewissern.
115
(1) Dies war bereits von Anfang an der Fall. Wie bereits das Landgericht zurecht ausgeführt hat, war Herrn S. bewusst, dass die deutschen Vertriebsgesellschaften und er als deren Geschäftsführer – nach eigenem Vortrag – weder eigene Informationen über die Art der Verwendung der weitergeleiteten Gelder durch die P. Equipment & Finance Corp. hatten, noch die Möglichkeit bestand, insoweit Informationen von der P. Equipment & Finance Corp. zu erlangen, da Herr H. R. insoweit eine strikte „Informationsabschottung“ betrieb. Herr S. war sich mithin auch bewusst, dass mangels Überprüfbarkeit des Containerbestands der Abschluss von Vertriebs- und Verwaltungsverträgen über tatsächlich nicht existierende Container, sog. „Leerverkäufe“, möglich und nicht kontrollierbar war und ihm war auch bekannt, dass keine Informationen von der P. Equipment & Finance Corp. über die Verwendung des Geldes zu erhalten waren. Das legt die Folgerung nahe, dass sich Herr S. in seiner herausgehobenen und wesentlichen Funktion im Rahmen des Vertriebs der Anlage für dieses Schneeballsystem hat einspannen lassen, ohne sich über die rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen dieses Vertriebssystems zu vergewissern.
116
Hierfür spricht auch, dass jedenfalls hinsichtlich der Jahresabschlüsse ab 2010 bis 2016 lediglich eingeschränkte Bestätigungsvermerke erteilt wurden, da nicht nur Angaben zu den Gesamtbezügen der Geschäftsführer, sondern auch Angaben zu nicht in der Bilanz enthaltenen Geschäften bzw. der Gesamtbetrag der sonstigen finanziellen Verpflichtungen fehlten (vgl. Insolvenzgutachten S. 72 ff., für die P. Container; PwC Gutachten, S. 30). Bei Vorhandensein nur eingeschränkter Bestätigungsvermerke musste W. S. das Geschäftsmodell schon bei Übernahme der Geschäftsprüfung einer besonders eingehenden Kontrolle unterziehen. Hieran vermag auch der Einwand einer fehlenden Ressortzuständigkeit nichts zu ändern, denn zur Vertriebszuständigkeit gehört jedenfalls auch, ein plausibles Geschäftsmodell anzubieten. Dabei muss er aber die eigene Bonität und die Wirtschaftlichkeit und Plausibilität des Geschäftsmodells ständig überprüfen.
117
Selbst wenn W. S. von dem Vorhandensein der nur eingeschränkten Bestätigungsvermerke keine Kenntnis gehabt hätte, würde ihn dies als Geschäftsführer jedenfalls nicht entlasten, sondern würde nur ein weiteres leichtfertiges Unterlassen darstellen, sich über die rechtlichen Rahmenbedingungen zu informieren und diese zu überprüfen.
118
(2) Spätestens aber mit auch nur grober Kenntnis der vom Landgericht überzeugend festgestellten Containerfehlbestände lagen für Herrn S. Umstände vor, die das (weitere) Betreiben eines „Schneeballsystems“ als naheliegend erscheinen haben lassen.
119
(aa) Zumindest grobe Kenntnis der Containerfehlbestände hat Herr S. spätestens bei der Aufsichtsratssitzung vom 04.06.2014 und der dortigen Erörterung des „Projekts Isar“ erhalten.
120
Im Auftrag der P. AG war eine Analyse der Datenbestände zwischen den deutschen Gesellschaften und der schweizerischer Gesellschaft erfolgt, deren Zwischenergebnis in der – wohl von Herrn Dr. B. erstellten – Präsentation vom 17.03.2014 (Projekt I., Anlage K 7) enthalten ist. Auch wenn der Beklagten zuzugeben ist, dass diese Anlage schwer lesbar und schwer verständlich ist, so lässt sich daraus doch objektiv entnehmen, dass es danach zum Ende des ersten Quartals 2014 einen Fehlbestand von 516.743 CEU gegeben haben soll (K 7, dort bei P. AG „Aktive CEU: 1.802.597 CEU von deutschen Vertriebsgesellschaften verwaltet, bei P. EF unter „CEU zum Periodenende“: 1.285.854 CEU, damit ein Fehlbestand von 516.743 CEU nach dieser Berechnung).
121
Diese Präsentation war laut Deckblatt an die Organe der P . AG gerichtet, zu denen zu diesem Zeitpunkt Herr F. und Herr S. gehört haben. Soweit die Beklagte gleichwohl bestreitet, dass Herr S. über die maßgebliche Ergebnisse des Projekts I. informiert worden sei und dass diesem die Präsentation vom 17.03.2014 zugegangen sei, ist bisher nicht ersichtlich, woher die Beklagte als Erbin dies zu wissen glaubt. Für ein Bestreiten mit Nichtwissen, wie im weiteren Schriftsatz vom 08.04.22 (Bl. 257) klargestellt, sind die Voraussetzungen bereits nicht dargetan, nachdem auch insoweit für die Beklagte als Erbin zumindest eine Erkundigungspflicht besteht (BGH NJW 1990, 453; vgl. T/P § 139 Rn. 20). Insoweit sei vorsorglich auch auf die als Anlage K 11 vorgelegte polizeiliche Aussage der Mutter der Beklagten hingewiesen, wonach ihr Mann gesagt habe, dass es da eine kleine Lücke im Containerbestand gebe, die er aber innerhalb von zwei Jahren schließen könne.
122
Ausweislich des Protokolls Anlage K 13 hat Herr S. das Projekt I. in der Aufsichtsratssitzung am 04.06.2014 aber sogar von sich aus angesprochen. Dass dies ohne Kenntnis der Präsentation vom 17.03.2014 erfolgt sein soll, erscheint dem Senat wenig glaubhaft. In diesem Protokoll heißt es: “Anschließend sprach Herr S. das Thema Flottenproblematik Deutschland Schweiz an (I.). Herr S. verweist auf die Herren R. und deren bessere Erkenntnis zu diesem Sachverhalt. Derzeit kann durch eine neu entwickelte Software die Container Flotte detaillierter analysiert und abgeglichen werden (Inventur). Die Ergebnisse werden nicht in Zahlen benannt. Der Aufsichtsratsvorsitzende R. schilderte ausführlich, dass die Flottenproblematik seiner Ansicht nach innerhalb der nächsten zwei Jahre nahezu gelöst sei.“ Zumindest eine Kenntnis der in der Aufsichtsratssitzung besprochenen Sachverhalte wird von der Beklagten auch nicht in Abrede gestellt (vgl. SS v. 08.04.22, S. 257).
123
Danach war, unabhängig von der Kenntnis konkreter Zahlen, jedenfalls spätestens zu diesem Zeitpunkt eine grobe Kenntnis einer „Flottenproblematik“ – da P. keine Schiffe betrieben hat, können damit nur die Container gemeint sein – der deutschen Gesellschaften und der Schweizer Gesellschaft auch bei Herrn S. vorhanden, die zumindest Anlass für weitere Nachforschungen hätte sein müssen. Auch das Weiterbetreiben eines danach von Herrn S. zumindest zu vermutenden Schneeballsystems für weitere zwei Jahre erschiene im Übrigen noch sittenwidrig.
124
(bb) Der Senat ist aber darüber hinaus der tatrichterlichen Überzeugung, dass W. S. auch konkrete Kenntnis von dem Containerfehlbestand hatte. Dass damit Verträge der P. Gesellschaften mit Anlegern nicht erfüllt wurden und damit ein Schneeballsystem betrieben wurde, lag auf der Hand.
125
Der Inhalt der Aufsichtsratssitzung mit der expliziten Nachfrage des W. S. zum Projekt Isar spricht bereits dafür, dass die auch an ihn andressierte Präsentation zum „Projekt I“ W. S. erreichte. Dass er dies ohne Kenntnis der an ihn adressierten Präsentation vom 17.02.2014 getan haben soll, erscheint dem Senat, wie dargelegt, nicht glaubhaft.
126
Dies deckt sich im übrigen auch mit den klägerseits vorgelegten polizeilichen Vernehmungsprotokollen Anlagen K 8 – 11. Wie oben bereits ausgeführt, hat dort die Mutter der Beklagten selbst eingeräumt, dass ihr Mann ihr von einer „kleinen Lücke“ im Containerbestand berichtet habe, die er aber innerhalb von zwei Jahren schließen könne. Wenn man zum Schließen zwei Jahre braucht, kann die Lücke aber wohl nicht ganz so klein gewesen sein. Ferner gab Herr B. dort an, er denke, dass seine E-Mail, mit der er den Mitgeschäftsführer F. über den Containerfehlbestand informiert habe, auch in cc an Herrn S. gegangen sei (Anlage K 8). Die ebenfalls vernommene Mitarbeiterin L. meinte, dass sowohl bei der Auftragserteilung zum „Projekt I.“ als auch bei der Vorstellung der Ergebnisse Herr S. zugegen gewesen sei (Anlage K 9). Schließlich gab auch der Gründer der P. Gruppe, Herr H. R., in seiner Vernehmung an, jedenfalls W. S. habe von den Fehlbeständen gewusst (Anlage K 10).
127
Auch deckt sich dies mit den senatsbekannten Ermittlungsergebnissen der Staatsanwaltschaft München I in einem Ermittlungsverfahren gegen den Abschlussprüfer der deutschen P. wegen Beihilfe zum Betrug. In der Einstellungsverfügung gem. § 170 II StPO vom 29.07.2020, Az. 323 Js 183478/18, hat die Staatsanwaltschaft ausgeführt, dass die damalige Geschäftsführung der deutschen P. bereits im Jahr 2012 begonnen habe, das Verhältnis von Ist- und Soll-Bestand der Container näher zu analysieren. Im Jahr 2014 sei im Rahmen des Projekts Isar die Problematik von der Geschäftsführung in vollem Umfang erfasst worden, aber das Unternehmen dennoch fortgeführt worden. Während das Container-Delta im Jahr 2016 ca. 48% betragen habe, sei die Lücke bis zu Insolvenz im März 2018 auf gut 61% angewachsen.
128
cc) Dieses sittenwidrige Verhalten des Geschäftsführers W. S. war jedenfalls für die aus den Vertragsschlüssen während seiner Geschäftsführerzeit entstandenen Schäden kausal.
129
Auch die Zurechenbarkeit ist gegeben, da klar ist, dass die Käufer darauf vertrauen, dass die P. kein Schneeballsystem betreibt, und nur unter dieser Prämisse die vertraglichen Beziehungen mit der P. Gesellschaft eingehen. Die Neuanleger sind auch vom Schutzzweck des § 826 BGB gedeckt, § 826 BGB soll gerade Vertragspartner vor sittenwidriger Schädigung schützen.
130
Der Schaden liegt nach der Differenzhypothese auch hier, wie vom Landgericht richtig festgestellt, im Abschluss des jeweiligen Kauf- und Verwaltungsvertrages. Dabei hat sich die Klägerin Vorteile, wie die erhaltenen Mietzinsen, anrechnen zu lassen. Im übrigen wurde die Höhe des geltend gemachten Schadens von Beklagtenseite nicht gerügt, weitere Ausführungen erübrigen sich daher.
131
dd) W. S. handelte insoweit auch mit Schädigungsvorsatz.
132
Zum Vorsatz gehört, dass der Schädiger Art und Richtung des Schadens und die Schadensfolgen vorausgesehen und die Schädigung zumindest, mag er sie auch nicht wünschen, doch zur Erreichung seines Ziels billigend in Kauf genommen hat.
133
Für den Nachweis lässt sich häufig aus der Art und Weise, in der sich das sittenwidrige Verhalten kundtut, folgern, dass der Täter bezüglich der Schädigung vorsätzlich gehandelt hat (BGH WM 1995, 882).
134
Insbesondere lässt sich der Nachweis bedingten Vorsatzes oft nur dahin erbringen, der Schädiger habe so leichtfertig gehandelt, dass daraus im Sinne eines Indizes gefolgert werden kann, er habe eine Schädigung des anderen Teils billigend in Kauf genommen (BGH NJW 2008, 2245). So liegt es in der Regel bei Durchführung eines Vorhabens in Kenntnis bzw. Offensichtlichkeit starker Gefährdung eines Rechtsguts, deren Verwirklichung zwar dem Zufall überlassen wird, aber naheliegt (BGH NJW 04, 446; NJW-RR 13, 550).
135
So liegt der Fall hier. Indem W. S. die Geschäfte führte, obwohl er wusste, dass er die Einhaltung der vertraglichen Verpflichtungen und die Verwendung des angelegten Geldes durch die Schweizer Gesellschaft in keiner Weise kontrollieren konnte und damit auch keinen Überblick über die finanzielle Lage und die Profitabilität des Anlagemodells hatte, war die Vornahme von „Leerkäufen“ möglich und bei Verschlechterung des Schiffcontainermarktes angesichts der garantierten Mieten und den faktisch zugesagten Rückkäufen sogar nahliegend. Spätestens ab dem 04.06.2014 wusste er jedenfalls auch, dass es eine Flottenproblematik gab bzw. hatte er Kenntnis von den Containerfehlbeständen (vgl. o). Mit der Fortführung der Geschäfte unter diesen Bedingungen nahm er eine Schädigung der vertragschließenden Anleger jedenfalls billigend in Kauf. Ihm klar, dass diese im Falle eines Schneeballsystems keine werthaltigen Gegenforderungen erhielten.
136
c) Spätestens ab dem Zeitpunkt der (groben) Kenntnis vom Containerfehlbestand (jedenfalls ab 04.06.20) ist aber auch eine Haftung des H. S. wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung gemäß § 826 BGB gegeben. Die vorsätzliche Insolvenzverschleppung in der Absicht, das als unabwendbar erkannte Ende eines Unternehmens so lange wie möglich hinauszuzögern, erfüllt den Tatbestand einer sittenwidrigen Schädigung i.S.d. § 826 BGB, wenn dabei die Schädigung der Unternehmensgläubiger billigend in Kauf genommen wird (BGH Urteil v. 27.7.21 – II ZR 164/20, BeckRS 2021, 22748).
137
4. Die Feststellungsanträge sind ebenfalls begründet. Die Berufung der Beklagten hat auch insoweit keinen Erfolg.
138
Der Antrag auf Feststellung der Verpflichtung zur Freistellung ist, wie das Landgericht zutreffend annimmt, begründet. In Hinblick auf das Insolvenzverfahren besteht die Gefahr von Rückforderungen, die Klägerin kann insoweit Freistellung verlangen.
139
Die Feststellung des Annahmeverzugs war, wie geschehen, ebenfalls auszusprechen. Die Beklagte befindet sich gemäß § 293 BGB in Annahmeverzug. Die Klägerin hat ihrerseits die Übertragung der Rechte Zug um Zug angeboten. Nachdem sich die Beklagte bereits dem Grunde nach gegen den Anspruch wehrte, war ein wörtliches Angebot ausreichend.
140
Angesichts des Fehlens einer Rüge in der Berufung erübrigen sich tiefergehende Erörterungen hinsichtlich der Feststellungsanträge.
141
5. Gleiches gilt hinsichtlich der zugesprochenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten, die insoweit nicht gesondert von der Beklagten in der Berufung gerügt werden.
142
C. Die Berufung der Klägerin ist ganz überwiegend begründet. Die Berufung richtet sich gegen die Abweisung der Klage durch das Landgericht hinsichtlich einer Haftung für die Zeichnung nach Beendigung der Geschäftsführertätigkeit von Herrn S. (Vertrag vom 16.07.16), sowie die ebenso insoweit abgewiesenen Feststellungsanträge und weiteren vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Auch insoweit haftet die Beklagte aber; lediglich hinsichtlich der weiteren vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten hat die Berufung teilweise keinen Erfolg.
143
1. Entgegen der Auffassung des Landgerichts greift eine Haftung auch für diese Zeichnung ein.
144
a) Dabei ergibt sich der Anspruch gegen die Beklagte als Gesamtrechtsnachfolgerin des Wolfgang S. bereits aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15 a InsO.
145
aa) Der Senat teilt zwar im Ergebnis weitgehend die Bedenken des Landgerichts, dass sich eine Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15 a InsO auch auf Zeichnungen nach Beendigung der Tätigkeit als Geschäftsführer erstrecken würde. Von einem ehemaligen Geschäftsführer kann wohl entgegen der h.M. in der Lit. nicht verlangt werden, auf seinen etwaigen Nachfolger oder die Gesellschafter bzgl. der Antragspflicht einwirken zu müssen (so Baumbach/Hueck/Haas § 64 Rn. 151; Gottwal/Kolmann-Kurz, Insolvenzrechts-Handbuch, § 90 Rn. 84; aA LutterHommelhoff-Kleindiek Anh. zu § 64 Rn. 104; ebenso Rowedder/M. Schmidt-Leithoff-Schneider Rn. 74; Scholz-K Schmidt § 64 Rn. 171; Ulmer/Casper § 64 Rn. 38), da dem Ex-Geschäftsführer regelmäßig die rechtliche Handhabe fehlt, um entsprechenden Einfluss auf die verbliebenen Antragspflichtigen auszuüben. Die Haftung und Verantwortlichkeit des Geschäftsführers im Außenverhältnis beschränkt sich daher auf die vor Amtsbeendigung entstandenen Verschleppungsschäden; für spätere Schäden haften etwaige verbliebene Antragspflichtige (vgl. Saenger/Inhester, GmbHG, vor § 64 Rn. 159, 160, beck-online, unter Hinweis auf BGH NJW 2005, 3137).
146
Dort (NJW 2005, 3137) hat der BGH u.a. ausgeführt, dass eine Täterschaft eines ehemaligen Geschäftsführers im Sinne der – nur Geschäftsführer erfassenden – §§ 64 I, 84 I Nr. 2 GmbHG nicht in Betracht komme, was einer Gehilfenhaftung gem. § 830 II BGB, allerdings nicht entgegenstünde. Dafür sei aber als Folgeverhalten ein reines Unterlassen mangels Garantenstellung nicht haftungsrelevant.
147
Daher dürfte eine „Nachhaftung“ aus § 15 a InsO i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB für Verträge nach der Abberufung von Herrn S. als Geschäftsführer der P . Container und Gebrauchtcontainer GmbH am 27.06.2016 wohl grundsätzlich ausscheiden.
148
bb) Hier wurde der letzte streitgegenständliche Vertrag jedoch bereits am 6./7.07.2016 und somit weniger als 3 Wochen nach dem Ausscheiden von Herrn S. als Geschäftsführer geschlossen. Das wirft die Frage auf, ob nicht zumindest für die 3-Wochenfrist des § 15 a InsO eine zeitliche „Nachhaftung“ des früheren Geschäftsführers angenommen werden muss, weil der neue Geschäftsführer selbst wohl erst nach Ablauf von weiteren 3 Wochen seit seiner Bestellung selbst antragspflichtig werden kann, deshalb ansonsten eine zeitliche Schutzlücke bestünde und dies ansonsten Anreiz für Ketten-Geschäftsführerbestellungen zu Umgehung der Antragspflicht sein könnte.
149
Ferner ist vorliegend zu bedenken, dass Wolfgang S. bis 08.07.16 zumindest noch Geschäftsführer der P. Transport Container GmbH sowie Vorstand der P. AG (ausweislich des in Bezug genommenen Insolvenzgutachtens noch bis 13.09.2016) war. Angesichts der Verflechtungen der P. Gesellschaften hätte auch ein diesbezüglich pflichtgemäß gestellter Insolvenzantrag (die gesamte P. Gruppe befindet sich mit zeitnah gestellten Anträgen in der Insolvenz) dazu geführt, dass ein geschäftlicher Kontakt der Kläger unterblieben wäre.
150
Abgesehen davon war die Klägerin bereits zuvor Kundin der P . und es war durchaus üblich und angesichts des Geschäftsmodells mit Container- und Gebrauchtcontainer Gesellschaft auch gewollt und daher für W. S. absehbar, dass diese weitere Verträge auch nach seiner Abberufung als Geschäftsführer abschließen würde.
151
Daher erscheint eine Einbeziehung in den Schutzzweck zumindest in diesem Fall gerechtfertigt.
152
b) Entgegen der Auffassung des Landgerichts greift aber jedenfalls die oben dargelegte Haftung aus § 826 BGB auch für Zeichnungen nach Beendigung der Geschäftsführertätigkeit von Herrn S. ein:
153
aa) Auch bei Verneinung einer Haftung nach § 15 a InsO iVm § 823 Abs. 2 BGB ist eine Haftung nach § 826 BGB möglich. Für etwaige Ansprüche aus § 826 BGB müsste – neben einem Schädigungsvorsatz – unter anderem auch die Kausalität eines sittenwidrigen Handelns des früheren Geschäftsführer für den Ausfallschaden – nach Maßgabe des § 287 ZPO – nachgewiesen werden (BGH NJW 2005, 3137).
154
bb) Wie oben dargelegt, hat Herr S. vor dem Vorliegen eines Schneeballsystems und der Insolvenzreife der P.-Gruppe zumindest die Augen verschlossen und damit auch subjektiv sittenwidrig gehandelt. Für den Schädigungsvorsatz ist dabei nicht erforderlich, dass der Schädiger die Einzelheiten des Schadensverlaufs bzw. Höhe und Umfang des Schadens vorausgesehen hat oder der Schädiger die konkret geschädigten Personen oder deren Zahl kennt (BGH NJW 2004, 2971). Es genügt, dass er die Richtung, in der sich sein Verhalten zum Schaden anderer auswirken könnte und die Art des möglicherweise eintretenden Schadens vorausgesehen und mindestens billigend in Kauf genommen hat (BGH NJW-RR 2013, 550). Die Annahme eines Vorsatzes iSv § 826 BGB setzt nicht voraus, dass der Täter nicht weiß, welche oder wieviele Personen durch sein Verhalten geschädigt werden (BGH Urt. v. 27.7.2021 – II ZR 164/20, BeckRS 2021, 22748).
155
Ein Verhalten kann hinsichtlich der Herbeiführung bestimmter Schäden, insbesondere auch hinsichtlich der Schädigung bestimmter Personen, als sittlich anstößig zu werten sein, während ihm diese Qualifikation hinsichtlich anderer, wenn auch ebenfalls adäquat verursachter Schadensfolgen nicht zukommt. Die Ersatzpflicht aus § 826 BGB beschränkt sich in einem solchen Fall auf diejenigen Schäden, die dem in sittlich anstößiger Weise geschaffenen Gefahrenbereich entstammen (BGH Urt. v. 27.7.2021 – II ZR 164/20, BeckRS 2021, 22748, Rn. 38).
156
Mit der Fortführung der Geschäfte unter den dargelegten Bedingungen nahm Herr S. daher eine Schädigung der zukünftig vertragschließenden Anleger zumindest billigend in Kauf. Ihm muss klar gewesen sein, dass sein vorheriges Verhalten, nämlich über drei Jahre an einem Schneeballsystem maßgeblich beteiligt gewesen zu sein, ohne einen Insolvenzantrag zu stellen, noch zu weiteren Schäden bei weiteren Anlegern führen würde, sofern diese Geschäftstätigkeit nicht insgesamt durch Insolvenzantrag oder anders beendet würde. Auch diese Schäden entstammen noch dem in sittlich anstößiger Weise von Herrn S. geschaffenen Gefahrenbereich. Dabei konnte er sich insbesondere nicht darauf verlassen, dass sein Nachfolger als Geschäftsführer, im Gegensatz zu ihm, seiner Insolvenzantragspflicht genügen würde.
157
cc) Das sittenwidrige Verhalten des W. S. war für den Schaden auch kausal. Eine Einschränkung unter dem Gesichtspunkt des Schutzzwecks der Norm ist nicht geboten.
158
Die Haftung gem. § 826 BGB im Zusammenhang mit einer Insolvenzverschleppung hat neben der Haftung gem. § 823 Abs. 2 BGB iVm § 15a InsO Bedeutung, weil sie in personeller Hinsicht weiter reicht. Das Verbot des § 826 BGB richtet sich an jedermann, ist also nicht auf die gem. § 15a InsO Antragspflichtigen beschränkt. Außerdem hat der BGH wiederholt ausgesprochen, dass der Anspruch gem. § 826 BGB auch nicht den schutzzweckspezifischen Schranken unterliegt, die für die Insolvenzverschleppungshaftung gem. § 823 Abs. 2 BGB iVm § 15a InsO gelten (MüKoInsO/Klöhn, 4. Aufl. 2019, InsO § 15a Rn. 296). Denn erstens entspricht diese Auslegung dem Zweck des § 826 BGB als Auffangtatbestand, zweitens wird der weitere Haftungsbereich des § 826 BGB durch die strengen Anforderungen an die schädigende Handlung und den Vorsatz ausgeglichen (MüKoInsO/Klöhn, 4. Aufl. 2019, InsO § 15a Rn. 308; ähnlich Senat, Verfügung vom 09.12.2021 – 8 U 6063/21,BeckRS 2021, 43191, zum Abschlussprüfer von Wirecard).
159
Das sittenwidrige Unterlassen der Insolvenzantragstellung durch W. S. erfolgte gerade mit dem Ziel, möglichst viele Anleger noch zur Zeichnung zu bewegen. Auch die Anleger, die erst nach seinem Ausscheiden als Geschäftsführer gezeichnet haben, sind wegen dieses sittenwidrigen Unterlassens danach noch eine „ungewollte“ Verpflichtung unter Verletzung ihres wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts eingegangen. Auch diese Schädigung stellt noch die zwangsläufige Folge des Unterlassens der Insolvenzantragstellung durch S. dar und liegt unmittelbar in der Zielrichtung seines sittenwidrigen Unterlassens. Insbesondere konnte er sich nicht darauf verlassen, dass sein Nachfolger als Geschäftsführer, im Gegensatz zu ihm, seiner Insolvenzantragspflicht genügen würde. Es besteht, wie oben dargelegt, bei W. S. i.R.v. § 826 BGB auch kein Anlass, die Haftung für dieses fraglos auch für die späteren Schäden kausale sittenwidrige Unterlassen des Insolvenzantrags zu begrenzen.
160
2. Die Feststellungsanträge sind daher ebenfalls insoweit begründet.
161
3. Dementsprechend sind die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten aus dem nun höheren zugrunde zulegenden Streitwert und der vom Landgericht zugrunde gelegten 1,3 Gebühr zu gewähren. Für eine weitere Erhöhung des Ansatzes von 1,3 ist jedoch nichts vorgetragen. Nur insoweit ist die Berufung der Klägerin daher erfolglos.
162
D. Zum Vorbehalt der Beschränkung auf den Nachlass des W. S. gilt folgendes:
163
Die Berufungen beziehen sind nach Auslegung der Anträge auch auf den ausgesprochenen Vorbehalt der beschränkten Erbenhaftung, wobei die Klägerin gemäß ihrem Berufungsantrag eine vorbehaltlose Verurteilung, die Beklagte die Ausweitung des Vorbehalts auch auf die Prozesskosten begehrt (vgl. BB Beklagte S. 20, Bl. 206).
164
Zurecht hat das Landgericht der Beklagten die Beschränkung auf den Nachlass gemäß § 780 ZPO vorbehalten, hiervon aber die Prozesskosten ausgenommen.
165
Gemäß § 780 ZPO war der Beklagten als Erbin des W. S. die Beschränkung ihrer Haftung auf den Nachlass, wie geltend gemacht, vorzubehalten. Dieser Vorbehalt bezieht sich aber, wie das Landgericht zurecht angenommen hat, nicht auf die Prozesskosten. Wegen der Kosten eines Rechtsstreits gegen den Erben kann der Erbe eine Haftungsbeschränkung auf den Nachlass nur dann erfolgreich geltend machen, wenn die Kosten bereits durch die Prozessführung des Erblassers veranlasst wurden (BeckOK ZPO/Preuß, § 780 Rn. 18, 19). Auch der BGH geht davon aus, dass etwa die Kosten eines Revisionsverfahrens keine Nachlassverbindlichkeiten, sondern Eigenschulden darstellen, weil ein Kläger die Revision erst nach dem Tod des Erblassers eingelegt hat (BGH, Beschluss v. 13.1.2004 – XI ZR 35/01, BeckRS 2004, 01156).
166
Da vorliegend die Klage von vornherein gegen die Erbin erhoben wurde, handelt es sich bei den Prozesskosten daher nicht um eine Erblasserverbindlichkeit, sondern um selbst veranlasste Kosten des Erben. Dies gilt entgegen der Ansicht der Beklagten, wie oben dargelegt, unabhängig davon, ob es sich um einen Aktiv- oder einen Passivprozess des Erben handelt.
167
Das landgerichtliche Urteil ist insoweit zutreffend, die Berufungen der Klägerin und der Beklagten haben insoweit keinen Erfolg.
168
Auch hinsichtlich der Haftung für den weiteren Vertrag vom 06.07.16 war gemäß § 780 ZPO der Vorbehalt der Beschränkung der Haftung auf den Nachlass des W. S. auszusprechen (s.o.). Dies wird als „weniger“ als die inhaltlich begehrte Klageabweisung (vgl. BB S. 3, Bl. 189) von der Berufung der Beklagten bzw. deren Antrag auf Zurückweisung der Berufung der Klägerin umfasst, zumal der Vorbehalt nach § 780 ZPO in der Berufung ausdrücklich im Falle eines Zusprechens nicht angegriffen werden sollte.
III.
169
1. Der Streitwert wurde – nachdem von beiden Seiten Berufung eingelegt wurde – entsprechend dem Gesamtzahlungsbetrag zuzüglich des Wertes für den Feststellungsantrag, der hier mit 80% der Mietauszahlungen beziffert wurde, da die Rückforderung durch den Insolvenzverwalter droht, auf bis zu 80.000 € festgesetzt (§§ 47, 48 GKG, § 3 ZPO). Auf den Streitwertbeschluss im Termin vom 28.04.22 wird insoweit Bezug genommen.
170
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, 91, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
171
4. Die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
172
5. Die Revision zum Bundesgerichtshof wird zugelassen, soweit der Senat in der vorliegenden Entscheidung angenommen hat, dass die Beklagte als Rechtsnachfolgerin des W. S. auch für die Zeichnung der Klägerin haftet, die nach der Abberufung des W. S. als Geschäftsführer der vertragschließenden Gesellschaft erfolgt ist. Nach Auffassung des Senats hat der BGH über die Frage einer derartigen Nachhaftung eines ausgeschiedenen Geschäftsführers im Zusammenhang mit einer (vorsätzlichen) Insolvenzverschleppung bzw. Aufrechterhaltung eines Schneeballsystems (§ 826 BGB, § 823 Abs. 2 BGB i. V.m. § 15 a InsO) bisher nicht entschieden.
173
Darüber hinaus besteht kein Anlass zur Zulassung der Revision. Die Rechtslage ist im übrigen hinreichend geklärt. Dies gilt auch für die Frage der Passivierung der Rückkaufverpflichtungen. Unterschiedliche tatrichterliche Auslegungen – etwa hinsichtlich der subjektiven Sittenwidrigkeit des W. S. oder der Auslegung der Vertragsbedingungen betreffend die Rückkaufverpflichtungen – würden außerdem nicht zwangsläufig zu einer Divergenz im Sinne des Revisionsrechts führen. Gelangt ein Berufungsgericht im Einzelfall trotz identischen Sachverhalts zu einem anderen Ergebnis als ein anderes gleich- oder höherrangiges Gericht, so begründet dies für sich allein nicht die Notwendigkeit der Revisionszulassung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Es kommt vielmehr darauf an, ob eine Divergenz in Rechtsfragen oder ein Rechtsfehler mit symptomatischer Bedeutung vorliegt (BGH, Beschluss vom 16.09.2003 – XI ZR 238/02). Beides ist hier nach Einschätzung des Senats nicht der Fall.