Inhalt

LG München I, Endurteil v. 15.12.2022 – 28 O 13802/22
Titel:

Leistungsverweigerungsrecht, Darlehensverträge, Feststellung des Annahmeverzugs, Verfahrensaussetzung, Rechtsmißbrauch, Elektronisches Dokument, Widerrufsfolgen, Widerrufsinformation, Beginn der Widerrufsfrist, Widerrufsrecht, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Streitwert, Elektronischer Rechtsverkehr, Feststellungsantrag, Gläubigerverzug, Vorfälligkeitsentschädigung, Willenserklärungen, Verbundene Verträge, Klagepartei, Kostenentscheidung

Schlagworte:
Annahmeverzug, Leistungsverweigerungsrecht, Fälligkeit, Rückgabepflicht, Gläubigerverzug, Vorlagepflicht, Kostenentscheidung
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 13.06.2023 – 19 U 313/23 e
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 02.07.2024 – XI ZR 132/23
Fundstelle:
BeckRS 2022, 58632

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 48.832,95 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit des Widerrufs eines Darlehensvertrages.
2
Der Kläger schloss mit der Beklagten am 13.03.2017, vermittelt über die … einen Darlehensvertrag (Anlagen K1) über einen Nettodarlehensbetrag von 44.175,16 €. Das Darlehen diente der Finanzierung eines Neuwagens … mit der Fahrgestellnummer …. Der Kaufpreis des Fahrzeugs betrug 44.400,02 €. Vereinbart wurde eine Anzahlung in Höhe von 1.360,00 €, eine Ratenschutzversicherung Tod und Arbeitsunfähigkeit in Höhe von 1.135,14 € und ein Bruttodarlehensbetrag in Höhe von 46.337,93 €. Das Darlehen sollte in 35 monatlichen Raten in Höhe von jeweils 499,88 € und einer Schlussrate in Höhe von 28.842,01 € zurückbezahlt werden.
3
Das Darlehen wurde vollständig an den Händler ausbezahlt.
4
Die Ratenzahlung begann vereinbarungsgemäß am 15.06.2017 und erfolgte regelmäßig.
5
Im April 2020 wurde die Klagepartei von der Beklagten auf die in Kürze fällige Zielrate hingewiesen. Die Zielrate wurde in der Folge ordnungsgemäß bezahlt, woraufhin sich die Beklagte für den Ausgleich des Finanzierungskontos bedankte und mitteilte, dass unter der Voraussetzung, dass es zu keinen Rückbuchungen kommt, alle ihre Forderungen aus dem Darlehensvertrag erfüllt sind. Gleichzeitig gab die Beklagte ihr Sicherungseigentum an dem Fahrzeug auf und übersandte der Klagepartei mit Schreiben vom 02.07.2020 (Anlage B4) die Zulassungsbescheinigung Teil II.
6
Mit Schreiben vom 17.10.2021 (Anlage K4) erklärte der Kläger gegenüber der Beklagten den Widerruf der auf den Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärung. Gleichzeitig bot er das Fahrzeug inklusive Fahrzeugschlüsseln zur Übergabe am Firmensitz in … an. Die Beklagte hat den Widerruf mit Schreiben vom 21.10.2021 (Anlage K5) zurückgewiesen. Mit Schriftsatz vom 29.04.2022 hat die Beklagte den Kläger gebeten, das Fahrzeug in die … zu bringen. Der Klagepartei stehe es ebenfalls frei, das streitgegenständliche Fahrzeug am Sitz der Beklagten zurückzugeben.
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Ein tatsächlicher Rückgabeversuch fand bislang nicht statt. Das Fahrzeug ist bislang nicht zurückgegeben worden.
8
Die Klagepartei ist der Ansicht, dass die Widerrufsinformationen sowie die in dem Darlehensvertrag stehenden Angaben den vom Gesetzgeber gestellten Anforderungen nicht genügen, weshalb die Widerrufsfrist im Zeitpunkt des Widerrufs noch nicht abgelaufen sei. Der Kläger habe seine auf den Abschluss des streitgegenständlichen Darlehensvertrags gerichtete Erklärung daher wirksam widerrufen, sodass die einander gewährten Leistungen zurückzugewähren seien.
9
Vorliegend habe die Beklagte dem Kläger bereits lediglich eine Blankoversion der Vertragsunterlagen und damit keine Abschrift des Vertrags zur Verfügung gestellt. Die Angaben zum Beginn der Widerrufsfrist seien irreführend und intransparent, der Kaskadenverweis unzulässig. Es sei außerdem unzutreffend über die Widerrufsfolgen belehrt worden. Aufgrund von Abweichungen von der Muster-Widerrufsinformation gelte die Gesetzlichkeitsfiktion nicht. Außerdem enthalte der Darlehensvertrag fehlerhafte Angaben zum Verzugszinssatz, zur Vorfälligkeitsentschädigung, zum Schlichtungsverfahren und zum Kündigungsrecht. Insgesamt könne aber bereits allein aufgrund der Schriftgröße und der Unübersichtlichkeit von der geforderten Klarheit und Verständlichekit des streitgegenständlichen Darlehensvertrags nicht ausgegangen werden. Rechtsmissbrauch und Verwirkung lägen nicht vor.
10
Die Klagepartei beantragt, das Verfahren auszusetzen, bis der EuGH in der Rechtssache C-336/20 sowie in den Rechtssachen C-155/20 und C-187/20 entschieden hat. Außerdem wird beantragt, das Verfahren auszusetzen und dem EuGH gewisse Fragen zur Auslegung des Unionsrechts vorzulegen. Zuletzt wird beantragt, das Verfahren mit Blick auf den Vorlagebeschluss des BGH vom 31.01.2022 – XI ZR 113/21 u.a. auszusetzen.
11
Der Kläger beantragt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 48.832,95 € nebst 5 Prozentpunkte Zinsen p.a. über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit binnen sieben Tagen nach Übergabe des Fahrzeugs … mit der Fahrgestellnummmer … zu bezahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Fahrzeugs … mit der Fahrgestellnummer … in Verzug befindet.
12
Die Beklagte beantragt
Klageabweisung.
13
Hilfsweise für den Fall, dass der Kläger mit der Klage Erfolg haben sollte, beantragt die Beklagte:
Es wird festgestellt, dass die Klagepartei verpflichtet ist, jeden über den vorstehend bezifferten Wertverlust i.H.v. € 27.156,32 hinausgehenden Wertverlust des … mit der Fahrgestellnummer … sowie jeden weiteren Wertverlust bis zur tatsächlichen Rückgabe des Fahrzeugs, zu ersetzen.
14
Die Klagepartei beantragt
Abweisung der Hilfswiderklage
15
Außerdem erklärt die Beklagte für den Fall, dass der Kläger mit der Klage Erfolg haben sollte, die Aufrechnung mit einem Wertersatzanspruch in Höhe von 27.156,32 €.
16
Die Beklagte ist der Ansicht, dass der Klageantrag zu 2) bereits unzulässig sei.
17
Außerdem ist die Beklagte der Ansicht, die Widerrufsfrist von 14 Tagen sei bereits lange abgelaufen gewesen. Die verwendete Widerrufsinformation habe den zum Zeitpunkt der Erteilung geltenden gesetzlichen Bestimmungen entsprochen. Die erforderlichen Pflichtangaben seien erteilt worden. Jedenfalls stünde der Wirksamkeit eines Widerrufs der Einwand der Verwirkung und des Rechtsmissbrauchs entgegen. Im Übrigen sei die Klägerin jedenfalls zur Leistung von Wertersatz aufgrund der Nutzung des Fahrzeugs verpflichtet.
18
Sollte tatsächlich ein Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Zins- und Tilgungsraten bestehen, sei dieser jedenfalls nicht fällig. Die Beklagte beruft sich insoweit auf ihren Anspruch auf Verweigerung der Rückzahlung nach § 358 Abs. 4 S. 1 i.V.m. § 357 Abs. 4 BGB, solange sie das finanzierte Fahrzeug noch nicht zurückerhalten hat.
19
Das Gericht hat am 15.12.2022 mit den Parteien mündlich verhandelt. Zur Ergänzung des Tatbestands darf auf das hierzu erstellte Protokoll und im Übrigen auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen werden.

Entscheidungsgründe

I.
20
Die Klage ist zulässig.
21
Die Feststellung des Annahmeverzugs kann Gegenstand eines Feststellungsantrags sein (vgl. MüKoZPO/Becker-Eberhard, 5. Auflage 2016, § 256 Rz. 5).
II.
22
Hinsichtlich des Antrags unter Ziffer 1., mit dem die Zahlung von 48.832,95 € nach Herausgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs begehrt wird, fehlt es jedenfalls an der Fälligkeit des Anspruchs. Die Beklagte beruft sich diesbezüglich mit Erfolg auf das Leistungsverweigerungsrecht des § 358 Abs. 4 S. 1 i.V.m. § 357 Abs. 4 S. 1 BGB (Bl. 150 d.A.). Damit ist der Zahlungsanspruch – selbst bei unterstelltem wirksamen Widerruf – derzeit unbegründet.
23
Der Bundesgerichtshof hat im Urteil vom 27. Oktober 2020 – XI ZR 498/19 Folgendes ausgeführt:
„Nach § 358 Abs. 4 Satz 1 BGB sind auf die Rückabwicklung des verbundenen Vertrags unabhängig von der Vertriebsform § 355 Abs. 3 BGB und, je nach Art des verbundenen Vertrags, die §§ 357 bis 357b BGB entsprechend anzuwenden. Danach gelten für alle Verträge („unabhängig von der Vertriebsform“) § 355 Abs. 3 BGB und ergänzend die Vorschriften entsprechend, die nach der „Art des verbundenen Vertrags“ hypothetisch anwendbar wären, wenn dieser selbst widerrufen worden wäre, ohne dass es darauf ankommt, ob insoweit ein Widerrufsrecht bestanden hat. Dies ist bei einem – wie hier – Vertrag über die Lieferung einer Ware die Vorschrift des § 357 BGB.
Aufgrund dessen ist der Kläger nach § 358 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 357 Abs. 4 Satz 1 BGB im Hinblick auf die Rückgabe des finanzierten Fahrzeugs vorleistungspflichtig. Der Beklagten steht nach § 357 Abs. 4 Satz 1 BGB – was sie mit der Klageerwiderung geltend gemacht hat – gegenüber dem Kläger ein Leistungsverweigerungsrecht zu, bis sie das finanzierte Fahrzeug zurückerhalten hat oder der Kläger den Nachweis erbracht hat, dass er das Fahrzeug abgesandt hat.“
24
Dem schließt sich das Gericht vollumfänglich an. Die Beklagte hat sich auf ihr Leistungsverweigerungsrecht berufen.
25
Eine Verurteilung gemäß § 322 Abs. 2 BGB auf Leistung nach Rückgabe des Fahrzeugs kommt vorliegend nicht in Betracht, da sich die Beklagte derzeit nicht in Annahmeverzug befindet (vgl. OLG München, Beschl. v. 23.12.2021, 17 U 6483/21 m.w.N.). Das Schreiben vom 17.10.2021 (Anlage K4) war nicht geeignet, einen Annahmeverzug zu begründen.
26
Die Rückgabepflicht des Darlehensnehmers ist mangels anderweitiger Vereinbarung eine Bring- oder Schickschuld, die der Darlehensnehmer dem Darlehensgeber an dessen Wohnort anbieten oder an ihn absenden muss (OLG München, Beschl. v. 23.12.2021, 17 U 6483/21). Dass die Darlehensnehmerin der darlehensgebenden Bank das Fahrzeug an deren Wohnsitz tatsächlich angeboten oder an sie nachweisbar abgesandt hat (§ 294 BGB), hat sie nicht vorgetragen. In ihrem Widerrufsschreiben (Anlage K4) bietet sie lediglich an, das Fahrzeug am Firmensitz der Beklagten zu übergeben. Ihr wörtliches Angebot war zur Herbeiführung eines Annahmeverzugs der darlehensgebenden Bank jedoch unzureichend, weil dieses ihrer Vorleistungspflicht nicht genügt hat. Ein wörtliches Angebot reicht nur dann aus, wenn dieses zeitlich nach einer Verweigerung der Annahme durch die Beklagtenseite abgegeben worden wäre oder wenn zur Bewirkung der Leistung eine Handlung des Gläubigers erforderlich wäre – wie hier nicht, § 295 S. 1 BGB.
27
Selbst wenn ein Annahmeverzug bestanden hätte, wäre der Annahmeverzug nunmehr beendet. Der Gläubigerverzug endet, wenn sich der Gläubiger zur Annahme der angebotenen Leistung bereit erklärt oder eine sonstige Mitwirkungshandlung nachholt (MüKoBGB/Ernst, 8. Aufl. 2019, BGB § 293 Rn. 23). Der Schuldner muss, um den Gläubiger weiterhin in Annahmeverzug zu halten, gemäß § 294 BGB die Leistung tatsächlich anbieten. Unterlässt der Schuldner das tatsächliche Angebot, ist der Gläubigerverzug beendet (MüKoBGB/Ernst, 8. Aufl. 2019, BGB § 295 Rn. 6).
28
Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 29.04.2022 erklärt, das Fahrzeug anzunehmen (Bl. 71 d.A.). Spätestens zu diesem Zeitpunkt ist ein etwaiger Annahmeverzug beendet.
III.
29
Der Feststellungsantrag, gerichtet auf die Feststellung, dass sich die Beklagte mit der Annahme des streitegegenständlichen Fahrzeugs in Verzug befindet, ist dementsprechend unbegründet. Annahmeverzug liegt nicht vor.
IV.
30
Nachdem der Kläger mit seiner Klage keinen Erfolg hat, ist die innerprozessuale Bedingung für den Hilfswiderklageantrag nicht eingetreten.
V.
31
Das Gericht sieht keinen Anlass für eine Vorlage an den EuGH im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV, die in seinem Ermessen steht. Erst der Bundesgerichtshof unterläge als letztinstanzliches Gericht einer Vorlagepflicht an den EuGH, wenn er die Beantwortung einer Frage für die Entscheidung erforderlich hielte.
32
Der Vorlagebeschluss des Bundesgerichtshofs vom 31.01.2022 – XI ZR 113/21 ua betrifft Rechtsfragen, die für den vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblich waren, sodass das Verfahren auch nicht hinsichtlich dieses Beschlusses gem. § 148 Abs. 1 ZPO auszusetzen war.
33
Soweit die Klagepartei begehrt, das Verfahren auszusetzen, bis der EuGH in der Rechtssache C-336/20 sowie in den Rechtssachen C-155/20 und C-187/20 entschieden hat, war dem auch nicht nachzukommen. Die Rechtssache C-336/20 wurde im Register des Gerichtshofs gestrichen. Die Rechtssachen C-155/20 und C-187/20 wurden mit Urteil vom 09.09.2021 entschieden (z.B. NJW 2022, 40).
VI.
34
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 S. 1, S. 2 ZPO. Der Streitwert entspricht dem klägerischen Begehren, § 3 ZPO.