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OLG München, Hinweisbeschluss v. 05.12.2022 – 5 U 7306/21
Titel:

Auslegung eines Antrags auf Zwangsverwaltung eines Grundstücks bei unrichtiger Parteibezeichnung (Gesellschafter statt GbR)

Normenketten:
GG Art. 19 Abs. 4
ZVG § 28, § 33
Leitsatz:
Richtet sich ein Antrag auf Zwangsverwaltung eines Grundstücks, das im Eigentum einer GbR steht, gegen deren Gesellschafter und ordnet das Vollstreckungsgericht in Auslegung dieses Antrags die Zwangsverwaltung gegen die GbR an, liegt darin kein besonders schwerwiegender, für jeden Sachkundigen erkennbarer Mangel, der zur völligen Wirkungslosigkeit der Vollstreckungsmaßnahme führen würde. (Rn. 4 – 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zwangsverwaltung, Wirkungslosigkeit, Antrag, Parteibezeichnung, unrichtig, Auslegung, schwerwiegender, erkennbarer Mangel
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 31.08.2021 – 6 O 7813/20
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 24.01.2023 – 5 U 7306/21
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 13.06.2024 – IX ZR 43/23
Fundstelle:
BeckRS 2022, 58625

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 31.08.2021, Az. 6 O 7813/20, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Es ist beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 321.871,20 € festzusetzen.
3. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Entscheidungsgründe

I.
1
Das Verfahren ist nicht gemäß § 244 Abs. 1 ZPO unterbrochen, denn ausweislich der Bestellungsanzeige vom 13.10.2021 vertritt RA … beide Beklagte. Der Senat geht davon aus, dass beide Beklagte die Berufung jeweils form- und fristgerecht begründet haben, insbesondere dass der Beklagte zu 2), der derzeit nicht im Anwaltsverzeichnis aufscheint, sich zum Zeitpunkt der von ihm eingereichten Berufungsbegründung (13.12.2021) selbst vertreten konnte (§ 78 Abs. 4 ZPO).
II.
2
Die Berufungen haben keine Aussicht auf Erfolg, weil das Landgericht zutreffend erkannt hat, dass die streitgegenständlichen Zahlungen von der Schuldnerin in Kenntnis des Rechtsmangels (§ 536 Abs. 3 BGB) an die Beklagten erfolgten und der insolvenzrechtlichen Anfechtung unterliegen.
3
Die Beschlagnahme des Grundstücks mit den darin von den Beklagten an die Schuldnerin vermieteten Räumen erfolgte mit Beschluss des Vollstreckungsgerichts vom 25.08.2014 und dauerte bis zum 25.11.2020. Während dieses Zeitraums stand die Verfügungsbefugnis über das Grundstück dem Zwangsverwalter zu, an den auch die Nutzungsentschädigung zu entrichten war.
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1. Die Beschlagnahme des Grundstücks war bis zur deren Aufhebung wirksam. Wie der Bundesgerichtshof entschieden hat, sind Vollstreckungsakte nur ausnahmsweise als von vornherein unwirksam anzusehen, nämlich bei grundlegenden, schweren Mängeln; andere Fehler führen nur zur Aufhebbarkeit der betreffenden Maßnahme in dem dafür vorgesehenen Verfahren (vgl. dazu BGH, Urteil vom 16. Februar 1976 – II ZR 171/74 –, BGHZ 66, 79-82, Rn. 7, juris). So liegt der Fall auch hier.
5
2. Das Vollstreckungsgericht beschlagnahmte am 25.08.2014 das Grundstück, ordnete dessen Zwangsverwaltung an und bestellte den Zwangsverwalter. Ein besonders schwerwiegender, für jeden Sachkundigen erkennbarer Mangel mit der Folge völliger Wirkungslosigkeit der Vollstreckungsmaßnahme (Böttcher/Böttcher, 7. Aufl. 2022, ZVG § 16 Rn. 130) liegt nicht vor. Ein solcher findet sich insbesondere nicht in der Bezeichnung des Schuldners im Beschlagnahmebeschluss vom 25.08.2014. Wie der hiesige 32. Zivilsenat bereits entschieden hat (Hinweisbeschluss vom 02.08.2017, Endbeschluss vom 07.02.2018, 32 U 1193/17; die zunächst eingelegte NZB wurde zurückgenommen), war die Beschlagnahme des streitgegenständlichen Grundstücks der … durch Beschluss des Amtsgerichts München vom 25.08.2014, Az. 1514 L 30/14 (Anl. K 5), gewollt und wirksam, da ihr ein entsprechender Antrag zugrunde liegt.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind prozessuale Anträge mit Rücksicht auf Art. 19 Abs. 4 GG grundsätzlich wohlwollend am erkennbaren Rechtsschutzziel auszulegen (vgl. BVerfG Kammerbeschluss vom 25. Januar 2014, 1 BvR 1126/11, Rn. 23 juris m.w.N.). Die Auslegung eines Antrags darf daher nach der BGH-Rechtsprechung nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften, sondern hat den wirklichen Willen der Partei zu erforschen. Dabei ist der Grundsatz zu beachten, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht. Nur wenn sich das Rechtsschutzziel des Antragstellers auch durch die gebotene Auslegung nicht eindeutig ermitteln lässt, gehen die verbleibenden Unklarheiten zu seinen Lasten (BGH, Urteil vom 3. Juni 2016 – V ZR 166/15 –, Rn. 9, juris m.w.N.).
7
Der Vollstreckungsantrag war so auszulegen, dass er auf die Zwangsvollstreckung in das Vermögen der GbR gerichtet ist. Das Landgericht hat insoweit unter Darstellung und Anwendung der Grundsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung die relevanten Gesichtspunkte (Eigentümerstellung der GbR im Grundbuch, Zwangsvollstreckung aus der von der GbR bestellten Grundschuld, Zusatz „als Gesellschafter der … GbR“) abgewogen und ist zu einem zutreffenden Ergebnis gelangt. Auf die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil wird Bezug genommen. Die wörtliche Auslegung des Vollstreckungsantrags würde dazu führen, dass der Antrag sinnlos wäre, was vom Antragsteller nicht gewollt sein kann. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass auch bei äußerlich unrichtiger Bezeichnung grundsätzlich das Rechtssubjekt als Partei anzusehen ist, das durch die fehlerhafte Bezeichnung nach deren objektivem Sinn betroffen werden soll (vgl. BGH, Urteil vom 15. Januar 2003 – XII ZR 300/99 –, Rn. 13 f., juris). Für den hier zu entscheidenden Rechtsstreit kann dahinstehen, ob nach der zitierten BGH-Rechtsprechung zu dem auch hier interessierenden Verhältnis von GbR und Gesellschaftern schlicht das Rubrum zu berichtigen ist, oder ob der die Zwangsverwaltung anordnende Beschluss rechtsfehlerhaft und daher aufzuheben ist. Die erfolgte Beschlagnahme des Grundstücks der GbR entsprach dem Willen der betreibenden Gläubigerin und wurde von ihr auch gebilligt.
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3. Nachdem das Grundstück im Jahr 2014 wirksam beschlagnahmt wurde, konnten die damit ausgelösten Rechtsfolgen nur durch die Aufhebung der Beschlagnahme (für die Zukunft) konstitutiv wieder beseitigt werden (BGH, Beschluss vom 10.07.2008, V ZB 130/07 = BGHZ 177, 224). Dies erfolgte erst im Jahr 2020, so dass die Zahlungen der Schuldnerin in den Jahren 2016/2017 hiervon nicht berührt werden.
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a) Es kann deshalb dahinstehen, ob die „… Aktiengesellschaft“ wirksam zum Zwangsverwaltungsverfahren beigetreten ist. Selbst die Rücknahme des Antrags der ursprünglichen Vollstreckungsgläubigerin … im November 2015 ohne die Fortführung des Verfahrens durch einen weiteren Gläubiger führt nicht automatisch zum Ende der Vollstreckungsnahme (BGHZ 177, 224, Rn. 11 ff).
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b) Zudem stellt der Beitritt der „… Aktiengesellschaft“ zum schon eingeleiteten Zwangsverwaltungsverfahren keinen besonders schwerwiegenden, für jeden Sachkundigen erkennbaren Mangel im Sinne der eingangs zitierten BGH-Rechtsprechung dar, welcher den (Beitritts-)Beschluss vom 30.09.2015 unwirksam werden lässt.
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Der weitere Gläubiger war durch den vorgelegten Titel und die Klausel ordnungsgemäß legitimiert. Mögliche Zweifel an der Parteifähigkeit des weiteren Gläubigers waren dem Vollstreckungsgericht damals nicht bekannt. Wird die mangelnde Parteifähigkeit des Gläubigers, die von Anfang an bestand, erst nach der Anordnung der Beschlagnahme festgestellt, so ist gem. § 28 ZVG bzw. § 33 ZVG zu verfahren (Böttcher/Böttcher, 7. Aufl. 2022, ZVG, § 16 Rn. 4). Danach ist das Verfahren entweder aufzuheben oder dem Gläubiger Gelegenheit zu geben, den Fehler zu heilen. Zur Aufhebung des Verfahrens kam es erst im Jahr 2020.
12
Für den vorliegenden Rechtsstreit kann daher dahinstehen, ob der Bezeichnung „… Aktiengesellschaft“ durch Auslegung zu entnehmen gewesen wäre, dass nach Eintragung der Verschmelzung in das österreichische Firmenbuch die zuvor die … AG beherrschende … AG als Rechtsnachfolgerin der Erstgenannten schon im Jahr 2015 (weitere) Gläubigerin des Vollstreckungsverfahren sei (so offenbar die Rechtsansicht des AG München, referiert im Beschluss d. LG München I vom 25.11.2020, 16 T 12768, Anl. B 2, S. 3), oder ob der Beitrittsbeschluss fehlerhaft gewesen ist, so dass er – wie geschehen – entweder aufzuheben oder – nach Titelumschreibung – mit der dann korrekten Bezeichnung der Gläubigerin zu erlassen gewesen wäre. Ein besonders schwerwiegender Mangel des Verfahrens liegt jedenfalls nicht vor.