Titel:
Auskunftspflicht, Festgeldanlage, Anlagerichtlinien, Allgemeine Geschäftsbedingungen, Elektronisches Dokument, Geschäftsführer, Anlagevermittlungsvertrag, Ergebnis der Beweisaufnahme, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Streitwert, Zug-um-Zug, Forderungsanmeldung, Anlagenvermittler, Im Insolvenzverfahren, Elektronischer Rechtsverkehr, Abtretung der Rechte, Basiszinssatz, Schadenminderungspflicht, Rechtshängigkeit, Vermittlungsvertrag
Schlagworte:
Anlagevermittlungsvertrag, Auskunftspflicht, Schadensersatzanspruch, Mindestrating, Vermittlungsverpflichtung, Annahmeverzug, Vorgerichtliche Kosten
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 12.09.2023 – 8 U 7144/22 e
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 27.06.2024 – III ZR 354/23
Fundstelle:
BeckRS 2022, 58605
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.000.000 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 06.07.2021 zu bezahlen.
2. Die Verurteilung gemäß Ziffer 1. erfolgt Zug-um-Zug gegen Abtretung der Rechte der Klägerin aus der Forderungsanmeldung im vor dem Amtsgericht Bremen, Insolvenzgericht, Aktenzeichen 508 IN 6/21, geführten Insolvenzverfahren.
3. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der unter Ziffer 2. genannten Abtretung in Verzug befindet.
4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 8.051,18 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 17.3.2022 zu zahlen.
5. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 6.481,60 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 17.03.2022 zu bezahlen.
6. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
7. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
8. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar: in Ziffer 1., 2, 4. und 5. jeweils gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% desjenigen Betrags, dessen Vollstreckung unternommen wird; in Ziffer 3. kann die Beklagte die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% desjenigen Betrags, dessen Vollstreckung unternommen wird, abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Der Streitwert wird auf 1.006.481,60 Euro festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Schadenersatz in Höhe von insgesamt 1.006.481,60 Euro. Die Klägerin ist eine hessische; bei der Beklagten handelt es sich um ein Anlagevermittlungsinstitut.
2
Der Geschäftsführer der Beklagten nahm erstmalig am 02.04.2020 telefonisch Kontakt mit der Kassenleiterin der Klägerin, der Zeugin, auf, um einen etwaigen Kapitalanlagebedarf der Klägerin abzufragen. Im Anschluss an das Telefonat übermittelte der Geschäftsführer der Beklagten per E-Mail das Firmenexposé (Anlage K2). In der Folgezeit fragte die Beklagte regelmäßig den Kapitalanlagebedarf der Klägerin ab. Am 25.06.2020 verabschiedete die Klägerin in der Sitzung ihrer vertretung eine Richtlinie für Geldanlagen ab 01.07.2020. Die Richtlinie sieht in Ziffer 4. ein Rating für Kreditinstitute, die keinem Einlagensicherungs- oder Institutsschutz unterliegen, von mindestens Avor (Anlage K13). Am 13.07.2020 bat die Kassenleiterin der Klägerin den Geschäftsführer der Beklagten um Vorschläge für eine Festgeldanlage bei europäischen Kreditinstituten mit Niederlassung in Deutschland. Sodann unterbreitete die Beklagte der Klägerin mit E-Mail vom selben Tag (Anlage K3) mehrere Festgeldangebote. Der Inhalt der E-Mail lautete auszugsweise:
„[…] ich darf Ihnen folgende Festgeldangebote nach Vorgabe Ihrer Anlagerichtlinien unterbreiten: […]“
3
Schließlich vermittelte der Geschäftsführer der Beklagten der Klägerin eine Festgeldanlage bei der, bei der er über gute Erfahrungen berichtete, mit einer Laufzeit vom 15.07.2020 bis 15.10.2020.
4
Die Ratingagentur hatte das Rating der zu diesem Zeitpunkt mit A ausgewiesen.
5
Nach Ende der Laufzeit und ordnungsgemäßer Abwicklung dieser Festgeldanlage erfragte die Kassenleitern der Klägerin am 05.11.2020 beim Geschäftsführer der Beklagten eine erneute Anlagemöglichkeit des fällig gewordenen Betrags. Daraufhin unterbreitete der Geschäftsführer der Beklagten am selben Tag telefonisch mehrere Angebote. Die Kassenleiterin der Klägerin beauftragte sodann telefonisch zwei Festgeldanlagen bei der, und zwar – 500.000 Euro für die Laufzeit 06.11.2020 bis 08.03.2021 (Anlage K7) und – 500.000 Euro für die Laufzeit 06.11.2020 bis 06.05.2021 (Anlage K8), die der Geschäftsführer der Beklagten mit E-Mail vom gleichen Tag bestätigte (Anlage K6).
6
Am 17.09.2020 hatte die Rating Agentur das Rating für die auf BBB+ gesenkt. Am 03.03.2021 erließ die BaFin ein Veräußerungs- und Zahlungsverbot, woraufhin am 16.03.2021 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der eröffnet wurde.
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Die Klägerin meldete ihre Forderungen im Insolvenzverfahren am 14.05.2021 zur Tabelle an (Anlage K21). Mit Schreiben vom 01.07.2021 forderte die Klägerin die Beklagte zur Zahlung der streitgegenständlichen Beträge auf.
8
Die Klägerin behauptet, dass die Zeugin der Beklagten im Erstgespräch mitgeteilt habe, dass derzeit kein Kapitalanlagebedarf bestehe, da man aktuell damit befasst sei, auf Grundlage der seitens des Hessischen Innenministeriums erlassenen Hinweise (Anlage K1) eine eigene Anlagerichtlinie zu erstellen, ohne die eine Anlage von Geldern für die Klägerin nicht mehr zulässig sei. Daraufhin habe ihr der Geschäftsführer der Beklagten auf Nachfrage empfohlen, das Mindestrating A in die Richtlinie aufzunehmen, um den erforderlichen Sicherungsbedürfnissen der Kommunen bei Geldanlagen bei Kreditinstituten, die keinem Einlagensicherungs- oder Institutsschutz unterliegen, Rechnung zu tragen. Die Klägerin trägt vor, dass man nach der Verabschiedung der Richtlinie in der Gemeindevertretung die Beklagte demgemäß darum gebeten habe, entsprechende anlagenrichtlinienkonforme Vorschläge zu unterbreiten. Der Beklagten seien diese Richtlinien auch bekannt gewesen. Dies ergebe sich schon aus der E-Mail vom 13.07.2020 (Anlage K3).
9
Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Beklagte aus Anlageberatung hafte. Jedenfalls sei aber ein Anlagevermittlungs- und Auskunftsvertrag mit Haftungsfolgen zustande gekommen. Nachdem die Klägerin der Beklagten vor Abschluss der ersten Vermittlung mitgeteilt habe, dass nach den Anlagerichtlinien ein Mindestrating von A zu beachten sei, sei dies zusätzlicher Vertragsinhalt hinsichtlich Vermittlungen von Festgeldanlagen zwischen den Parteien geworden. Die Beklagte habe es außerdem versäumt, die Klägerin über die kritische Berichterstattung in den Berichten einiger Finanzmarkt-Informationsdienste über das Geschäftskonzept der…, insbesondere zur Risikotragfähigkeit zu informieren. Es habe im Zusammenhang mit der Vermittlung der jeweiligen Kapitalanlage eine ausdrückliche Auskunftspflicht kraft gesonderter Vertragsvereinbarung betreffend des zu diesem Zeitpunkt aktuellen Ratings bestanden. Nicht ausreichend sei, dass zu einem anderen Zeitpunkt zuvor ohne Zusammenhang mit dem konkreten Geschäftsabschluss eine Auskunft erteilt worden sei. Zudem habe die Beklagte nicht die Möglichkeit, sich von Auskunftspflichten in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen freizuzeichnen.
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Die Klägerin beantragt zuletzt,
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.000.000 Euro zuzüglich Zinsen von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 06.07.2021 zu zahlen.
2. Die Verurteilung gemäß Ziffer 1. erfolgt Zug-um-Zug gegen Abtretung der Rechte der Klägerin aus der Forderungsanmeldung im vor dem Amtsgericht Bremen, Insolvenzgericht, Aktenzeichen 508 IN 6/21, geführten Insolvenzverfahren.
3. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der unter Ziffer 2. genannten Abtretung in Verzug befindet.
4. Die Beklagte wird des Weiteren verurteilt, an die Klägerin 8.051,18 Euro zuzüglich Zinsen von 5 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 06.07.2021 zu zahlen.
5. Die Beklagte wird ferner verurteilt, an die Klägerin 6.481,60 Euro zuzüglich Zinsen von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Beklagte bestreitet, Kenntnis von der Anlagerichtlinie der Klägerin mit dem Mindestrating A gehabt zu haben. Auch habe man nicht empfohlen, ein solches Mindestrating in die Richtlinie mitaufzunehmen. Ebenso seien die Hinweise des hessischen Innenministeriums der Beklagten nicht bekannt gewesen.
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Die Beklagte ist der Auffassung, ihre Hinweispflichten erfüllt zu haben. Am 06.10.2020 habe sie eine E-Mail an die Klägerin, adressiert an die Adresse …, übersandt, in der sie Prolongationsmöglichkeiten angeboten habe und die Mitteilung enthalten gewesen sei, dass das Rating der zu diesem Zeitpunkt bei BBB läge.
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Im Übrigen werde von Seiten der Beklagten keine Überprüfung bzw. Überwachung der Bonität der Banken, bei denen die Geldanlage vermittelt werde, angeboten, es werden dem Anleger nur Informationen über die Kapitalanlage vermittelt. Dies sei auch in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen festgelegt. Bei einer simplen Festgeldanlage bestünden keine weitergehenden Auskunftspflichten gegenüber einem geschäftskundigen und professionellen Gegenüber. Die Klägerin sei als professionell handelnd einzustufen. Das ergebe sich schon daraus, dass nicht mehr im Einlagensicherungssystem abgesichert würden als institutionelle Anleger.
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In der mündlichen Verhandlung vom 05.10.2020 hat das Gericht die Parteien informatorisch angehört und Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen .
16
Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 05.10.2022 (Bl. 91 ff.) Bezug genommen. Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist begründet.
18
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das angerufene Landgericht München I sachlich und örtlich zuständig, §§ 1 ZPO, 23, 71 Abs. 1 GVG; §§ 12, 17 ZPO. Darüber hinaus war das für den Feststellungsantrag erforderliche Feststellungsinteresse zu bejahen, § 256 Abs. 1 ZPO.
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Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 1.000.000 Euro aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB wegen schuldhafter Verletzung ihrer Auskunftspflicht im Hinblick auf den Vermittlungsvertrag vom 05.11.2020 Zug-um-Zug gegen Abtretung der Rechte der Klägerin aus der Forderungsanmeldung im vor dem Amtsgericht Bremen geführten Insolvenzverfahren.
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1. Die Parteien haben vorliegend einen Anlagevermittlungsvertrag geschlossen.
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Zur Abgrenzung von Anlagevermittlung einerseits und Anlageberatung andererseits kann auf die gesetzlichen Definitionen in § 1 Abs. 1a S. 2 Nr. 1 und Nr. 1a KWG, die im Einklang mit der schon vor Inkrafttreten des KWG zur vertraglichen Haftung ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung stehen (ebenso BGH BeckRS 2012, 14187), zurückgegriffen werden. Danach ist Anlagevermittlung „die Vermittlung von Geschäften über die Anschaffung und die Veräußerung von Finanzinstrumenten“, Anlageberatung dagegen „die Abgabe von persönlichen Empfehlungen an Kunden oder deren Vertreter, die sich auf Geschäfte mit bestimmten Finanzinstrumenten beziehen, sofern die Empfehlung auf eine Prüfung der persönlichen Umstände des Anlegers gestützt oder als für ihn geeignet dargestellt wird und nicht ausschließlich über Informationsverbreitungskanäle oder für die Öffentlichkeit bekannt gegeben wird“. Anlagevermittlung ist somit jede final auf den Abschluss von Geschäften über die Anschaffung und Veräußerung von Finanzinstrumenten gerichtete Tätigkeit.
22
Nach diesen Grundsätzen ist vorliegend von einer Anlagevermittlung auszugehen, da eine Prüfung der persönlichen Umstände der Klägerin nicht Gegenstand der Geschäftsbeziehung zwischen den Parteien war.
23
Zwischen dem Anlagenvermittler und dem Anlageinteressenten kommt stillschweigend ein Vermittlungsvertrag zustande, wenn der Interessent deutlich macht, dass er bei der Anlageentscheidung die besonderen Kenntnisse und Verbindungen des Vermittlers in Anspruch nehmen will und der Vermittler daraufhin tätig wird (vgl. BGH III ZR 193/05). Nach Maßgabe dieses Grundsatzes ist vorliegend zwischen den Parteien ein Anlagevermittlungsvertrag zustande gekommen. Nach Überzeugung des Gerichts liegt es nämlich auf der Hand, dass sich die Klägerin für die streitgegenständlichen Festgeldanlage bei der nur deshalb an die Beklagte gewandt hat, um deren besonderen Kenntnisse und Verbindungen als Abschluss- und Anlagevermittlerin in Anspruch zu nehmen (vgl. BGH NJW 1987, 1815; grundlegend BGH NJW 1993, 2433, BondUrteil).
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Festgeld ist eine Geldanlage mit festgelegter Laufzeit, für die Kunde und Geldinstitut einen festen Zins vereinbaren. Je nach Laufzeit erhält der Kunde eine Verzinsung, die sich unter anderem an dem jeweiligen Marktzins orientiert. Da die Zinsen fest vereinbart und garantiert sind, bietet das Festgeld eine hohe Planungssicherheit. Es eignet sich daher für solche Kunden, die eine konservative, sichere Anlage zum Erhalt ihres Vermögens bevorzugen. Im Gegensatz zum Tagesgeld, das dem Kunden prinzipiell täglich zur Verfügung steht, dessen Zinsen sich jedoch ebenso täglich ändern und niedriger sein können als beim Festgeld, kann der Sparer mit der im Festgeldvertrag vereinbarten Rendite sicher kalkulieren.
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Entsprechend dieser eigentlich denkbar einfachen Struktur der Festgeldanlage, bedarf es dafür in der Regel zwischen Anleger und Kreditinstitut nicht der Zwischenschaltung eines entgeltlich tätigen Vermittlers, außer dessen besondere Kenntnisse und Verbindungen sollen genutzt werden.
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Die Aufträge sind auch nicht etwa als eine Art „execution only order“ anzusehen. Das käme allenfalls in Betracht, wenn der handelnde Vermittler erklärt, er kenne sich mit den fraglichen Geschäften nicht aus, und der Kunde gleichwohl auf der Vermittlung besteht. Damit kann konkludent zum Ausdruck gebracht werden, dass keine Aufklärung benötigt wird. Eine Aufklärungspflichtverletzung kommt dann grundsätzlich nicht in Betracht (vgl. BGH vom 09.12.1997, XI ZR 85/97); auch davon kann hier keine Rede sein (OLG München Hinweisbeschluss v. 13.07.2020 – 8 U 2610/20, BeckRS 2020, 19545 Rn. 13, beck-online).
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2. Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme steht nach einer Gesamtwürdigung der Umstände zur sicheren Überzeugung des Gerichts fest, dass sich die Parteien inhaltlich aufgrund der Anlagerichtlinien der Klägerin darauf geeinigt haben, dass nur diejenigen Festgeldanlagen vermittelt werden, die ein Mindestrating A aufweisen. Die Klägerin wollte die Dienstleistung der Beklagten in Anspruch nehmen, um deren besondere Kenntnisse zu nutzen und nicht selbst Anlagen mit dem erforderlichen Mindestrating suchen zu müssen.
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Demgemäß durfte die Klägerin nach Auslegung des objektiven Empfängerhorizonts, §§ 133, 157, 242 BGB auch bei Abschluss der Festgeldanlagen am 05.11.2020 davon ausgehen, dass die Beklagte ihr nur Anlagemöglichkeiten mit dem erforderlichen Mindestrating anbot.
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a. Das Gericht hat den Geschäftsführer der Beklagten im Termin informell angehört. Er teilte mit, dass ihm bekannt war, dass Anlagerichtlinien von der beschlossen werden sollten. Es sei die Info gekommen, dass diese jetzt vorliegen würden. Seine Info sei jedoch so gewesen, dass er bei Unterbreitung der Angebote nur solche mit einer Ratingangabe anbieten dürfe, nicht aber A- als Vorgabe gegeben worden sei. Die Anlagerichtlinien seien ihm nicht bekannt gewesen. Auch habe er nicht zu irgendwelchen Mindestratings in den Anlagerichtlinien geraten, da dies nicht seine Aufgabe sei.
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Diese Angaben waren im Hinblick auf die Email vom 13.07.2020 (Anlage K 3) wenig überzeugend, da dort explizit ein Angebot „nach Vorgabe ihrer Anlagerichtlinien“ unterbreitet worden war. Diesen Widerspruch konnte der Geschäftsführer der Beklagten nicht aufklären.
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b. Die uneidlich im Termin vernommene Zeugin sagte demgegenüber aus, dass es beim Erstkontakt mit dem Geschäftsführer der Beklagten noch nicht zu einer Vermittlung gekommen sei, da sie zu diesem Zeitpunkt noch keine Anlagerichtlinien gehabt hätten. Als der Geschäftsführer der Beklagten nochmals angerufen habe, habe sie den Geschäftsführer der Beklagten gefragt, was für ein Rating ein guter Sicherheitsstandard für sei. Daraufhin habe er A gesagt. Nachdem die Anlagerichtlinie beschlossen worden sei, habe er sich nochmals gemeldet und es sei explizit darüber gesprochen worden, dass es in dem Anlagebereich A sein müsse. Es seien daher von der Beklagten bei der Anlage vom 15.7.2020 bis 15.10.2020 auch nur solche Festgeldanlagen angeboten worden. Deshalb sei sie bei der telefonisch getätigten streitgegenständlichen Anlage auch davon ausgegangen, dass der Geschäftsführer der Beklagten als „mein Anlageberater“ wisse (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 05.10.2022, Seite 6), welche Anlage die Klägerin tätigen darf. Das Rating sei bei dem Telefongespräch kein Thema mehr gewesen. Die Email vom 06.10.2020 hinsichtlich der Prolongation der ursprünglichen Festgelder habe sie nicht gesehen.
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Die vernommene Zeugin ist glaubwürdig und ihre Aussagen sind glaubhaft. Die Aussagen der Zeugin waren sämtlich widerspruchsfrei, schlüssig und nachvollziehbar. Auch hat die Zeugin darauf geachtet, dem Gericht Schlussfolgerungen offenzulegen, Wahrnehmungen wiederzugeben und Erinnerungslücken aufzudecken. Das erkennende Gericht hat bei der Frage der Glaubwürdigkeit den Umstand berücksichtigt, dass es sich bei der Zeugin um eine Angestellte der Klägerin handelt. Es sind keine Anhaltspunkte vorhanden, die Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Aussage aufkommen ließen.
33
Die Aussage der Zeugin, dass Inhalt der Vermittlungen nur Anlagen mit dem Mindestrating A – sein sollten, wird auch gestützt durch den Wortlaut der E-Mail vom 13.07.2020 (Anlage K3). In dieser unterbreitete die Beklagte der Klägerin ein Festgeldangebot „nach Vorgabe Ihrer Anlagerichtlinien“. Die dort vorgeschlagenen Kreditinstitute weisen zudem allesamt das Rating A1 bzw. A aus. Auch dies spricht nach Auffassung des Gerichts dafür, dass der Geschäftsführer der Beklagten mit der Kassenleiterin der Klägerin nicht nur über Rating-Angaben als solche, sondern über ein Mindestrating gesprochen hat und dies Grundlage auch künftiger Vermittlungen sein sollte.
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c. Der Zeuge, Mitarbeiter der Beklagten, konnte die Aussagen der Zeugin nicht entkräften. Nach seiner Angabe sei die Klägerin Kundin des Geschäftsführers der Beklagten gewesen. Seine weiteren Aussagen beruhen auf Schlussfolgerungen, die er aufgrund des Umstands gezogen hat, dass es bei der Beklagten zwar einen Ordner „Kundenlegitimierung“ gebe, in dessen Unterordner „Anlagerichtlinien“ aber keine Anlagerichtlinien der Klägerin zu finden seien. Nähere Kenntnis zum Vertragsverhältnis zwischen den Parteien konnte der Zeuge nicht machen.
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3. Zwischen den Parteien bestand zu Zeitpunkt der Anlage am 05.11.2020 bereits eine Geschäftsbeziehung aus dem Vorgeschäft vom 15.07.2020. Die Klagepartei durfte nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon ausgehen, dass die Beklagte aufgrund der bestehenden Geschäftsbeziehung nur Anlagen mit Mindestrating A – anbietet, nachdem die Zeugin bei dem ersten Geschäft auf die Anlagerichtlinien hingewiesen hatte und der Geschäftsführer der Beklagten mit Email vom 13.07.2020 (Anlage K 3) „entsprechend ihrer Anlagerichtlinien“ nur solche Anlagen angeboten hatte.
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Indem die Beklagte der Klägerin am 05.11.2020 die Festgeldanlagen bei der vermittelte, die zu diesem Zeitpunkt ein Rating von BBB+ aufwies, verletzte sie schuldhaft eine Pflicht aus dem Vermittlungsvertrag, indem sie nicht darauf hinwies, dass sich das Rating verschlechtert hat und nun nicht mehr den Anlagerichtlinien der entsprach. Hierzu wäre sie jedoch aufgrund ihrer Auskunftspflicht gegenüber der Klägerin verpflichtet gewesen, nachdem sie aus dem Vorgeschäft wusste, dass es der Klägerin aufgrund ihrer Anlagerichtlinien auf das Mindestrating ankam.
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Der Einwand der Beklagten, dass sie mit E-Mail vom 06.10.2020 (Anlage B2) mitgeteilt habe, dass das Rating der herabgestuft worden sei, verfängt nicht. Denn die E-Mail, die auch nicht an das Postfach der Kassenleiterin der Klägerin gerichtet worden war, wurde nicht im Zusammenhang mit dem Neuabschluss der Festgeldanlage versendet, sondern es wurden in dieser lediglich Prolongationsmöglichkeiten unterbreitet, welche nicht zum Tragen kamen. Entscheidend ist aber der Zeitpunkt des Vertragsschlusses, an dem die Klägerin darauf vertrauen durfte, dass die Beklagte ihr weiterhin nur Kreditinstitute mit dem Mindestrating Aanbietet. Demgemäß ist nicht ausreichend, wenn die Beklagte unkommentiert Informationen zu einem anderen Zeitpunkt und ohne Zusammenhang mit dem konkreten Vertragsschluss unterbreitet.
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4. Die Verletzung der vertraglichen Auskunftspflicht war auch ursächlich für den Erwerb der streitgegenständlichen Festgeldanlagen. Nach dem Grundsatz des aufklärungsrichtigen Verhaltens geht die Kammer davon aus, dass die Klägerin bei richtiger Aufklärung über das Rating der zum Zeitpunkt der Anlage diese nicht gezeichnet hätte. Die Beklagte muss sich das Handeln ihres Geschäftsführers zurechnen lassen. Aufgrund der dargestellten Verletzung der Auskunftspflicht wird zudem das Verschulden der Beklagten vermutet (§ 280 Abs. 1 Satz 2 BGB).
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5. Ob sich die Beklagte auf etwaige Risiko- und Haftungsbeschränkungen in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen berufen kann, kann im vorliegenden Fall dahinstehen, da die Beklagte bereits ihre sich aus dem Inhalt des Vermittlungsvertrags ergebenden Pflichten verletzt hat. Aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme war das Mindestrating A- als gesonderte Vertragsvereinbarung für die Vermittlung anzusehen. Davon konnte sich die Beklagte nicht durch ihre allgemeinen Geschäftsbedingungen freizeichnen.
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6. Der unzureichend aufgeklärte Kapitalanleger ist so zu stellen, als habe er die Kapitalanlage nicht erworben (§ 249 Abs. 1 BGB). Das zu ersetzende negative Interesse des Anlegers umfasst im Wesentlichen den für den Erwerb der Anlage aufgewendeten Geldbetrag. Die Klägerin ist so zu stellen, wie sie ohne Vornahme des Anlagegeschäfts stehen würde. Ist die Anlage wertlos – wie hier – so folgt daraus ein Schadenersatzanspruch in Höhe des investierten Kapitals. Da eine Rückzahlung der einbezahlten 1.000.000 Euro aufgrund der eingetretenen Insolvenz der Bank scheitert, hat die Beklagte Anspruch auf 1.000.000 Euro Zug-um-Zug gegen Abtretung der im Insolvenzverfahren über das Vermögen der angemeldeten Forderungen.
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Der Zinsanspruch hinsichtlich der Hauptforderung folgt aus §§ 286, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB. Die Klagepartei hat das anwaltliche Schreiben vom 01.07.2021 an die Beklagte nicht vorgelegt. Die Beklagte hat jedoch nicht bestritten, dass es ab 06.07.2021, wie von der Klagepartei vorgetragen, zum Verzug mit der Zahlung der klägerischen Forderung gekommen ist.
42
6. Die Klagepartei macht weiter Ersatz der für die Geltendmachung ihrer Forderung im Insolvenzverfahren gegen die entstandenen Anwaltskosten in Höhe von 6.481,60 Euro geltend. Die Beklagte hat hierzu nichts erwidert, so dass die Höhe der Kosten als unstreitig anzusehen sind.
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Die Beklagte als Schädigerin hat bei einer Verletzung vertraglicher Aufklärungs- und Beratungspflichten die Geschädigte nach § 249 Abs. 1 BGB so zu stellen, wie sie stünde, wenn der Schädiger den Vertragspartner von Anfang an ordnungsgemäß aufgeklärt und beraten hätte. Dann hätte die Klägerin die streitgegenständliche Anlage nicht abgeschlossen. Soweit die Klagepartei selbst im Nachgang aufgewendete Kosten im Involvenzverfahren gegen die geltend gemacht hat, so stellt sich die Frage, ob es sich hier um zu ersetzende Aufwendungen handelt. Das Merkmal der Unfreiwilligkeit der Vermögenseinbuße grenzt den Schaden von Aufwendungen ab. Ein Schaden bei freiwilligen Vermögensopfern liegt auch vor, wenn sie aus Sicht eines verständigen Menschen in der Lage des Geschädigten erforderlich sind, um die Folgen einer Rechtsgutsverletzung zu beseitigen. Die Grenze der objektiven Erforderlichkeit für die Ersatzfähigkeit von Aufwendungen ergibt sich aus einer Gesamtschau der § 249 Abs. 2 S. 1 BGB, § 254 Abs. 2 BGB, § 670 BGB, § 91 Abs. 1 ZPO, § 13a Abs. 1 S. 1 FGG. Der Umfang der ersatzfähigen Aufwendungen ist also schon für die Frage der Schadensentstehung zu berücksichtigen, nicht erst im Rahmen einer Schadensminderungspflicht nach § 254 Abs. 2 S. 1 BGB. Der Grund dafür ist, dass der Geschädigte durch seine Entscheidung, die Störung selbst zu beseitigen, die Entstehung und den Umfang des Schadens selbst bestimmt. Daher ist ihm zuzumuten, die Grenzen der Erforderlichkeit einzuhalten und sich dafür dem Schädiger gegenüber zu rechtfertigen (BeckOGK/Brand, 01.03.2022, BGB § 249 Rn. 10).
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Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze erscheint es angemessen, die Anwaltskosten für die Geltendmachung der Insolvenzforderung als erforderliche und ersatzfähige Aufwendung im Rahmen der Ersatzpflicht nach § 249 BGB zu qualifizieren. Der Klägerin steht somit auch ein Anspruch auf Ersatz dieser Kosten zu. Zinsansprüche ergeben sich aus § 291 BGB.
45
7. Die Klägerin hat auch Anspruch auf Feststellung des Annahmeverzugs, da nach unbestrittenem Vortrag die Beklagte die Übertragung der Insolvenzforderung abgelehnt hat, § 293 BGB. Die Beklagte hat im Rahmen des Rechtsstreits jegliche Haftung von sich gewiesen und damit die Ablehnung des Angebots des Klägers auf Übertragung seiner Rechte, das spätestens mit der Zustellung der Klageschrift unterbreitet worden ist, zu erkennen gegeben.
46
8. Die Klägerin kann darüber hinaus gemäß §§ 280 Abs. 1, 286 BGB Ersatz der vorgerichtlichen Kosten in Höhe von 8.051,18 Euro für die Einschaltung des Rechtsanwalts verlangen, da es sich um Kosten handelt, die durch zweckentsprechende Maßnahmen der Rechtsverfolgung entstanden sind (Palandt, 80. Auflage 2021, § 286 Rn. 44 f.). Allerdings hat die Klagepartei zum Verzug hinsichtlich der Zahlung der vorgerichtlichen Anwaltsgebühren nichts vorgetragen, so dass Zinsen hierzu nach §§ 291 BGB erst ab Rechtshängigkeit zugesprochen werden konnten.
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1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
48
2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 1, 711 ZPO.
49
Der Streitwert war durch Beschluss festzusetzen. Gemäß §§ 39 GKG; 3 ZPO war der Streitwert auf 1.006.481,60 Euro festzusetzen.