Titel:
Haftungsprivilegierung bei Buskollision desselben Unternehmens
Normenkette:
SGB VII § 104
Leitsatz:
Kollidieren zwei Fahrzeuge, die demselben Betrieb zuzuordnen sind, im öffentlichen Verkehrsraum sind die §§ 104, 105 SGB VII mit der Folge anwendbar, dass für den verletzten Fahrer ein Anspruchsausschluss anzunehmen ist. (Rn. 14 – 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Haftungsprivilegierung, Verkehrsbetrieb, Omnibus
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss vom 09.02.2024 – 13 U 196/23
OLG Nürnberg, Beschluss vom 15.04.2024 – 13 U 196/23
Fundstellen:
BeckRS 2022, 58451
LSK 2022, 58451
r+s 2024, 833
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages.
Der Streitwert wird auf 101.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 15.11.2018, der sich auf der ... zwischen ... und ... ereignete.
2
Am Umfalltag befuhr der Kläger mit dem Omnibus (amtliches Kennzeichen ...) die ... von ... herkommend in Richtung. Zur gleichen Zeit befuhr Herr ... einen Omnibus (amtliches Kennzeichen ...) die ... von ... kommend in Richtung ... und somit in der entgegengesetzten Richtung des Klägers. Die Beklagte zu 1) ist Halterin der beiden Omnibusse und Arbeitgeberin der beiden Fahrer. Beide Busse sind bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert. Herr ... erlitt während der Fahrt vermutlich einen Herzinfarkt und geriet in einer Rechtskurve kontinuierlich auf die Gegenfahrbahn, auf der der Kläger mit seinem Bus fuhr. Hierdurch kam es zu einer Frontalkollision mit 40%iger Überlappung mit dem Linienbus des Klägers. Dieser wurde nach der Kollision nach rechts ins Bankett abgeleitet und kam dort zum Stehen. Durch die Kollision wurden rd. 30 Personen verletzt, auch der Kläger. Er erlitt u.a. ein Thoraxtrauma mit Rippenserienfraktur links und Pneumothorax links sowie Lungenkontusion im Ober- und Unterlappen links, ein stumpfes Bauchtrauma, Nierenkontusion mit Nierenhämatom am unteren Pol der linken Niere, ein kleines subscapuläres Milzhämatom, zweit- bis drittgradig offene Frakturen des linken Oberschenkels, des rechten und linken proximalen Unterschenkels, eine ausgedehnte Weichteilverletzung mit Decollement im Bereich des Unterarmes, eine Luxationsverletzung der Kleinzehe links im Grundgelenk, eine undislozierte Fraktur des Radiushalses links ohne Beteiligung der radialen Gelenkfläche des Radiusköpfchens und eine undislozierte inkomplette Fraktur des Schenkelhalses links ohne Beteiligung des adamschen Bogens bei erhaltener medialer Abstützung. Der Kläger musste mehrfach operiert werden und befand sich zunächst stationär im Klinikum F., anschließend ab 04.01.2019 in der BGU M., wo er am 19.02.2019 entlassen wurde. Weitere stationäre Aufenthalten in der BGU M. folgten.
3
Der Kläger behauptet, durch die Verletzungen massiv in seiner täglichen Lebensführung eingeschränkt zu sein. Er könne seinen Beruf nicht mehr ausüben und sei nach wie vor traumatisiert. Er ist der Ansicht, einen Anspruch auf Schmerzensgeld von mindestens 55.000,00 € zu haben. Ferner begehrt er die Feststellung der gesamtschuldnerischen Verpflichtung der Beklagten bezüglich der entstandenen und künftig noch entstehenden materiellen Schäden sowie nicht vorhersehbare immaterielle Schäden. Für den rückständigen materiellen Schaden sei von einem Gesamtbetrag i.H.v. 25.000,00 € auszugehen, für den künftigen materiellen Schaden ebenfalls von 25.000,00 € und für den künftigen immateriellen Schaden von 7.500,00 €.
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Der Kläger beantragt daher:
1. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, dem Kläger den aus dem Verkehrsunfall vom 15.11.2018 gegen 13:30 Uhr auf der Staatsstraße .... zwischen A. und Z. bereits entstandenen und künftig noch entstehenden materiellen Schaden sowie den zukünftig noch entstehenden, nicht vorhersehbaren immateriellen Schaden zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger und/oder sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen werden.
3. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren zu zahlen in Höhe von € 2.706,66 zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage.
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Die Beklagten beantragen,
die Klage die abzuweisen.
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Sie sind im Wesentlichen der Ansicht, dass die Haftung nach §§ 104 ff. SGB VII gesetzlich ausgeschlossen sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen umfassend Bezug genommen. Das Gericht hat keinen Beweis erhoben.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist nicht begründet.
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1. Gemäß § 104 Abs. 1 SGB VII sind Unternehmer den Versicherten, die für ihre Unternehmen tätig sind oder zu ihren Unternehmen in einer sonstigen die Versicherung begründenden Beziehung stehen, sowie deren Angehörigen und Hinterbliebenen nach anderen gesetzlichen Vorschriften zum Ersatz des Personenschadens, den ein Versicherungsfall verursacht hat, nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 versicherten Weg herbeigeführt haben.
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2. Die Voraussetzung des § 104 Absatz 1 SGB VII ist vorliegend erfüllt:
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Der Kläger war im Augenblick des Unfalls als angestellter Fahrer der Beklagten zu 1) tätig und damit Beschäftigter im Sinne von § 2 Absatz 1 Nr. 1 SGB VII. Die Beklagte zu 1) war damit Unternehmer im Sinne dieser Vorschrift, da ihr das wirtschaftliche Ergebnis der Tätigkeit des Klägers zukommen sollte. Der Unfall wurde weder vorsätzlich herbeigeführt, noch handelte es sich um einen sogenannten Wegeunfall.
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3. § 104 Absatz 1 SBG VII ist entgegen der Ansicht der Klagepartei im vorliegenden Fall auch nicht einschränkend auszulegen.
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§ 104 Absatz 1 SGB VII sieht eine Entsperrung der Haftung nur vor, wenn der Unternehmer den Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt hat oder sich dieser auf einem nach § 8 Absatz 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII versicherten Weg ereignete. Danach sind versicherte Tätigkeiten auch:
1. das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit,
2. das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges, um
a. Kinder von Versicherten (§ 56 des Ersten Buches), die mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt leben, wegen ihrer, ihrer Ehegatten oder
b. ihrer Lebenspartner beruflichen Tätigkeit fremder Obhut anzuvertrauen oder mit anderen Berufstätigen oder Versicherten gemeinsam ein Fahrzeug zu benutzen,
2a. das Zurücklegen des unmittelbaren Weges nach und von dem Ort, an dem Kinder von Versicherten nach Nummer 2 Buchstabe a fremder Obhut anvertraut werden, wenn die versicherte Tätigkeit an dem Ort des gemeinsamen Haushalts ausgeübt wird,
3. das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges der Kinder von Personen (§ 56 des Ersten Buches), die mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt leben, wenn die Abweichung darauf beruht, daß die Kinder wegen der beruflichen Tätigkeit dieser Personen oder deren Ehegatten oder deren Lebenspartner fremder Obhut anvertraut werden,
4. das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weges von und nach der ständigen Familienwohnung, wenn die Versicherten wegen der Entfernung ihrer Familienwohnung von dem Ort der Tätigkeit an diesem oder in dessen Nähe eine Unterkunft haben.
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Der Gesetzgeber hat demnach die Wegeunfälle, die eine Ausnahme von der Haftungsprivilegierung des § 104 SGB VII vorsehen, eng und konkret formuliert. Sinn und Zweck dieser Regelung ist einmal darin zu sehen, dass der Versicherte keine Ansprüche verlieren soll, die jeder andere im Straßenverkehr Geschädigte auch hätte. Zum anderen verwirklicht sich im allgemeinen Straßenverkehr kein betriebliches Risiko (/HKPDFKHU in: Boecken/Düwell/Diller/Hanau, Gesamtes Arbeitsrecht, 2016, SGB VII § 104 Rn. 21).
14
Im Unterschied hierzu ist der Arbeitgeber haftungsprivilegiert, wenn sich der Unfall auf einem so genannten Betriebsweg ereignet, der § 8 Abs. 1 SGB VII unterfällt. Ein Betriebsweg ist ein Weg, der in Ausübung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt wird, Teil der versicherten Tätigkeit ist und damit der Betriebsarbeit gleichsteht. Er wird im unmittelbaren Betriebsinteresse unternommen und geht nicht lediglich der versicherten Tätigkeit voraus. Danach ist ein Weg dann als Teil des betrieblichen Organisations- und Funktionsbereichs und mithin als Betriebsweg anzusehen, wenn eine Fahrt maßgeblich durch die betriebliche Organisation geprägt ist, insbesondere indem sie durch die Organisation (Werkverkehr, Einsatz eines betriebseigenen Fahrzeugs, Fahrt auf dem Werksgelände) als innerbetrieblicher bzw innerdienstlicher Vorgang gekennzeichnet oder durch Anordnung des Arbeitgebers oder Dienstherrn zu einer entsprechenden Aufgabe erklärt worden ist. Maßgeblich ist, ob sich aufgrund der bestehenden betrieblichen Gefahrengemeinschaft ein betriebsbezogenes Haftungsrisiko verwirklicht, so dass auch ein Unfall auf einem betriebsfremden Hotelparkplatz ein Betriebswegeunfall sein kann, wenn das Hotel die regelmäßige Arbeitsstätte der Versicherten war. Nicht ausreichend für die Annahme eines Betriebsweges ist es, wenn mit einer Fahrt lediglich die Förderung betrieblicher Interessen verbunden ist. Nicht entscheidend für die Einordnung als Betriebsweg ist, ob die Örtlichkeit der Organisation des Arbeitgebers unterliegt und wo der Unfall passiert ist (vgl. zum Vorstehenden nur /HKPDFKHUDD2 Rn. 23 mit zahlreichen Nachweisen).
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Vorliegend ist zu sehen, dass sich das betriebliche Risiko jedoch im Unfall verwirklicht hat, weil zwei Fahrzeuge desselben Unternehmens auf einer auch planmäßig von beiden Fahrzeugen befahrenen Buslinie im Gegenverkehr miteinander kollidierten.
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4. Die Klage war daher umfänglich abzuweisen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.