Inhalt

VG Augsburg, Gerichtsbescheid v. 10.03.2022 – Au 8 K 21.2282
Titel:

Verfristete Klage gegen Schließung einer Arztpraxis

Normenketten:
BayLStVG Art. 7 Abs. 2
VwGO § 74 Abs. 1 S. 2
BayVwZVG Art. 5 Abs. 1, Abs. 2
ZPO § 57 Abs. 2, § 180, § 222 Abs. 1
BGB § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 S. 1
Leitsatz:
Kann der an einen Arzt gerichtete Bescheid weder in der Praxis noch am Wohnsitz des Arztes zugestellt werden, ist die Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten am Wohnsitz zulässig. (Rn. 22 – 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Sicherheitsrechtliche Anordnung, Schließung einer Allgemeinarztpraxis, Fehlerhafte Impfungen gegen SARS-CoV-2, Ersatzzustellung durch Einlegen des Bescheids in den Briefkasten, Versäumung der Klagefrist, Arztpraxis, Schließung, Ersatzzustellung, Einlegen in den Briefkasten, Klagefrist
Fundstelle:
BeckRS 2022, 5839

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Gerichtsbescheid ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen eine sicherheitsrechtliche Anordnung, mit der die sofortige Schließung der von ihm betriebenen Arztpraxis verfügt worden ist.
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1. Der Kläger ist als Allgemeinarzt in einer niedergelassenen Praxis im Gemeindegebiet der Beklagten tätig.
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Am 1. Oktober 2021 wurde dem örtlich zuständigen Landratsamt von der Polizei mitgeteilt, dass konkrete Verdachtsmomente dahingehend vorliegen, dass der Kläger in seiner Arztpraxis Coronaschutzimpfungen trotz anderweitiger Bestätigung im Impfbuch gar nicht durchgeführt habe und insoweit der Verdacht des Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse bestehe. Das Landratsamt gab diese Erkenntnisse an die Beklagte weiter.
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Mit Bescheid vom 2. Oktober 2021 ordnete die Beklagte die sofortige Schließung der vom Kläger im Gemeindegebiet betriebenen Allgemeinarztpraxis nach Zustellung des Bescheides bis auf Weiteres an (Ziff. 1) und erklärte diese Anordnung für sofort vollziehbar (Ziff. 2). Für den Fall der Zuwiderhandlung gegen Ziff. 1 des Bescheides wurde unmittelbarer Zwang angedroht (Ziff. 3).
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Zur Begründung ist ausgeführt, dass die Anordnung geboten sei, um Gefahren für die Gesundheit der Patienten des Klägers abzuwenden. Mangels spezialgesetzlicher Regelungen könne die Beklagte als Sicherheitsbehörde tätig werden. Die von der Polizei übermittelten Erkenntnisse begründeten die hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass ohne Eingreifen der Sicherheitsbehörde beim Weiterbetrieb der Praxis Schäden für die Gesundheit von Patienten des Klägers eintreten. Das Grundrecht des Klägers aus Art. 12 GG müsse in Abwägung mit dem Schutz der Gesundheit der Patienten zurücktreten. Wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Sicherstellung des Gesundheitsschutzes sei die sofortige Vollziehung des Bescheids anzuordnen.
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Der Bescheid wurde am Samstag, 2. Oktober 2021 durch Einlegen in den Briefkasten an der Wohnsitzadresse des Klägers im Wege der Ersatzzustellung zugestellt. Der Kläger war an diesem Tag in den Praxisräumen nicht anzutreffen, ebenso nach mehrmaligem Läuten auch nicht an der Wohnungstür. Auf dem Umschlag des zuzustellenden Bescheids wurde das Datum der Zustellung und der Name der Behörde und des Zustellenden vermerkt.
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2. Gegen den Bescheid vom 2. Oktober 2021 ließ der Kläger am 4. November 2021 Klage erheben.
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Zur Begründung ist ausgeführt, dass der angefochtene Bescheid unverhältnismäßig in das Grundrecht des Klägers aus Art. 12 Abs. 1 GG eingreife, die Praxisschließung verletze den Kläger unverhältnismäßig in seiner Berufswahlfreiheit. Dies ergebe sich zum einen daraus, dass als milderes Mittel die Untersagung weiterer Impfungen durch den Kläger ausgereicht hätte. Da nach einer durchgeführten Impfung ein Impfzertifikat durch eine nachgeschaltete Einrichtung (Apotheke) ausgestellt werden müsse, könnten durch die Untersagung einer Impftätigkeit des Klägers weitere unzulässige Impfungen verhindert werden. Es bestehe auch keine konkrete Wiederholungsgefahr. Aufgrund der öffentlichen Mitteilungen des Landratsamts und der überregionalen Presseberichterstattung sei auszuschließen, dass erneut eine Impfnachfrage beim Kläger entstehe. Der Kläger sei vor Erlass des Bescheids nicht angehört worden. Die Schließung der Praxis habe auch erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen auf den Kläger, was im Rahmen der Abwägung von der Beklagte nicht berücksichtigt worden sei.
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Der Kläger lässt beantragen,
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den Bescheid vom 2. Oktober 2021 aufzuheben.
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Die Beklagte lässt beantragen,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung ist ausgeführt, dass die Klage bereits unzulässig sei. Im Zeitpunkt der Klageerhebung sei die Monatsfrist des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO bereits abgelaufen gewesen. Im Übrigen sei die Klage auch unbegründet, die Beklagte habe die Interessen des Klägers und das öffentliche Interesse am Gesundheitsschutz ordnungsgemäß abgewogen.
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Ein zeitgleich mit der Klage erhobener Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes blieb erfolglos (VG Augsburg, B.v. 6.12.2021 - Au 8 S 21.2283).
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Auf die Entscheidungsgründe wird verwiesen.
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Mit Schreiben vom 26. Januar 2022 wurden die Beteiligten zur möglichen Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört. Der Bevollmächtigte des Klägers erklärte sich damit nicht einverstanden, die Beklagtenseite äußerte sich mit Schriftsatz vom 16. Februar 2022
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Mit Beschluss vom 7. März 2022 übertrug die Kammer den Rechtsstreit auf den Einzelrichter zur Entscheidung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, auch im Verfahren Au 8 S 21.2283, und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Entscheidung konnte im vorliegenden Fall durch Gerichtsbescheid ergehen, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten wurde zu diesem Vorgehen gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) angehört, eine Zustimmung der Beteiligten ist nicht notwendig (vgl. Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 84 Rn. 2).
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Die Klage bleibt erfolglos, sie ist nach Ablauf der Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO erhoben und damit unzulässig.
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1. Der Bescheid vom 2. Oktober 2021 wurde dem Kläger am gleichen Tag wirksam bekanntgegeben, mit der Bekanntgabe (Art. 41 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG) begann die Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu laufen.
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a) Die Beklagte hat den Bescheid vom 2. Oktober 2021 in Anwendung von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (BayVwZVG) dem Kläger an dessen Geschäftsräumen, der von ihm betriebenen Allgemeinarztpraxis, durch eine zustellende Bedienstete gegen Empfangsbekenntnis zustellen wollen.
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In der Arztpraxis konnte weder der Kläger noch eine dort beschäftigte Person (vgl. Art. 5 Abs. 2 VwZVG i.V.m. § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) angetroffen werden. Die Bedienstete der Beklagten hat deshalb die Wohnsitzadresse des Klägers aufgesucht, um dort die Zustellung an den Kläger oder eine Empfangsperson (vgl. Art. 5 Abs. 2 VwZVG i.V.m. § 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) vorzunehmen. Auch dies ist offensichtlich nicht möglich gewesen, da trotz mehrmaligem Läuten die Wohnungstür nicht geöffnet worden ist.
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b) Somit konnte der streitgegenständliche Bescheid vom 2. Oktober 2021 in Anwendung der Regelung des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 BayVwZVG im Wege der Ersatzzustellung nach §§ 177 ff. ZPO zugestellt werden.
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Diese Ersatzzustellung wurde wirksam nach Art. 5 Abs. 2 Satz 2 BayVwZVG i.V.m. § 180 Satz 1 ZPO am 2. Oktober 2021 durchgeführt, der Grund der Ersatzzustellung und das Einlegen in den Briefkasten wurden vermerkt, der Zeitpunkt der Zustellung wurde auf dem Bescheid angegeben (Bl. 110 ff. der Behördenakte).
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c) Mit der somit wirksamen Bekanntgabe des Verwaltungsakts am 2. Oktober 2021 lief die Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO, die Klage konnte zulässig nur innerhalb eines Monats zu erhoben werden. Nach den zur Berechnung der Monatsfrist maßgeblichen Vorschriften des § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO endete die Klagefrist nach §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Satz 1 BGB somit mit dem Ablauf des Tages, der mit der Zahl dem Beginn des Laufs der Frist entspricht, vorliegend somit mit dem Ablauf des 2. November 2021.
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d) Die am 4. November 2021 bei Gericht per Telefax eingegangene Klage war damit verspätet erhoben, die Klagefrist war bereits abgelaufen.
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2. Die Kosten des Verfahrens trägt nach §§ 84 Abs. 1 Satz 3 VwGO, 154 Abs. 1 VwGO der Kläger als unterlegener Teil.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 84 Abs. 1 Satz 3, 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.