Inhalt

LG Traunstein, Endurteil v. 17.02.2022 – 8 O 2489/21
Titel:

Abschalteinrichtung, Sittenwidrigkeit, Nutzungsentschädigung, Besondere Verwerflichkeit, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Kostenentscheidung, Typgenehmigung, Bewusster Gesetzesverstoß, Sitzungsniederschrift, Klageabweisung, Unzulässigkeit, Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung, Kraftfahrt-Bundesamt, Rechtshängigkeit, Rückzahlung des Kaufpreises, Unrichtige Angaben, Verbindliche Bestellung, Abgasmanipulation, Rückabwicklung, Klagepartei

Schlagworte:
Sittenwidrigkeit, Abschalteinrichtung, Unzulässigkeit, Thermofenster, Grenzwerte, Offenlegung, Haftung
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Endurteil vom 16.05.2024 – 8 U 1550/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 57085

Tatbestand

1
Der Kläger verlangt von der Beklagten die Rückabwicklung eines Kaufvertrages über einen Pkw Opel Insignia wegen behaupteter Abgasmanipulationen.
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Der Kläger erwarb gemäß verbindlicher Bestellung vom 07.12.2019 bei der Firma in einen gebrauchten Opel Insignia GS 2.0 Diesel zum Bruttokaufpreis von 14.518 €. Die Laufleistung des Fahrzeugs betrug bei dessen Übergabe 15.571 km. Das Fahrzeug verfügt über eine EG-Typgenehmigung für die Emissionsklasse EU5. Zur Erlangung dieser Typgenehmigung müssen die Fahrzeuge bestimmte Emissionsgrenzwerte einhalten, die unter Laborbedingungen gemessen werden.
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Ein verpflichtender Rückruf seitens des Kraftfahrtbundesamtes existiert für das streitgegenständliche Fahrzeug nicht, ebenso wenig wurde ein Software-Update durch die Beklagte angeboten.
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Der Kläger behauptet, das streitgegenständliche Fahrzeug sei mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen, zumal massive Grenzwertüberschreitungen im realen Fahrbetrieb festgestellt worden seien. So werde die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems in Abhängigkeit von Umgebungstemperatur (unterhalb 17 °C), Umgebungsluftdruck (unterhalb 91,5 kPa) und Motorendrehzahl (oberhalb von 2.750 U/min) verringert. Zudem sei eine Softwarefunktion vorhanden, die dafür sorge, dass das Fahrzeug 1180 Sekunden nach dem Motorstart in einen anderen Betriebsmodus (den schmutzigen Abgasmodus) wechsle und auf eine Reduzierung der Emissionsminderungsmaßnahmen umgeschaltet werde.
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Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte hafte wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB. Des weiteren stünden ihm auch Schadensersatzansprüche auf der Grundlage des § 311 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 BGB sowie gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB sowie in Verbindung mit § 27 EG-FGV zu.
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Der Kläger beantragt zuletzt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerpartei 14.518 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 582,23 € Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges Opel, Typ Insignia Limousine HB mit der Fahrgestellnummer zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte trägt vor, das streitgegenständliche Fahrzeug sei auf Grundlage einer bestandskräftigen Typgenehmigung zum Straßenverkehr ohne Einschränkung zugelassen. Es seien auch zukünftig keine Einschränkungen zu erwarten, da das Fahrzeug allen gesetzlichen Anforderungen entspreche. Das Typgenehmigungsverfahren sei ordnungsgemäß durchgeführt worden, insbesondere seien alle genehmigungsrelevanten Angaben gemacht worden. Die Behauptung des Klägers, die maßgeblichen Grenzwerte würden massiv überschritten, sei nicht zutreffend; maßgeblich für die Erteilung einer EG-Typgenehmigung seien im Übrigen die Werte im Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ). Das Emissionskontrollsystem erfülle alle gesetzlichen Anforderungen, insbesondere sei keine Prüfzykluserkennung vorhanden. Die Verringerung der Abgasrückführungsrate in Abhängigkeit von der Außentemperatur, der Drehzahl des Motors und des Umgebungsluftdruckes sichere die Funktionsfähigkeit des Emissionskontrollsystems, schütze den Motor vor Beschädigung und gewährleiste den sicheren Fahrbetrieb. Eine Deaktivierung der Abgasrückführung finde im übrigen erst unterhalb von -10 °C und oberhalb von 40 °C statt.
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Das Gericht hat am 02.02.2022 mündlich verhandelt. Auf das Sitzungsprotokoll wird Bezug genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie die Sitzungsniederschrift vom 02.02.2022 verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.
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Die zulässige Klage ist in der Sache unbegründet.
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1. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt, insbesondere nicht auf Grundlage der §§ 826, 31 BGB zu.
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a) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt.
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Selbst wenn man zugunsten des Klägers in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellt, dass die behauptete parameterabhängige Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren ist, wäre der darin liegende Gesetzesverstoß für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz dieser Steuerungssoftware durch die für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen. Für die Sittenwidrigkeit eines Verhaltens genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. So setzt die Annahme von Sittenwidrigkeit in diesen Fällen jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der parameterabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt (vgl. BGH, Urteil vom 20.07.2021, Az. VI ZR 1154/20, Beschluss vom 09.03.2021, Az. VI ZR 889/20, Beschluss vom 19.01.2021, Az. VI ZR 433/19).
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b) Hier liegt indessen die Unzulässigkeit der von der Klagepartei behaupteten Abschalteinrichtung nicht ohne weiteres auf der Hand:
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Dass eine Abschalteinrichtung, die dazu dient, bei erkanntem Prüfstandsbetrieb ein vom Echtbetrieb abweichendes Emissionsverhalten des Fahrzeugs herbeizuführen, unzulässig ist, erscheint offensichtlich. Um eine solche Umschaltlogik handelt es sich jedoch nach eigenem Vortrag des Klägers gerade nicht, vielmehr erfolge die Steuerung der Abgasreinigung in Abhängigkeit von Umgebungstemperatur, Umgebungsluftdruck und Motorendrehzahl und damit im Grundsatz auf dem Prüfstand und im realen Betrieb in gleicher Weise; es liegt damit gerade kein System der Prüfstandserkennung vor, das per se für die Annahme einer besonderen Verwerflichkeit sprechen würde. Es ist nach dem Vortrag der Klagepartei (Klage, S. 7) auch nicht ersichtlich, dass die vorgenannten Parameter exakt auf die Bedingungen auf dem Prüfstand zugeschnitten wären.
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Eine parameterabhängige Steuerung der Abgasrückführung kann hingegen rechtlich zulässig sein, wenn die Reduzierung der Abgasrückführung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung zu schützen (Art. 5 Absatz 2 lit. a) EG-Verordnung 715/2007). Ob diese Ausnahme einschlägig ist, ist in jedem Einzelfall zu prüfen und hängt von einer Vielzahl von Kriterien ab; über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 lit. a) EG-Verordnung 715/2007 wird überaus kontrovers diskutiert. So ist die Bewertung einer temperaturabhängigen Steuerung der Abgasrückführung (sog. Thermofenster) unter Experten keineswegs einhellig, wobei die Automobilindustrie und ihr folgend das Bundesverkehrsministerium davon ausgehen, ein Thermofenster sei zulässig (Führ, NVwZ 2017, 265). Dementsprechend hat auch das KBA in Bezug auf den hier streitgegenständlichen Motor unstreitig keine unzulässige Abschalteinrichtung beanstandet. Angesichts dessen erscheint es nicht von vornherein als ausgeschlossen, dass die handelnden Personen bei der Beklagten die von ihnen konzipierte Art der Motorsteuerung als zulässig angesehen haben. Ein Handeln unter vertretbarer Auslegung des Gesetzes kann indessen nicht als besonders verwerfliches Verhalten angesehen werden.
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c) Auch dem weiteren Vortrag des Klägers lassen sich keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Vergleichbarkeit der behaupteten Steuerung des Emissionskontrollsystems mit einer Prüfstandserkennungssoftware entnehmen. Soweit der Kläger (beklagtenseits bestritten) behauptet, es sei eine Softwarefunktion vorhanden, die dafür sorge, dass das Fahrzeug 1180 Sekunden nach dem Motorstart in einen anderen Betriebsmodus wechsele, handelt es sich um eine Behauptung ins Blaue hinein. Die in diesem Zusammenhang von der Klagepartei angeführten Messergebnisse der Deutschen Umwelthilfe bieten keine greifbaren Anhaltspunkte für die klägerische Behauptung einer unzulässigen Abschalteinrichtung: denn die genannten Untersuchungen der Deutschen Umwelthilfe zielten auf das Emissionsverhalten im normalen Fahrbetrieb ab; entscheidend ist jedoch allein die Einhaltung der Grenzwerte unter normierten Prüfbedingungen, und zwar in den Standardprüfzyklen, die in der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 692/2008 gemäß Art. 5 Abs. 3 und Art. 8 Verordnung (EG) Nr. 715/2007 geregelt sind (NEFZ). Allein die Überschreitung der einschlägigen Grenzwerte im Straßenbetrieb ist daher nicht geeignet, den Rückschluss auf eine unzulässige Abschalteinrichtung zu ziehen; denn es liegt auf der Hand, dass die Überschreitung des Wertes im NEFZ darauf zurückzuführen sein kann, dass der Motor im realen Fahrbetrieb aufgrund der konkreten Verkehrsverhältnisse deutlich mehr Schadstoffe emittiert, als in einem zu Vergleichszwecken festgestellten, standardisierten Fahrzyklus auf dem Prüfstand (vgl. OLG Frankfurt, Az. 4 U 171/18). Vielmehr haben die Messergebnisse der Untersuchungskommission Volkswagen für einen mit dem streitgegenständlichen Motortyp vergleichbaren Euro 5-Motor von Opel ergeben, dass das Fahrzeug im „NEFZ warm“ die gesetzlichen Grenzwerte einhält, sodass dem Motortyp ein unauffälliges Verhalten attestiert wurde (vgl. Bericht der Untersuchungskommission Volkswagen, Anlage B 2). Zweck des „NEFZ warm“ war es aber gerade aufzuzeigen, ob eine unerlaubte Optimierung der Emissionswerte angewendet wird, indem beispielsweise nach 1180 Sek. auf eine Reduzierung der Emissionsminderungsmaßnahmen umgeschaltet wird (vgl. Bericht der Untersuchungskommission Volkswagen, Seite 15).
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d) Auch aus einer etwaig unterbliebenen Offenlegung der genauen Steuerung des Emissionskontrollsystems gegenüber dem Kraftfahrtbundesamt folgen keine Anhaltspunkte, dass für die Beklagte tätige Personen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Abgesehen davon, dass die Klagepartei schon keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte dafür vorgebracht hat, dass die Beklagte im Typgenehmigungsverfahren oder sonst unzutreffende Angaben über die Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems gemacht hätte, sondern lediglich bestreitet, dass das Kraftfahrtbundesamt Kenntnis von der genauen Abgasrückführung gehabt hätte (Schriftsatz vom 12.01.2022, dort Seite 36), wäre auch die Typgenehmigungsbehörde nach dem Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG gehalten gewesen, Einzelheiten der Steuerung der Abgasreinigung zu erfragen, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug zu prüfen (vgl. OLG München, Beschluss vom 01.03.2021, A 8 U 412z.2/20; OLG Nürnberg, Beschluss vom 27.07.2020, Az. 5 U 4765/19; BGH, Urteil vom 16.09.2021, Az. VII ZR 322/20). Anhaltspunkte für wissentlich unterbliebene oder unrichtige Angaben der Beklagten im Typgenehmigungsverfahren, die noch dazu auf ein heimliches und manipulatives Vorgehen oder eine Überlistung des KBA und damit auf einen bewussten Gesetzesverstoß hindeuten würden, sind nach alledem nicht zu erkennen.
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2. Ein Anspruch des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB scheitert bereits daran, dass es an der in diesem Zusammenhang erforderlichen Stoffgleichheit des erstrebten rechtswidrigen Vermögensvorteils mit einem etwaigen Vermögensschaden fehlt (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az. VI ZR 5/20, Rn. 18 ff.).
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3. Schließlich ergibt sich eine Haftung der Beklagten auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit den klägerseits genannten europarechtlichen Vorschriften, da diese Bestimmungen schon keine Schutzgesetze darstellen (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, Rz. 73 ff.).
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Eine deliktische Haftung scheidet daher aus, sodass die Klage im Ergebnis insgesamt abzuweisen war.
II.
23
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
III.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.