Inhalt

OLG Bamberg, Hinweisbeschluss v. 04.02.2022 – 3 U 328/21
Titel:

Abschalteinrichtung, Klagepartei, Sittenwidrigkeit, BGH-Beschluss, Beweisangebote, Schädigungsvorsatz, Nutzungsentschädigung, Gesetzesverstoß, Darlegungs- und Beweislast, Arglistige Täuschung, Beschlüsse, Außergerichtliche Rechtsanwaltskosten, Rechtshängigkeit, Unzulässigkeit, Berufungsverfahren, Manipulations-Software, Hinreichende Erfolgsaussicht, Klageschrift, Basiszinssatz, Zug-um-Zug

Schlagworte:
Schadensersatz, Abschalteinrichtung, Thermofenster, Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung, Manipulation, Beweisangebot, Sittenwidrigkeit
Vorinstanz:
LG Hof, Urteil vom 03.08.2021 – 11 O 43/21
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Bamberg, Beschluss vom 02.03.2022 – 3 U 328/21
BGH Karlsruhe, Urteil vom 16.10.2023 – VIa ZR 446/22
OLG Bamberg, Urteil vom 20.03.2024 – 3 U 328/21
Fundstelle:
BeckRS 2022, 56526

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Hof vom 03.08.2021, Az. 11 O 43/21, im Beschlussverfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen und den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 24.082,62 € festzusetzen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis längstens 25.02.2022.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Klagepartei nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin auf Schadensersatz wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung in Anspruch.
2
1. Die Klagepartei erwarb am 05.04.2016 von einem nicht am Rechtsstreit beteiligten Autohaus ein Gebrauchtfahrzeug der Marke …, Typ … zum Kaufpreis von 26.500,00 € (Anlage K 1). Zum Zeitpunkt des Kaufs betrug der Kilometerstand des Fahrzeugs 59.500 km, zum 03.08.2021 betrug er 93.258 km. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor des Typs OM 651 Euro 5 ausgestattet. Das Fahrzeug ist nicht von einem Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt betroffen.
3
2. Die Klagepartei hat in erster Instanz vorgetragen, in dem von ihr erworbenen Fahrzeug kämen mit Wissen und Wollen des Vorstands der Beklagten mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen zum Einsatz (Thermofenster, Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung,
Slipguard, Bit 13, Bit 14, Bit 15, Aufwärmstrategie, Wechsel der Motorsteuerung nach 1200 Sekunden, Getriebemanipulation), außerdem sei das On-Board-Diagnosesystem manipuliert. Auf dieser Grundlage hat die Klagepartei in erster Instanz zuletzt beantragt,
1.
Die Beklagte wird verurteilt, Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs … mit der FIN … an die Klagepartei 26.500,- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11.01.2020 abzüglich einer Nutzungsentschädigung von 2.417,38 € zu zahlen.
2.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des in Klageantrag Ziffer 1. bezeichneten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
3.
Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei die von den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten ihres Rechtsanwaltes A. in Höhe von 1.711,70 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.
3.
Die Beklagte ist dem Vortrag der Klagepartei in erster Instanz entgegengetreten und hat Klageabweisung beantragt.
4.
Das Landgericht hat die Klage mit Endurteil vom 03.08.2021 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
4
Die Verwendung eines Thermofensters stelle sich nicht als subjektiv sittenwidrige Handlung dar (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 04.02.2021, 1 U 484/20, nicht veröffentlicht). Entsprechendes gelte für die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung, die sowohl im Straßenbetrieb als auch auf dem Prüfstand aktiviert sei. Es sei jeweils auch kein Schädigungsvorsatz erkennbar. Im Übrigen sei der Vortrag der Klagepartei nicht hinreichend substantiiert.
5
Wegen des Sach- und Streitstands in erster Instanz im Übrigen wird Bezug genommen auf die Feststellungen im angegriffenen Ersturteil (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).
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5. Gegen das vorgenannte Endurteil wendet sich die zulässige Berufung der Klagepartei, mit der sie ihre Sachanträge – mit Ausnahme des Antrags auf Feststellung des Annahmeverzugs – weiterverfolgt. Sie trägt im Wesentlichen vor:
7
Das Landgericht habe die neueste aktuelle Rechtsprechung des BGH verkannt bzw. nicht beachtet (Urteil vom 13.07.2021, VI ZR 128/20; Urteil vom 04.05.2021, VI ZR 81/20) und daher die Anforderungen an ein substantiiertes Vorbringen überspannt. Zudem habe das Landgericht das „in der Klage (dort unter G)“ enthaltene Beweisangebot auf Vernehmung von „Personen aus dem Vorstand der Beklagten und der … GmbH“ zum subjektiven Tatbestand übergangen. Die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung sowie „die weiteren 5 unzulässigen Abschalteinrichtungen“ seien in der Klage detailliert beschrieben und mit Beweisangeboten versehen.
8
Die Klagepartei beantragt,
1.
Unter Abänderung des am 03.08.2021 verkündeten Urteils des LG Hof, Az.: 11 O 43/21 die Beklagte zu verurteilen, Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges … mit der Fahrgestellnummer … an die Klagepartei 26.500,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit 11.01.2020 abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 2.417,38 Euro zu zahlen.
2.
Unter Abänderung des am 03.08.2021 verkündeten Urteils des LG Hof, Az.: 11 O 43/21 die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten seines Rechtsanwaltes A. in Höhe von 1.711,70 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.
6.
Die Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil unter ausführlicher Darlegung der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung. Sie beantragt die Zurückweisung der Berufung.
9
Wegen des Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren im Übrigen wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen.
II.
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Nach der einstimmigen Auffassung des Senats ist die Berufung offensichtlich unbegründet, so dass das Rechtsmittel keine hinreichende Erfolgsaussicht im Sinn des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO bietet. Das Landgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen.
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1. Ein Anspruch der Klagepartei gegen die Beklagten nach § 826 BGB wegen des im Fahrzeug der Klagepartei unstreitig zum Einsatz kommenden Thermofensters besteht nicht. Es fehlt sowohl an der objektiven Sittenwidrigkeit als auch am Schädigungsvorsatz.
12
(Spätestens) Seit der Entscheidungsserie vom 16.09.2021 (Urteile vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, 286/20, 321/20 und 322/20) nimmt der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung an, dass es im Hinblick auf die – bis heute bestehende! – unsichere Rechtslage bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Thermofensters unabhängig vom konkret verwendeten Typ des Dieselmotors und herstellerübergreifend (zu Daimler: u.a. Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, NJW 2021, 3721; zu VW: Beschluss vom 09.03.2021, VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814; zu Audi: Beschluss vom 01.09.2021, VII ZR 128/21, juris; Beschluss vom 13.10.2021, VII ZR 164/21, juris; zu BMW: Beschluss vom 15.09.2021, VII ZR 2/21, juris) sowohl an einem besonders verwerflichen Verhalten des Herstellers als auch an dem erforderlichen Schädigungsvorsatz fehlt.
13
Der Bundesgerichtshof hat diese Rechtsprechung für den im Streitfall in Rede stehenden Fahrzeugtyp … bereits mehrfach bestätigt (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, VI ZR 433/19, NJW 2021, 921; Urteil vom 13.07.2021, VI ZR 128/20, VersR 2021, 1252; Beschluss vom 29.09.2021, VII ZR 45/21, juris; Beschluss vom 29.09.2021, VII ZR 72/21, juris). Im Einzelnen:
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a) Die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) sind nicht bereits deshalb gegeben, weil die Beklagte das in Rede stehende Fahrzeug aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) ausgestattet und in den Verkehr gebracht hat (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, VI ZR 433/19, NJW 2021, 921 Rn. 13; Urteil vom 13.07.2021, VI ZR 128/20, VersR 2021, 1252 Rn. 10; Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, NJW 2021, 3721 Rn. 12). Dabei kann zugunsten der Klagepartei in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellt werden, dass eine derartige temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung 715/2007/EG zu qualifizieren ist, denn der darin liegende Gesetzesverstoß wäre auch unter Berücksichtigung einer damit einhergehenden Gewinnerzielungsabsicht der Beklagten für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz dieser Steuerungssoftware durch die für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, VI ZR 433/19, NJW 2021, 921 Rn. 16; Beschluss vom 09.03.2021, VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 26; Urteil vom 13.07.2021, VI ZR 128/20, VersR 2021, 1252 Rn. 13; Urteil vom 20.07.2021, VI ZR 1154/20, VersR 2021, 1575 Rn. 13; Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, NJW 2021, 3721 Rn. 15).
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aa) Der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems ist nicht mit der Fallkonstellation zu vergleichen, die dem Grundsatzurteil vom 25.05.2020 (VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962) zugrunde liegt (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, VI ZR 433/19, NJW 2021, 921 Rn. 17 Beschluss vom 09.03.2021, VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 27). Dort hatte der Automobilhersteller entschieden, von der Einhaltung der gesetzlichen Stickoxidgrenzwerte im realen Fahrbetrieb vollständig abzusehen und dem KBA stattdessen zwecks Erlangung der Typgenehmigung mittels einer eigens zu diesem Zweck entwickelten Motorsteuerungssoftware wahrheitswidrig vorzuspiegeln, dass die von ihm hergestellten Dieselfahrzeuge die Grenzwerte einhalten. Die Software war bewusst und gewollt so programmiert, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten wurden (Umschaltlogik), und zielte damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde ab. Die mit einer derartigen – evident unzulässigen – Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeuge hatte der Hersteller sodann unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die ordnungsgemäße Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraussetzten, in den Verkehr gebracht. Ein solches Verhalten steht einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleich.
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bb) Der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems ist weder „evident unzulässig“ (vgl. BGH, Beschluss vom 19.01.2021, VI ZR 433/19, NJW 2021, 921 Rn. 17) noch von vornherein durch Arglist geprägt (BGH, Beschluss vom 09.03.2021, VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 27). Das Thermofenster unterscheidet nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet, sondern arbeitet in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise. Unter den für den Prüfzyklus maßgebenden Bedingungen entspricht die Rate der Abgasrückführung im normalen Fahrbetrieb derjenigen auf dem Prüfstand.
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Daher reicht allein der Vortrag der Klagepartei, dass die Abgasrückführung in ihrem Fahrzeug abgeschaltet werde, wenn Außentemperaturen von unter 17 Grad Celsius und über 30 Grad Celsius herrschen (vgl. Seite 14 der Replik), nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben.
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b) Um das Verhalten der Beklagten als sittenwidrig zu bewerten, bedarf es daher – über die Verwendung des Thermofensters hinaus – weiterer Umstände (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, VI ZR 433/19, NJW 2021, 921 Rn. 19; Beschluss vom 09.03.2021, VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 28; Urteil vom 13.07.2021, VI ZR 128/20, VersR 2021, 1252 Rn. 13; Urteil vom 20.07.2021, VI ZR 1154/20, VersR 2021, 1575 Rn. 13; Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, NJW 2021, 3721 Rn. 16), für die die Klagepartei die Darlegungs- und Beweislast trägt (BGH, Urteil vom 20.07.2021, VI ZR 1154/20, VersR 2021, 1575 Rn. 13). Keinesfalls ausreichend hierfür ist allein der Umstand, dass die Beklagte mit der Entwicklung und dem Einsatz des Thermofensters eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinn erstrebt hat (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, VI ZR 433/19, NJW 2021, 921 Rn. 13).
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aa) Über die Verwendung des Thermofensters hinaus, setzt daher bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit voraus, dass die für die Beklagte handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, VI ZR 433/19, NJW 2021, 921 Rn. 19; Beschluss vom 09.03.2021, VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 28 Urteil vom 13.07.2021, VI ZR 128/20, VersR 2021, 1252 Rn. 13; Urteil vom 20.07.2021, VI ZR 1154/20, VersR 2021, 1575 Rn. 13; Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, NJW 2021, 3721 Rn. 16), also mit „Vorsatz“ gehandelt haben (vgl. BGH, Urteil vom 20.07.2021, VI ZR 1154/20, VersR 2021, 1575 Rn. 14). Eine lediglich fahrlässige Verkennung der Rechtslage ist insoweit nicht ausreichend (vgl. BGH, Urteil vom 20.07.2021, VI ZR 1154/20, VersR 2021, 1575 Rn. 14). Für diese Tatbestandsvoraussetzung trägt die Klagepartei die Darlegungs- und Beweislast (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, VI ZR 433/19, NJW 2021, 921 Rn. 19; Beschluss vom 09.03.2021, VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 29; Urteil vom 13.07.2021, VI ZR 128/20, VersR 2021, 1252 Rn. 14; Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, NJW 2021, 3721 Rn. 17).
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bb) Für ein derartiges Vorstellungsbild sprechende Anhaltspunkte hat die Klagepartei nicht aufgezeigt.
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(1) Der Vortrag der Klagepartei, ihr Fahrzeug sei Gegenstand einer freiwilligen Kundendienstmaßnahme der Beklagten, mit der lediglich bezweckt werde, eine unzulässige Abschalteinrichtung in Wegfall zu bringen und einen verpflichtenden Rückruf zu vermeiden, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Hieraus lassen sich keine Rückschlüsse auf das Vorstellungsbild der Beklagten zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ziehen (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, VI ZR 433/19, NJW 2021, 921 Rn. 21).
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(2) Die Klagepartei hat nicht dargelegt, dass es sich bei dem Thermofenster um eine prüfstandsbezogene Abschalteinrichtung handelt. Zwar ist denkbar, dass eine Abschalteinrichtung die Kriterien des § 826 BGB auch dann erfüllt, wenn sie nicht prüfstandsbezogen ist. Das Kriterium der Prüfstandsbezogenheit ist indes geeignet, um zwischen – ggf. nur unzulässigen – Abschalteinrichtungen und solchen, deren Implementierung die Kriterien einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung erfüllen können, zu unterscheiden sowie um aus der Funktionsweise der Abschalteinrichtung auf eine als sittenwidrig zu bewertende Täuschungsabsicht der Beklagten schließen zu können (BGH, Beschluss vom 29.09.2021, VII ZR 126/21, BeckRS 2021, 33038 Rn. 18 f.).
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Bei Implementierung des Thermofensters erfolgt die Abgasreinigung im Grundsatz auf dem Prüfstand und im realen Betrieb in gleicher Weise. Es liegt damit – im „Thermofenster“ als solchem – noch kein System der Prüfstanderkennung vor (vgl. BGH, Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, juris Rn. 19).
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Soweit die Klagepartei sinngemäß behauptet, der Temperaturbereich des Thermofensters sei auf die Bedingungen auf dem Prüfstand zugeschnitten, hat sie die Ausgestaltung des Thermofensters schlüssig und in prozessual beachtlicher Weise vorzutragen (vgl. BGH, Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, juris Rn. 20, 24; Beschluss vom 15.09.2021, VII ZR 2/21, juris Rn. 14; Beschluss vom 15.09.2021, VII ZR 101/21, juris Rn. 17). Insoweit fehlt es jedenfalls an greifbaren Anhaltspunkten dafür, dass ihre Behauptung zutreffend sein könnte.
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(3) Nicht ausreichend ist ferner der Vortrag der Klagepartei, die Beklagte habe im Typgenehmigungsverfahren die Abschalteinrichtung nicht offengelegt (vgl. Seite 9 der Klageschrift). Insoweit verbleibt es bei der inhaltsleeren Behauptung ohne jegliche Substanz, sodass dieses Vorbringen unbeachtlich ist.
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(4) Soweit die Klagepartei schließlich das Übergehen eines Beweisangebots rügt, verhilft dies der Berufung ebenfalls nicht zum Erfolg. Das angeblich übergangene Beweisangebot – bei dem im Übrigen entgegen dem Berufungsvorbringen nur der ehemalige Vorstandsvorsitzende, nicht aber weitere Personen als Zeugen benannt wurden – lautete: „Die Organe der Beklagten hatten auch Kenntnis von der vorgenannten Manipulation und haben sie gebilligt. Der Vorstand sowie zahlreiche Mitarbeiter wussten von dem Einsatz des Defeat Device…“ (Seite 11 der Klageschrift). Da die Klagepartei in diesem Schriftsatz das Vorhandensein von insgesamt sechs unterschiedlichen Abschalteinrichtungen behauptet hat, war dieses allgemein und im Singular formulierte Beweisangebot nicht geeignet, das Landgericht zur Beweiserhebung zu veranlassen. Es handelt sich vielmehr um eine auf Ausforschung gerichtete Beweiserhebung.
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b) Dem Sachvortrag der Klagepartei lässt sich zudem nicht entnehmen, dass die Beklagte mit Schädigungsvorsatz gehandelt hätte.
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Bei einer Abschalteinrichtung, die – wie hier – im Grundsatz auf dem Prüfstand in gleicher Weise arbeitet wie im realen Fahrbetrieb und bei der die Frage der Zulässigkeit nicht eindeutig und unzweifelhaft beantwortet werden kann, kann bei Fehlen sonstiger Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die für die Beklagte handelnden Personen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (BGH, Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, juris Rn. 30). Die Rechtslage hinsichtlich der Zulässigkeit eines Thermofensters ist – bis heute – zweifelhaft. Eine möglicherweise nur fahrlässige Verkennung der Rechtslage genügt aber für eine Haftung der Beklagten nicht (BGH, Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, juris Rn. 31 f.). Auch folgt allein aus der – unterstellten – objektiven Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung in Form des Thermofensters kein Vorsatz hinsichtlich der Schädigung der Fahrzeugkäufer. Im Hinblick auf die unsichere Rechtslage ist nicht dargetan, dass sich den für die Beklagte tätigen Personen die Gefahr einer Schädigung des Klägers hätte aufdrängen müssen (BGH, Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, juris Rn. 32).
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c) Durfte die Beklagte das Thermofenster zumindest vertretbar für eine zulässige Abschalteinrichtung halten, durfte sie auch das OBD so ausgestalten, dass es den Einsatz des Thermofensters nicht als Fehler anzeigt (BGH, Beschluss vom 15.09.2021, VII ZR 2/21, juris Rn. 18).
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2. Ansprüche der Klagepartei gegen die Beklagte wegen der Verwendung einer Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR) bestehen ebenfalls nicht. Der Bundesgerichtshof hat seine Rechtsprechung zum Thermofenster auf die KSR übertragen und eine Haftung der Beklagten für die KSR abgelehnt (BGH, Beschluss vom 29.09.2021, VII ZR 126/21, BeckRS 2021, 33038; Beschluss vom 13.10.2021, VII ZR 179/21, juris). Dies gilt selbst dann, wenn das Fahrzeug der Klagepartei von einem Rückruf durch das KBA betroffen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 29.09.2021, VII ZR 126/21, BeckRS 2021, 33038 Rn. 14).
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a) Es kann zugunsten der Klagepartei in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellt werden, dass die KSR als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren ist, denn auch dann wäre der darin liegende Gesetzesverstoß für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz dieser Steuerungssoftware durch die für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen. Dazu bedürfte es vielmehr weiterer Umstände (BGH, Beschluss vom 29.09.2021, VII ZR 126/21, BeckRS 2021, 33038 Rn. 12; Beschluss vom 13.10.2021, VII ZR 179/21, juris Rn. 22), denn die KSR arbeitet auf dem Prüfstand und im normalen Fahrbetrieb im Grundsatz in gleicher Weise (BGH, Beschluss vom 29.09.2021, VII ZR 126/21, BeckRS 2021, 33038 Rn. 17). Solche Umstände sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
32
b) Jedenfalls aber lässt sich ein Schädigungsvorsatz der Beklagten nicht feststellen. Das KBA hat die KSR teilweise nicht als unzulässige Abschalteinrichtung eingestuft – und dementsprechend von Rückrufen abgesehen –, obwohl es die KSR in anderen von der Beklagten hergestellten Fahrzeugtypen mit teilweise demselben Dieselmotortyp beanstandet hat (vgl. Anlage BB 3). Warum bei dieser Sachlage der Beklagten ein wenigstens billigendes Inkaufnehmen eines Gesetzesverstoßes, welches Voraussetzung für eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung gemäß § 826 BGB ist, vorzuwerfen sein soll, erschließt sich nicht (BGH, Beschluss vom 13.10.2021, VII ZR 179/21, juris Rn. 23).
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3. Ein Anspruch der Klagepartei gegen die Beklagte wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form von Slipguard, Bit 13, Bit 14, Bit 15, Aufwärmstrategie, Wechsel der Motorsteuerung nach 1200 Sekunden oder Getriebemanipulation besteht nicht. Zu Recht hat das Landgericht den diesbezüglichen Vortrag der Klagepartei als prozessual unbeachtlich angesehen (zum Prüfungsmaßstab vgl. BGH, Urteil vom 13.07.2021, VI ZR 128/20, juris Rn. 21; Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, juris Rn. 23).
34
Die Beklagte hat amtliche Auskünfte des Kraftfahrtbundesamts vom 08.01.2021 an das Landgericht Stuttgart (Anlage B 2), vom 29.06.2020 an das Landgericht Halle (Anlage B 5) und vom 20.08.2020 an das Landgericht Stuttgart (Anlage BB 2) vorgelegt, die jeweils den hier in Rede stehenden Fahrzeugtyp zum Gegenstand haben und in den übereinstimmend mitgeteilt wird, dass keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt worden sei. Dem hat der Vortrag der Klagepartei in erster Instanz und im Berufungsverfahren, den der Senat zur Kenntnis genommen und erwogen hat, nichts Substantielles entgegenzusetzen. Im Einzelnen ist hierzu anzumerken:
− Die Betroffenheit des Motors OM 651 vom Abgasskandal laut Bericht der Untersuchungskommission des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur ist kein hinreichender Anhaltspunkt für die behauptete Manipulationssoftware (BGH, Beschluss vom 15.09.2021, VII ZR 165/21, juris Rn. 14);
− Dass Fahrzeuge der Beklagten mit unzulässigen Abschalteinrichtungen versehen sein mögen, begründet kein Indiz dafür, dass dies ebenfalls auf das hier streitgegenständliche Fahrzeug zutrifft (BGH, Beschluss vom 15.09.2021, VII ZR 165/21, juris Rn. 14);
− Die Abweichung der Messwerte im Realbetrieb von den Messwerten nach NEFZ ist als Indiz für eine Abschalteinrichtung, und noch dazu für eine Manipulationssoftware, die die Voraussetzungen des § 826 BGB erfüllen könnte, angesichts der unstreitigen gravierenden Unterschiede der Bedingungen, unter denen die Messung erfolgt, ungeeignet (BGH, Beschluss vom 15.09.2021, VII ZR 2/21, juris Rn. 30; BGH, Urteil vom 13.07.2021, VI ZR 128/20, juris Rn. 23);
− Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Stuttgart hat erweisen sich nicht als hinreichender Anhaltspunkt für die behauptete Manipulationssoftware (BGH, Beschluss vom 15.09.2021, VII ZR 165/21, juris Rn. 14; Beschluss vom 29.09.2021, VII ZR 72/21, juris Rn. 14);
− Die in Bezug genommene Verlautbarung des BMV (vgl. Seite 9 der Klageschrift) wird nicht vorgelegt und widerspricht inhaltlich dem Vorbringen der Klagepartei;
− Erkenntnisse aus den USA lassen sich wegen des abweichenden regulatorischen Rahmens nicht auf den Streitfall übertragen.
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In der Auffassung, dass die Klagepartei ins Blaue hinein vorträgt, sieht sich der Senat auch dadurch bestätigt, dass diese vorträgt, sie habe „sich die Technik der OM 651 Motoren sehr genau angesehen“ und sei daher „sicher, dass es künftig für alle Dieselfahrzeuge der Beklagten einen Rückruf geben“ werde (Seite 20 der Replik). Derart abwegiger Sachvortrag lässt den Vortrag der Klagepartei insgesamt als willkürlich erscheinen.
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4. Ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB besteht aus Rechtsgründen nicht (BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 18, 23, 24; Urteil vom 08.12.2020, VI ZR 244/20, ZIP 2021, 84 Rn. 20).
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5. Der Klaganspruch ergibt sich auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 Satz 1 EG-FGV, weil es sich bei den Vorschriften der EG-FGV nicht um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB handelt (BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 10 ff.; Beschluss vom 18.05.2021, VI ZR 486/20, juris Rn. 21; Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, juris Rn. 35; Urteil vom 23.09.2021, III ZR 200/20, juris Rn. 14). Entsprechendes gilt für einen Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 5 VO 715/2007/EG (BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 15; Urteil vom 08.12.2020, VI ZR 244/20, ZIP 2021, 84 Rn. 20; Beschluss vom 09.03.2021, VI ZR 889/20, Rn. 10, juris; Urteil vom 23.03.2021, VI ZR 1180/20, juris Rn. 19; vgl. auch BGH, Urteil vom 23.09.2021, III ZR 200/20, juris Rn. 14).
III.
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Die Berufungsangriffe erfordern keine Erörterung in mündlicher Verhandlung.
39
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
40
Der Senat regt daher – unbeschadet der Möglichkeit zur Stellungnahme – die kostengünstigere Rücknahme der aussichtslosen Berufung an, die zwei Gerichtsgebühren spart (vgl. Nr. 1220, 1222 Kostenverzeichnis GKG).