Titel:
Erfolglose Klage gegen die Anordnung des Rückschnitts von in eine Straße hineinragendem Pflanzenbewuchs
Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
LStVG Art. 7 Abs. 2 Nr. 2
BayStrWG Art. 29 Abs. 2, Abs. 3 S. 1, Art. 66 Abs. 4
BNatSchG § 39 Abs. 5 S. 1 Nr. 2
BayVwVfG Art. 44 Abs. 2 Nr. 4
Leitsätze:
1. Der Interessenkonflikt zwischen Eigentümerbefugnissen und Schutzzweck des Art. 29 Abs. 2 S. 1 und 2 BayStrWG wird nur dann gerecht und verfassungsrechtlich unbedenklich ausgeglichen, wenn eine konkrete Gefahr vorliegt. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Schneideverbot des § 39 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 Hs. 1 BNatSchG gilt nicht, wenn die Maßnahme behördlich angeordnet ist. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Rückschnitt von Pflanzenbewuchs, Objektive Möglichkeit zur Durchführung des Rückschnitts, Zwangsgeld, sicherheitsrechtliche Anordnung, Verbotstatbestand, Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs, konkrete Gefahr, Verhältnismäßigkeit, Gleichheitssatz, Schneideverbot, Form- und Pflegeschnitt, Unmöglichkeit
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 06.09.2022 – 8 ZB 22.1093
Fundstelle:
BeckRS 2022, 5604
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid des Beklagten, mit dem ihr gegenüber unter Androhung eines Zwangsgelds und unter Kostenfestsetzung die sicherheitsrechtliche Anordnung zum Rückschnitt von Pflanzenbewuchs, der vom Grundstück der Klägerin in den öffentlichen Verkehrsraum ragt, verfügt wurde.
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Die Klägerin ist Eigentümerin des nicht von ihr selbst bewohnten und mit einem Einfamilienhaus und einer Garage bebauten Grundstücks mit der Flurnummer ... im Gemeindegebiet des Beklagten. Ihr Grundstück ist über eine Zufahrt an der Ortsstraße „...“ zugänglich. Einen Bordstein oder Gehweg gibt es nicht, das Grundstück der Klägerin grenzt vielmehr direkt an den Straßenkörper an. Die Ortsstraße „...“ ist als Gemeindestraße gewidmet und bildet eine Sackgasse. Es findet hauptsächlich Anliegerverkehr statt. Auf der gegenüberliegenden Seite der Ortsstraße „...“ liegen ausweislich der Feststellungen im Verfahren Au 8 K 19.673 die Grundstücke mit den Flurnummern ... und ...: Entlang des Gartenzauns am Grundstück mit der Flurnummer ... befindet sich ein mit einem 0,12 Meter breiten Bordstein zur Straße hin abgegrenzter 0,48 Meter breiter Kiesstreifen; die Fahrbahnbreite beträgt zwischen dem Grundstück der Klägerin und dem gegenüberliegenden Grundstück 5,30 Meter.
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Bereits mit Bescheid vom 29. April 2019 verpflichtete der Beklagte die Klägerin zum Rückschnitt des Bewuchses an der Nordseite des Grundstücks, soweit dieser aus ihrem Grundstück in den Straßenraum der Straße „...“ in einer Höhe von weniger als 4,50 Meter hineinragt (Ziffer 1) und drohte ein Zwangsgeld in Höhe von 100,00 EUR für die nicht ordnungsgemäße Durchführung des geforderten Rückschnitts an (Ziffer 2). Die gegen diesen Bescheid erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht ab (VG Augsburg, U.v. 30.7.2019 - Au 8 K 19.673). Sein Urteil wurde nach Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (BayVGH, B.v. 11.11.2019 - 8 ZB 19.1855) rechtskräftig. Nachdem die Klägerin der Verpflichtung zum Rückschnitt nicht nachgekommen war, führte der Beklagte am 11. Dezember 2019 die Ersatzvornahme durch.
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Mit Schreiben vom 16. Oktober 2020, vom 28. Dezember 2020 und vom 11. Februar 2021 forderte der Beklagte die Klägerin jeweils unter Fristsetzung auf, den entlang der Straße „...“ auf ihrem Grundstück vorhandenen Bewuchs soweit zurückzuschneiden, dass außerhalb der Grundstückgrenze über der Fahrbahn eine Mindesthöhe von 4,50 Metern ungehindert genutzt werden kann. Im Schreiben vom 11. Februar 2021 wurde der Klägerin Gelegenheit zur Stellungnahme hinsichtlich einer kostenpflichtigen Anordnung eingeräumt.
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Mit Schreiben vom 12. Februar 2021 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass sie sich bezüglich einer Amtshaftung an das Innenministerium wenden werde.
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Am 18. März 2021 wurde im Rahmen eines Ortstermins durch den Beklagten festgestellt, dass der Bewuchs nicht zurückgeschnitten worden ist.
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Mit Bescheid vom 19. März 2021 verpflichtete der Beklagte die Klägerin bis spätestens drei Wochen nach Bekanntgabe des Bescheides zum Rückschnitt des Bewuchses an der Nordgrenze des Grundstücks, soweit dieser aus ihrem Grundstück in den Straßenraum der Straße „...“ in einer Höhe von weniger als 4,50 Meter hineinragt (Ziffer 1), ordnete den Sofortvollzug an (Ziffer 2) und drohte ein Zwangsgeld in Höhe von 100,00 EUR für die nicht ordnungsgemäße Durchführung des geforderten Rückschnitts innerhalb der gesetzten Frist an (Ziffer 3). Ferner enthielt der Bescheid eine Kostenentscheidung (Ziffer 4).
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Zur Begründung des Bescheids wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der genannte Bewuchs stellenweise über 1,00 Meter in den Straßenraum hineinrage und durch die Verengung des Straßenraumes die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs, v.a. im Begegnungsverkehr, beeinträchtigt sei. Die Nichtbeachtung des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG stelle eine Ordnungswidrigkeit dar (Art. 66 Nr. 4 BayStrWG). Daher habe der Beklagte als Sicherheitsbehörde die Aufgabe und Befugnis, rechtswidrige Zustände zu beseitigen (Art. 6 und Art. 7 LStVG). Die Anordnung sei verhältnismäßig, weil ein Rückschnitt des Bewuchses die einzige Möglichkeit darstelle, den Überwuchs zu beseitigen. Die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs erfordere im öffentlichen Interesse einen möglichst umgehenden Vollzug der Anordnung, um mögliche Beeinträchtigungen der Verkehrsteilnehmer durch den Überwuchs zu beseitigen. Das angedrohte Zwangsmittel sei erforderlich, da die Klägerin auf mehrfache Aufforderungen nicht reagiert habe.
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Auf den Bescheid wird verwiesen.
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Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin am 15. April 2021 zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg Klage (Au 8 K 21.943 bzw. fortgesetzt als Au 8 K 22.130) und beantragt,
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den Bescheid des Beklagten vom 19. März 2021 mit dem Aktenzeichen ... aufzuheben.
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Zur Begründung wird insbesondere ausgeführt, dass der Rückschnitt von Hecken laut Bundesnaturschutzgesetz in der Zeit von 1. März bis 30. September verboten sei. Da der Beklagte im Frühjahr 2020 den Rückschnitt im Rahmen der Ersatzvornahme durchgeführt habe, sei nicht glaubhaft, dass der Bewuchs bis Oktober um einen Meter auf die Straße gewachsen sei. Des Weiteren würden die örtlichen Begebenheiten nicht den Anforderungen des § 125 Abs. 2 BauGB genügen.
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Auf die Klagebegründung wird im Einzelnen verwiesen.
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Der Beklagte beantragt,
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich die Klägerin nicht auf das Verbot aus dem BNatSchG berufen könne. Erlaubt seien Maßnahmen, die zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit öffentlicher Verkehrswege oder der öffentlich-rechtlichen Verpflichtung zur Unterhaltung der Gewässer erforderlich seien. Die Ersatzvornahme sei entgegen der Darstellung der Klägerin am 11. Dezember 2019 und nicht im Frühjahr 2020 erfolgt. Die Ausführungen der Klägerin im Hinblick auf die von ihr zitierten Vorschriften aus dem Baugesetzbuch seien nicht nachvollziehbar. Mit der Klageerwiderung wurden Lichtbilder, aufgenommen am 20. April 2021, über den Zustand des Bewuchses übersandt.
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Mit Beschluss vom 28. April 2021 lehnte das Verwaltungsgericht im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes den Antrag der Klägerin auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer erhobenen Klage ab (VG Augsburg, B.v. 28.4.2021 - Au 8 S 21.944). Die hiergegen gerichtete Beschwerde wies der Bayerische Verwaltungsgerichtshof zurück (BayVGH, B.v. 12.1.2022 - 8 CS 21.1595).
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Mit Schreiben vom 11. Februar 2022 ergänzte die Klägerin ihr Vorbringen vornehmlich insoweit, als laut einem Schreiben des zuständigen Polizeipräsidiums ihre Einfahrt zu kurz sei, um ein Auto abzustellen. Auch sei die Straße derart eng, dass dort nicht geparkt werden könne. Der Beklagte weigere sich, sich an den Bebauungsplan zu halten. Die Vorschrift des § 1 Abs. 7 BauGB werde ignoriert. Auch die restlichen Straßen würden in ihrer vorgeschriebenen Breite deutlich unterschritten. Der Beklagte verweigere jede Klärung in ihrem Fall. Seit 2013 sei das Grundstück der Klägerin überhaupt nicht mehr erreichbar. Alles auf ihrem Grundstück werde zerstört.
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Auf das Schreiben wird im Einzelnen verwiesen.
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Der Beklagte nahm mit Schreiben vom 25. Februar 2022 Stellung und führte insbesondere aus, dass die Ausführungen der Klägerin im Hinblick auf §§ 1, 125 BauGB, die Stellplatzsituation auf dem Grundstück der Klägerin und die Erreichbarkeit des Grundstücks der Klägerin keinen Bezug zur Klage hätten. Mit der Stellungnahme wurden Lichtbilder, aufgenommen am 25. Februar 2022, über den aktuellen Zustand des Bewuchses übersandt. Der Beklagte merkte insoweit an, dass sich die Situation mit fortschreitender Vegetation verschärfe.
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Mit Schreiben vom 1. März 2022 ergänzte der Beklagte insbesondere, dass durch die Klägerin keine Rückschnittmaßnahmen vorgenommen worden seien, und übersandte (erneut) Lichtbilder, aufgenommen am 25. Februar 2022, über den aktuellen Zustand des Bewuchses.
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Mit Schreiben vom 3. März 2022 vertiefte die Klägerin Ihr Vorbringen insbesondere im Hinblick auf den Bebauungsplan, die Stellplatzsituation und die Erreichbarkeit des Grundstücks der Klägerin. Die Hecke der Klägerin sowie der dahinterliegende Garten seien durch den Winterdienst und Dauerparker vollkommen zerstört.
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Auf das Schreiben wird im Einzelnen verwiesen.
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Mit Schreiben vom 10. März 2022 erwiderte der Beklagte das klägerische Vorbringen.
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In der Sache wurde am 15. März 2022 mündlich vor Gericht verhandelt. Auf das dabei gefertigte Protokoll wird Bezug genommen, ebenso wegen der weiteren Einzelheiten auf den Inhalt der Gerichtsakte, auch im Verfahren Au 8 S 21.944, sowie der beigezogenen Behördenakte. Zum Verfahren beigezogen wurde auch die Gerichtsakte der Verwaltungsstreitsache Au 8 K 19.673.
Entscheidungsgründe
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Die Anfechtungsklage gegen den Bescheid des Beklagten vom 19. März 2021 ist zulässig, allerdings unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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1. Die sicherheitsrechtliche Anordnung in Ziffer 1 des verfahrensgegenständlichen Bescheids zum Rückschnitt des (Pflanzen-)Bewuchses, der entlang der Nordgrenze des Grundstücks der Klägerin in den öffentlichen Verkehrsraum ragt, ist rechtmäßig.
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a) Unabhängig davon, ob eine Anordnung zum Rückschnitt von Pflanzenbewuchs auf Art. 7 Abs. 2 Nr. 2 LStVG i.V.m. Art. 66 Nr. 4, Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG oder unmittelbar auf Art. 29 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 BayStrWG gestützt wird (vgl. BayVGH, B.v. 12.1.2022 - 8 CS 21.1595 - juris Rn. 9; B.v. 10.8.2017 - 8 ZB 15.1428 - juris Rn. 14; B.v. 15.12.2004 - 8 B 04.1524 - juris Rn. 21; Wiget in Zeitler, BayStrWG, Stand März 2020, Art. 29 Rn. 28), erweist sich der streitgegenständliche Bescheid als zutreffend, wenn und weil der Beklagte die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Beseitigungsanordnung zutreffend am gesetzlichen Maßstab des Art. 29 Abs. 2 BayStrWG gemessen hat. Daran ändert die zusätzliche Heranziehung des Art. 7 Abs. 2 Nr. 2 LStVG nichts (vgl. BayVGH, B.v. 12.1.2022 - 8 CS 21.1595 - juris Rn. 9; B.v. 10.8.2017 - 8 ZB 15.1428 - juris Rn. 14; VG Augsburg, U.v. 30.7.2019 - Au 8 K 19.673 - juris Rn. 23; VG München, B.v. 6.12.2018 - M 2 S 18.2234 - juris Rn. 22).
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b) Der Verbotstatbestand des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG ist erfüllt. Danach dürfen u.a. Anpflanzungen aller Art nicht angelegt werden, soweit sie die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs beeinträchtigen können.
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Die Regelung des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG enthält eine Beschränkung der Nutzung des privaten Grundstückseigentums. Bei derartigen bodenrechtlichen Sachverhalten steht der Gesetzgeber angesichts des Auftrags, Inhalt und Schranken des Eigentums zu regeln (vgl. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 103 Abs. 2, 158 BV), vor einer schwierigen Aufgabe. Einerseits gewährleisten Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG und Art. 103 Abs. 1 BV das Privateigentum, wie es sich in seinem rechtlichen Gehalt vor allem in der grundsätzlichen Verfügungsbefugnis und in der Privatnützigkeit verwirklicht. Andererseits muss der Gesetzgeber in gleicher Weise dem verfassungsrechtlichen Gebot einer sozial gerechten Eigentumsordnung Rechnung tragen (vgl. Art. 14 Abs. 2 GG, Art. 103 Abs. 2, 158 BV). Dazu muss er die schutzwürdigen Interessen der Beteiligten ohne einseitige Bevorzugung oder Benachteiligung in einen gerechten Ausgleich bringen. Hierbei hat er seine Bindung an die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit zu beachten. Das Wohl der Allgemeinheit ist nicht nur Grund, sondern auch Grenze für die dem Eigentum aufzuerlegenden Beschränkungen. Um vor den Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 103, 158 BV Bestand zu haben, müssen (Nutzungs-)Beschränkungen des Eigentums deshalb vom geregelten Sachbereich her geboten und auch in ihrer Ausgestaltung sachgerecht sein. Einschränkungen der Eigentümerbefugnisse dürfen nicht weiter gehen, als der Schutzzweck reicht, dem die Regelung dient. In jedem Fall erfordert die verfassungsrechtliche Gewährleistung die Erhaltung der Substanz des Eigentums und die Beachtung des Gleichheitsgebots der Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 118 Abs. 1 BV (vgl. BayVGH, U.v. 15.12.2004 - 8 B 04.1524 - juris Rn. 23; VG Augsburg, U.v. 30.7.2019 - Au 8 K 19.673 - juris Rn. 25; VG München, B.v. 6.12.2018 - M 2 S 18.2234 - juris Rn. 28).
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Dieser verfassungsrechtliche Hintergrund verlangt es, die Anwendbarkeit der Nutzungsbeschränkung des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG und die mit ihr gepaarte Beseitigungsmöglichkeit nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 BayStrWG streng an die Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit zu binden. Damit ist in jedem konkreten Einzelfall die Prüfung erforderlich, ob die Nutzungsbeschränkung überhaupt und wenn ja, in welchem Umfang notwendig ist, um Gefahren für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs abzuwehren. Nicht vereinbar mit der verfassungsrechtlichen Stellung des Grundstückseigentümers wäre es deshalb, eine abstrakte Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs als Tatbestandsvoraussetzung ausreichen zu lassen; denn dann würde auf der Grundlage einer nur generell-abstrakten Betrachtung denkbarer Verhaltensweisen oder Zustände ein Schadenseintritt als wahrscheinlich angesehen werden können. Der Interessenkonflikt zwischen Eigentümerbefugnissen und Schutzzweck des Art. 29 Abs. 2 Sätze 1 und 2 BayStrWG wird vielmehr nur dann gerecht und verfassungsrechtlich unbedenklich ausgeglichen, wenn eine konkrete Gefahr vorliegt (vgl. BayVGH, U.v. 15.12.2004 - 8 B 04.1524 - juris Rn. 24; VG Augsburg, U.v. 30.7.2019 - Au 8 K 19.673 - juris Rn. 26; VG München, B.v. 6.12.2018 - M 2 S 18.2234 - juris Rn. 29).
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Dies ist vorliegend der Fall, da im konkreten Einzelfall in überschaubarer Zukunft bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens eine Verletzung der Schutzgüter der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs von Gewicht zu erwarten ist und durch die Regelung in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids abgewehrt werden soll. Auch wenn das streitgegenständliche Grundstück der Klägerin im vorliegenden Fall in einer Sackgasse liegt, in der hauptsächlich Anliegerverkehr stattfindet, so ist anhand der vom Beklagten aktuell vorgelegten Lichtbilder vom 25. Februar 2022 festzustellen, dass der Pflanzenbewuchs entlang der Nordgrenze des streitgegenständlichen Grundstücks der Klägerin in einer Höhe von jedenfalls weniger als 4,50 Meter in den öffentlichen Verkehrsraum erkennbar hineinragt und einen nicht unerheblichen Teil der Straßenbreite einnimmt (vgl. Bl. 180 ff. d.A.). Die überhängenden Äste stellen - wie auf den Lichtbildern ersichtlich - augenscheinlich nicht nur eine Sichtbehinderung dar - insbesondere, weil der Bewuchs in den öffentlichen Verkehrsraum auch in einer Höhe von weniger als circa 1,00 bis 1,50 Meter [bei einer Orientierung an den auf den Lichtbildern abgelichteten Einfriedung(en), vgl. a.a.O.] nicht unerheblich hineinragt -, sondern gefährden konkret die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs in der Gemeindestraße. Dies gilt insbesondere angesichts des Umstands, dass die Verkehrsfläche nicht in Fahrbahn und Gehweg unterteilt ist, und es somit - zusätzlich zu den Gefahren im Begegnungsverkehr zwischen PKW - auch zu einer Gefahr für die körperliche Integrität von Fußgängern kommt. Hinzukommt, dass - wie auch der Beklagte zutreffend anmerkt - die Vegetation bei einem ungehinderten, „natürlichen“ Geschehensablauf fortschreitet und sich daher o.g. konkrete Gefährdungssituation (noch) intensiviert (v.a. im Hinblick auf die „Dichte“ der Vegetation). Nicht zuletzt ein Vergleich der Lichtbildaufnahmen vom 20. April 2021 und 25. Februar 2022 belegt dies (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 12.1.2022 - 8 CS 21.1595 - juris Rn. 10, 14; VG Augsburg, B.v. 28.4.2021 - Au 8 S 21.944 - Rn. 24; U.v. 30.7.2019 - Au 8 K 19.673 - juris Rn. 27).
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c) Die Anordnung zum Rückschnitt von Pflanzenbewuchs ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil sie von der Klägerin etwas rechtlich bzw. tatsächlich Unmögliches verlangen würde.
34
Zwar ist es, worauf die Klägerin im Ansatz zutreffend hinweist, nach § 39 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Hs. 1 BNatSchG im Grunde u.a. verboten, Hecken und andere Gehölze in der Zeit vom 1. März bis zum 30. September abzuschneiden oder auf den Stock zu setzen. Ausdrücklich zulässig bleiben indes gemäß § 39 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Hs. 2 BNatSchG schonende Form- und Pflegeschnitte zur Beseitigung des Zuwachses der Pflanzen. So verhält es sich vorliegend. Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids verfügt solch einen (stets) zulässigen Form- und Pflegeschnitt, wenn und weil der Pflanzenbewuchs gerade keinen vollständigen Rück- bzw. Kahlschnitt erfährt, sondern vielmehr auf seine ursprüngliche Form/ seinen primären Formzweck (als Einfriedung zum Grundstück der Klägerin) im Hinblick auf Überhang zurückgeführt bzw. im Lichte der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs um in den öffentlichen Verkehrsraum hineinragende Äste korrigiert wird. Jedenfalls gilt aber das Schneideverbot des § 39 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Hs. 1 BNatSchG nicht, wenn - wie hier - die Maßnahme behördlich angeordnet ist (vgl. § 39 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BNatSchG). Das aus Art. 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayNatSchG folgende Verbot, in der freien Natur Hecken und andere Gehölze abzuschneiden, kommt vorliegend bereits deshalb nicht zur Anwendung, weil das Grundstück der Klägerin nicht in der freien Natur liegt, sondern in einem funktionalen Zusammenhang zum besiedelten Bereich steht (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 12.1.2022 - 8 CS 21.1595 - juris Rn. 14; VG Augsburg, B.v. 28.4.2021 - Au 8 S 21.944 - Rn. 25; VG München, U.v. 22.11.2018 - M 19 K 17.3993 - juris Rn. 32).
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Überdies ist der streitgegenständliche Pflanzenbewuchs - wie auf den Lichtbildern erkennbar (vgl. Bl. 180 ff. d.A.) - zumindest von der Außenseite des Grundstücks der Klägerin her für einen Rückschnitt ausreichend erreichbar, so dass der Einwand der Klägerin einer Unerreichbarkeit des Grundstücks bzw. eines sich hieraus ergebenden nicht durchführbaren Rückschnitts des Pflanzenbewuchses (vgl. Art. 44 Abs. 2 Nr. 4 BayVwVfG) fehlgeht (vgl. VG Augsburg, U.v. 30.7.2019 - Au 8 K 19.673 - juris Rn. 28).
36
d) Die Anordnung ist auch verhältnismäßig. Insbesondere ist die der Klägerin gesetzte Frist von drei Wochen nach Bekanntgabe des Bescheids zur Durchführung des Rückschnitts nicht unangemessen kurz. Auch die angeordnete Höhe von mindestens 4,50 Metern zum Rückschnitt des Pflanzenbewuchses ist insbesondere im Hinblick auf einen etwaigen Lieferverkehr bzw. die Müllabfuhr nicht unangemessen (vgl. VG Augsburg, B.v. 28.4.2021 - Au 8 S 21.944 - Rn. 26; U.v. 30.7.2019 - Au 8 K 19.673 - juris Rn. 28). Des Weiteren wird der verfügte (Teil-)Rückschnitt auf das erforderliche Maß begrenzt (vgl. BayVGH, B.v. 12.1.2022 - 8 CS 21.1595 - juris Rn. 14).
37
e) Schließlich ergibt sich aus dem klägerischen Verweis auf den Bebauungsplan (und §§ 1 Abs. 7, 125 BauGB) bzw. die Stellplatzsituation im Umgriff des Grundstücks der Klägerin nichts Gegenteiliges. Eine Rechtswidrigkeit der verfahrensgegenständlichen sicherheitsrechtlichen Anordnung ist insoweit nicht erkennbar.
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2. Die Androhung eines Zwangsgelds in Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheids ist ebenfalls rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in Art. 29 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1, Art. 31, Art. 36 Abs. 1 und Abs. 5 VwZVG und ist als geeignetes und gleichzeitig mildestes Mittel rechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere die Höhe der Zwangsgeldandrohung, für die das wirtschaftliche Interesse der Klägerin maßgeblich ist, steht mit Art. 31 Abs. 2 Satz 1 BayVwZVG in Einklang. Das wirtschaftliche Interesse der Klägerin bemisst sich vorliegend an den Kosten einer vorzunehmenden Beseitigung. Davon ausgehend ergibt sich ein wirtschaftliches Interesse der Klägerin, das in Höhe des angedrohten Zwangsgeldes liegen dürfte. Fehler bei der Ermessensausübung sind nicht ersichtlich (vgl. VG Augsburg, B.v. 28.4.2021 - Au 8 S 21.944 - Rn. 27; U.v. 30.7.2019 - Au 8 K 19.673 - juris Rn. 31).
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3. Auch die Kostenfestsetzung in Ziffer 4 des verfahrensgegenständlichen Bescheids begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Als zum verfügten Rückschnitt des Pflanzenbewuchses ergangene Nebenentscheidung teilt die Kostenfestsetzung das rechtliche Schicksal der Sachentscheidung. Gesonderte Bedenken sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
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4. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
41
5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.