Titel:
Gesamtschwerbehindertenvertretung - Teilnahmerecht an Betriebsversammlungen von Betrieben ohne Schwerbehindertenvertretung
Normenketten:
SGB IX 2018 § 178 Abs. 1, Abs. 4, Abs. 6, Abs. 8, § 180 Abs. 6, Abs. 7
BetrVG § 42, § 45
ArbGG § 83a
Leitsatz:
Ist in einem Betrieb eines Unternehmens keine Schwerbehindertenvertretung gewählt, obwohl dies möglich wäre, so ist die Gesamtschwerbehindertenvertretung berechtigt, für die nicht bestehende Schwerbehindertenvertretung an den Betriebsversammlungen teilzunehmen; zu diesen ist sie einzuladen. (Rn. 29) (Rn. 40 – 41) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Betrieb, Unternehmen, Schwerbehindertenvertretung, Gesamtschwerbehindertenvertretung, Betriebsversammlung, Teilnahmerecht, Einladung
Vorinstanz:
ArbG Regensburg, Beschluss vom 14.04.2022 – 5 BV 42/21
Rechtsmittelinstanz:
BAG Erfurt, Beschluss vom 12.12.2023 – 7 ABR 23/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 55608
Tenor
I. Die Beschwerde der Beteiligten zu 3 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Regensburg vom 14.04.2022 – 5 BV 42/21 wird zurückgewiesen.
II. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
1
Die Beteiligten streiten über die Berechtigung zur Teilnahme der Gesamtschwerbehindertenvertretung (nachfolgend: GSbV) an den Betriebsratssitzungen und Betriebsversammlungen und um ihre Einladung unter Mitteilung der Tagesordnung, solange für die Filiale C. C-Stadt keine eigene Schwerbehindertenvertretung (nachfolgend: SbV) besteht.
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Die Beteiligte zu 3 ist ein Unternehmen der Textilbranche mit Sitz in A-Stadt (nachfolgend: Arbeitgeberin). Sie beschäftigt bundesweit ca. 20.000 Arbeitnehmer. Unter anderem betreibt sie in C-Stadt eine Filiale, die Filiale C., in der zwei schwerbehinderte Arbeitnehmer beschäftigt sind. Für diese ist keine örtliche SbV gewählt.
3
Der Beteiligte zu 2 ist der in der Filiale C-Stadt gewählte Betriebsrat (nachfolgend: Betriebsrat), die Beteiligte zu 1 und Antragstellerin ist die im Unternehmen bestehende GSbV mit Sitz in der Filiale A-Stadt. Diese ist trotz mehrfacher Aufforderung ihrerseits gegenüber dem Betriebsrat bislang nicht über stattfindende Betriebsratssitzungen und Betriebsversammlungen informiert und zu diesen eingeladen worden.
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Mit Ihrem am 13. September 2021 beim Arbeitsgericht Regensburg eingegangenen und dem Betriebsrat am 24. September 2021 zugestellten Antrag vom 13. September 2021 begehrt die GSbV ihre Einladung zu allen regulären und außerordentlichen Betriebsratssitzungen unter Mitteilung der Tagesordnung sowie ihre Ladung zu allen Betriebsversammlungen unter Mitteilung der Tagesordnung, jeweils solange keine SbV in C-Stadt gewählt ist.
5
Die GSbV hat erstinstanzlich im Gütetermin am 11. November 2021 mit dem Betriebsrat einen Vergleich dahingehend abgeschlossen, dass eine von ihr begehrte Einladungspflicht gegeben sei. Die Arbeitgeberin hat diesem Vergleich ausdrücklich nicht zugestimmt.
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Nach Ansicht der GSbV ist der Vergleich am 11. November 2021 wirksam abgeschlossen worden, da nur die formelle Beteiligung der Arbeitgeberin und deren Anhörung erforderlich seien. Sie vertrete auch in der Filiale C. die nicht gewählte SbV. Von daher habe sie das Recht an jeder Betriebsversammlung teilzunehmen und habe, wie auch in Betriebsratssitzungen, dort auch ein Rede- und Vortragsrecht.
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Sie hat b e a n t r a g t:
1. Der Antragsgegner wird verpflichtet, die Antragstellerin zeitgleich mit der Ladung der üblichen, teilnahmeberechtigten Teilnehmer zu allen regulären und außerordentlichen Betriebsratssitzungen unter Mitteilung der Tagesordnung einzuladen, solange für die Filiale C. C-Stadt eine Schwerbehindertenvertretung nicht gewählt ist.
2. Der Antragsgegner wird verpflichtet, die Antragstellerin zeitgleich mit der Ladung der üblichen teilnahmeberechtigten Teilnehmer zu allen Betriebsversammlungen unter Mitteilung der Tagesordnung einzuladen, solange für die Filiale C. C-Stadt eine Schwerbehindertenvertretung nicht gewählt ist.
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Die Arbeitgeberin hat b e a n t r a g t:
1. Es wird festgestellt, dass der vor dem Arbeitsgericht Regensburg-Gerichtstag Neumarkt am 11.11.2021 zwischen der Beteiligten zu 1 und der Beteiligten zu 2 geschlossene Vergleich mangels ausdrücklicher Zustimmung der Beteiligten zu 3 unwirksam ist und keine Rechtswirksamkeit entfaltet.
2. Die Anträge werden zurückgewiesen.
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Der Betriebsrat hat sich zum Antrag der Antragstellerin nicht geäußert.
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Die Arbeitgeberin hat im Vergleich auch im Beschlussverfahren einen prozessualen Vertrag zwischen allen Beteiligten gesehen, der demzufolge auch von allen Verfahrensbeteiligten abzuschließen sei.
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Sie hat gemeint, die GSbV sei zwar berechtigt an Betriebsratssitzungen teilzunehmen, wenn keine SbV in der Filiale existiere. Das Gesetz gehe in § 178 Abs. 8 SGB IX grundsätzlich davon aus, nur die örtliche, für den Betrieb zuständige SbV dürfe an den Betriebsversammlungen teilnehmen. Auch § 180 Abs. 6 Satz 1 2. Alt. SGB IX lasse keine andere Auslegung zu. Die GSbV bleibe betriebsfremd und unterstütze insoweit nur die individuellen Belange schwerbehinderter Mitarbeiter bei Fehlen einer örtlichen Vertretung.
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Das Arbeitsgericht Regensburg hat mit Beschluss vom 14. April 2022 (Bl. 75 [recte: 79] ff. d. A.) den Betriebsrat verpflichtet, die GSbV zeitgleich mit den übrigen Teilnahmeberechtigten zu allen regulären und außerordentlichen Betriebsratssitzungen unter Mitteilung der Tagesordnung einzuladen und die GSbV zeitgleich mit den übrigen Teilnahmeberechtigten zu den Betriebsversammlungen unter Mitteilung der Tagesordnung einzuladen, solange für die Filiale C. C-Stadt keine SbV gewählt sei. Wegen des (un-)streitigen Sachvortrags der Beteiligten und der maßgeblichen rechtlichen Erwägungen des Arbeitsgerichts wird auf diesen Beschluss Bezug genommen.
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Im Wesentlichen führt das Arbeitsgericht aus, es sei über die zulässigen Anträge der GSbV zu entscheiden gewesen, da der Vergleich vom 11. November 2021 das Verfahren nicht beendet habe. Ein auch im Beschlussverfahren möglicher Vergleichsschluss habe von allen am Verfahren Beteiligten zu erfolgen; ein nur unter einzelnen Beteiligten abgeschlossener Vergleich beende das Verfahren nicht. Die GSbV sei allerdings zu den Sitzungen des Betriebsrats einzuladen, da ihr mangels eigener örtliche SbV in der Filiale C. C-Stadt ein Teilnahmerecht zustehe. Dies sei im Übrigen zwischen allen Beteiligten unstreitig. Aber auch bei Betriebsversammlungen stehe ihr ein Teilnahmerecht zu, weswegen sie ebenso unter Mitteilung der Tagesordnung einzuladen sei. Wenngleich ein dahingehender Hinweis in § 180 Abs. 7 SGB IX auf § 178 Abs. 8 SGB IX fehle, so sei ein solcher nach Auffassung der Kammer nicht geboten. § 180 Abs. 7 SGB IX ordne die Anwendung der Regeln betreffend die örtliche SbV entsprechend für die Gesamt-, Konzern-, Bezirks- und Haupt-SbV in ihrer originären Zuständigkeit an, betreffe aber nicht den Fall des § 180 Abs. 6 Satz 1, 2. Hs. SGB IX, da die GSbV in die Stellung einer örtlichen SbV rücke. Ansonsten läge mangels einer Verweisung auf ein Teilnahmerecht der GSbV an Betriebsversammlungen eine planwidrige Gesetzeslücke vor, die entsprechend durch analoge Anwendung der maßgeblichen Bestimmungen zu schließen wäre.
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Gegen diese ihr am 25. April 2022 zugestellte Entscheidung wendet sich die Arbeitgeberin mit ihrer Beschwerde vom 11. Mai 2022, die am selben Tag über einen sicheren Übermittlungsweg (beA) beim Landesarbeitsgericht München eingegangen war und die sie mit Schriftsatz vom 7. Juni 2022, eingegangen am selben Tag, begründet hat.
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Sie ist der Ansicht, die Feststellung eines Teilnahmerechts der GSbV an Betriebsversammlungen sei rechtlich nicht zutreffend. Ein solcher Anspruch ergebe sich entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts nicht aus dem rechtsunwirksamen Vergleich. Ausgehend vom Grundsatz der Nichtöffentlichkeit der Betriebsversammlung sei zwar die Einladung von Gästen nicht ausgeschlossen, allerdings auf konkrete Einzelfälle beschränkt. Vorauszusetzen sei, dass die Einladung mit der Arbeitgeberin vorab abgestimmt sei oder diese keine Einwände gegen die Teilnahme erhebe. Die Einladung stehe nicht allein zur Disposition des Betriebsrats.
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Auch ergebe sich kein Teilnahmerecht der GSbV aus § 178 Abs. 8 SGB IX bzw. aus § 178 Abs. 8 SGB IX i.V.m. § 180 Abs. 6 Satz 1 SGB IX. § 178 SGB IX verweise nicht auf die Vorschriften der SbV in § 180 SGB IX; § 180 Abs. 6 SGB IX begründe kein Teilnahmerecht der GSbV an Betriebsversammlungen. Die Interessen schwerbehinderter Menschen vertrete die SbV, deren Zuständigkeit sich auf den Betrieb beschränke § 180 Abs. 1 Satz 2 SGB IX enthalte nur punktuelle Ausnahmen.
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Ein Teilnahme- und Rederecht der GSbV auf Betriebsversammlungen sei auch nicht erforderlich. Sie könne beratend an den Sitzungen des Betriebsrats teilnehmen und dort die Belange der schwerbehinderten Menschen einbringen. Damit sei eine Einflussnahme auf die Willensbildung und Entscheidungsfindung des Betriebsrats und damit eine Erfüllung der gesetzlichen Verpflichtungen gesichert.
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Für eine analoge Anwendung von § 178 Abs. 8 SGB IX bestehe kein Raum. Es gebe keine Anhaltspunkte für eine redaktionelle Nachlässigkeit des Gesetzgebers. Im Übrigen hätte der Gesetzgeber seit 1. Mai 2004 eine klarstellende Ergänzung der Aufzählung in § 180 Abs. 7 SGB IX aufnehmen können, was jedoch nicht erfolgt sei. Auch aus der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 14. Januar 2011 (6 TaBV 41/10) ergebe sich nichts anderes.
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Sie b e a n t r a g t,
den Beschluss des Arbeitsgerichts Regensburg vom 14. Mai 2022, Az. 5 BV 42/21, teilweise abändernd insoweit zurückzuweisen, als die Beteiligte zu 2 verpflichtet wurde, die Beteiligte zu 1 zeitgleich mit der Ladung der übrigen teilnahmeberechtigten Teilnehmer zu allen Betriebsversammlungen unter Mitteilung der Tagesordnung einzuladen, solange für die Filiale C. C-Stadt eine Schwerbehindertenvertretung nicht gewählt ist.
20
Die GSbV b e a n t r a g t,
die Beschwerde zurückzuweisen.
21
Sie ist der Ansicht, ihr stehe ein Teilnahme- und Rederecht auch bei Betriebsversammlungen der Arbeitgeberin in der Filiale C. C-Stadt zu. Die Arbeitgeberin missinterpretiere in ihrer Begründung absichtlich oder aus Nichtwissen die vom Gesetzgeber grundsätzlich eingeräumten Rechte und Pflichten der unterschiedlichen Interessenvertretungen im Betrieb.
22
Ihr stehe in originärer Zuständigkeit ein Teilnahmerecht an Betriebsversammlungen zu, ohne dass dadurch der Grundsatz der Nichtöffentlichkeit verletzt würde oder dies nicht sachdienlich wäre. Die Teilnahme betriebsfremde Mitglieder des Gesamtbetriebsrats sei ebenso stets als sachdienlich anzusehen. Gleichfalls sei höchstrichterlich festgestellt, dass auch die Bezirks-SbV ein Teilnahmerecht an einer örtlichen Versammlung der Schwerbehinderten habe, wenn es nicht um überörtliche Aufgaben der Bezirks-SbV gehe.
23
Folgerichtig habe das Arbeitsgericht festgestellt, dass sie in ihrer originären Zuständigkeit in analoger Anwendung ebenso ein Teilnahme- und Rederecht bei örtlichen Betriebsversammlungen habe. Dies entspreche nahezu identisch der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 14. Januar 2011. Der Hinweis der Arbeitgeberin auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 14. 11. 2015 (7 ABR 62/13) gehe fehl. In den zitierten Feststellungen seien keine Aufgaben der GSbV betroffen. Ihr komme in Ermangelung einer örtlichen SbV in originärer Zuständigkeit die Wahrnehmung der Interessen schwerbehinderten Mitarbeiter in der Filiale C. C-Stadt zu.
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Wegen des Sachvortrags der Beteiligten im Einzelnen wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der GSbV vom 29. Juli 2021 (Bl. 2 ff. d. A.), vom 5. März 2022 (Bl. 62 [recte: 66] f. d. A.), vom 16. Mai 2022 (Bl. 106 [recte: 110] ff. d. A.) und vom 13. Juli 2022 (Bl. 153 [recte: 157] ff. d. A.), der Arbeitgeberin vom 8. November 2021 (Bl. 34 ff. d. A.), vom 29. Nov. 2021 (Bl. 40 f. d. A.), vom 18. Januar 2022 (Bl. 59 f. d. A.), vom 8. Februar 2022 (Bl. 62 f. d. A.), vom 22. März 2022 (Bl. 69 [recte: 73] f. d. A.), vom 11. Mai 2022 (Bl. 90 [recte: 94] ff. d. A.), vom 7. Juni 2022 (Bl. 109 [recte: 113] ff. d. A.), vom 27. Juni 2022 (Bl. 140 [recte: 144] ff. d. A.) und vom 25. Juli 2022 (Bl. 159 [recte: 163] ff. d. A.) – jeweils einschließlich eventueller Anlagen – sowie auf die Anhörungsprotokolle vom 11. Nov. 2021 (Bl. 36 f. d. A.), vom 10. März 2022 (Bl. 65 [recte: 70] ff. d. A.) und vom 26. Juli 2022 (Bl. 169 [recte: 173] ff. d. A.).
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Die statthafte Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
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1. Die Beschwerde ist zulässig.
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a. Sie ist nach § 87 Abs. 1 ArbGG statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 87 Abs. 2, 66 Abs. 1 Satz 1, 89 Abs. 1 und Abs. 2 ArbGG).
28
b. Ferner ist die Beschwerde nicht infolge einer vergleichsweisen Einigung der Beteiligten im arbeitsgerichtlichen Verfahren ausgeschlossen. Dabei kann hier dahinstehen, ob der erstinstanzliche Vergleich eine wirksame Beendigung des Verfahrens darstellt. Jedenfalls hat das Arbeitsgericht dennoch einen instanzbeendenden Beschluss erlassen, der mit der Beschwerde angegriffen werden kann.
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2. In der Sache bleibt die Beschwerde jedoch ohne Erfolg. Das Arbeitsgericht hat den Anträgen der GSbV zu Recht stattgegeben. Denn in der Filiale der Arbeitgeberin in C-Stadt ist keine örtliche SbV gewählt, obschon zwei schwerbehinderte Mitarbeiter dort beschäftigt sind. Von daher tritt die GSbV nach § 180 Abs. 6 Satz 1, 2. Hs. SGB IX in die Stellung der örtlichen SbV ein. Diese Folge ergibt sich aus § 178 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 180 Abs. 6 Satz 1, 2. Hs. SGB IX. Die GSbV nimmt die Rechte und Pflichten der örtlichen SbV umfassend wahr, sodass es keiner Verweisung in den § 180 Abs. 7 Satz 1, § 178 Abs. 4 Satz 1 SGB IX bedurfte. Entgegen der Ansicht der Arbeitgeberin steht der GSbV nach § 178 Abs. 8 i.V.m. § 180 Abs. 6 Satz 1, 2. Hs. SGB IX auch ein Teilnahmerecht an Betriebsversammlungen zu, solange keine örtliche SbV besteht.
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a. Die Entscheidung über das Teilnahmerecht der GSbV an den Betriebsversammlungen der Filiale C. in C-Stadt ist nicht deswegen schon obsolet, da der dort gewählte Betriebsrat der GSbV erstinstanzlich vergleichsweise ein Teilnahmerecht zugebilligt hatte. Der vor dem Arbeitsgericht abgeschlossenen Vergleich ist nicht wirksam, d. h. er beendet den Rechtsstreit mangels Beteiligung der Arbeitgeberin am Vergleichsschluss nicht.
31
aa. Das Arbeitsgericht hatte über die von der Arbeitgeberin ausdrücklich beantragte Feststellung, das Verfahren sei nicht durch den zwischen der GSbV und dem Betriebsrat abgeschlossenen Vergleich rechtskräftig beendet, nicht im Tenor explizit entschieden. Allerdings hatte es in den Gründen eine formelle Verfahrensbeendigung durch den Vergleich hinreichend deutlich verneint (vgl. II 2.2 der Gründe). Die Beschwerdeführerin rügt diesen Verstoß auch nicht.
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bb. Letztlich kann – wie nachfolgend auszuführen ist – dahinstehen, ob die vergleichsweise Einigung zwischen Betriebsrat und GSbV wirksam war. Jedenfalls steht der antragstellenden GSbV ein Anspruch auf Teilnahme auch an den hier noch streitgegenständlichen Betriebsversammlungen zu, solange in der Filiale C. in C-Stadt keine örtliche SbV gewählt ist.
33
b. Auf die materielle Wirksamkeit des zwischen Betriebsrat und GSbV erstinstanzlich abgeschlossenen Vergleich kommt es nicht an. Ein wirksamer Vergleich könnte, wie das Arbeitsgericht ausgeführt hat, bei ausschließlicher Verfügungsbefugnis der Vergleichsschließenden über den Vergleichsgegenstand bejaht werden (vgl. GMP/Spinner, ArbGG, 10. Aufl., § 83a Rz. 8; GWBG/Waas, ArbGG, 8. Aufl., § 83a Rz. 5). Inwieweit die ausschließliche Verfügungsbefugnis über den Vergleichsgegenstand über die Einladung zur Betriebsversammlung beim Betriebsrat und der GSbV liegt oder auch eine Verfügungsbefugnis der Arbeitgeberin zu beachten ist, da letztlich auch das Betretensrecht des Betriebes inmitten steht, kann letztlich dahinstehen. Denn der von der GSbV geltend gemachte Anspruch folgt bereits aus § 180 Abs. 6 Satz 1, 2. Hs. i.V.m. § 178 Abs. 8 SGB IX, die er den Aufgabenbereich der GSbV anstelle der örtlichen SbV regelt.
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aa. Nach § 180 Abs. 6 Satz 1, 2. Hs. SGB IX. Ferner tritt die GSbV die Interessen der schwerbehinderten Menschen, die in einem Betrieb oder einer Dienststelle tätig sind, für die eine SbV nicht gewählt ist. Unerheblich ist, ob es an der Mindestzahl schwerbehinderter Menschen fehlt, dass keine SbV hatte gewählt werden können oder, ob eine Wahl einfach noch nicht stattgefunden hatte bzw. die gewählte Vertretung – aus welchen Gründen auch immer – ihr Amt verloren hatte (Neumann/Pahlen/Greiner/Winkler/Jabben/Pahlen, SGB IX, 14. Aufl., § 180 Rz. 12). Es handelt sich damit um eine betriebsbezogene Zuständigkeit der GSbV. Die GSbV nimmt als nächst höhere Vereinigung die Rechtsstellung der SbV ein und wird an deren Stelle tätig (Cramer/Fuchs/Hirsch/Ritz, SGB IX, 6. Aufl., § 97 Rz. 13); sie hat alle Rechte und Pflichten der SbV für den betreffenden Betrieb, Insbesondere kann sie Einsicht in Personalakten nehmen und darf den Sitzungen des örtlichen Betriebsrats beiwohnen (Neumann/Pahlen/Greiner/Winkler/Jabben/Pahlen, a.a.O.).
35
bb. Die Voraussetzungen für eine Vertretung in der Filiale C-Stadt beschäftigter schwerbehinderter Menschen sind gegeben. In dieser Filiale sind unbestritten zwei schwerbehinderte Menschen beschäftigt.
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cc. Die Voraussetzungen für die Vertretung schwerbehinderter Menschen auch im Rahmen einer Betriebsversammlung durch die GSbV anstelle der nicht existenten SbV sind vorliegend gegeben.
37
Die Interessenvertretung schwerbehinderter Menschen durch die GSbV als Vertretung der nicht gewählten und an sich zuständigen örtlichen SbV dient nach § 178 Abs. 1 SGB IX insbesondere dazu, die Eingliederung schwerbehinderter Menschen in den Betrieb fördern und diesen beratend und helfend zur Seite zu stehen. Nach Sinn und Zweck von § 180 Abs. 6 Satz 1, 2. Hs. SGB IX sind die Interessen der Schwerbehinderten Mitarbeiter im Betrieb unabhängig von der Existenz einer örtlichen SbV durch die GSbV zu gewährleisten. Zur effektiven Wahrung dieser Interessen bedarf es neben der Teilnahme an Betriebsratssitzungen nach § 178 Abs. 4 Satz 1 SGB IX auch der Teilnahme an Betriebsversammlungen nach § 178 Abs. 8 SGB IX. Zu den Themen einer solchen rechnen nach § 45 BetrVG auch Angelegenheiten einschließlich tarifpolitischer, sozialpolitischer, umweltpolitischer und wirtschaftlicher Art, welche den Betrieb oder Arbeitnehmer unmittelbar betreffen (Grundsatz der Betriebsbezogenheit). Sozialpolitischer Art sind alle Fragen, die sich auf den Schutz der Arbeitnehmer und deren Integration in die gesellschaftliche Ordnung beziehen, auch solche des Sozialrechts (Richardi/Annuß, BetrVG, 17. Aufl., § 45 Rz. 13; DKW/Berg, BetrVG, 18. Aufl., § 45 Rz. 7). Auch auf Betriebsversammlungen können mithin sozialrechtliche Fragen, welche die Interessen schwerbehinderter Menschen tangieren, diskutiert und über sie informiert werden. Auch hier stehen Rechte und Interessen schwerbehinderte Betriebsangehöriger im Raum deren Wahrung unter anderem die Teilnahme der GSbV, bei Fehlen einer SbV, dient.
38
Vorstehendem steht nicht entgegen, dass bei Nichtbestehen einer SbV die Interessen schwerbehinderte Menschen auch durch den Betriebsrat wahrgenommen werden. Diese Annexkompetenz des Betriebsrats kann nicht dazu führen, dass damit an (einigen) Stellen, da die Rechte und Interessen schwerbehinderte Menschen nicht durch die GSbV anstelle der nicht gewählten SbV nicht wahrgenommen werden müssten. Diese Argumentation machte die Wahl einer SbV überflüssig, da deren Aufgaben im Falle ihrer Nichtexistenz ohnehin durch den Betriebsrat erfüllt würden; es wäre damit nicht zu erkennen, weswegen es neben dem Betriebsrat einer weiteren Vertretungsstelle bedürfte.
39
dd. In der Einladung der GSbV zur Betriebsversammlung nach § 42 Abs. 1 Satz 2 BetrVG liegt kein Verstoß gegen das Prinzip der Nichtöffentlichkeit. Dieses will betriebsfremde Einflüsse auf die Betriebsversammlung ausschalten und die Erörterung betriebsfremder Angelegenheiten vermeiden (Richardi/Annuß, a. a. O., § 42 Rz. 32). Bei Einladung der GSbV liegt allerdings keine Öffentlichkeit vor; diese wäre anzunehmen, wenn der Kreis der Teilnehmer an der Betriebsversammlung unbestimmt bliebe, sie also jedermann zugänglich wäre (DKW/Berg, a.a.O., § 42 Rz. 25).
40
Das Gesetz erstrebt jedoch nicht, betriebsfremde Personen absolut von einer Betriebsversammlung fernzuhalten. So ist durchaus möglich, Mitglieder betriebsfremder Gremien, wie etwa des Gesamtbetriebsrats, Konzernbetriebsrats und Wirtschaftsausschusses einzuladen (Richardi/Annuß, a.a.O., § 42 Rz. 35). Auch gebietet die Nichtöffentlichkeit keineswegs, die Teilnahme solcher Personen auszuschließen, „deren Anwesenheit im Rahmen der Zuständigkeit der Betriebsversammlung sachdienlich ist“ (BAG v. 13. 9. 1977 – 1 ABR 67/75, AP BetrVG 1972 § 42 Nr. 1). Es kommt somit darauf an, „dass die Anwesenheit Außenstehender der besseren Information der Belegschaft, aber nicht der Öffentlichkeit oder einzelner außenstehender Personen dienen soll“ (so Hanau EzA § 45 BetrVG 1972 Nr. 1, S. 17). Damit können, ohne gegen das Gebot der Nichtöffentlichkeit zu verstoßen, Personen, die kein Teilnahmerecht haben, als Sachverständige oder als Auskunftspersonen einzuladen und zu hören. Diese Personen (Gewerkschaftsvertreter oder Rechtsanwälte) werden dann nicht in dieser Eigenschaft hinzugezogen und nehmen nicht an der Betriebsversammlung teil, sondern sind lediglich zum Zweck der Anhörung zeitlich und sachlich begrenzt anwesend (BAG v. 13. 9. 1977, a.a.O.; Fitting, BetrVG, 31. Aufl., § 42 Rz. 19 f.; GKBetrVG/Weber, 11. Aufl., § 42 Rz. 51; Richardi/Annuß, a.a.O., Rz. 36; vgl. auch BAG v. 19. 4. 1989 – 7 ABR 87/87, AP BetrVG 1972 § 80 Nr. 35).
41
Vorstehendes muss erst recht gelten, wenn die GSbV an der Betriebsversammlung teilnimmt, um die Interessen der im Betrieb beschäftigten schwerbehinderten Mitarbeiter zu wahren. Dies gilt umso mehr, als der Gesetzgeber die Möglichkeit der Teilnahme betriebsfremder Personen in § 178 Abs. 8 SGB IX ausdrücklich normiert hat. Danach können die Mitglieder der SbV auch dann an Betriebsversammlungen teilnehmen, wenn sie keine Angehörige des Betriebs sind. Entsprechendes muss für die GSbV gelten, wenngleich § 180 Abs. 7 SGB IX nicht auf § 178 Abs. 8 SGB IX verweist (Cramer, NZA 2004, 698, 705).
42
ee. Die fehlende Verweisung in § 180 Abs. 7 SGB IX auf § 178 Abs. 8 SGB IX steht dem nicht entgegen. Insoweit handelt es sich, wie das Arbeitsgericht zu Recht angenommen hat, um eine planwidrige Lücke, die durch analoge Anwendung der maßgeblichen Bestimmung zu schließen ist (vgl. auch LAG Rheinland-Pfalz v. 14. 1. 2011 – 6 TaBV 41/10, juris; offen gelassen BAG v. 11. 9. 2013 – 7 ABR 18/11, NZA 2014, 323).
43
Die GSbV vertritt nach § 180 Abs. 6 Satz 1, 2. Hs. SGB IX die Interessen schwerbehinderter Mitarbeiter, die in Betrieben oder Dienststellen beschäftigt sind, in denen keine SbV gewählt ist. Sie tritt in diesen Einheiten des Unternehmens an die Stelle der SbV, die berechtigt ist, an Betriebsversammlungen teilzunehmen (§ 178 Abs. 8 SGB IX), muss also als Vertretung ebenso berechtigt sein, an diesen Versammlungen teilzunehmen. Entsprechend wäre in § 180 Abs. 7 SGB IX eine entsprechende Verweisung hierauf zu erwarten gewesen, weswegen in deren Fehlen eine planwidrige Lücke zu sehen ist.
44
Einer Beteiligung der GSbV an den Betriebsversammlungen steht nicht entgegen, dass auf den Betriebsversammlungen keine Fragen der Förderung der der Eingliederung schwerbehinderter Menschen oder keine Beratung oder Hilfestellung für schwerbehinderte Mitarbeiter erfolgen könnte. Dies ist – wie ausgeführt (oben II 2 b dd) – ebenso eine (mögliche) Thematik der Betriebsversammlung. Die Wahrnehmung der der SbV oder in deren „Vertretung“ der GSbV zustehenden Aufgaben kann nur sichergestellt werden, wenn diese auch an den Betriebsversammlungen der entsprechenden Betriebseinheit teilnehmen kann. Dass diese Aufgaben, wie die Arbeitgeberin ausführt, bei Fehlen einer SbV durch den Betriebsrat wahrgenommen werden, steht dem nicht entgegen (vgl. oben II 2 b cc a.E.).
45
3. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache war die Rechtsbeschwerde zuzulassen.