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LG München I, Endurteil v. 24.10.2022 – 34 O 16305/21
Titel:

Unleserliches Briefkastenschild und Zustellung

Normenkette:
ZPO § 339, § 340, § 222, § 187, § 188
Leitsatz:
Es liegt ein Verschulden des Adressaten vor, wenn der Postzusteller das Urteil in einen falschen Briefkasten einlegt, weil dieser von der Partei nicht mit einem leserlichen Namen versehen wurde.  (Rn. 32 – 36) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zustellung, Verschulden, Namensschild
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 23.03.2023 – 32 U 6877/22 e
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 21.02.2024 – XII ZR 65/23
Fundstelle:
BeckRS 2022, 55473

Tenor

I. Der Einspruch des Beklagten gegen das Versäumnisurteil vom … wird als unzulässig verworfen.
II. Der Beklagte hat die weiteren Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Kläger begehren vom Beklagten die Rückzahlung von Anzahlungen betreffend eine Vereinbarung mit Empfangsbestätigung vom … (Anlage K1).
2
Mit dieser Empfangsbestätigung bestätigte der Beklagte, vom inzwischen verstorbenen Vater der Kläger, die ihren Vater beerbt haben, … € in Empfang genommen zu haben. Hierbei habe es sich um eine Anzahlung für die Überlassung des Restaurants „…“ in der … in … gehandelt.
3
Im Gegenzug verpflichtete sich der Beklagte, dafür zu sorgen, dass der Mietvertrag auf den Namen des Vaters der Kläger sobald als möglich umzustellen sei.
4
Eine Übertragung des Mietvertrags auf den Vater der Kläger oder auf die Kläger selbst ist unstreitig nicht erfolgt.
5
Deshalb begehren die Kläger diesen anbezahlten Betrag mit der vorliegenden Klage zurück. Die Kläger überwiesen an den Beklagten am … und am … jeweils … € zur Erfüllung der Vereinbarung.
6
Der Vater der Kläger und der Beklagte schlossen des Weiteren einen Mietvertrag am … (Anlage B 2) sowie einen Mietvertrag am … mit Beginn des Mietverhältnisses ab … (Anlage B3) über die streitgegenständlichen Räume zum Betrieb eines … Lokals.
7
Im Rechtsstreit 34 O 298/21 begehrte der hiesige Beklagte von den beiden hiesigen Klägern die Räumung des Gastronomiebetriebs.
8
Das Landgericht München I verurteilte die hiesigen Kläger zur Räumung Zug um Zug gegen Rückzahlung der … €.
9
Das Oberlandesgericht München hielt den Räumungsausspruch in der Berufungsinstanz aufrecht, hob jedoch die Zug-um-Zug-Leistung auf.
10
Deshalb begehren die Kläger nunmehr gesondert die Rückzahlung des Betrags von … €.
11
Die Klage im Urkundenprozess vom … wurde dem Beklagten mit der Verfügung zur Bestimmung eines frühen ersten Termins am … vom … gemäß Postzustellungsurkunde vom … an seiner Anschrift in der „…“ in … durch Einlage in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten zugestellt.
12
Im Termin vom … war die Beklagtenseite nicht vertreten.
13
Das Gericht erließ ein Versäumnisurteil, das dem Beklagten am 14.05.2022 gemäß Postzustellungsurkunde wiederum durch Einlage in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten zugestellt wurde.
14
Der Einspruch ging bei Gericht am 01.06.2022 ein.
15
Der Beklagte trägt zu seinem verspäteten Einspruch Folgendes vor:
16
Die Lebensgefährtin des Beklagten habe am 29.05.2022 im Briefkasten das gelbe Kuvert, mit dem das Versäumnisurteil dem Beklagten zugestellt wurde, gefunden. Das Zustellkuvert habe das Zustelldatum 14.05.2022 getragen. Es sei jedoch ausgeschlossen, dass das Schriftstück bereits am 14.05.2022 in den Briefkasten des Beklagten eingelegt worden sei. Der Beklagte und seine Lebensgefährtin haben täglich oder mindestens alle zwei Tage ihren Briefkasten geleert. Das Zustellkuvert habe sich erstmals am 29.05.2022 im Briefkasten gefunden.
17
Die Beklagtenseite weist darauf hin, dass in dem Anwesen … in … drei Personen mit dem Namen „…“ wohnen würden. Der Beklagte vermutet nun, ohne dies zu wissen, dass der Zusteller das Zustellkuvert in einen anderen Briefkasten mit dem Namen „…“ gesteckt habe; der Empfänger des Kuverts habe dann am 29.05.2022 oder am 28.05.2022 abends das Kuvert in den Briefkasten des Beklagten gesteckt.
18
Die Beklagtenseite übergibt hierzu Lichtbilder, die insgesamt neun Briefkästen sowie auch neun Klingelschilder für das streitgegenständliche Anwesen zeigen.
19
Die Kläger beantragen:
Der Einspruch des Beklagten gegen das Versäumnisurteil vom 02.05.2022 wird als unzulässig verworfen.
20
Der Beklagte beantragt:
Das Versäumnisurteil des Landgerichts München I vom …, Az.: 34 O 16305/21 wird aufgehoben und die Klage wird abgewiesen.
21
Zur Ergänzung des Tatbestands darf auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen werden.

Entscheidungsgründe

22
Der Einspruch ist unzulässig, da er nicht innerhalb der Einspruchsfrist von zwei Wochen bei Gericht eingegangen ist.
23
Die Zustellung ist am 14.05.2022 erfolgt.
24
Der 14.05.2022 war ein Samstag.
25
Die Frist zur Einlegung des Einspruchs hat somit am Montag, den 30.05.2022 geendet, §§ 222 ZPO, 187 Abs. 2; 188 Abs. 2 BGB.
26
Die Beklagtenseite hat Kenntnis von dem Versäumnisurteil nach eigenen Angaben am 29.05.2022 erhalten.
27
Somit wäre es ihr ohne Weiteres möglich gewesen, noch am 30.05.2022 – also rechtzeitig – einen Einspruch einzulegen. Dies gilt umso mehr, da der Beklagte bereits in dem vorangegangenen Verfahren, Az.: 34 O 298/21 anwaltlich vertreten war.
28
Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Beklagte ohne sein Verschulden war, als er die Frist zur Einlegung eines Einspruchs versäumt hat.
29
Jedenfalls wird nichts dazu vorgetragen, warum der Beklagte einen Einspruch nicht am 30.05.2022 in die Wege leiten konnte.
30
Auch im Übrigen wäre der Beklagte nicht schuldlos verhindert gewesen, den Einspruch rechtzeitig einzulegen.
31
Gemäß PZU wurde das Versäumnisurteil am 14.05.2022 in den zu seiner Wohnung gehörenden Briefkasten eingelegt.
32
Ein schuldloses Handeln bedeutet Fehlen von Vorsatz und Fahrlässigkeit. Sollte der Postzusteller tatsächlich das Versäumnisurteil in den Briefkasten eines anderen Bewohners des Hauses eingelegt haben, läge gleichwohl ein Verschulden des Beklagten vor.
33
Es hätte an dem Beklagten gelegen, seinen Briefkasten mit einem leserlichen Namen zu versehen. Dies ist gemäß den von der Beklagtenseite vorgelegten Lichtbildern (Anlage B 1) nicht der Fall.
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Die Beklagtenseite möchte den zweiten Briefkasten unterhalb der Klingelleiste offensichtlich dem Beklagten zuordnen.
35
Das Gericht vermag hier einen Namen auf dem dafür vorgesehenen Feld unterhalb des Briefkastens nicht zu erkennen. Demgegenüber waren andere Bewohner des Anwesens durchaus in der Lage, den Briefkasten mit einem lesbaren Namensschild zu versehen.
36
Selbst wenn das großformatige Einzelbild mit dem Namenszug „…“ (letzte Seite der Anlage B 1) dem zweiten Briefkasten unterhalb der Klingelleiste entsprechen würde, wäre auch dieses Namensschild für jeden Zusteller eine Zumutung. Wer mit einem derartigen Namensschild im Rechts- und Wirtschaftsverkehr auftritt, handelt zumindest leicht fahrlässig.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97, 708 Nr. 3 ZPO.