Titel:
Anfechtung einer Betriebsratswahl
Normenkette:
BetrVG § 1, § 4, § 14, § 19
Leitsätze:
1. Nach § 19 Abs. 1 BetrVG kann die Wahl eines Betriebsrats angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen wurde und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, durch den Verstoß konnte das Wahlergebnis nicht verändert oder beeinflusst werden. Ein solcher Verstoß liegt unter anderem vor, wenn bei der Wahl der betriebsverfassungsrechtliche Betriebsbegriff verkannt wurde (Anschluss an BAG BeckRS 2016, 118638). (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zu den Anforderungen an einen einheitlich geleiteten Betrieb, in dem ein Betriebsrat gewählt werden könnte, bzw. eine einheitliche betriebsratsfähige Organisationseinheit (hier jeweils verneint). (Rn. 22 – 28) (redaktioneller Leitsatz)
3. Zur Anfechtbarkeit der Betriebsratswahl wegen fehlerhafter Berechnung der Stützunterschriften. (Rn. 30 – 40) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Betriebsratswahl, Unwirksamkeit, Anfechtung, einheitlicher Betrieb, Betriebsteile, Wählerliste, Stützunterschriften
Rechtsmittelinstanz:
LArbG Nürnberg, Beschluss vom 17.07.2023 – 1 TaBV 1/23
Fundstelle:
BeckRS 2022, 55170
Tenor
Die Betriebsratswahl vom 20.01.2022 wird für unwirksam erklärt.
Gründe
1
Die Beteiligten streiten um die Anfechtung einer Betriebsratswahl.
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Die nicht tarifgebundene Antragstellerin betreibt in Oberfranken und in der Oberpfalz an 13 Standorten Autohäuser. Ein Betriebsrat bestand bisher noch nicht.
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Der Beteiligte zu 2) ist der für die Oberpfälzer Standorte in ... am 20.01.2022 gewählte 7köpfige Betriebsrat. Das Wahlergebnis wurde am 25.01.2022 bekannt gemacht.
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Gegen diese Wahl geht die antragstellende Arbeitgeberin im vorliegenden Beschlussverfahren vor mit dem Ziel, die Wahl für unwirksam zu erklären. Die Wahl sei anfechtbar, da unter eklatanter Verkennung des Betriebsbegriffs nach dem BetrVG erfolgt. Tatsächlich gebe es keinen Betrieb Oberpfalz, sondern die fünf Oberpfälzer Niederlassungen stellten jeweils eigene Betriebe dar, in denen jeweils eigene Betriebsräte hätten gewählt werden müssen. Die fünf Oberpfälzer Standorte seien auch vor ihrer Übernahme 2018 nicht zu einer Region Oberpfalz zusammengefasst gewesen. An jedem der Standorte gebe es mindestens einen Mitarbeiter, der autark personelle Entscheidungen treffe, also beispielsweise Entscheidungen über Einstellungen, Entlassungen, Versetzungen, Abmahnungen und Urlaubsanträge. Hierzu wird auf die Ausführungen in den Schriftsätzen vom 03.02.2022 ab S. 14 und vom 22.04.2022 ab S. 9 verwiesen. In A-Stadt gebe es eine Personalleiterin, die Zeugin, die zuständig für die Oberpfälzer Betriebe sei, wobei sich ihre Zuständigkeit nicht auf Entscheidungen über personelle Maßnahmen erstrecke, die eben vor Ort getroffen würden. In A-Stadt würden die getroffenen Entscheidungen nur zentral umgesetzt, also etwa Arbeitsverträge ausgearbeitet. Auch der Zeuge C. habe keine Entscheidungsbefugnis in personellen oder sozialen Angelegenheiten. Er werde zwar als „Betriebsleiter“ bezeichnet und entwickle eine einheitliche Strategie zur Erreichung einheitlicher und übergeordneter Ziele für die Oberpfälzer Standorte. Insoweit könne er mit einem „Leiter Marketing“ eines Unternehmens verglichen werden. Daraus ergebe sich aber kein einheitlicher Betrieb. Ein weiterer Anfechtungsgrund ergebe sich daraus, dass die Wählerliste falsch gewesen sei. Auf dieser hätten sich die Personen nicht befunden, was zwar aus Sicht der Antragstellerin korrekt sei, da diese die Entscheidungen vor Ort autark verantworteten und damit leitende Angestellte im Sinne des BetrVG seien. Aus Sicht des Wahlvorstandes sei dies aber falsch gewesen, da diese Personen gerade keine leitenden Angestellten seien, sondern eine standortübergreifende Entscheidungsbefugnis bestanden habe. Daher hätten die Genannten aus Sicht des Wahlvorstandes in der Wählerliste aufgeführt werden müssen, was aber nicht geschehen sei. Wegen weiterer Einzelheiten zum Vortrag der Antragstellerseite wird vollumfänglich und bezüglich aller Details auf die hierzu eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
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Die Antragstellerin beantragt,
Die Betriebsratswahl vom 20.01.2022 wird für unwirksam erklärt.
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Der Beteiligte zu 2) beantragt hingegen,
den Antrag zurückzuweisen.
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Zur Begründung seines Antrages trägt der der Beteiligte zu 2) vor, dass anfechtungsrelevante Fehler nicht gegeben seien. Bereits vor Übernahme der fünf Oberpfälzer Standorte sei die Leitung etwa hinsichtlich Kündigungen und Einstellungen zentral über den damaligen Geschäftsführer erfolgt. Die Antragstellerin habe bereits erfolglos versucht, die Wahlversammlung zur Durchführung der Wahl zu verhindern. Auch seien zwei Beschäftigte, die sich für die Wahl engagiert hatten, gekündigt worden. Auch habe die Versetzung des Betriebsratsvorsitzenden gerichtlich untersagt werden müssen. Relevant für die Wahl sei, dass nicht richtig sei, dass es an jedem der fünf Standorte mindestens einen Mitarbeiter gebe, der autark personelle Entscheidungen treffe. Die pauschalen Aussagen der Arbeitgeberseite hierzu würden zurückgewiesen. Es fänden zwischen den Oberpfälzer Standorten zumindest bei krankheitsbedingten Ausfällen auch ortsübergreifende personelle Vertretungen statt. Tatsächlich existiere für die fünf Standorte, für die der Beteiligte zu 2) gewählt wurde, ein oberhalb der Niederlassungsleiter angesiedelter Betriebsleiter. Diese zentrale Leitungsfunktion werde durch den Prokuristen C. wahrgenommen. Dieser firmiere intern als Betriebsleiter für die Oberpfälzer Betriebe, was auch gegenüber der Belegschaft so kommuniziert worden sei. Als Betriebsleiter stelle der Zeuge C. die personelle und organisatorische Klammer für die fünf Oberpfälzer Betriebe dar. Der Zeuge habe z.B. mit Email vom 16.02.2022 kundgetan, dass noch keine Einigung zwischen den Betriebsparteien zur Kurzarbeit vorliege. Hieraus ergebe sich, dass der Zeuge im wichtigen und mitbestimmungsrelevanten Bereich gem. § 87 I Nr. 3 BetrVG Ansprechpartner und Entscheider sei. Herr C. habe Strategien und übergeordnete Ziele festgelegt sowie zu bearbeitende Themenschwerpunkte wie Aufbereitung, Abschleppdienst, Haustechnik oder auch Personalentwicklung für die Region Oberpfalz. Für die Standorte habe es einen eigenen Newsletter gegeben, die „Oberpfalz-News“. Der Zeuge C. verantworte die enge Zusammenarbeit zwischen den Betrieben und den Fachabteilungen, den Aufbau eines Oberpfalz-Kennzahlen-Systems, aber auch die Beschaffung und Logistik („Aufnahme der Oberpfalz-Betriebe in Rahmenvertrag“) und eben die Personalplanung und -stärkung sowie ein eigenes „Oberpfalz-Marketing-Konzept“. Der Betriebsrat gehe daher davon aus, dass die mitbestimmungsrelevanten Entscheidungen etwa zu Einstellungen und Entlassungen bzw. auch zu Versetzungen und Abmahnungen über den Tisch des Betriebsleiters C. laufen und dort entschieden werden. An dieser Leitungsfunktion ändere sich nichts, wenn etwa Arbeitsverträge oder Kündigungsschreiben unter formalen Gesichtspunkten unterschriftsmäßig über die Geschäftsführung oder die Personalabteilung abgewickelt würden. Die Wirksamkeit der Wahl ergebe sich aber jedenfalls aus § 4 I BetrVG (vgl. Bl. 88 f. d.A.). Es sei zwar zutreffend, dass die arbeitgeberseits benannten sechs Personen nicht auf der vom Wahlvorstand aufgestellten Wählerliste aufgeführt gewesen seien. Dies sei daran gelegen, dass diese aus Sicht des Arbeitgebers leitende Angestellte seien und als solche nicht wahlberechtigt oder wählbar seien. Auch sei richtig, dass der Wahlvorstand mit Email vom 18.11.2021 mitgeteilt habe, dass er mit der Festlegung dieser Mitarbeiter als leitende Angestellte nicht einverstanden sei, dies aber hinnehme, um weitere Streitigkeiten und Zeitverzögerungen zu vermeiden. Allerdings habe sich niemand gegen die Richtigkeit der Wählerliste gewandt. Auch sei es widersprüchlich, wenn die Antragstellerin die sechs Beschäftigten als leitende Angestellte klassifiziert habe und genau dies nun kritisiere. Nach § 19 III 3 BetrVG sei die Anfechtung durch den Arbeitgeber ausgeschlossen, soweit sie darauf gestützt ist, dass die Wählerliste unrichtig sei, wenn diese Unrichtigkeit auf den Arbeitgeberangaben beruhe. Wegen weiterer Einzelheiten zum Vortrag der Beteiligtenseite zu 2) wird vollumfänglich und bezüglich aller Details auf die hierzu eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
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Das Gericht hat sich vor dem Kammertermin die Wahlakten vollständig im Original, aber ohne die Stimmzettel und ohne die mit Stimmabgabevermerk versehenen Wählerlisten vorlegen lassen und der Arbeitgeberseite Gelegenheit zur Einsichtnahme gegeben. Das Gericht hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass im Hinblick auf das Wahlausschreiben Bedenken bezüglich der Wirksamkeit der Betriebsratswahl bestehen und zwar wegen der dort angegebenen Anzahl der erforderlichen Stützunterschriften, wegen des fehlenden Hinweises auf § 19 III BetrVG und wegen der mit 30 Minuten nur sehr kurzen Wahlzeit in (vgl. Hinweis vom 17.10.2022, Bl. 267 d.A.). Das Gericht hat der Betriebsratsseite zu den Hinweisen eine Schriftsatzfrist eingeräumt.
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Im Kammertermin hat das Gericht Beweis erhoben durch uneidliche Einvernahme der Zeugen C., E. und D.. Diesbezüglich wird auf das Sitzungsprotokoll vom 21.10.2022 verwiesen.
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Zur Ergänzung des Sachverhalts wird im Übrigen noch auf den sonstigen Akteninhalt verwiesen.
11
Der Antrag ist erfolgreich. Die gegenständliche Betriebsratswahl ist wegen Verkennung des Betriebsbegriffs und unzutreffender Angabe der erforderlichen Stützunterschriften im Wahlausschreiben unwirksam.
12
Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist eröffnet, §§ 2a I Nr. 1 ArbGG, 19 BetrVG. Das Arbeitsgericht Weiden ist örtlich zuständig, § 82 I 1 ArbGG.
13
Der Antrag ist in der gestellten Form zulässig (vgl. Hamacher, Antragslexikon ArbR, 3. Aufl., Wahlen zum Betriebsrat Rn. 17).
14
Nach § 19 I, II 1 BetrVG kann u.a. der Arbeitgeber die Betriebsratswahl beim Arbeitsgericht anfechten, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden ist und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte. Die Anfechtung ist nach § 19 II 2 BetrVG nur binnen einer Frist von zwei Wochen ab Bekanntgabe des Wahlergebnisses zulässig.
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Die formellen Voraussetzungen für eine Anfechtung der Betriebsratswahl sind erfüllt.
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Die Anfechtung erfolgte fristgerecht iSd. § 19 II 2 BetrVG. Hierfür genügt es, wenn der mit einer Begründung versehene Anfechtungsantrag bis zum Ablauf des letzten Tages der Zweiwochenfrist ab Bekanntgabe des Wahlergebnisses beim Arbeitsgericht eingegangen ist. Das ist hier der Fall, denn die begründete Anfechtungsschrift ging bei Gericht am 03.02.2022 ein und damit fristgerecht innerhalb der gem. §§ 187 I, 188 II 1. Alt. BGB bis 08.02.2022 laufenden Zweiwochenfrist ab Bekanntgabe des Wahlergebnisses am 25.01.2022.
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Im Rahmen der Antragsschrift vom 03.02.2022 werden jedenfalls mit der aufgeworfenen Frage nach dem richtigen Betrieb auch betriebsverfassungsrechtlich erhebliche Gründe vorgetragen, die möglicherweise zum Erfolg des gestellten Antrages führen.
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Auch die materiellen Voraussetzungen einer Wahlanfechtung liegen vor. Die angefochtene Wahl ist anfechtbar, da der Betriebsbegriff verkannt wurde und die Anzahl der erforderlichen Stützunterschriften im Wahlausschreiben unzutreffend angegeben wurde.
19
Die Wahl erfolgte unter Verkennung der maßgeblichen betriebsorganisatorischen Einheit.
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Es gibt keinen Betrieb Oberpfalz, in dem ein Betriebsrat gewählt werden kann.
21
Nach § 19 I BetrVG kann die Wahl eines Betriebsrats angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen wurde und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, durch den Verstoß konnte das Wahlergebnis nicht verändert oder beeinflusst werden. Ein solcher Verstoß liegt u.a. vor, wenn bei der Wahl der betriebsverfassungsrechtliche Betriebsbegriff verkannt wurde (vgl. BAG vom 23.11.2016, 7 ABR 3/15; Fitting/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier/Schelz, BetrVG, 31. Auflage 2022, § 19 Rn. 22).
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Ein Betrieb iSv § 1 I 1 BetrVG ist eine organisatorische Einheit, innerhalb derer der Arbeitgeber zusammen mit den von ihm beschäftigten Arbeitnehmern bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt. Dazu müssen die in der Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt und die menschliche Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert werden. Das Vorhandensein einer solchen einheitlichen Leitung, die sich auf die wesentlichen Funktionen des Arbeitgebers in sozialen und personellen Angelegenheiten erstreckt, ist das entscheidende Kriterium für einen Betrieb. Damit hängt das Vorliegen eines Betriebs entscheidend von der Organisation des Arbeitgebers ab. Ist das Unternehmen zentral organisiert, gibt es für mehrere Arbeitsstätten einen Betriebsrat; bei dezentraler Organisation kann es mehrere örtliche Betriebsräte geben. Die Interessenvertretung soll dort gebildet werden, wo im Wesentlichen die mitbestimmungspflichtigen Entscheidungen des Arbeitgebers getroffen werden (vgl. Fitting a.a.O., § 1 Rn. 102).
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Danach gilt, dass es einen sich über die Oberpfälzer Standorte erstreckenden Betrieb, in dem ein Betriebsrat gewählt werden könnte, nicht gibt. Das Vorhandensein eines einheitlich geleiteten Betriebes Oberpfalz im vorgenannten Sinne konnte das Gericht nicht feststellen.
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Das Gericht ist nach ausführlicher Beweisaufnahme davon überzeugt, dass keine sich über die Oberpfälzer Standorte der Antragstellerin erstreckende einheitliche Leitung betreffend die sozialen und personellen Angelegenheiten existiert. Soweit die Betriebsratsseite geltend macht, dass der Zeuge C. nicht nur als Betriebsleiter für die Oberpfälzer Standorte bezeichnet wird, sondern tatsächlich die Leitung in den mitbestimmungsrelevanten sozialen und personellen Angelegenheiten innehat und ausübt, so hat sich dies im Rahmen seiner Einvernahme nicht bestätigt. Der glaubwürdige Zeuge hat seine Funktion bei der Antragstellerin ausführlich und gut nachvollziehbar beschrieben und explizit erklärt, in Gesprächen bzw. Verhandlungen mit dem Betriebsrat nicht eingebunden zu sein und in personellen Angelegenheiten (Einstellungen, Kündigungen) gegenüber der Geschäftsführung in A-Stadt nur Handlungsempfehlungen auszusprechen, wobei letztere dann entscheide, ob der Vorschlag umgesetzt werde oder nicht. Er sei bis September 2022 Integrationsmanager und für die Einbindung der neuen Oberpfälzer Betriebe in die übrige -Gruppe verantwortlich gewesen, in Organisations- und Personalfragen habe die Geschäftsführung, nicht aber die lokalen Führungskräfte in den einzelnen Standorten das letzte Wort. Daraus ergibt sich, dass Herr C. keine einheitliche Leitung im vorgenannten Sinne über die Oberpfälzer Standorte ausgeübt hat, da nach seiner Aussage die Leitung zentral durch die Geschäftsführung in A-Stadt ausgeübt wurde. Die Bezeichnung als Betriebsleiter ist nur eine Bezeichnung und für sich ohne Aussagekraft für die Frage, wer tatsächlich die Leitungsfunktion in den wesentlichen mitbestimmungspflichtigen Vorgängen hat. Das Gericht glaubt dem Zeugen und hält die Aussage auch für lebensnah. Glaubwürdig ist der Zeuge insbesondere deshalb, da er sich mit seiner Aussage in Widerspruch zu den schriftsätzlichen Ausführungen seines Arbeitgebers setzt, wonach die Leitung dezentral in den einzelnen Standorten ausgeübt werde. Für die Richtigkeit seiner Aussage spricht im Weiteren der Vorgang „Ermahnung für Herrn „. Hierzu hat der Zeuge in Übereinstimmung mit dem anderweitigen Zeugen D. und ohne dass sich dies so in der Akte wiederfindet, erklärt, dass die Geschäftsführung in A-Stadt entgegen der auf Erteilung einer Abmahnung lautenden Empfehlung letztlich anders entschieden habe und Herrn nur eine Ermahnung ausgesprochen habe. Die weiteren Argumente des Betriebsrats zur Begründung einer Leitungsfunktion bei Herrn C. vermögen das auf Grundlage der Beweisaufnahme gefundene Ergebnis zur Überzeugung der Kammer nicht zu ändern. Die Verlautbarungen des Herrn C. gegenüber der Belegschaft, seine Emails und sein Engagement erklären sich zwanglos mit seiner Funktion als Integrationsmanager und Vermittler und stellen keinen hinreichenden Beleg für eine in seiner Person gebündelte Leitungsmacht im vorgenannten Sinne dar. Im Ergebnis ist damit kein einziger Fall ersichtlich, in dem der Zeuge C. konkret alleine eine Entscheidung in den hier relevanten Bereichen zu verantworten gehabt hätte. Die betriebsratsseits erkannte personelle und organisatorische Klammer mit den beschriebenen Kompetenzen in Person des Zeugen C. gibt es damit nicht.
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Eine solche einheitliche und sich über die Oberpfälzer Standorte erstreckende Leitungsmacht ergab sich schließlich auch nicht aus den Aussagen der ebenfalls einvernommenen und ebenfalls vollumfänglich glaubwürdigen Zeugen E. und D.. Eine entsprechende Kompetenzbündelung bei Herrn C. hat der Zeuge E. nicht bestätigt, sondern ausgeführt, dass er in Personaldingen alleine entscheide bzw. zusammen mit dem Geschäftsführer . Das Gericht erkennt, dass hinsichtlich der Reichweite der Entscheidungskompetenz keine vollständige Kongruenz zur Aussage des Herrn C. besteht. Eine Kompetenzbündelung bei Herrn C. hat allerdings auch der Zeuge E. nicht bestätigt. Eine weitere Aufklärung in diesem Punkt war aus Sicht des Gerichts nicht geboten, da einerseits kein Verfahren nach § 18 II BetrVG zu entscheiden war, kein Rechtsgutachten zu schreiben war und außerdem ein relevanter Widerspruch zwischen den Zeugenaussagen nur vermeintlich besteht, da auch der Zeuge E. erklärt, dass er in personellen Fragen stets nach Rücksprache und nicht autark entschieden habe und im Falle der Frau sich die Geschäftsführung gegen seinen Vorschlag entschieden und deren Aufstockungswunsch abgelehnt hat.
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Ähnliches gilt beim Zeugen D.. Auch dieser hat eine Leitungsmacht im hier entscheidenden Sinne bei Herrn C. nicht bestätigt. Einen relevanten Widerspruch zur Aussage des Zeugen C. sieht das Gericht auch hier nicht, da der Zeuge bezüglich der Reichweite seiner Personalkompetenz zwar eine ggf. andere Sichtweise als Herr C. hat, allerdings bekleidet der Zeuge D. seine Position erst seit 2022 und damit erst seit Kurzem und hat bislang alle Personalmaßnahmen mit der Geschäftsführung in A-Stadt abgesprochen, woraus sich ergibt, dass der Zeuge noch keine Erfahrung hinsichtlich der Frage vorweisen kann, wer bei unterschiedlichen Auffassungen entscheidet. Da der Zeuge im Falle – ebenfalls glaubhaft – darauf verweist, dass die Geschäftsführung hier anders, nämlich mit einer Ermahnung milder als vorgeschlagen reagiert hat, scheint auch er letztlich von einem Letztentscheidungsrecht der Geschäftsführung auszugehen, so dass eine nähere Aufklärung zu diesem Punkt nicht geboten erscheint.
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Da damit keiner der angehörten Zeugen ausgesagt hat, dass Herr C. die Leitungsmacht in personellen und sozialen Angelegenheiten inne hatte und sich dies auch nicht aus anderen Gründen ergibt, gibt es keinen eigenständigen Betrieb Oberpfalz der Antragstellerin, in dem ein Betriebsrat hätte gewählt werden dürfen. Dem betriebsratsseits noch im letzten Schriftsatz gestellten Antrag auf Einvernahme eines weiteren Zeugen – des Zeugen – zur Klärung der Betriebsstruktur der Oberpfälzer Standorte war nicht nachzukommen, da es hier um kein Verfahren nach § 18 II BetrVG (Verfahren zur Klärung der zutreffenden Betriebsstruktur) geht und auch nicht ersichtlich oder vorgetragen ist, inwieweit der Zeuge noch für einen Erkenntnismehrgewinn sorgen könnte.
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Die Standorte in stellen aber auch im Hinblick auf § 4 BetrVG keine einheitliche betriebsratsfähige Organisationseinheit dar. Auch wenn es sich bei den genannten Standorten jeweils um qualifizierte Betriebsteile i.S.d. § 4 I handelte, so fehlte es an einer ausreichenden organisatorischen Zusammenfassung zu einem einheitlichen Betriebsteil. Erforderlich ist eine sich über die in Rede stehenden Standorte erstreckende institutionalisierte einheitliche Leitungsmacht, die den Einsatz der Arbeitnehmer bestimmt und die das Weisungsrecht des Arbeitgebers ausübt (vgl. BAG vom 29.5.1991, 7 ABR 54/90). Daran fehlt es. Es gibt die betriebsratsseits geltend gemachte Klammer mit Kompetenzen in personellen und sozialen Angelegenheiten nach der Beweisaufnahme nicht, auch nicht in abgeschwächter Form. Vielmehr werden die maßgeblichen Entscheidungen von der Geschäftsführung in A-Stadt oder jeweils vor Ort in Abstimmung mit der Geschäftsführung in A-Stadt getroffen, dass Herr C. tatsächlich Leitungsmacht in mitbestimmungsrelevanten personellen und sozialen Fragen hat, konnte gerade nicht festgestellt werden.
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Die Wahl des Betriebsrats erfolgte daher in einer Einheit, die nicht den betriebsverfassungsrechtlichen Vorgaben gem. §§ 1, 4 BetrVG entspricht. Dies stellt eine Verletzung von wesentlichen Vorschriften zum Wahlverfahren dar. Dass bei einer Wahl in (einer) anderen Organisationseinheit(en) kein anderes Wahlergebnis erzielt worden wäre, kann auf keinen Fall festgestellt werden. Daher ist die Wahl unwirksam.
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Die Betriebsratswahl vom 20.01.2022 ist überdies unwirksam aufgrund fehlerhafter Angabe der Anzahl der erforderlichen Stützunterschriften im Wahlausschreiben. Laut Wahlausschreiben vom 12.11.2021 (Aushang 22.11.2021) sind für einen ordnungsgemäßen Wahlvorschlag mindestens 8 Stützunterschriften gem. § 14 IV BetrVG erforderlich. Das ist aber nicht richtig, ausreichend wären 7 Stützunterschriften gewesen.
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Der Wahlvorstand hat bei der Ermittlung der Anzahl der Wahlberechtigten zu Unrecht zum einen auch Mitarbeiter mitgezählt, deren Ausscheiden vor dem Wahltermin ihm (dem Wahlvorstand) zum Zeitpunkt des Erlasses des Wahlausschreibens (dem Zeitpunkt des Aushangs des Wahlausschreibens am 22.11.2021, da der Erlass die Bekanntgabe und damit den Aushang voraussetzt, vgl. GK-BetrVG, 12. Aufl., § 3 WO Rn. 3) bekannt war und zum anderen Mitarbeiter mitgezählt, deren fehlende Wahlberechtigung er (der Wahlvorstand) vor Aushang des Wahlausschreibens mit Email gegenüber der Personalabteilung vom 18.11.2021 (Anlage AS 15) hingenommen hat.
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In rechtlicher Hinsicht gilt hierzu, dass der Wahlvorstand im Rahmen der Erstellung des Wahlausschreibens unter anderem verpflichtet ist, die genaue Anzahl der Wahlberechtigten, von denen ein Wahlvorschlag unterzeichnet sein muss, korrekt ermitteln und angeben muss (§ 3 II Nr. 6 WO). Es handelt sich hierbei um eine „Mussvorschrift“, wobei ein Verstoß einen relevanten Verstoß gegen eine wesentliche Vorschrift über das Wahlverfahren iSd. § 19 I BetrVG darstellt (vgl. GK-BetrVG, 12. Aufl., § 3 WO Rn. 7). Dabei muss ein Wahlvorschlag in Betrieben mit in der Regel mehr als 100 wahlberechtigten Arbeitnehmern mindestens von einem Zwanzigstel der wahlberechtigten Arbeitnehmer unterzeichnet sein (§ 14 IV 2 BetrVG). Ergibt die Berechnung keine volle Zahl, ist aufzurunden. Entscheidender Stichtag für die Ermittlung der Wahlberechtigten ist der Tag des Erlasses des Wahlausschreibens, also des Aushangs des Wahlausschreibens (s.o., vgl Fitting, 31. Aufl., BetrVG, § 3 WO Rn. 1). Der Wahlvorstand hat für die Feststellung der Arbeitnehmerzahl nicht nur den Personalbestand in der Vergangenheit zu Grunde zu legen, sondern muss auch künftige, aufgrund konkreter Arbeitgeberentscheidungen bereits feststehende Zu- oder Abgänge berücksichtigen (vgl. BAG vom 7.5.2008, 7 ABR 17/07). Bis zum Wahltag eintretende vorhersehbare Änderungen der Beschäftigtenzahl hat der Wahlvorstand zu berücksichtigen (vgl. BAG vom 29.05.1991, 7 ABR 27/90). Dabei kann sich der Wahlvorstand zur Ermittlung der Zahl der regelmäßigen Wahlberechtigten zunächst auf die arbeitgeberseits im Rahmen des § 2 II WO übermittelten Unterlagen bzw. Listen stützen, ohne damit seiner Prüfpflicht enthoben zu sein.
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Daraus folgt, dass der Wahlvorstand bei seiner Berechnung die Zahl der Wahlberechtigten zu Unrecht zu hoch angesetzt hat und damit auch die Anzahl der geforderten Stützunterschriften.
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Zwar ist die im nachgelassenen Schriftsatz vom 08.11.2022 mitgeteilte Berechnungsmethode vom Ausgangspunkt her nicht zu beanstanden, wenn dort mitgeteilt wird, dass der Wahlvorstand die arbeitgeberseits vorgelegte Mitarbeiterliste herangezogen und diese durch eigene Ergänzungen/Streichungen aktualisiert bzw. berichtigt hat.
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Allerdings muss der Wahlvorstand zum einen – wie aufgezeigt – zum Stichtag 22.11.2021 die bis zum Wahltag absehbaren Veränderungen berücksichtigen, was im Ergebnis nicht geschehen ist. Denn es ergibt sich aus den Wahlakten – dort unter der Rubrik „Mitarbeiterlisten von Personalabteilung und Schriftverkehr“ – dass die Personalabteilung dem Wahlvorstand auf dessen Anforderungsschreiben vom 21.10.2021 fristgerecht am 29.10.2021 die angefragte Mitarbeiterliste übermittelt hat und dabei auch – ebenfalls entsprechend der Anforderung des Wahlvorstandes – mitgeteilt hat, von welchen Beschäftigten bekannt ist, dass sie aus dem Betrieb ausscheiden. Dementsprechend hat die Personalabteilung in den am 29.10.2021 übermittelten Listen jedenfalls bei den Mitarbeitern (Austritt zum 31.12.2021), (Austritt zum 30.11.2021), (Austritt zum 15.11.2021) und (Austritt zum 30.11.2021) die bereits bekannten und vor dem Wahltag vom 20.01.2022 liegenden Austrittsdaten übermittelt. Dies wurde vom Wahlvorstand bei der gem. § 14 IV BetrVG geforderten Berechnung zu Unrecht außer Acht gelassen.
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Hinzu kommt, dass der Wahlvorstand ausweislich der Begründung im Schriftsatz vom 08.11.2022 die in der arbeitgeberseits übermittelten Liste fehlenden Mitarbeiter bei der Ermittlung der für die Anzahl der erforderlichen Stützunterschriften maßgeblichen Anzahl der Wahlberechtigten iSd. § 14 IV BetrVG hinzugerechnet hat. Das ist ebenfalls nicht richtig, denn zum maßgebenden Stichtag am 22.11.2021 (s.o., Tag des Aushangs des Wahlausschreibens) war aufgrund der Email des Wahlvorstandes vom 18.11.2021 an die Personalabteilung bereits klar, dass diese sechs Mitarbeiter nicht in die Wählerliste eingetragen werden. Denn der Wahlvorstand hat hier deren Nichtberücksichtigung hingenommen, d. h. im Ergebnis akzeptiert. Damit aber stand zugleich fest, dass auch diese Sechs an der Wahl nicht teilnehmen können, da die Eintragung in die Wählerliste Voraussetzung für die Ausübung des Wahlrechts ist. Ohne Eintragung in die Wählerliste fehlt es an einer Voraussetzung für die Wahlberechtigung iSd. §§ 14 IV, 7 BetrVG (vgl. GK-BetrVG, § 14 Rn. 51; vgl. Richardi, BetrVG, 17. Aufl., § 7 Rn. 57). Damit aber hätten auch die sechs Genannten vom Wahlvorstand bei der Ermittlung der Zahl der Wahlberechtigten iSd. § 14 IV BetrVG nicht berücksichtigt werden dürfen.
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Daraus folgt für die zuletzt mit Schriftsatz vom 08.11.2022 vorgelegte Liste selbst dann, wenn man Herrn C. auf der Liste belässt und Herrn hinzurechnet, eine Anzahl an Wahlberechtigten von nur 134 bei Berücksichtigung der zum Stichtag bereits bekannten Abgänge (vier Personen) und Nichtberücksichtigung der in Folge der Nichtaufnahme in die Wählerliste genannten sechs nicht wahlberechtigten Beschäftigten, Berechnung: 91 Männer + 46 Frauen + Herrn – die vier Abgänge = 134 Wahlberechtigte, was nach § 14 IV 2 a.E. BetrVG zu einem Erfordernis von aufgerundet 7 Stützunterschriften führt (1/20 von 134 = 6,7). Damit handelt es sich auch nicht um einen Grenzfall, bei dem dem Wahlvorstand ggf. ein gewisser Beurteilungsspielraum eingeräumt werden könnte.
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Diese Beurteilung, nämlich dass der Wahlvorstand im Zeitpunkt des Aushangs des Wahlausschreibens nicht davon ausgehen durfte, dass es im Wahlzeitpunkt 141 oder mehr Wahlberechtigte (ab 141 ergäben sich aufgerundet 8 Stützunterschriften, 141 X 1/20 = 7,05) gibt, wird durch die aktuellste Wählerliste aus den Wahlakten (unter „Auslagen im Wahlbüro“ ersichtlich) bestätigt, auf der sich nurmehr 124 Wahlberechtigte befinden (82 Männer und 42 Frauen).
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Ein anderer Befund würde sich auch dann nicht ergeben, wenn man dem Betriebsrat die Berufung auf die mit dem letzten Schriftsatz vorgelegte Liste, die sich nicht im angeforderten Wahlordner befindet, verwehren und auf die dortigen Listen (in der Rubrik „Mitarbeiterlisten von Personalabteilung + Schriftverkehr“) abstellen würde. Aus keiner Liste ergeben sich – bei der erforderlichen Außerachtlassung der sechs Mitarbeiter, deren Streichung von der Wählerliste der Wahlvorstand noch vor Aushang des Wahlausschreibens im Ergebnis akzeptiert hat und bei Abzug der feststehenden Abgänge – mehr Wahlberechtigte. Vielmehr ergeben sich aus der von der Personalabteilung mit Email vom 29.10.2022 und damit noch vor Erlass des Wahlausschreibens vorgelegten Liste ohne den nach der Eintragung bereits zum 31.10.2021 ausgeschiedenen Mitarbeiter zum Stichtag 22.11.2021 sogar noch weniger Wahlberechtigte.
40
Damit erweist sich die Angabe im Wahlausschreiben, dass pro Wahlvorschlag mindestens acht Stützunterschriften erforderlich sind, als unzutreffend. Die unzutreffende Angabe der Anzahl der erforderlichen Stützunterschriften ist ein eigenständiger Anfechtungsgrund, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass nicht weitere Wahlvorschläge gemacht worden wären, wenn die Mitarbeiter gewusst hätten, dass nur 7 (und damit weniger) Stützunterschriften erforderlich waren. Es muss hierbei nicht wahrscheinlich sein, dass solche weiteren Vorschläge gemacht worden wären. Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut ist die Anfechtung nur dann nicht begründet, wenn „durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte“ (§ 19 Abs. 1 BetrVG am Ende). Es müsste also feststehen, dass keine weiteren Wahlvorschläge gemacht worden wären. Hierfür gibt es keine Anhaltspunkte. Die unrichtige Berechnung des Wahlvorstands konnte sich auf das Ergebnis auswirken. Dies begründet die Anfechtbarkeit (vgl. LAG Nürnberg vom 28.11.2019, 1 TaBV 18/19; vgl. auch Fitting § 14 BetrVG Rn. 49).
41
Danach war zu entscheiden, wie geschehen.
42
Einer Kostenentscheidung bedurfte es im Hinblick auf § 2 II GKG nicht.