Inhalt

LG München I, Beschluss v. 07.06.2022 – 14 S 2185/22
Titel:

Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch eines Mieters wegen Anbringung von Überwachungskameras

Leitsätze:
1. Dem Anspruch eines Mieters auf Beseitigung von Überwachungskameras und auf Unterlassung ihrer erneuten Anbringung in einem Mehrparteienhaus nach § 1004 Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB steht insbesondere nicht entgegen, dass angeblich die überwiegende Anzahl der anderen Mieter des Anwesens (mehr als 90 %) die Installation der Kameras befürworten würde.
2. Die Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Mülltrennung sowie die Vermeidung einer Vermüllung und Verunreinigung des Hausflurs, namentlich durch die Bewohner des Anwesens selbst, rechtfertigt die Anbringung von Überwachungskameras grds. nicht, zumal diesen Beeinträchtigungen i.d.R. durch eine gesteigerte hausmeisterliche Tätigkeit entgegengewirkt werden kann ("milderes Mittel").
3. Eine umfangreiche Videoüberwachung und -aufzeichnung wird regelmäßig auch nicht durch das Ziel ihres präventiven Einsatzes zur Vermeidung gelegentlicher geringfügiger oder gar bagatellhafter Delikte im Anwesen (z.B. Hausfriedensbruch, kleinere Diebstähle und Sachbeschädigungen) gerechtfertigt sein. Denn die Kameras dienen in einem solchen Fall noch nicht der Abwehr schwerwiegender Beeinträchtigungen.
Schlagworte:
Überwachungskameras, Unterlassungsanspruch, Persönlichkeitsrecht, Schädigungsabsicht, Gute Sitten, Kostenentscheidung, Streitwert
Vorinstanzen:
LG München I, Hinweisbeschluss vom 07.06.2022 – 14 S 2185/22
AG München, Endurteil vom 20.01.2022 – 419 C 13845/21
Fundstelle:
BeckRS 2022, 55115

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts München vom 20.01.2022, Aktenzeichen 419 C 13845/21, wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Amtsgerichts München ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 8.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Gründe

I. 
1
Die Parteien streiten zum einen um die Entfernung von insgesamt fünf Überwachungskameras, die die Beklagten im Hausflur (gerichtet auf den Hauseingang), im Erdgeschoss (gerichtet auf die Briefkastenanlage), im Flur des Untergeschosses (gerichtet auf die Türen zu den Kellerräumen und zur Waschküche) sowie im Müllraum (gerichtet auf die Mülltonnen und die dahinterliegende Tür nach draußen) des verfahrensgegenständlichen Mehrparteienhauses …, … München (ca. 70 Mietparteien) haben anbringen lassen. Zum anderen nimmt die Klägerin die Beklagten auf künftige Unterlassung der Installation von Überwachungskameras im verfahrensgegenständlichen Anwesen in Anspruch.
2
Ergänzend wird Bezug genommen auf den Tatbestand des angegriffenen Endurteils vom 20.01.2022.
3
Das Amtsgericht München hat der Klage mit vorstehendem Endurteil stattgegeben.
4
Dagegen wendet sich die Berufung der Beklagten.
5
Die Beklagten beantragen zu erkennen:
Unter Aufhebung des Endurteils des Amtsgerichts München vom 20. Januar 2022, 419 C 13845/21 wird die Klage zurückgewiesen.
6
Die Klagepartei beantragt demgegenüber:
7
Die Berufung wird zurückgewiesen.
8
Mit Beschluss vom 07.06.2022 hat die Kammer darauf hingewiesen, dass sie beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts München vom 20.01.2022, Az. 419 C 13845/21, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil sie einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchührung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
9
Mit Schriftsatz vom 25.07.2022 hat die beklagte Partei zu dem vorgenannten Beschluss Stellung genommen (Gegenerklärung).
II.
10
Die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts München vom 20.01.2022, Az. 419 C 13845/21, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung der Kammer das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
11
Zur Begründung wird zunächst auf den vorausgegangenen Hinweis der Kammer vom 07.06.2022 Bezug genommen.
12
Die eingegangene Gegenerklärung veranlasst die Kammer nicht, von ihrer Rechtsauffassung in der Sache abzurücken.
13
1. Soweit die Beklagten abermals darauf hinweisen, dass ein Großteil der anderen Mieter des Anwesens wolle, dass eine Demontage der Kameras unterbleibt, damit die Kameras weiterhin „aktive Pflichtverletzungen und Straftaten Dritter“ verhindern, ist dies unbehelflich.
14
Mit diesem letztlich nicht überzeugenden Argument hat sich das Erstgericht bereits umfassend auseinandergesetzt. Gleiches gilt für die Kammer in Bezug auf den vorangegangenen Hinweisbeschluss vom 07.06.2022.
15
Es ist zudem nicht ersichtlich, dass die Klagepartei die anderen Bewohner des Anwesens in deren Rechten nach Art. 2 Abs. 1 Hs. 2 Alt. 1 GG verletze, zumal die Güter- und Interessenabwägung im vorliegenden Fall zugunsten der erheblich in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzten Klagepartei ausfällt. Auch dies ist erst- und zweitinstanzlich bereits ausführlich aufgezeigt worden.
16
2. In der klägerseitigen Geltendmachung des verfahrensgegenständlichen Beseitigungs- und Unterlassungsanspruchs vermag die Kammer auch keinerlei Verstoß gegen die guten Sitten oder eine unredliche Vorgehensweise zu erkennen, zumal nicht ersichtlich ist, dass der Klageanspruch auch, überwiegend oder gar ausschließlich in Schädigungsabsicht zum Nachteil der Beklagten erfolge. Hierauf ist die Kammer ebenfalls bereits im Beschluss vom 07.06.2022 eingegangen. Die Klagepartei braucht sich zudem nicht nach den „Wünschen“ der Mehrheit der Mitbewohner zu richten.
17
Nach alledem ist der Berufung der Beklagten weiterhin kein Erfolg beschieden. Ihr Rechtsmittel ist nunmehr zurückzuweisen.
III.
18
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
19
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10 ZPO.
20
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.