Titel:
Streit um Wirksamkeit einer Änderungskündigung und Anspruch auf Annahmeverzugslohn
Normenketten:
KSchG § 1 Abs. 2 S. 1, § 11 Nr. 2
BGB § 193, § 614 S. 2, § 615 S. 2
Leitsätze:
1. Das ernstliche Verlangen eines Dritten, der unter Androhung von Nachteilen vom Arbeitgeber die Entlassung eines bestimmten Arbeitnehmers fordert, kann auch dann einen Grund zur Kündigung nach § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG bilden, wenn es an einer objektiven Rechtfertigung der Drohung fehlt. (Rn. 22 – 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Nach § 615 S. 2 BGB muss sich der Arbeitnehmer den Wert desjenigen anrechnen lassen, was zu erwerben er böswillig unterlässt, wobei die Anrechnung bereits die Entstehung des Annahmeverzugsanspruchs hindert und nicht nur zu einer Aufrechnungslage führt. (Rn. 25 – 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Druckkündigung, Änderungskündigung, Annahmeverzugslohn, Sonderzahlung, Jahresleistung
Rechtsmittelinstanz:
LArbG Nürnberg, Urteil vom 12.12.2023 – 7 Sa 61/23
Fundstelle:
BeckRS 2022, 55112
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen durch die Änderungskündigung im Schreiben der Beklagten vom 23.02.2022 sozial ungerechtfertigt und rechtsunwirksam ist.
2. Die Beklagte wird verurteilt, 2.712,00 Euro brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 02.07.2022 an die Klägerin zu zahlen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, 5.085,00 Euro brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 02.08.2022 an die Klägerin zu zahlen.
4. Die Beklagte wird verurteilt 5.085,00 Euro brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 02.09.2022 an die Klägerin zu zahlen.
5. Die Beklagte wird verurteilt, 5.085,00 Euro brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 04.10.2022 an die Klägerin zu zahlen.
6. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
7. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 1/9 sowie die Beklagte 8/9.
8. Der Streitwert wird festgesetzt auf 37.459,50.
9. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Änderungskündigung, Annahmeverzugslohn und die Höhe einer Sonderzahlung.
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Die Klägerin ist am ... 1971 geboren und seit 01.01.1998 bei der Beklagten an deren Standort C-Stadt als Chemielaborantin im Px. Labor zuletzt mit einem monatlichen Bruttoentgelt von 5.085,00 € bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 37,5 Stunden beschäftigt. Die Klägerin ist verheiratet und einem Kind zum Unterhalt verpflichtet. Die Beklagte ist Herstellerin von Druckfarben und Pigmenten. Sie beschäftigt derzeit 357 Mitarbeiter und unterhält drei Betriebe in C-Stadt, C-Stadt und E-Stadt. Die Klägerin war seit dem 06. November 2019 bis einschließlich 31. Oktober 2021 arbeitsunfähig erkrankt. Eine Beschäftigung der Klägerin erfolgte nach deren Wiedergenesung zunächst nicht. Die Klägerin hat von 01. November 2021 bis zum 13. Januar 2022 bestehenden Resturlaub eingebracht und wurde durch die Beklagte im Anschluss ab 17.01.2022 bis auf weiteres widerruflich von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt.
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Die Klägerin ist einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Am 13. Oktober 2021 stellte die Beklagte beim zuständigen Inklusionsamt einen Antrag auf Zustimmung zur ordentlichen Änderungskündigung. Mit Bescheid vom 23. Februar 2022 erteilte das Integrationsamt die Zustimmung zur betriebsbedingten Änderungskündigung. Mit Schreiben vom 23.02.2022, welches der Klägerin am 24.02.2022 zuging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Wirkung zum 30.09.2022. Zugleich wurde der Klägerin angeboten, das Arbeitsverhältnis zu unveränderten Arbeitsbedingungen als „Colorist“ in der Betriebsstätte E-Stadt fortzusetzen, bei Übernahme der Reisekosten zwischen C-Stadt und E-Stadt in Höhe von 0,30 €/Km für ein Jahr. Zwischen dem bisherigen Arbeitsort und E-Stadt liegen ca. 72 km Entfernung. Am 09. März 2022 hat die Klägerin das Angebot unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung angenommen.
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Des Weiteren begehrt die Klägerin die volle Jahresleistung für das Kalenderjahr 2021 (ursprünglich Aktenzeichen 11 Ca 309/22). Auf das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge für die chemische Industrie Anwendung, insbesondere auch der Tarifvertrag über Einmalzahlungen und Altersvorsorge vom 18.09.2021 in der Fassung vom 20.09.2018 (TV Einmalzahlung). Nach §§ 4, 5 TV Einmalzahlung erhalten Beschäftigte, die sich am 31. Dezember eines Kalenderjahres in ungekündigter Stellung befinden eine Jahresleistung, wobei die volle Jahresleistung 100% eines monatlichen Tarifentgelts beträgt. Die Jahresleistung ist jeweils im November eines Kalenderjahres zur Zahlung fällig. Die Beklagte hat der Klägerin für das Kalenderjahr 2021 eine Jahresleistung i.H.v. 847,50 € brutto gewährt. Dies entspricht 2/12 der vollen Jahresleistung. Die Klägerin beansprucht die volle Jahresleistung, somit insgesamt 5.085,00 € brutto abzüglich bereits geleisteter 847,50 € brutto, somit weitere 4.237,50 € brutto.
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§ 5 TV Einmalzahlungen lautet auszugsweise wie folgt:
„Die volle Jahresleistung beträgt 100% eines monatlichen Tarifentgelts …
3. In den nachfolgenden Kalenderjahren besteht ein Anspruch in Höhe von einem Zwölftel der Jahresleistung für jeden Kalendermonat, in dem der Berechtigte für mindestens zwölf Arbeitstage Anspruch auf Entgelt, Ausbildungsvergütung oder Entgeltfortzahlung hat.
Durch längere Arbeitsunfähigkeit wird der Anspruch auf die Jahresleistung nicht gemindert, wenn der Berechtigte im laufenden Kalenderjahr mindestens einen Monat zusammenhängend gearbeitet hat. …“ (Bl. 29 d.A.)
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Mit Schreiben vom 31. Mai 2022 wurde die Klägerin aufgefordert, die Stelle als „Colorist“ in E-Stadt bereits mit Wirkung zum 15. Juni 2022 unter zusätzlicher Fahrkostenübernahme anzutreten. Mit Schreiben vom 09. Juni 2022 erfolgte die Ablehnung der Klägerin. Ab dem 15. Juni 2022 zahlte die Beklagte keine Vergütung mehr an die Klägerin, da sie den unterlassenen anderweitigen Verdienst als „Colorist“ in N2. auf das Gehalt der Klägerin anrechnet. Mit Schreiben vom 30. Juni 2022 bot die Klägerin der Beklagten ausdrücklich ihre Arbeitskraft am Standort C-Stadt an. Die Beklagte zahlte an die Klägerin eine Vergütung i.H.v. 2.372,00 € brutto für den Zeitraum 1. bis 14. Juni 2022. Die Klägerin begehrt Lohnzahlung von 15. Juni bis 30. September 2022 (ursprünglich unter Aktenzeichen 11 Ca 612/22).
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Am 3. Oktober 2022 hat die Klägerin schließlich die Stelle als „Colorist“ in E-Stadt angetreten.
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Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial nicht gerechtfertigt sei. Die Voraussetzungen für eine echte Druckkündigung lägen vorliegend nicht vor. Die Klägerin bestreitet, dass zurückliegende Konflikte mit anderen Beschäftigten auf die Verhaltensweisen der Klägerin zurückzuführen seien. Die Klägerin sei diesbezüglich nie wirksam abgemahnt worden. Es habe keinerlei Versuche der Beklagten gegeben, eine Besserung des Arbeitsklimas herbeizuführen. Es sei Aufgabe der Beklagten gewesen, auf die Beschäftigten hinzuwirken und deren Haltung gegenüber der Klägerin zu ändern, um eine Drucksituation abzuwenden. Insbesondere nachdem die Klägerin krankheitsbedingt letztmals im November 2019 in Betrieb gewesen war, wären beklagtenseits zunächst Maßnahmen zu ergreifen gewesen, um die Eingliederung der Klägerin am Arbeitsplatz in C-Stadt und im Team zu ermöglichen. Insbesondere angesichts der langen Abwesenheit der Klägerin aus dem Betrieb von fast zwei Jahren habe sich die Beklagte nicht schlicht auf die ablehnende Haltung der Mitarbeiter zurückziehen dürfen. Es habe keinen Versuch eines vermittelten Gesprächs und keine Mediation gegeben. Die Klägerin bestreitet, dass sich die Beklagte bei Realisierung der angekündigten Maßnahmen durch die Mitarbeiter*innen in einer schweren wirtschaftlichen Situation befunden hätte. Hier fehle es an jeglichem Vorbringen der Beklagten zu den befürchteten Nachteilen und/oder drohenden schweren wirtschaftlichen Schäden.
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Die Klägerin stellt unstreitig, dass sie im Jahr 2021 keinen Monat zusammenhängend gearbeitet hat und damit die Voraussetzungen des Tarifvertrages für die volle Jahresleistung nicht erfüllt seien. Sie ist jedoch der Auffassung, dass ihr der geltend gemachte Differenzlohnanspruch unter dem Gesichtspunkt der Redlichkeit zustehe, nachdem ihre Arbeitsaufnahme im Jahr 2021 durch den Geschäftsführer der Beklagten aktiv verhindert worden sei. Der entsprechende Betrag sei ihr daher aufgrund treuwidrigen Verhaltens der Beklagten entgangen.
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Eine Arbeitsaufnahme am Standort E-Stadt bereits ab dem 15.06.2022 sei der Klägerin nicht zumutbar. Es läge kein böswilliges Unterlassen im Sinne des § 615 S. 2 BGB vor. Der vertraglich vereinbarte Arbeitsort der Klägerin sei jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist am 30.09.2022 in C-Stadt. Die Anweisung zur vorzeitigen Arbeitsaufnahme in E-Stadt sei nicht vom Direktionsrecht der Beklagten gedeckt. Die Klägerin sei bei der Beklagten explizit für den Bereich pastöse Druckfarben Eurolab C-Stadt eingestellt und sei auch durchgehend in diesem Bereich tätig gewesen. Das Weisungsrecht der Beklagten sei damit hinsichtlich des Beschäftigungsortes beschränkt und könne nicht einseitig durch die Beklagte verändert werden. Die Entfernung zwischen dem Wohnort der Klägerin in A-Stadt und dem Einsatzort in E-Stadt betrage einfach über 90 km und lasse eine Fahrtzeit von mehr als 1,5 Stunden erwarten. Hinzu kämen zusätzliche Kosten, die auch durch die angebotene Kompensation nicht vollständig ausgeglichen werden könnten.
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Die Verfahren 11 Ca 247/22, 11 Ca 309/22 und 11 Ca 612/22 wurden zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und unter dem Az. 11 Ca 247/22 weitergeführt.
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Die Klagepartei stellt zuletzt folgende Anträge:
Es wird festgestellt, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen durch die Änderungskündigung im Schreiben der Beklagten vom 23.02.2022 sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist (11 Ca 247/22).
Die Beklagte wird verurteilt, 4.237,50 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 01.12.2021 an die Klägerin zu zahlen (11 Ca 309/22).
Die Beklagte wird verurteilt, 2.712,00 Euro brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 01.07.2022 an die Klägerin zu zahlen (11 Ca 612/22).
Die Beklagte wird verurteilt, 5.085,00 Euro brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 01.08.2022 an die Klägerin zu zahlen (11 Ca 612/22).
Die Beklagte wird verurteilt, 5.085,00 Euro brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 01.09.2022 zu zahlen (11 Ca 612/22).
Die Beklagte wird verurteilt, 5.085,00 Euro brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 04.10.2022 an die Klägerin zu zahlen (11 Ca 247/22).
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Die Beklagte beantragt
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Bei der ordentlichen Änderungskündigung handele es sich um eine echte Druckkündigung, die aus dringenden betrieblichen Erfordernissen gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt sei. Aufgrund der bestehenden Drucksituation sei der Beklagten eine Weiterbeschäftigung der Klägerin im Betrieb in C-Stadt nicht zumutbar. Dementsprechend habe die Beklagte am 23. Februar 2022 eine betriebsbedingte Änderungskündigung unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist mit Wirkung zum 30. September 2022 ausgesprochen und der Klägerin das Angebot unterbreitet, ihr Arbeitsverhältnis ab dem
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01. Oktober 2022 als „Colorist“ im Betrieb in E-Stadt zu im Übrigen unveränderten Arbeitsbedingungen unter Übernahme eines Fahrtkostenzuschusses für einen Zeitraum von einem Jahr fortzusetzen. Die Kolleginnen und Kollegen der Klägerin im Betrieb in C-Stadt lehnten eine weitere Zusammenarbeit mit der Klägerin ab und stellten ihre Kündigung in Aussicht. Zahlreiche Mitarbeiter des Px. Labors hätten in Einzelgesprächen, Interviews und schriftlichen Stellungnahmen unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass eine weitere Zusammenarbeit mit der Klägerin nicht in Betracht komme. Einzelne Mitarbeiter hätten mitgeteilt, in der Vergangenheit unter schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen gelitten zu haben und sich diesen nunmehr im Falle der Rückkehr der Klägerin an ihren Arbeitsplatz in C-Stadt wieder ausgesetzt zu sehen. Des Weiteren hätten einzelne Mitarbeiter*innen sehr konkret in Aussicht gestellt, im Fall der Rückkehr der Klägerin unverzüglich um eine Versetzung aus dem Px. Labor zu bitten oder die Beklagte ganz zu verlassen. Der drohende Verlust von zahlreichen und nicht kurzfristig ersetzbaren Know-how-Trägern sei für die Beklagte nicht tragbar und hätte gravierende wirtschaftliche Nachteile für die Beklagte zur Folge. Um den Fortbestand des Px. Labors und damit den unveränderten Betrieb in C-Stadt zu sichern, sei die Beklagte gehalten gewesen, auf die bestehende Drucksituation zu reagieren, indem sie die Klägerin in einen anderen Betrieb versetze. Nach erstmaligem Bekanntwerden der Drucksituation habe die Beklagte zunächst in eigener Regie den Sachverhalt aufgeklärt. Mit sämtlichen betroffenen Mitarbeiter*innen seien Einzelgespräche unter Beteiligung des Betriebsrates geführt worden. Die Mitarbeiter seien um ergänzende Stellungnahme gebeten worden. Die befragten Mitarbeiter hätten übereinstimmend in unterschiedlichen Aussagen das ständige Fehlverhalten der Klägerin als kausale Ursache der Drucksituation benannt. Die Durchführung einer Vermittlung oder Mediation zwischen den Konfliktparteien sei vorliegend nicht aussichtsreich, da acht der neuen betroffenen Mitarbeiter*innen eine Mediation abgelehnt und dies teilweise sehr nachvollziehbar begründet hätten. Der Ausspruch einer Druckkündigung sei deshalb unumgänglich gewesen. Die drohenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen der anderen Mitarbeiter sowie die wirtschaftlichen Folgen im Falle von Kündigungen für das Px. Labor und den Betrieb in C-Stadt hätten der Beklagten keine Möglichkeit zur Beschäftigung der Klägerin in diesem Betrieb mehr gelassen.
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Ein Anspruch auf weitere Sonderzahlung scheide aus, da die Klägerin während des gesamten Kalenderjahres 2021 keine Arbeitsleistung erbracht habe. Der Wortlaut „gearbeitet“ im Tarifvertrag spreche dafür, dass der Mitarbeiter seine Arbeitsleistung tatsächlich habe erbringen müssen. Dies ergebe sich auch aus einem Vergleich mit § 5 Ziff. 3 S. 1 des Tarifvertrages. Darin sei geregelt, dass ein Anspruch in Höhe von einem Zwölftel der Jahresleistung für jeden Kalendermonat bestehe, in dem der Mitarbeiter mindestens zwölf Arbeitstage Anspruch auf Entgelt, Entgeltfortzahlung etc. habe. Hier werde ausdrücklich nicht auf die Erbringung von Arbeitsleistung durch Verwendung des Wortes „gearbeitet“ abgestellt, sondern auf das Bestehen eines Entgelt- bzw. Entgeltfortzahlungsanspruchs.
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Auch die Klage auf Annahmeverzugslohn für Juni bis September 2022 sei unbegründet und demzufolge abzuweisen, da seit dem 15. Juni 2022 gemäß § 615 Satz 2 BGB böswillig unterlassener Verdienst auf die Vergütung der Klägerin anzurechnen sei. Ab Ende April 2022 habe im Betrieb in E-Stadt eine gravierende personelle Unterdeckung bestanden. Es sei zu Bearbeitungsstau und unzufrieden Kunden, etc. gekommen, da zwei von fünf Mitarbeitern seit Ende April 2022 nicht mehr tätig gewesen seien und die verbleibenden Mitarbeiter erhebliche Überstunden zu leisten hätten. Die Beklagte habe entschieden, die Klägerin bereits ab dem 15. Juni 2022 als „Colorist“ im Betrieb in E-Stadt einzusetzen, um den Arbeitsablauf in diesem Betrieb aufrecht zu erhalten und bestehende Betriebsablaufstörungen nicht weiter zu verstärkten.
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Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet.
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Die Änderung der Arbeitsbedingungen im Zusammenhang mit der ordentlichen Kündigung vom 23.02.2022 sind rechtsunwirksam.
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1.1. Die Beklagte hat keine Gründe dargetan, die geeignet wären, eine ordentliche Kündigung iSd § 1 II 1 KSchG sozial zu rechtfertigen. Die Bestimmung findet gem. §§ 1 I, 23 I KSchG auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung.
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1.2. Das ernstliche Verlangen eines Dritten, der unter Androhung von Nachteilen vom Arbeitgeber die Entlassung eines bestimmten Arbeitnehmers fordert, kann auch dann einen Grund zur Kündigung iSd § 1 II 1 KSchG bilden, wenn es an einer objektiven Rechtfertigung der Drohung fehlt. Allerdings unterliegt eine solche „echte“ Druckkündigung strengen Anforderungen. Insbesondere darf der Arbeitgeber einem Kündigungsverlangen seitens der Belegschaft oder eines Teils seiner Mitarbeiter nicht ohne Weiteres nachgeben. Er hat sich vielmehr schützend vor den Betroffenen zu stellen und alles Zumutbare zu versuchen, um die Belegschaft von ihrer Drohung abzubringen (BAG, NZA 2017, Seite 116 Rn. 28; NZA 2014, 109 Rn. 39). Diese Pflicht verlangt vom Arbeitgeber ein aktives Handeln, das darauf gerichtet ist, den Druck abzuwehren. Nur wenn trotz solcher Bemühungen die Verwirklichung der Drohung in Aussicht gestellt wird und dem Arbeitgeber dadurch schwere wirtschaftliche Nachteile drohen, kann eine Kündigung gerechtfertigt sein. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Kündigung das einzig praktisch in Betracht kommende Mittel ist, um die Schäden abzuwenden (BAG, NZA 2017, 116 Rn. 28; NZA 2014, 109 Rn. 39).
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1.3. Unter Anwendung dieser Grundsätze liegen die Voraussetzungen einer „echten“ Druckkündigung nicht vor. Vorliegend kann dahinstehen, ob die Beklagte in ausreichender Weise versucht hat, den auf sie ausgeübten Druck anders als durch die streitgegenständliche Kündigung abzuwehren. Insbesondere wäre es ihr nach Auffassung der Kammer zuzumuten gewesen, die Klägerin zumindest probeweise auf ihrem bisherigen Arbeitsplatz einzusetzen, da sich nach zweijähriger Abwesenheit der Klägerin nicht ausschließen lässt, dass sich die Konflikte nicht wie bisher auf das Arbeitsklima im Labor ausgewirkt hätten. Letztlich kommt es aber hierauf nicht an. Die Beklagte hat sich darauf berufen, es hätten Arbeitnehmer mit einer Eigenkündigung gedroht, um Versetzung gebeten oder unter schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen gelitten, was zu einem Verlust von zahlreichen kurzfristig nicht ersetzbaren Know-how-Trägern und damit zu gravierenden wirtschaftlichen Nachteilen im Betrieb geführt hätte. Dass die Rückkehr der Klägerin auch zu Auftragskündigungen durch Kunden geführt hätte, behauptet die Beklagte selbst nicht. Zu Recht rügt die Klagepartei, dass dieser Sachvortrag unsubstantiiert und nicht einlassungsfähig ist. Zunächst ist festzustellen, dass sich nicht alle Mitarbeiter des Px. Labors an die Beklagte gewandt haben oder von dieser befragt wurden. Die Beklagte führt aus, dass am 02. September 2021 unter der Belegschaft des Labors bekannt wurde, dass die Klägerin möglicherweise zeitnah an ihren ehemaligen Arbeitsplatz zurückkehren könnte. Am 02. September 2021 fand hierzu ein Gespräch statt, an dem Herr …, Frau …, Herr …, Herr … und einige Mitarbeiter des Px. Labors teilnahmen. Einige Mitarbeiter hätten gedroht, das Unternehmen im Fall einer Rückkehr der Klägerin zu verlassen. Wie viele dies sein sollten, wurde noch nicht näher dargelegt. In den Stellungnahmen von Herrn …, Herrn … und Frau … werden wiederum allgemeine Bedenken geäußert, im Hinblick auf die Zusammenarbeit der Klägerin mit diversen Personen, ohne konkrete Mitarbeiter zu benennen, welche die Arbeitsstelle wechseln oder gar das Unternehmen verlassen würden. Sodann führte Herr … am 14. und 15. September 2021 Interviews mit folgenden Mitarbeitern: …, …, …, …, …, …, …, … und …. Hier wurden erstmals konkret die Mitarbeiterinnen xx und xx benannt, deren Kündigung konkret zu befürchten stehe. Weshalb die Beklagte in diesem Zusammenhang auch ein Gespräch mit der Mitarbeiterin … führt, welche wegen bestehender Differenzen mit der Klägerin bereits im Jahr 2015 vom Px. Labor in das UV-Labor versetzt worden war, dafür aber diverse andere Mitarbeiter des Px. Labors nicht befragt wurden, bleibt das Geheimnis der Beklagten. Ein weiteres Gespräch folgte am 20. September 2021, wonach die Mitarbeiter gebeten wurden, ihre Vorfälle in Bezug auf die Klägerin zu konkretisieren. Daraufhin erreichten den Geschäftsführer der Beklagten am 22. und 23. September weitere Stellungnahmen der Mitarbeiter xx und des Herrn xx. Die Beklagte führt diesbezüglich aus, die Mitarbeiter hätten körperliche Reaktionen wie Weinen und Zittern gezeigt, Schlafstörungen und Albträume wurden als körperliche Beschwerden genannt und es stehe eine massive Störung des Betriebsfriedens zu befürchten. Einige Mitarbeiter hätten ernsthaft und nicht nur vage in Aussicht gestellt, das Unternehmen bei einer Rückkehr der Klägerin und einer damit einhergehenden weiteren Zusammenarbeit zu verlassen. Mit E-Mail vom 23. September 2021 wandte sich die Beklagte dann wiederum an einzelne Mitarbeiter, um klare Aussagen zu erhalten. Hierzu wurde den vorstehend genannten Mitarbeitern persönlich eine Nachricht mit konkreten Fragen übersandt (Bl. 114 der Akte), welche wie folgt lauteten:
1. Können sie sich überhaupt in irgendeiner Form eine weitere Zusammenarbeit mit Frau x. vorstellen?
2. Falls nein, welche Konsequenzen befürchten Sie für sich persönlich und für andere Mitarbeiter bei einer Rückkehr von Frau x. an ihren Arbeitsplatz?
3. Welche Konsequenzen ziehen Sie für sich in Betracht, sofern Frau x. an ihren Arbeitsplatz zurückkehrt?
4. Halten Sie eine Mediation/gemeinsames Gespräch mit Frau x. für erfolgversprechend um eventuelle befürchtete Konsequenzen abzuwenden und wären Sie bereit, daran teilzunehmen?
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Aus diesen, nach dem Dafürhalten der Kammer bereits suggestiv/tendenziös gestellten Fragen ergibt sich auswertend folgendes Bild: Herr … äußert, er werde sich gegenüber der Klägerin deutlich abgrenzen und aufgrund der vergangenen Ereignisse eine eventuell notwendige Kommunikation nur in Anwesenheit Dritter führen. Herr … führte aus, er rechne mit einer deutlichen Zunahme an krankheitsbedingten Fehlzeiten und letztlich auch mit Kündigungen. Eine Person sei ihm namentlich bekannt. Er selbst werde um Versetzung ersuchen und schließe auch eine Kündigung nicht aus. Herr … äußert wiederum, dass auch er davon ausgehe, dass es zu Kündigungen einzelner Mitarbeiter komme. Für den Fall dass zwei Mitarbeiter das Unternehmen verlassen würden, wäre die Schließung der gesamten Abteilung zu befürchten. Er selbst würde um eine Versetzung in eine andere Abteilung bitten und auch in Betracht ziehen, sich extern umzuorientieren. Herr … befürchte für sich persönlich keine Konsequenzen. Er sei sich sicher, dass es entweder zu Kündigungen oder erhöhtem Krankenstand durch Stress komme. Frau … äußerte, sie werde ernsthaft in Erwägung ziehen, ihren Arbeitsplatz zu wechseln, auch außerhalb von yyy. Herrn … äußerte, dass sich Kolleginnen und/oder Kollegen um einen neuen Arbeitsplatz bemühen würden, wobei er sich nicht ausschließe. … äußerte, es würde zu einer Kündigungswelle im Labor kommen. Auch er würde versuchen, sich nach einer neuen Arbeit umzusehen. Frau … gehe davon aus, dass die Rückkehr der Klägerin bei ihr und anderen Kollegen zu psychischen Problemen führen könnte. Sie gibt an, zeitnah zu versuchen, einen Arbeitsplatz außerhalb von yyy zu suchen. Zusammenfassend ist also festzustellen, dass sich einige Mitarbeiter möglicherweise zeitnah umorientieren könnten, dies jedoch nicht mit letzter Sicherheit feststeht. Die Beklagte versäumt es, hier konkret aufzuzeigen, welche Mitarbeiter konkret ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist mit Arbeitsaufnahme der Klägerin ihren Arbeitsplatz verlassen würden. Es handelt sich vielmehr um Spekulationen und Mutmaßungen der Mitarbeiter, die nach dem Dafürhalten der Kammer sicherlich bereit wären, sich nach einem anderen Arbeitsplatz umzusehen, den Arbeitsplatz bei der Beklagten aber erst dann aufgeben würden, wenn sie eine gesicherte neue Stelle gefunden hätten und das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist bei der Beklagten beenden könnten. Keiner der Mitarbeiter hat sich dahingehend eingelassen, dass er von heute auf morgen die Arbeit niederlegen würde und auch unter Inkaufnahme einer Sperre des Arbeitslosengeldes seinen Arbeitsplatz fristlos oder unter Einhaltung einer ordentlichen Kündigungsfrist von sich aus kündigen würde, ohne zuvor eine andere adäquate Arbeitsstelle gefunden zu haben. Die Beklagte zeigt auch nicht auf, warum die Mitarbeiter, die bereit wären, das Unternehmen zu verlassen, Knowhow Träger sind, die nicht mittelfristig durch neues qualifiziertes Personal ersetzt werden könnten. Letztendlich handelt es sich um reine Spekulation, dass die Weiterbeschäftigung der Klägerin zu gravierenden wirtschaftlichen Schäden bei der Beklagten führen würde. Die Ausführungen der Beklagten und auch die schriftlichen Stellungnahmen der Mitarbeiter, auf die von der Beklagten versandte E-Mail hin, genügen nach Auffassung der Kammer nicht, um eine konkrete Gefahr von wesentlichen drohenden Schäden für die Beklagte aufzuzeigen. Weshalb bei Weggang von zwei Mitarbeitern die Schließung des Labors drohe ist nicht dargelegt und nicht nachvollziehbar. Auf die Frage, ob die Beklagte erst durch ihre E-Mail und die darin vorgegebenen konkreten Fragen die Drucksituation verstärkt haben könnte, braucht im Folgenden nicht eingegangen zu werden. Eine Änderungskündigung in Form einer echten Druckkündigung scheidet vorliegend aus, da es der Beklagten nicht gelingt, aufzuzeigen, dass ihr durch die Weiterbeschäftigung der Klägerin schwere wirtschaftliche Nachteile drohen und die Kündigung das einzig praktisch in Betracht kommende Mittel sei, um die Schäden abzuwenden.
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Die Klägerin kann Annahmeverzugslohn i.H.v. 5.085,00 € monatlich für den Zeitraum 15. Juni bis 30. September 2022 verlangen.
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2.1. Unstreitig ist dabei zwischen den Parteien, dass aufgrund der vertraglichen Regelungen eine Versetzung kraft Direktionsrechts auf die Stelle als „Colorist“ in E-Stadt nicht in Betracht kommt. Die Beklagtenseite wendet gegen die geltend gemachten Zahlungsansprüche ein, dass die Klägerin es seit 15. Juni 2022 gemäß § 615 S. 2 BGB böswillig unterlassene habe, den Verdienst aus der angebotenen Stelle in E-Stadt zu erzielen und die so entgangene Vergütung auf den geschuldeten Annahmeverzugslohn der Klägerin anzurechnen seien. Die Beklagte befinde sich aufgrund der gegenüber der Klägerin mit Schreiben vom 14. Januar 2022 ausgesprochenen widerruflichen Freistellung in Annahmeverzug (Bl. 59 aus Az. 11 Ca 612 / 22). Die Beklagte hat sich also unstreitig im o.g. Zeitraum im Annahmeverzug befunden und die Anweisung, in E-Stadt zu arbeiten war nicht von ihrem Direktionsrecht gedeckt. Dies würde nämlich den Annahmeverzug beenden. Die Klägerin schuldet arbeitsvertraglich jedenfalls bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist weiterhin die von der Beklagten aufgrund ihres Weisungsrechts zuletzt wirksam zugewiesene Tätigkeit als Chemielaborantin im Px. Labor in C-Stadt. Hierüber besteht zwischen den Parteien kein Streit. Die Beklagte verfolgt allein das Ziel der Anrechnung unterlassenen anderweitigen Verdienstes.
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2.2. Nach § 615 S. 2 BGB muss sich der Arbeitnehmer den Wert desjenigen anrechnen lassen, was zu erwerben er böswillig unterlässt, wobei die Anrechnung bereits die Entstehung des Annahmeverzugsanspruchs hindert und nicht nur zu einer Aufrechnungslage führt (BAG v. 2.10.2018 – 5 AZR 376/17, BAGE 163, 326; BAG v. 27.5.2020 – 5 AZR 387/19, NZA 2020, 1113 Rn. 39 mwN). Die Vorschrift stellt – wie § 11 Nr. 2 KSchG – darauf ab, ob dem Arbeitnehmer nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) sowie unter Beachtung des Grundrechts auf freie Arbeitsplatzwahl (Art. 12 GG) die Aufnahme einer anderen Arbeit zumutbar ist (allgA, vgl. nur BAG v. 22.3.2017 – 5 AZR 337/16, NZA 2017, 988 Rn. 19). Dabei kommt eine Anrechnung auch in Betracht, wenn die Beschäftigungsmöglichkeit bei dem Arbeitgeber besteht, der sich mit der Annahme der geschuldeten Dienste des Arbeitnehmers im Verzug befindet. In diesem Fall wird die anderweitige Beschäftigung stets eine nicht vertragsgemäße Arbeit sein, denn das Angebot vertragsgerechter Arbeit zwecks Erfüllung des bestehenden Arbeitsverhältnisses würde den Annahmeverzug beenden (BAG v. 17.11.2011 – 5 AZR 564/10, NZA 2012, 260 Rn. 17). Böswillig iSd § 615 S. 2 BGB handelt der Arbeitnehmer, dem ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er während des Annahmeverzugs trotz Kenntnis aller objektiven Umstände vorsätzlich untätig bleibt und eine ihm nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) zumutbare anderweitige Arbeit nicht aufnimmt oder die Aufnahme der Arbeit bewusst verhindert (stRspr, vgl. nur BAG v. 17.11.2011 – 5 AZR 564/10, NZA 2012, 260 Rn. 17; BAG v. 22.3.2017 – 5 AZR 337/16, NZA 2017, 988 Rn. 17, jew. mwN). Maßgebend sind dabei die gesamten Umstände des Einzelfalls. Die Unzumutbarkeit der anderweitigen Arbeit kann sich unter verschiedenen Gesichtspunkten ergeben. So kann sie etwa ihren Grund in der Person des Arbeitgebers, der Art der Arbeit oder den sonstigen Arbeitsbedingungen haben. Auch eine nach § 99 I BetrVG erforderliche, aber fehlende Zustimmung des Betriebsrats zur Beschäftigung mit der angebotenen anderweitigen Tätigkeit kommt als Kriterium bei der Prüfung von Böswilligkeit iSv § 615 S. 2 BGB in Betracht (vgl. BAG v. 7.11.2002 – 2 AZR 650/00, BeckRS 2003, 40726 [zu B I 2 c cc]). Erforderlich ist jedoch stets eine unter Bewertung der gesamten Umstände des konkreten Falls vorzunehmende Interessenabwägung (vgl. BAG v. 11.10.2006 – 5 AZR 754/05, NJW 2007,2060 Rn.24). Herangezogen werden Ort, Zeit und Inhalt der anderen möglichen Tätigkeit, auch deren Gefährlichkeit; ebenso sind Vergütungsform und Art und Umfang von Sozialleistungen zu berücksichtigen (BAG 14.11.1985, AP BGB § 615 Nr.39; Schaub ZIP 1981, 347). Zumutbar ist eine anderweitige Tätigkeit im Ergebnis nur dann, wenn sie in etwa gleichwertig und nicht mit wesentlichen Nachteilen verbunden ist, die sich aus den genannten Kriterien ergeben können (also etwa durch längere Fahrtzeiten, durch Lage und Umfang der Arbeitszeit wie Tag- oder Nachtarbeit, Überstunden oder durch besondere Erschwernisse bei den Arbeitsumständen). Nicht als Maßstab kann in diesem Zusammenhang § 140 SGB III herangezogen werden; dies folgt daraus, dass sich dieser auf die Abwägung der Interessen des Arbeitslosen mit denen der Gesamtheit der Beitragszahler erstreckt, während hingegen iRd § 615 S. 2 BGB allein die Interessen der beiden Vertragspartner von Bedeutung sind (BAG 7.2.2007, NJW 2007, 2062; Fritz/Erren NZA 2009, 1242). Nach § 140 IV 1,2 SGB III ist einer arbeitslosen Person eine Beschäftigung auch nicht zumutbar, wenn die täglichen Pendelzeiten zwischen ihrer Wohnung und der Arbeitsstätte im Vergleich zur Arbeitszeit unverhältnismäßig lang sind. Als unverhältnismäßig lang sind im Regelfall Pendelzeiten von insgesamt mehr als zweieinhalb Stunden bei einer Arbeitszeit von mehr als sechs Stunden und Pendelzeiten von mehr als zwei Stunden bei einer Arbeitszeit von sechs Stunden und weniger anzusehen. Nach Auffassung der Kammer muss für eine langjährig Beschäftigte im Verhältnis zu ihrem Arbeitgeber mindestens das gelten, was für einen Arbeitslosen gegenüber der Gesamtheit der Beitragszahler gilt. Die Vorgaben zur Pendelzeit sind unter dem Gesichtspunkt von Kosten und Nutzen durchaus übertragbar (s.a. Fritz/Erren NZA 2009, 1242).
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2.3. Unter Zugrundelegung der vorangestellten Überlegungen hält die Kammer die von der Beklagten angebotene Arbeit in E-Stadt für unzumutbar. Dabei kann unterstellt werden, dass die Tätigkeit des Coloristen annähernd gleichwertig mit dem Berufsbild der Klägerin und ein gesteigerter Personalbedarf in E-Stadt vorhanden ist, den die Beklagte abzudecken versucht. Wesentliche Nachteile für die Klägerin ergeben sich aus der langen Fahrzeit und den damit verbundenen Fahrtkosten, unter Berücksichtigung der aktuellen Kraftstoffpreise. Eine Entschädigung von 0,30 € pro Kilometer dürfte nach dem Dafürhalten der Kammer wohl kaum ausreichen, um sämtliche mit dem Einsatz des eigenen Fahrzeugs aufzubringende Kosten abzudecken. Dies kann aber letztlich dahinstehen, da nach unbestrittenem Sachvortrag der Klägerin die Entfernung zwischen ihrem Wohnort in A-Stadt und dem Einsatzort in E-Stadt einfach über 90 km beträgt und die Fahrtzeit über die vielbefahrene A 3 über 1,5 Stunden einfach liegt. Dementsprechend wäre die Klägerin tagtäglich mindestens 10,5 h unterwegs und die Fahrtzeit betrüge dabei mindestens 40% der täglichen Arbeitszeit. Hinzu kommt, dass die Beklagte ausführt, dass Mitarbeiter, welche in C-Stadt arbeiten in E-Stadt wohnen würden und umgekehrt. Hier wäre zumindest zunächst zu prüfen gewesen ob nicht ein Arbeitnehmer, welcher näher an E-Stadt wohnt, um einen vorübergehenden Einsatz in diesem Betrieb hätte ersucht werden können. Schließlich mutet das Arbeitsangebot der Beklagten auch vor dem Hintergrund seltsam an, als sie die langjährig beschäftigte Klägerin einerseits von ihrer vertraglich geschuldeten Arbeit freistellt und damit dem Beschäftigungsanspruch der Klägerin zuwider läuft, um ihr dann ein Arbeitsangebot zu unterbreiten, welches quasi über die Hintertür zu einem Arbeitseinsatz auf einer Stelle führt, die sie weder kraft Direktionsrecht zuweisen kann noch ohne Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist nach Änderungskündigung mit der Klägerin (vorzeitig) besetzen könnte. Die Tatsache, dass die Beklagte die Klägerin zunächst freistellte, um die Kündigungsfrist zu überbrücken und ihr dann die Stelle in E-Stadt anbot könnte durchaus als Umgehung der gesetzlich vorgesehenen Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist bei Änderung von Arbeitsbedingungen, die nicht dem Direktionsrecht unterliegen, qualifiziert werden. Nach der Gesamtschau aller Umstände hält die Kammer die Arbeitsaufnahme in E-Stadt jedenfalls während des Laufs der gesetzlichen Kündigungsfrist für unzumutbar. Die Anrechnung eines hierdurch entgangenen Verdienstes nach § 615 S. 2 BGB scheidet daher aus. Die Beklagte bleibt verpflichtet, der Klägerin den Annahmeverzugslohn in der vertraglich geschuldeten Höhe zu zahlen.
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Der Zinsanspruch der Klägerin ergibt sich aus §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 2, 614 S.2 BGB.
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Nach § 614 S.2 BGB wird die nach Zeitabschnitten bemessene Vergütung jeweils nach dem Ablauf der einzelnen Zeitabschnitte fällig. Das ist bei monatlicher Vergütung der erste Tag des Folgemonats. Verzug tritt gemäß §§ 286 II, 187 I BGB ein, wenn der Arbeitgeber an diesem Tag nicht leistet. Fällt der Fälligkeitstag auf einen Samstag, Sonntag oder Feiertag, verschiebt sich der Zeitpunkt der Fälligkeit nach § 193 BGB auf den nächsten und der Eintritt des Verzugs auf den darauffolgenden Werktag. Danach steht der Klägerin Verzugszins nicht bereits seit dem 1. des jeweiligen auf den Vergütungsmonat folgenden Monats zu, sondern für Juni 22 ab 02.07.22, für Juli 22 ab 02.08.22, für August 22 ab 02.09.22 und für September 22 ab 04.10.22. Frühere Fälligkeitstermine hat die Klägerin nicht dargetan.
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Der Klägerin steht der mit Klage vom 04. April 2022 geltend gemachte Zahlungsanspruch in Höhe von EUR 4.237,50 nicht zu.
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3.1 Ein Anspruch auf ungekürzte Jahresleistung ergibt sich nicht aus dem Tarifvertrag Einmalzahlung selbst. Dies behauptet auch die Klägerin nicht. Sie hat im Jahr 2021 keinen Monat zusammenhängend gearbeitet und einen Anspruch auf (Urlaubs) Lohn nur für zwei volle Monate. Unstreitig wurden 2/12 der Jahresleistung an die Klägerin ausbezahlt.
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3.2. Soweit die Klägerin der Auffassung folgt, dass ihr der geltend gemachte Differenzbetrag deshalb zustehe, weil der Geschäftsführer der Beklagten ihre Arbeitsaufnahme aktiv verhindert habe, so kann dem nicht gefolgt werden. Zunächst liegen keine Anhaltspunkte vor, dass die Beklagte einseitig Urlaub angeordnet hat für die Monate November und Dezember 2021. Vor dem Hintergrund einer gesteigerten Hinweispflicht des Arbeitgebers auf noch bestehende Resturlaubsansprüche im laufenden Jahr war es geradezu eine Verpflichtung der Beklagten, auf die rechtzeitige Urlaubsnahme der Klägerin hinzuwirken. Die Klägerin selbst gibt an, Urlaub in diesen Monaten genommen zu haben, was darauf schließen lässt, dass die Einbringung von Urlaubsansprüchen im beiderseitigen Einvernehmen geschah. Anhaltspunkte dafür, dass hierdurch die vollständige Zahlung der Jahresleistung vereitelt werden sollte sind nicht dargetan und nicht ersichtlich. Anhaltspunkte für ein treuwidriges Verhalten der Beklagten sind nicht ersichtlich.
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1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 ArbGG, §§ 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
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2. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 ArbGG, § 3 ff ZPO, §§ 42 Abs. 2 GKG. Dabei wurde der erste Antrag insgesamt mit 15.255,00 € (entsprechend einem Quartalsbruttogehalt) in Ansatz gebracht und die weiteren Anträge jeweils mit dem Nennwert der Forderungen.
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3. Soweit die Berufung nicht bereits von Gesetzes wegen statthaft ist, war sie nicht gesondert zuzulassen, da keiner der Zulassungsgründe des § 64 Abs. 3 ArbGG vorliegt.