Titel:
Fahrerlaubnis, Hauptverhandlung, Erkrankung, Freiheitsstrafe, Besoldungsgruppe, Soldat, Dienstvergehen, Kindesunterhalt, Staatsanwaltschaft, Dienstherr, Anerkennung, Dienstposten, Trennungsgeld, Software, psychische Erkrankung, falsche Angaben, Fahrens ohne Fahrerlaubnis
Schlagworte:
Fahrerlaubnis, Hauptverhandlung, Erkrankung, Freiheitsstrafe, Besoldungsgruppe, Soldat, Dienstvergehen, Kindesunterhalt, Staatsanwaltschaft, Dienstherr, Anerkennung, Dienstposten, Trennungsgeld, Software, psychische Erkrankung, falsche Angaben, Fahrens ohne Fahrerlaubnis
Rechtsmittelinstanz:
BVerwG Leipzig, Urteil vom 09.02.2023 – 2 WD 6.22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 55053
Tenor
1. Der frühere Soldat ist eines Dienstvergehens schuldig.
2. Ihm wird das Ruhegehalt aberkannt.
3. Der frühere Soldat hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Entscheidungsgründe
1
Mit erfolgreich abgeschlossenen Berufsausbildungen zum Kaufmann für Bürokommunikation und zum Versicherungsfachmann war der heute … Jahre alte frühere Soldat bis 2012 mehrfach kurzzeitig angestellt und wiederholt arbeitssuchend, ehe er im Januar 2013 im untersten Mannschaftsdienstgrad in die Bundeswehr eintrat. Am 4. Januar 2013 wurde er durch Aushändigung der entsprechenden Urkunde in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen. Nach seiner Grundausbildung diente er in der 1./ Artillerielehrregiment X in Dd. Danach wurde er in die Laufbahn der Unteroffiziere, Allgemeiner Fachdienst, übernommen und am 20. Januar 2014 zum Stabsunteroffizier befördert. Am 1. September 2014 wurde er in die 2./ Artillerielehrbataillon X in Bb versetzt. Seither wurde er als Personalunteroffizier verwendet. Von Januar bis September 2016 war er im Rahmen der Amtshilfe für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zunächst sechs Monate nach Ee und anschließend für weitere drei Monate nach Dd kommandiert. Mit Wirkung vom 1. Februar 2018 wurde er in eine Planstelle der Besoldungsgruppe A7 eingewiesen. Seine Dienstzeit endete planmäßig am 31. Dezember 2021.
2
Der Soldat wurde nie planmäßig beurteilt. Über seine halbjährige Kommandierung zum BAMF in Ee liegt ein so bezeichneter Beurteilungsbeitrag des Verbindungsstabsoffiziers, Oberstleutnant D, vom 29. Juni 2016 vor. In diesem wird der frühere Soldat als aufgrund seiner Zuverlässigkeit und Umgänglichkeit im Kameradenkreis vollständig integriert beschrieben. In ungewohntem Umfeld habe er sich sehr gut bewährt und im gesamten Zeitraum mit großer Einsatzbereitschaft und einem Höchstmaß an Zuverlässigkeit überzeugt. Ihm werden gute analytische Fähigkeiten bescheinigt. Mit dem früheren Soldaten verliere die Personalabteilung im Lagezentrum ihren Eckpfeiler, der seinen Dienst immer mit viel Herzblut verrichte. Sein Leistungsniveau sei derart hoch gewesen, dass der Beurteilende ihn für eine Förmliche Anerkennung oder eine Leistungsprämie vorschlug.
3
In einer Beschreibung der Persönlichkeit des früheren Soldaten vom 23. Januar 2019 führte sein damaliger Disziplinarvorgesetzter, Major E, aus, dass der frühere Soldat im täglichen Dienst grundsätzlich verstehe, was er zu tun habe und diese Aufgaben auch bewältigen könne. Die Qualität der Arbeit sei ausreichend. Bei enger Betreuung erziele der frühere Soldat gute Ergebnisse, die jedoch mit mehr Freiraum schlechter und unstrukturierter würden. Vorgänge seien verschleppt oder unorthodox, chaotisch und zum Teil wider der Vorschrift bearbeitet worden. Der frühere Soldat habe gelegentlich die Disziplin vermissen lassen und sei bisweilen ungepflegt und heruntergekommen aufgetreten. Positiv sei sein selbstloser Einsatz im Rahmen der Flüchtlingshilfe zu werten, für welchen er von höchster Stelle ausgezeichnet worden sei. Die Gesamtsituation sei maßgeblich durch private Probleme beeinflusst. Der frühere Soldat lebe getrennt von der Mutter seiner zwei Kinder und befände sich in einem Sorgerechts- und Unterhaltsstreit. Hinzu käme eine lange Liste an Abwesenheitstagen aufgrund verschiedener Gebrechen.
4
Demgegenüber schreibt der Batteriechef der 2./ ArtLehrBtl X, Major F, im Dienstzeugnis vom 24. Januar 2022, der frühere Soldat habe seine Kenntnisse im Bereich des Personalmanagements gewinnbringend eingebracht. Seine Tätigkeit habe er mit fachlichem Geschick und sorgfältig ausgeübt; er habe Einsatzbereitschaft gezeigt und gute Lösungsansätze entwickelt und verstehe es, im Team zu arbeiten. Ab August 2020 sei der frühere Soldat kommandiert gewesen, zunächst in die 6./, dann bis zu seinem Dienstzeitende in die 5./ ArtLehrBtl X. In seinem letzten Dienstjahr dort sei er in der Vorbereitung und Durchführung der Spezialgrundausbildung eingesetzt gewesen und habe dabei ein sehr positives Leistungsbild gezeigt. Aktiv habe er Aufgaben und Aufträge gesucht und diese zur vollsten Zufriedenheit des Zugführers – Hauptfeldwebel G – ausgeführt.
5
Der in der Hauptverhandlung als Leumundszeuge gehörte Hauptmann H, Batterieeinsatzoffizier und stellvertretender Batteriechef 2./ ArtLehrBtl X, kennt den früheren Soldaten seit Januar 2018. Er kann bezeugen, dass der frühere Soldat in seiner Stammeinheit, insbesondere im Verhältnis zu dem im Geschäftszimmer eingesetzten Personal, einen schweren Stand hatte, obwohl er stets kameradschaftlich und militärisch korrekt aufgetreten sei. Ihm gegenüber sei er stets aufgeschlossen gewesen und hätte nie von Problemen erzählt. Bei einem recht hohen Arbeitsaufkommen – die 2. Batterie sei die personalstärkste des Bataillons – habe der frühere Soldat einen recht guten Job getan. Der Vorwurf des Trennungsgeldbetrugs sei in der Einheit bekannt geworden. Der Zeuge konnte sich nicht mehr erinnern, ob der frühere Soldat deswegen oder wegen eines anderen disziplinarischen Vorfalls – das (womöglich versehentliche) Öffnen eines für den Rechnungsführer bestimmten Briefes eines Kameraden war mit einer einfachen Disziplinarmaßnahme geahndet worden – von seinen Aufgaben als Personalunteroffizier entbunden wurde. Das Bekanntwerden der Vorfälle sei zeitlich zusammengefallen. Der frühere Soldat habe jedenfalls wegen des damit einhergehenden Vertrauensbruchs auf seinem Dienstposten nicht mehr verwendet werden können. Die Vorwürfe aus der Nachtragsanschuldigung seien in der Einheit jedenfalls nicht bekannt geworden. Insgesamt kann der Zeuge H die schlechte Bewertung des Major E aus dem Jahr 2019 nicht bestätigen. Er sieht den früheren Soldaten im Vergleich zu anderen Soldaten aus seiner Dienstgradgruppe im Bereich des oberen Mittelfelds.
6
Das Disziplinarbuch des Soldaten enthielt zu seinem Dienstzeitende eine Förmliche Anerkennung vom 19. August 2014 wegen einer hervorragenden Einzeltat – der Soldat hatte Erste-Hilfe-Maßnahmen eingeleitet und so zum Überleben eines damals 87jährigen Mannes beigetragen, zu dem er heute aufgrund des Vorfalls noch in Kontakt steht –, sowie den Eintrag über das sachgleich zum Hauptanschuldigungspunkt geführte Strafverfahren. Die Auskunft aus dem Zentralregister vom 12. Januar 2022 weist drei Eintragungen aus. Zum einen eine Geldstrafe wegen Urheberrechtsverletzungen in 3 tatmehrheitlichen Fällen aus dem Jahr 2014 (eigenen Angaben zufolge hatte der frühere Soldat damals illegal aus dem Internet Software heruntergeladen). Zum anderen Einträge über eine Freiheitsstrafe (sachgleich zum Hauptanschuldigungspunkt) sowie eine weitere Geldstrafe (sachgleich zum zweiten Punkt der Nachtragsanschuldigung).
7
Der frühere Soldat hat das Deutsche Sportabzeichen in Silber abgelegt.
8
Nach Auskunft des Bundesverwaltungsamtes, Außenstelle Ff, vom 12. Januar 2022 erhält der frühere Soldat derzeit Übergangsgebührnisse wegen einer Vollzeitmaßnahme des Berufsförderungsdienstes (BFD) i.H.v. 100% der Dienstbezüge des letzten Monats der Besoldungsgruppe A7, Erfahrungsstufe 4; in Höhe von brutto 3490,70 €, von denen ihm monatlich nach Abzug der Lohnsteuer und eines Pfändungsbetrags (Kindesunterhalt) 925,00 € tatsächlich ausgezahlt werden. Er ist ledig und hat zwei Kinder (geboren 2013 und 2015) mit seiner ehemaligen Lebensgefährtin sowie ein weiteres, 2020 geborenes Kind. Derzeit absolviert er eine Ausbildung zum Mediengestalter in Dd. Diese dauert voraussichtlich drei Jahre und wird vollständig vom BFD finanziert. Weitere Einnahmen hat er nicht. Aufgrund monatlicher Verbindlichkeiten i.H.v. insgesamt ca. 700,00 €, davon alleine 550,00 € Warmmiete, sind die finanziellen Verhältnisse des früheren Soldaten als ausgesprochen angespannt anzusehen. Das Verhältnis zu seinen Eltern beschreibt er als zerrüttet, weshalb deren Inanspruchnahme als fernliegend betrachtet werden muss.
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Seit dem 18. Januar 2022 befindet sich der frühere Soldat (wieder) in psychiatrischer Behandlung. Bereits im Januar 2020 war er nach stationärer Aufnahme aus dem Pfalzklinikum Gg, Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, mit der Diagnose einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome, entlassen worden. Einen ausführlichen Entlassungsbericht hat die Verteidigung nicht vorgelegt. Damals wurde eine ambulante Psychotherapie für sinnvoll gehalten. Glaubhaft hat der Soldat angegeben, seither medikamentös mit Antidepressiva eingestellt zu sein.
10
In dem mit Verfügung des Kommandeurs der 10. Panzerdivision vom 28. Februar 2019 am 14. März 2019 ordnungsgemäß eingeleiteten gerichtlichen Disziplinarverfahren wird dem früheren Soldaten mit Anschuldigungsschrift vom 29. April 2019 folgendes Verhalten als vorsätzliche Dienstpflichtverletzung zur Last gelegt:
„Der Soldat erklärte im Zeitraum vom 10. März 2015 bis zum 10. September 2018 durch Einreichen von sechsundzwanzig Forderungsnachweisen für die Zahlung von Trennungsgeld gegenüber dem Bundeswehrdienstleistungszentrum Bb wahrheitswidrig, an insgesamt zweihundertsieben Tagen zwischen dem 1. Februar 2015 und dem 31. August 2018 von seiner Wohnung in Dd zu seiner Einheit in Bb gefahren und dabei an einhundertsechzehn Tagen länger als elf Stunden von seiner Wohnung abwesend gewesen zu sein. Aufgrund seiner unwahren Angaben veranlasste das Bundeswehrdienstleistungszentrum Bb entsprechend seiner Absicht die Auszahlung von insgesamt 3.549,80 Euro, auf die er, wie er wusste, keinen Anspruch hatte.“
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Das zunächst bei der 6. Kammer des Truppendienstgerichts Süd anhängige Verfahren wurde mit Verfügung vom 12. Januar 2021 zuständigkeitshalber an die 8. Kammer abgegeben. Mit Schreiben vom 31. Mai 2021 hat die Wehrdisziplinaranwaltschaft mitgeteilt, dass neue Pflichtverletzungen zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden sollen. Mit Beschluss vom 2. Juni 2021 hat die Kammer das Verfahren daher ausgesetzt. Die Nachtragsanschuldigung vom 14. September 2021 wurde dem früheren Soldaten sodann am 11. Oktober 2021 übergeben. Darin werden dem früheren Soldaten ergänzend folgende vorsätzliche Pflichtverletzungen zur Last gelegt:
„1. Der Soldat konsumierte an einem nicht mehr näher bestimmbaren Tag, engfristig vor oder am 25. Oktober 2017, jedenfalls zwischen dem 25. September 2017 und dem 25. Oktober 2017, zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt, an einem nicht näher bestimmbaren Ort, eine nicht mehr genauer feststellbare Menge Cannabis, obwohl er aufgrund entsprechender Belehrungen vom 19. Dezember 2012 und 4. Januar 2013 wusste, zumindest aber hätte wissen können und müssen, dass Soldaten der Konsum von Betäubungsmitteln nach der A22630/0-0-2 „Leben in der militärischen Gemeinschaft“, Nr. 172 Satz 6 und Anlage 2.12 Nr. 2 verboten ist. Die ihm am 25. Oktober 2017 um 17:50 Uhr entnommene Blutprobe ergab folgenden Befund: THC 1,9 ng/ml, Hydroxy-THC 0,4 ng/ml, THC-Carbonsäure 35 ng/ml.
2. Der Soldat befuhr jeweils öffentliche Straßen am 9. August 2020 gegen 19:30 Uhr in Hh, am 10. August 2020 gegen 14:52 Uhr zwischen Ii und Hh, am 11. oder 12. August 2020, zu einem nicht mehr näher bestimmbaren Zeitpunkt, in Jj und anderorts sowie am 31. August 2020 gegen 14:00 Uhr die … in Hh jeweils mit dem PKW amtl. Kennzeichen …, obwohl er, was er auch wusste, die hierfür erforderliche Fahrerlaubnis nicht besaß.“
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Das mit der Hauptanschuldigung vorgeworfene Fehlverhalten war bereits Gegenstand eines Strafverfahrens vor dem Amtsgericht Bb (Az 1021 Js 5104/ 19), an dessen Ende gegen den früheren Soldaten mit seit dem 14. August 2019 rechtskräftigem Urteil vom selben Tag wegen gewerbsmäßigen Betrugs in 26 Fällen, § 263 Absatz 1 und Absatz 3 Nr. 1 Strafgesetzbuch (StGB), eine Freiheitsstrafe von 9 Monaten auf Bewährung verhängt wurde.
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Sachgleich zum Vorwurf 2 der Nachtragsanschuldigung waren zwei – später verbundene – Strafverfahren der Staatsanwaltschaft Kk anhängig. In diesen Verfahren ergingen zunächst zwei Strafbefehle, gegen die der frühere Soldat Einspruch einlegte. In der gemeinsamen Hauptverhandlung vor dem AG Dd (Az 6070 Js 19662/ 20) am 6. Mai 2021 beschränkte der frühere Soldat die Einsprüche auf die Rechtsfolgen. Sodann wurde der Soldat wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in vier Fällen, § 21 Absatz 1 Nr. 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG), zu einer Gesamtgeldstrafe von 125 Tagessätzen zu je 25,00 € verurteilt, die er in monatlichen Raten i.H.v. 50,00 € zahlte. Das Urteil ist seit dem 15. Mai 2021 rechtskräftig.
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Nach der in der Hauptverhandlung durchgeführten Beweisaufnahme stehen die angeschuldigten Sachverhalte aufgrund der geständigen Einlassung des früheren Soldaten selbst sowie der in Augenschein genommenen und verlesenen Dokumente fest.
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1. Zum Hauptanschuldigungspunkt enthält das vorgenannte Urteil des AG Bb folgende die Kammer gemäß § 84 Absatz 1 Satz 1 WDO bindende tatsächliche Feststellungen:
„Der Angeklagte ist seit 2014 Angehöriger des 2. Artillerielehr-Bataillons X in Bb. Im Zeitraum vom 01.02.2015 bis 31.08.2018 machte er bei der Beantragung der monatlich abzurechnenden Reisekosten bzw. des Trennungsgeldes bei 30 Gelegenheiten unzutreffende Angaben, um jeweils eine erhöhte Auszahlung zu erreichen. Im Glauben an wahrheitsgemäße Angaben wurden ihm insgesamt 3.830,80 EUR zu viel ausgezahlt. Entsprechend seiner vorgefassten Absicht, sich zu Lasten des Staates zu bereichern, nahm er das Geld und verbrauchte es für sich. In den Fällen 1 bis 10, 12, 14 bis 20 und 23 bis 30 erschloss er sich eine zusätzliche Einnahmequelle von erheblichem Umfang. In diesen Fällen lag der zu viel ausgezahlte Betrag zwischen 36,10 und 304,00 EUR.“
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Diesen Feststellungen liegt die geständige Einlassung des früheren Soldaten im Strafverfahren zu Grunde. Zweifel an deren Richtigkeit bestehen nicht.
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Soweit der frühere Soldat vorträgt, seine angespannte private Situation und seine psychische Konstitution seien (mit) ursächlich für das Fehlverhalten gewesen, vermag die Kammer dem nur eingeschränkt zu folgen. Unbestritten verschärfte die Geburt des zweiten Kindes im März 2015 die angespannte finanzielle Situation der Familie, zumal die bis dato bewohnte Zweizimmerwohnung somit zu klein wurde. Der frühere Soldat war Alleinverdiener, seine Lebensgefährtin konnte weiter keine Arbeit aufnehmen. Folgerichtig verkaufte die Familie eines von zwei Autos, um Kosten zu minimieren. Trotzdem wollte er seinen Kindern „ein besseres Leben garantieren“. Die Kammer glaubt dem früheren Soldaten neben den finanziellen Schwierigkeiten auch die damit einhergehenden psychischen Belastungen. Nicht mehr aufgeklärt werden konnte in der Hauptverhandlung, warum er bei dem Sozialdienst der Bundeswehr zwar eine Schuldnerberatung in Anspruch genommen hat, sich dann aber nach Aufstellung eines Finanzplans mit dem Hinweis, sein Nettoverdienst sei hoch genug, zufrieden gegeben hat.
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Als besonders misslich erkennt die Kammer auch die Umstände seiner Anschlusskommandierungen im Rahmen der Amtshilfe für das BAMF. Der frühere Soldat hat glaubhaft vorgetragen, sich nur für eine dreimonatige Kommandierung nach Ee, die für ihn mit einer Trennung von der Familie verbunden war, zur Verfügung gestellt zu haben. Ungefragt wurde diese dann am letzten Tag der Kommandierung um weitere drei Monate verlängert. Infolgedessen trennte sich die Mutter seiner zwei kleinen Kinder am Telefon von ihm. Bemerkenswert ist, dass seine dienstlichen Leistungen in dieser Zeit darunter nicht gelitten haben. Im Gegenteil: er hat während der Kommandierung im ersten Halbjahr 2016 hervorragende und entsprechend gewürdigte Leistungen gezeigt. Die Kammer glaubt, auch wenn in der Akte nicht belegt, dass diese Leistungen ungebrochen auch noch in den weiteren drei Monaten Amtshilfe am Standort Dd erbracht wurden. Der Soldat berichtet weiter, nach anschließender Rückkehr in seine Stammeinheit sei die Zusammenarbeit in der Batterie nicht mehr wie früher, sondern schwierig gewesen. Man habe ihn „vor versammelter Mannschaft bloßgestellt“. Daraufhin erkrankte der frühere Soldat, suchte psychiatrische Hilfe und wurde schließlich 2019 wegen der festgestellten Depression stationär aufgenommen.
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Das Jahr 2019 beschreibt er selbst als „Knackpunkt“. Die unwahren Angaben in Trennungsgeldanträgen erstrecken sich allerdings ab März 2015 über einen Zeitraum von dreieinhalb Jahren. Die Kammer vermag nicht zu erkennen, inwiefern die psychische Erkrankung zumindest in den ersten Jahren hierfür kausal geworden sein sollte.
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Der überzahlte Betrag wurde in Raten von den Bezügen des früheren Soldaten einbehalten und ist inzwischen vollständig beglichen.
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2. Punkt 1 der Nachtragsanschuldigungsschrift hat der frühere Soldat glaubhaft eingeräumt. Der Vorfall hat sich im Oktober 2017 während einer Krankschreibung zugetragen. An einem Abend am Wochenende des 20.-22. Oktober 2017 war der frühere Soldat auf der Party eines Kollegen; man saß zusammen und er erhielt einen Joint angeboten, der dann gemeinsam geraucht wurde. Anschließend fuhr der frühere Soldat nach Hause und trat am Montag wieder seinen Dienst in der Einheit an. Er verrichtete seinen Angaben zufolge ganz normalen Dienst. Am Mittwoch der Woche (25. Oktober 2017) fuhr er nach Dienst nach Hause und nutzte anfangs eine B. straße, die er mit etwas überhöhter Geschwindigkeit befuhr. Deswegen wurde er von der Polizei angehalten und kontrolliert. Nachdem er sich weigerte, eine Urinprobe abzugeben, wurde ihm auf der Polizeiwache Blut entnommen. Den toxikologischen Befund des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Ll vom 25. Januar 2018 hat die Kammer in Augenschein genommen. Demnach enthielt die Blutprobe die in der Nachtragsanschuldigung aufgeführten Rauschmittelspuren, die eine Aufnahme von Cannabisprodukten belegen. Die festgestellten Cannabinoidkonzentrationen weisen auf eine „engerfristige“ Cannabisaufnahme hin. In der Folge gab der frühere Soldat seine Fahrerlaubnis zurück. Einen Dienstführerschein besaß er nicht. Weder seinen Disziplinarvorgesetzten noch seinen Batteriefeldwebel informierte er über seine immer prekärer werdende persönliche Lage.
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3. Die sachgleich zu Punkt 2 der Nachtragsanschuldigung ergangenen Strafbefehle hat der frühere Soldat in tatsächlicher Hinsicht nicht bestritten. Er hat in der Hauptverhandlung vielmehr erneut angegeben, im August 2020 wiederholt „Versorgungsfahrten“ mit seinem Auto durchgeführt zu haben, obwohl er die erforderliche Fahrerlaubnis – wie er wusste – seit über zwei Jahren nicht mehr besaß. Sein Auto war weiterhin auf ihn angemeldet; er zahlte auch Steuern und Versicherung. Genutzt wurde es aber von anderen, etwa seinem Vater und seinem Bruder.
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Die beiden Strafbefehle legten folgende Sachverhalte zur Last:
„Ihnen wird nach dem von der Staatsanwaltschaft ermittelten Sachverhalt zur Last gelegt, vom 09.08.2020 bis 12.08.2020 in Hh und andernorts durch 3 selbständige Handlungen vorsätzlich ein Kraftfahrzeug geführt zu haben, obwohl Sie die dazu erforderliche Fahrerlaubnis nicht hatten. Zu den vorgenannten Tatzeiten nahmen Sie mit einem PkW, amtliches Kennzeichen …, am öffentlichen Straßenverkehr teil, obwohl Sie wussten, dass Sie nicht im Besitz der für das Führen des Kraftfahrzeuges erforderlichen Fahrerlaubnis waren. Am 09.08.2020 befuhren Sie mit dem Fahrzeug gegen 19:30 Uhr öffentliche Straßen in Hh. Sie hatten sich an einem Zigarettenautomaten an der Tankstelle Zigaretten gekauft. Am 10.08.2020 gegen 14:52 Uhr befuhren Sie öffentliche Straßen zwischen Ii und Hh. Am 11. oder 12.08.2020 befuhren Sie mit dem PkW … öffentliche Straßen in Jj.“
„Ihnen wird nach dem von der Staatsanwaltschaft ermittelten Sachverhalt zur Last gelegt, am 31.08.2020 gegen 14:00 Uhr in Hh und andernorts vorsätzlich ein Kraftfahrzeug geführt zu haben, obwohl Sie die dazu erforderliche Fahrerlaubnis nicht hatten. Zur vorgenannten Tatzeit nahmen Sie mit einem PkW, amtliches Kennzeichen …, am öffentlichen Straßenverkehr teil, obwohl Sie wussten, dass Sie nicht im Besitz der für das Führen des Kraftfahrzeuges erforderlichen Fahrerlaubnis waren. Un[t]er anderem befuhren Sie die … im Bereich Hh.“
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Die Beweisaufnahme hat zu keinen Zweifeln an diesen Sachverhalten geführt.
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Der frühere Soldat hat ein Dienstvergehen gemäß § 23 Absatz 1 Soldatengesetz (SG) begangen, weil er schuldhaft seine soldatischen Pflichten verletzt hat.
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1. Indem er in mindestens 26 Forderungsnachweisen absichtlich falsche Angaben tätigte und dadurch – wie angestrebt – ihm nicht zustehende Wegstreckenentschädigungen und Verpflegungszuschüsse als Trennungsgeld ausgezahlt bekam, verletzte der frühere Soldat seine Pflicht zum Treuen Dienen, § 7 Halbsatz 1 SG. Dem Bund ist hierdurch ein Vermögensschaden i.H.v. 3.830,80 € entstanden. Als Staatsdiener in Uniform hätte es dem früheren Soldaten oblegen, das Vermögen des Dienstherrn zu schützen und es insbesondere nicht zu schädigen. Mit den bewusst wahrheitswidrigen Angaben hat er auch seine Pflicht, in dienstlichen Angelegenheiten die Wahrheit zu sagen (§ 13 Absatz 1 SG), verletzt. Zugleich war sein Verhalten geeignet, die Achtung und das Vertrauen, die sein Dienst erfordert, zu beeinträchtigen (Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht, § 17 Absatz 2 Satz 1 Alternative 2 SG). Die Achtungs- und die Vertrauenswürdigkeit eines Soldaten nehmen durch sein Verhalten schon dann Schaden, wenn dieses Zweifel an seiner Zuverlässigkeit weckt oder seine Eignung für die jeweilige Verwendung in Frage stellt.
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2. Bereits durch den einmaligen außerdienstlichen Cannabiskonsum hat der frühere Soldat gegen Nr. 172 Satz 6 der Zentralrichtlinie A2-2630/ 0-0-2 („Leben in der militärischen Gemeinschaft“) verstoßen. Die Pflicht zum Gehorsam hat er damit nicht verletzt: die Regelung ist kein Befehl im Sinne von § 11 Absatz 1 SG, § 2 Nr. 2 Wehrstrafgesetz, weil sie nicht von einem Vorgesetzten, sondern von einer Abteilung des Zentrums Innere Führung herausgegeben wurde. Die Regelung ist indes als dienstliche Weisung zu qualifizieren, deren Nichtbeachtung durch den Soldaten eine Verletzung der Pflicht zum treuen Dienen nach § 7 Halbsatz 1 SG begründet. Diese Pflicht fordert allgemein, im und außer Dienst zur Funktionsfähigkeit der Bundeswehr beizutragen und alles zu unterlassen, was sie für ihren durch das Grundgesetz festgelegten Auftrag schwächen könnte. Zu dieser Pflicht zählt auch die gewissenhafte Diensterfüllung in Form der Gewährleistung der jederzeitigen dienstlichen Einsatzbereitschaft. Diese Einsatzfähigkeit wird erheblich beeinträchtigt, wenn ein Soldat Rauschmittel zu sich nimmt. Dabei beruht die Beeinträchtigung sowohl auf einem akuten Rausch als auch auf den negativen gesundheitlichen Folgewirkungen (vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 28. Juni 2012, – BVerwG 2 WD 34.10 –, Rn. 92). Unabhängig von konkreten gesundheitlichen Auswirkungen stellt bereits der einmalige Genuss des Rauschmittels eine Verletzung der Kernpflicht zum treuen Dienen dar (BVerwG, Urteil vom 7. Mai 2013, – BVerwG 2 WD 20.12 –, Rn. 42). Zugleich hat der Soldat mit seinem rein außerdienstlichen Verhalten auch gegen § 17 Absatz 2 Satz 3 Alternative 2 SG verstoßen, weil dem festgestellten Verhalten unabhängig von den anderen Pflichtenverstößen die Eignung zur Achtungs- und Vertrauensminderung innewohnt.
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3. Seine außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht hat der frühere Soldat auch verletzt, indem er wiederholt als Führer seines Personenkraftwagens am öffentlichen Straßenverkehr teilgenommen hat, ohne im Besitz der erforderlichen Fahrerlaubnis zu sein. Hiermit hat er kriminelles Unrecht begangen. Zwar zeigt der Strafrahmen des § 21 Absatz 1 StVG, dass es sich dabei nur um leichte Kriminalität handelt. § 17 Absatz 2 Satz 3 (damals: Satz 2) SG wurde bereits im Jahr 1972 um das Merkmal „ernsthaft“ ergänzt, damit fortan nicht mehr jedes Fehlverhalten im privaten Bereich als Dienstvergehen geahndet werde. Der Gesetzgeber bezweckte damit eine disziplinarisch restriktivere Behandlung außerdienstlichen Fehlverhaltens. Auch das BVerwG hat inzwischen – nachvollziehbar begründet – dargelegt, dass eine einmalige außerdienstliche Straftat, die dem Strafrahmen nach nicht mindestens dem Bereich der mittelschweren Kriminalität zuzurechnen ist, in der Regel nicht nach disziplinarer Ahndung heischt (BVerwG, Urteil vom 20. März 2014, – 2 WD 5.13 –, Rn. 57 ff.). Für eine ernsthafte Beeinträchtigung der Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit bedarf es daher zusätzlicher Umstände. Negative Rückschlüsse auf die Integrität, die dienstliche Zuverlässigkeit und die Verwendbarkeit eines Soldaten können sich insbesondere aus der Wiederholung eines mit einer geringeren Sanktionsdrohung bewehrten strafbaren Verhaltens oder einer einschlägigen Vorbelastung ergeben. Ersteres ist hier der Fall.
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Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist der allein zulässige Zweck des Wehrdisziplinarrechts zu berücksichtigen. Dieser besteht darin, dazu beizutragen (sic!), einen ordnungsgemäßen Dienstbetrieb wiederherzustellen und/ oder aufrechtzuerhalten.
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Mit Blick auf das Gebot der Gleichbehandlung sowie im Interesse der Rechtssicherheit und der Vorhersehbarkeit von Disziplinarmaßnahmen ist zunächst eine Regelmaßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe zu bestimmen. Den Schwerpunkt des Dienstvergehens bildet dabei die Schädigung des Vermögens des Dienstherrn. Begeht ein Soldat über mehrere Jahre wiederholt vorsätzlichen Trennungsgeldbetrug, hat die Rechtsprechung die Entfernung aus dem Dienst als angezeigt angesehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 2017, – 2 WD 5.17 –, Leitsatz, bei fünfstelliger Schadenshöhe; siehe aber auch BVerwG, Urteil vom 19. November 2020, – 2 WD 19.19 –, Rn. 29, 31: „Das gewohnheitsmäßige Handeln über einen Zeitraum von nahezu einem Jahr und in 24 Fällen steigert das Gewicht des Dienstvergehens so erheblich, dass die Höchstmaßnahme angemessen ist.“). Im vorliegenden Fall entstand dem Bund „nur“ ein Schaden im vierstelligen Bereich, so dass nicht bereits die Schadenshöhe die Höchstmaßnahme indiziert, außerdem fälschte der frühere Soldat keine Urkunden. Dennoch ist hier schon beim Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen zu berücksichtigen, dass er in 26 Fällen immer wieder neu den Vorsatz gefasst hat, den Dienstherrn zu seinen eigenen Gunsten („gewerbsmäßig“) zu schädigen (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2019, – 2 WD 18.18 –, Rn. 38). Dieses Vergehen wiegt außerordentlich schwer. Es handelt sich um ein Fehlverhalten, das Ausdruck einer nicht mehr in den Griff zu bekommenden, die Persönlichkeit des früheren Soldaten prägenden Fehlentwicklung ist und auf eine dauerhafte Pflichtvergessenheit schließen lässt. Das Vertrauen in den früheren Soldaten ist irreparabel zerstört. Er wäre, so noch aktiver Soldat, nicht nur als Vorgesetzter für die Streitkräfte nicht mehr tragbar. Die Kammer ist daher für den bereits ausgeschiedenen Soldaten von der Aberkennung des Ruhegehalts, § 65 Absatz 1 WDO, ausgegangen.
31
Sodann bleibt zu prüfen, ob im konkreten Einzelfalle im Hinblick auf die Kriterien des § 38 Absatz 1 WDO eine Milderung gegenüber der Regelmaßnahme vorzunehmen ist. Dies ist trotz manch mildernder Umstände in der Person des früheren Soldaten letztlich nicht der Fall.
32
Zunächst erlangt das Dienstvergehen nämlich zusätzliche Schwere dadurch, dass der frühere Soldat aufgrund seines Dienstgrades als Stabsunteroffizier in einem Vorgesetztenverhältnis stand (§ 1 Absatz 3 Satz 1 und 2 SG i.V.m. § 4 Absatz 1 Nr. 2, Nr. 3 Vorgesetztenverordnung). Ihm oblag somit eine höhere Verantwortung für die Wahrung dienstlicher Interessen. Im Falle einer Pflichtverletzung unterliegt er einer verschärften Haftung, da Vorgesetzte in ihrer Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel geben sollen (§ 10 Absatz 1 SG). Nähmen sich aber andere Soldatinnen oder Soldaten ein Beispiel an dem früheren Soldaten, wäre das seit der Abschaffung von Rechnungsführern zunehmend schwerer zu kontrollierende Geschäft der Abrechnung etwa von Reisekosten- oder Trennungsgeldanträgen überhaupt nicht mehr aufrecht zu halten. Hierbei ist der Dienstherr in gesteigertem Maße auf die Redlichkeit und Rechtschaffenheit seiner Dienenden angewiesen.
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Aufgrund der gesundheitlichen und familiären, insbesondere finanziellen Probleme des früheren Soldaten teilt die Kammer die Sorge von Wehrdisziplinaranwaltschaft und Verteidigung, dass die Folgen der Aberkennung des Ruhegehalts nicht mehr zu tragen sein könnten. Diese Sorge kann sich aber nicht auf die tat- und schuldangemessene Disziplinarmaßnahme auswirken, zumal sich der frühere Soldat selbstverschuldet in diese Situation gebracht hat. Die Kammer verkennt nicht, dass er insbesondere in seinem letzten Dienstjahr überdurchschnittliche Leistungen gezeigt hat, die seiner in der Hauptverhandlung getätigten Beteuerung, gerne Soldat gewesen zu sein, Nachdruck verleihen. Zudem hat der frühere Soldat erst kürzlich eine durch den BFD finanzierte Ausbildung begonnen. Es bleibt zu hoffen, dass sich ein Weg findet, auf dem er notfalls auch ohne Förderung durch die Bundeswehr diese Ausbildung abschließen kann, sofern eine Rückkehr in einen seiner beiden Ausbildungsberufe in absehbarer Zeit nicht möglich oder zumutbar sein sollte.
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Auch wenn somit mittelbar das Dienstvergehen nachteilige Auswirkungen für den früheren Soldaten selbst zeitigt (dies ist allerdings mit jeder Disziplinarmaßnahme der Fall), gilt es, im Rahmen von Erwägungen zur Maßnahmebemessung die Folgen des Fehlverhaltens für den Dienstherrn einzustellen. Neben der beträchtlichen Vermögensschädigung musste er mit entsprechendem Verwaltungsaufwand die Überzahlungen zurückfordern (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Mai 2020, – 2 WD 12.19 –, Rn. 18). Außerdem wurden personalwirtschaftliche Maßnahmen erforderlich, da der frühere Soldat zumindest auch wegen des Trennungsgeldbetruges von seinem Dienstposten als Personalunteroffizier abgelöst und Ersatz gestellt werden musste. Dagegen ist das Bekanntwerden der Vorwürfe in der Einheit nicht dem Soldaten anzulasten. Grund hierfür waren wohl Indiskretionen in der Batterieführung.
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Das Maß der Schuld wird geprägt durch das vorsätzliche Handeln des schuldfähigen früheren Soldaten. Es sind keine schuldmindernden Umstände vorgetragen oder ersichtlich für den beinahe vollständigen Zeitraum des Trennungsgeldbetrugs. Gerade seine Leistungen im Jahr 2016 zeigen, dass er in dieser Zeit nicht beeinträchtigt war. Auf eine eingeschränkte Fähigkeit, das Unrecht seiner Handlungen einzusehen oder gemäß dieser Einsicht zu handeln, deutet nichts hin. Daran ändern auch die vorgetragenen depressiven Episoden nichts, die wohl ab 2017 zu wiederholten Krankschreibungen und letztlich zur stationären Aufnahme 2019 geführt haben. Gleichwohl erkennt die Kammer, dass der frühere Soldat nach der Geburt seiner Tochter, der unglücklichen Trennung von seiner Familie durch mehrere schlecht kommunizierte Kommandierungen, die schließlich zur Trennung von der Kindsmutter führten, und die anschließend hinzutretenden Schwierigkeiten in seiner Stammeinheit später in einer seelischen Ausnahmesituation handelte. Aber auch diese ist nicht kausal geworden für den Entschluss, den Dienstherrn finanziell zu schädigen. Erst für die – im Rahmen dieser Ermessungserwägungen bislang noch gar nicht betrachteten – Vorwürfe der Nachtragsanschuldigungsschrift, erlangt dieser Milderungsgrund gesteigerte Bedeutung. Milderungsgründe müssen aber umso gewichtiger sein, je schwerer das Dienstvergehen wiegt (BVerwG, Urteil vom 19. November 2020, – 2 WD 19.19 –, Rn. 34). Selbst wenn sich ein Soldat wegen Depressionen in einer schwierigen Lebensphase befindet, hat die höchstrichterliche Rechtsprechung diesem Umstand nur geringes Gewicht beigemessen (BVerwG, Urteil vom 25. Oktober 2018, – 2 WD 8.18 –, Rn. 32 m.w.N.).
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Der frühere Soldat handelte zwar in einer finanziellen Notlage, aber nicht in einer ausweglos erscheinenden, unverschuldeten wirtschaftlichen Notlage. Dieser anerkannte Milderungsgrund setzt eine Konfliktsituation voraus, in der der Soldat keinen anderen Ausweg als den Zugriff auf Vermögen des Dienstherrn sieht, um den Notbedarf der Familie zu decken, und ist daher nur auf zeitlich begrenztes Fehlverhalten anwendbar. Eine solche Situation liegt dann nicht mehr vor, wenn – wie hier – dies über einen längeren Zeitraum in dem Sinne geschieht, dass eine weitere Einkunftsquelle erschlossen wird (BVerwG, Urteil vom 15. März 2012, – 2 WD 9.11 –, Rn. 20 m.w.N.). Von einer Ausweglosigkeit der Lage könnte gesprochen werden, wenn vor dem Zugriff wenigstens der Versuch unternommen wurde, sich wegen der Verschuldung in sachverständige Beratung oder auf den Weg einer geordneten Privatinsolvenz zu begeben (BVerwG, Urteil vom 15. März 2012, – 2 WD 9.11 –, Rn. 22). Nach dem Versuch, den Sozialdienst der Bundeswehr einzuschalten, hat der frühere Soldat keine entsprechenden Anstrengungen mehr unternommen. Bei alldem ist auch zu berücksichtigen, dass der frühere Soldat insgesamt den Dienstherrn um etwas mehr als ein Bruttomonatsgehalt geschädigt hat.
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Für den früheren Soldaten sprechen seine zuletzt gezeigten dienstlichen Leistungen. Es ist ihm zu Gute zu halten, dass er sich in Anbetracht des unvermeidlichen Dienstzeitendes im Jahr 2021 und trotz seiner gesundheitlichen Belastungen nicht hat hängen oder wiederholt krankschreiben lassen. Sein erklärtes Ziel, die Bundeswehr erhobenen Hauptes zu verlassen, hat er somit erreicht. Dabei ist ihm sicherlich auch entgegengekommen, dass seine neuen Vorgesetzten dem Fürsorgegedanken besser nachgekommen sind als frühere. Auch eine mögliche Nachbewährung steht aber dem objektiven Vertrauensverlust nicht entgegen.
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Zu Gunsten des früheren Soldaten ist ferner sein umfassendes Geständnis schon im Strafverfahren zu werten. Eine zeit- und kostenintensive Beweisaufnahme hat er den Gerichten dadurch erspart. Er hat sein Fehlverhalten eingesehen. Auch wenn er zuvorderst bedauert, dass er sich damit seine Karriere „versaut“ hat, nimmt die Kammer ihm seine Reue auch ab.
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Die Beweggründe des früheren Soldaten sprechen weder für noch gegen ihn. Er hat den Dienstherrn geschädigt, um sich mehr Geld zu verschaffen. Dies verfolgte aber nicht den rein eigennützigen Zweck, sich selber zu bereichern. Vielmehr wollte er seinen Kindern einen etwas besseren Lebensstandard verschaffen. Letztlich ist es zutiefst bedauerlich, dass er abgesehen vom Verkauf eines Autos keinen anderen, legalen Weg genutzt hat, um dieses ehrenwerte Anliegen zu verfolgen.
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Auch nach Berücksichtigung aller für den früheren Soldaten sprechenden Umstände bleibt das mit der Anschuldigungsschrift zur Last gelegte Fehlverhalten ein besonders schwerwiegendes Dienstvergehen. Dabei ist noch nicht berücksichtigt, dass der frühere Soldat in fünf weiteren Fällen Dienstpflichten verletzt hat; die vier außerdienstlichen Autofahrten ohne Führerschein erfolgten sogar in Kenntnis des bereits laufenden gerichtlichen Verfahrens. Die Kammer nimmt an, dass sich zu diesem Zeitpunkt die Depressionen und weiteren Lebensumstände des früheren Soldaten weiter verschlechtert hatten. Auch wenn insoweit eine mitunter nur eingeschränkte Schuldfähigkeit vorläge, würde dies sich nicht mehr auf die einheitlich zu verhängende Disziplinarmaßnahme (§ 18 Absatz 2 WDO) auswirken, weshalb von der Einholung eines Sachverständigengutachtens abzusehen war. Letztlich ist wegen der Schwere und Summe der dienstpflichtwidrigen Handlungen das Vertrauen in den früheren Soldaten unwiederbringlich zerstört, so dass die disziplinare Höchstmaßnahme erforderlich ist.
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Die Kammer hat in Anbetracht der sehr angespannten finanziellen Situation des früheren Soldaten geprüft, ob die Voraussetzungen für eine Verlängerung der Laufzeit des Unterhaltsbeitrags (§ 109 WDO) vorliegen. Ein Fall des § 65 Absatz 2 i.V.m. § 63 Absatz 3 Satz 2 WDO liegt jedoch nicht vor. Einerseits ist der frühere Soldat nicht straf- und disziplinarrechtlich unbescholten, andererseits befindet er sich in keiner unverschuldeten Notlage, so dass keine unbillige Härte zu vermeiden ist. Sollten sich die wirtschaftlichen Verhältnisse allerdings in Folge des Wegfalls der Berufsförderung weiter verschlechtern, wird eine nochmalige Prüfung des Unterhaltsbeitrags durch das Bundesverwaltungsamt vorzunehmen sein.
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Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens beruht auf § 138 Absatz 1 Satz 1 Halbsatz 1 WDO.