Inhalt

OLG Nürnberg, Beschluss v. 28.10.2022 – 1 U 4356/21
Titel:

Keine sittenwidrige Schädigung des Erwerbers eines BMW-Diesel-Fahrzeugs (hier: BMW X3)

Normenketten:
BGB § 31, § 826
ZPO § 522 Abs. 2
Leitsätze:
1. Zu BMW-Diesel-Fällen (vor Erlass der Differenzschaden-Entscheidungen des BGH) vgl. auch BGH BeckRS 2021, 37995; BeckRS 2021, 40856; OLG München BeckRS 2019, 19592; BeckRS 2021, 40857; BeckRS 2021, 54108; BeckRS 2022, 47159; BeckRS 2023, 9804 (sowie die ausführlichen Verweise in den dortigen Rn. 4 – 5); BeckRS 2023, 9808; BeckRS 2023, 9806; OLG Koblenz BeckRS 2020, 30105; OLG Bremen BeckRS 2020, 31082; OLG Saarbrücken BeckRS 2022, 1872; OLG Stuttgart BeckRS 2020, 5654; OLG Schleswig BeckRS 2021, 11679; OLG Celle BeckRS 2021, 43494. (redaktioneller Leitsatz)
2. Weder der Umstand, dass Senate des Bundesgerichtshofs Verhandlungstermine abgesetzt haben noch das anhängige Vorabentscheidungsverfahren stehen einer Beschlusszurückweisung nach § 522 Abs. 2 ZPO entgegen. (Rn. 11 – 12) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Funktion des Kaltaufheizens ist kein Anhaltspunkt dafür, dass die für die Herstellerin handelnden Personen ein Bewusstsein hatten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, da es sich um keine prüfstandbezogene Abschalteinrichtung handelt. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, BMW, N47, Schadensersatz, unzulässige Abschalteinrichtung, sittenwidrig, Kaltstartheizen, keine prüfstandbezogene Abschalteinrichtung, Vorabentscheidungsverfahren
Vorinstanz:
LG Regensburg vom 17.11.2021 – 12 O 797/21
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 05.03.2024 – VIa ZR 1599/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 55047

Tenor

1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 17.11.2021, Aktenzeichen …, wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Regensburg ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Dieser Beschluss ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klagepartei kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 36.213,08 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Klagepartei verlangt von der beklagten Fahrzeugherstellerin Erstattung des gezahlten Kaufpreises wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasrückführung im erworbenen Kraftfahrzeug.
2
Die Klagepartei erwarb am 07.01.2014 ein Gebrauchtfahrzeug der Modellreihe BMW X3, Fahrzeug-Ident-Nummer …25 zu einem Preis von 45.500,00 € mit einem Kilometerstand von 19.500 km. Herstellerin dieses Fahrzeugs ist die Beklagte. Das Fahrzeug ist mit einem Motor des Typs N47 mit einem Hubraum von 1995 ccm und einer Leistung von 135 kW ausgestattet. Für den Fahrzeugtyp wurde eine Typengenehmigung mit der Schadstoffklasse „Euro 5“ erteilt. In dem Fahrzeug erfolgt die Abgasreinigung über die sogenannte Abgasrückführung (AGR).
3
Die Klagepartei hat vorgetragen, die Beklagte habe in dem von ihr erworbenen Fahrzeug mehrere illegale Abschalteinrichtung verbaut. Die Klagepartei meint, ihr stünden aus dem genannten Sachverhalt Ansprüche auf Rückabwicklung des Kaufvertrags gegen die Beklagte zu.
4
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und ausgeführt, der Klagepartei stünden keine Ansprüche auf Schadensersatz nach Deliktsrecht zu.
5
Hinsichtlich der weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts Regensburg vom 17.11.2021 zum Az. … und auf Buchstabe A des Hinweises vom 14.09.2022 Bezug genommen.
6
Die Klagepartei beantragt in der Berufung,
unter Abänderung des am 17.11.2021 verkündeten Urteils,
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klagepartei 36.213,08 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5% Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 19.01.2021 zu bezahlen Zug-um-Zug gegen die Übereignung und Herausgabe des PKW Typs BMW X3, FIN: …25,
2. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme des in Antrag I genannten Fahrzeugs seit dem 22.12.2020 in Verzug befindet,
3. die Beklagte zu verurteilen, die Klagepartei von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.832,01 € freizustellen.
7
Die Beklagte beantragt in der Berufung:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
II.
8
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 17.11.2021, Aktenzeichen …, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
9
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen.
10
Die Gegenerklärung der Klagepartei vom 15.09.2022 veranlasst keine andere Entscheidung:
11
1. Zu den Argumenten der Klagepartei in der Gegenerklärung vom 15.09.2022 im Zusammenhang mit den Schlussanträgen des Generalanwalts R. beim Europäischen Gerichtshof vom 02.06.2022 hat der Senat bereits im Hinweis vom 14.09.2022 ausführlich Stellung genommen. Für den Senat besteht auch in Ansehung der Ausführungen vom 15.09.2022 keine Veranlassung, von der mitgeteilten rechtlichen Würdigung abzuweichen und das Verfahren zurückzustellen. Der Umstand, dass der VIa. und VII. Senat des Bundesgerichtshofs Verhandlungstermine abgesetzt haben, führt zu keiner anderen Bewertung. Insbesondere liegt weder eine von der bisherigen ständigen Rechtsprechung abweichende Entscheidung, noch ein Aussetzungs- oder Vorlagebeschluss vor. Insbesondere ist der zitierten Pressemitteilung nicht zu entnehmen, dass der VIa-Senat gedenkt, von der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abzuweichen.
12
Das anhängige Vorabentscheidungsverfahren steht auch – wie bereits im Hinweis vom 14.09.2022 ausgeführt wurde – einer Beschlusszurückweisung nach § 522 Abs. 2 ZPO nicht entgegen. Insbesondere begründet es keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (vgl. BGH, Beschluss vom 12.01.2022 – VII ZR 491/21, BeckRS 2022, 6617, Rn. 8). Stellt sich eine entscheidungserhebliche und der einheitlichen Auslegung bedürfende Frage des Unionsrechts, ist zwar bereits mit der sich voraussichtlich in einem künftigen Revisionsverfahren ergebenden Notwendigkeit eines Vorabentscheidungsverfahrens an den EuGH auch der Zulassungsgrund der „grundsätzlichen Bedeutung“ gegeben (BVerfG, NVwZ, 2016, 378, Rn. 13). Solche entscheidungserheblichen Auslegungsfragen der hier relevanten Normen der RL 2007/46/EG und der VO (EG) Nr. 715/2007 sind aber nicht gegeben. Die RL 2007/46/EG entfaltet – wie ausgeführt – als Richtlinie nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH schon keine horizontale Drittwirkung. Die VO (EG) Nr. 715/2007 schützt (auch) nach Auffassung des Generalanwalts R. nicht unmittelbar die Interessen eines individuellen Erwerbers eines Kraftfahrzeugs, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist. Entscheidungserhebliche Auslegungsfragen der vorgenannten Richtlinie und der Verordnung sind daher nicht gegeben.
13
2. In dem vorangegangenem Hinweis hat der Senat auch bereits ausführlich zu der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25.11.2021, Az. III ZR 202/20 Stellung genommen. Auf Ziffer 1.2.4. des Hinweises wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
14
3. Die Ansicht der Klagepartei, dass die Beklagte zu der behaupteten Funktion des „Kaltstartheizens“ substantiiert hätte vortragen müssen, trifft auch unter Berücksichtigung der Stellungnahme von Dr. H. zur Frage der Deaktivierung der Kaltstartheizfunktion nicht zu. Zu der Problematik des Kaltstartheizens hat der Senat im Hinweis vom 14.09.2022 bereits ausführlich Stellung genommen. Der Senat bewertet, wie in dem oben zitierten Hinweis ausführlich dargelegt, die Situation rechtlich anders und geht insbesondere nicht von einer sekundären Darlegungslast der Beklagten aus.
15
Die behauptete Funktion des Kaltaufheizens wäre kein Anhaltspunkt dafür, dass die für die Beklagte handelnden Personen ein Bewusstsein hatten, eine unterstellt unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, da es sich – wie im erteilten Hinweis ebenfalls ausgeführt – um keine prüfstandbezogene Abschalteinrichtung handeln würde.
16
Aus den vorgenannten Gründen bedarf es auch keiner weiteren Erörterung, ob die verantwortlichen Personen bei der Beklagten mit dem erforderlichen Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden.
17
4. Aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19 ergibt sich nicht, wie die Klagepartei meint, dass die Beklagte – ohne Vortrag konkreter Anhaltspunkte für ein Bewusstsein der für sie handelnden Personen, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf zu nehmen – eine sekundäre Darlegungslast trifft. Im Gegenteil: Auch in dieser Entscheidung führt der Bundesgerichtshof zur Begründung, dass die dortige beklagte Fahrzeugherstellerin eine sekundäre Darlegungslast trifft, aus, die Klägerin habe „hinreichende Anhaltspunkte“ für eine Kenntnis von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung vorgetragen. Im Streitfall hat die Klagepartei aber – wie im erteilten Hinweis ebenfalls dargelegt – schon keine greifbaren Anzeichen dafür vorgetragen, dass die für die Beklagte handelnden Personen in dem Bewusstsein gehandelt haben, eine unterstellt unzulässige Abschalteinrichtung in Verkehr zu bringen. Entsprechendes gilt für den Vortrag der Klagepartei, wonach die Organisation der Beklagten die Entscheidung zum Einbau der Abschalteinrichtung ohne Kenntnis der leitenden Mitarbeiter unmöglich sei. Im vorliegenden Fall ist – was der Senat bereits in seinem Hinweis ausgeführt hat – die Frage, ob sich die Beklagte das behauptete Wissen des mit der Entwicklung und dem Einbau der Abschalteinrichtung betrauten Personen zurechnen lassen muss, schon nicht entscheidungserheblich. Der Einbau einer temperaturabhängigen und von weiteren – nicht prüfstandbezogenen – Parametern abhängigen Steuerung der Abgasrückführung und Abgasreinigung begründet – wie ausgeführt – vorliegend mangels erforderlicher weiterer Indizien schon in objektiver Hinsicht kein sittenwidriges Verhalten der betrauten Personen. Es kommt daher auf eine Wissenszurechnung nach § 31 BGB bereits nicht an.
18
Welche Substantiierungsanforderungen an die Darlegung eines Anspruchs aus sittenwidriger Schädigung hierbei im Einzelnen zu stellen sind, hat der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19 entschieden. Diese Anforderungen hat die Klagepartei – wie im erteilten Hinweis ausgeführt – nicht erfüllt. Der Senat hat sich mit den von der Klagepartei vorgelegten Messungen, insbesondere auch der als Anlage K C1 vorgelegten Abgasmessung der Technischen Universität G. und der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt aus dem „Handbuch für Emissionsfaktoren im Straßenverkehr Version 3.3“ (HBEFA), aber auch mit den weiter genannten Messungen der DUH, der Untersuchungskommission Volkswagen und den (unveröffentlichten) Messungen des Kraftfahrtbundesamtes eingehend auseinandergesetzt und deren Relevanz für die Annahme eines sittenwidrigen Verhaltens gewürdigt. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf den Hinweis vom 14.09.2022, dort Ziffer 1.2.5.1, Bezug. Den zitierten Messungen lassen sich aber aus den dort angeführten Gründen keinerlei greifbare Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug der Modellreihe BMW X3, Euro 5, eine prüfstandbezogene oder eine andere evident unzulässige Abschalteinrichtung verwendet wird.
19
Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem klägerischen Vortrag zu der Bedeutung der Organisationsstruktur der Beklagten nach der DIN EN ISO 9001. Die Klagepartei zeigt auch damit kein objektiv besonders verwerfliches Verhalten der für die Beklagten handelnden Personen oder Anhaltspunkte für ein vorsätzliches Verhalten des Vorstands der Beklagten auf. Im Gegensatz zu dem VW-Motor der Serie EA189 arbeitet die Motorsteuerungssoftware der Beklagten im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise wie auf dem Prüfstand. Sie ist daher nicht derart eindeutig unzulässig wie im Fall des Motors EA189. Eine Täuschungsabsicht kann somit aus den Erwägungen der Klagepartei, dass eine einfache rechtliche Prüfung die Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung ergeben hätte, nicht hergeleitet werden, zumal auch nicht die Feststellung getroffen werden kann, dass der Einbau der Abschalteinrichtungen auf der Grundlage einer strategischen unternehmerischen Entscheidung über Jahre hinweg erfolgt und dies sozusagen zum Geschäftsmodell der Beklagten geworden ist.
20
5. Die zitierten Beweisbeschlüsse hat der Senat zur Kenntnis genommen. Der Senat hat sich jedoch mit dem Vorbringen des Klägers im hier zu entscheidenden Fall auseinandergesetzt und dieses in seinem Hinweis umfassend gewürdigt und bewertet.
III.
21
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
22
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
23
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.