Inhalt

OLG München, Beschluss v. 01.07.2022 – 1 U 1985/22
Titel:

Kein Anspruch auf Schadensersatz wegen des Einbaus unzulässiger Abschalteinrichtungen (ua Thermofenster) in ein Dieselfahrzeug (hier: BMW X3)

Normenketten:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826
Fahrzeugemissionen-VO Art. 5 Abs. 2
RL 2007/46/EG Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1, Art. 46
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
ZPO § 148, § 522 Abs. 2
Leitsatz:
Selbst wenn die Verordnung (EG) 715/2007 dem Schutz der Käufer eines Fahrzeugs vor Verstößen des Herstellers gegen seine Verpflichtung, neue Fahrzeug in Übereinstimmung mit ihrem genehmigten Typ bzw. den für ihren Typ geltenden Rechtsvorschriften in den Verkehr zu bringen, dienen sollte, besagt dies nichts für die Frage, ob damit auch der Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts und damit der Schutz des Käufers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrages erfasst sein soll (aA nachfolgend BGH BeckRS 2024, 4822). (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, BMW, N57, unzulässige Abschalteinrichtung, Thermofenster, (kein) "großer" Schadensersatz, Aussetzung des Verfahrens, (kein) Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts
Vorinstanz:
LG München I vom 25.03.2022 – 30 O 5352/21
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 05.03.2024 – VIa ZR 1059/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 55044

Tenor

1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 25.03.2022, Aktenzeichen 30 O 5352/21, wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klagepartei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 54.484,59 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts München I vom 25.03.2022 Bezug genommen.
2
Im Berufungsverfahren beantragt der Kläger:
I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei Euro 60.354,98 nebst Zinsen aus Euro 60.354,98 hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 24.03.2021 zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen die Übereignung und Herausgabe des PKW Typs BMW X3, FIN: ….
II. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei Euro 23.882,16 Deliktszinsen zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen die Übereignung und Herausgabe des PKW Typs BMW X3, FIN: ….
III. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des in Antrag I. genannten Fahrzeugs seit dem 24.03.2021 in Verzug befindet.
IV. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von Euro 2.474,61 vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten freizustellen.
3
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
II.
4
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 25.03.2022, Aktenzeichen 30 O 5352/21, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist. Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen.
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Auch das klägerische Vorbringen im Schriftsatz vom 29.06.2022 rechtfertigt keine andere Beurteilung:
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1. Der Senat bleibt bei seiner Auffassung, dass der Kläger keine hinreichenden Anhaltspunkte für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung vorgetragen hat.
7
2. Ein auf Rückabwicklung des streitgegenständlichen Kaufvertrags gerichteter Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Art. 5 der Verordnung (EG) 715/2007 kommt weiterhin nicht in Betracht.
8
Der Bundesgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 Rn. 72 ff., BGHZ 225, 316; Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20 Rn. 10 ff., ZIP 2020, 1715; vgl. auch Beschluss vom 10. Februar 2022 – III ZR 87/21 Rn. 8 ff, juris) davon aus, dass die Rechtslage im Hinblick auf § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV von vornherein eindeutig („acte clair“, vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 – Rs 283/81, NJW 1983, 1257, 1258; BVerfG, NVwZ 2015, 52 Rn. 35) ist. Zuletzt hat er dies im Beschluss vom 4. Mai 2022 – VII ZR 656/21 unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das den Gegenstand der Schlussanträge des Generalanwalts R. vom 02.06.2022 bildende Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts R.ausgesprochen.
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Selbst wenn die Verordnung (EG) 715/2007 dem Schutz der Käufer eines Fahrzeugs vor Verstößen des Herstellers gegen seine Verpflichtung, neue Fahrzeug in Übereinstimmung mit ihrem genehmigten Typ bzw. den für ihren Typ geltenden Rechtsvorschriften in den Verkehr zu bringen, diente, besage dies nichts für die Frage, ob damit auch der Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts und damit der Schutz des Käufers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrages erfasst sein solle. Es seien keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Gesetz- und Verordnungsgeber mit den genannten Vorschriften (auch) einen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts der einzelnen Käufer bezweckt habe und an die (auch fahrlässige) Erteilung einer inhaltlich unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung einen gegen den Hersteller gerichteten Anspruch auf (Rück-)Abwicklung eines mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrags hätte knüpfen wollen (BGH, Beschluss vom 4. Mai 2022 – VII ZR 656/21 –, Rn. 3, juris).
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3. Die Schlussanträge des Generalanwalts R. vom 02.06.2022 in der Rechtssache C100/21 geben keine Veranlassung, von dieser gefestigten Rechtsprechung abzuweichen.
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Zunächst ist festzuhalten, dass die Schlussanträge den Europäischen Gerichtshof nicht binden. Auch wenn der Europäische Gerichtshof ihnen in der Regel folgt, haben die Schlussanträge keinerlei Außenwirkung.
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Darüber hinaus schlägt der Generalanwalt inhaltlich zwar vor, die erste und zweite Vorlagefrage so zu beantworten, dass Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der RL 2007/46 dahin auszulegen sind, dass sie die Interessen eines individuellen Erwerbers eines Kraftfahrzeugs schützen, insbesondere das Interesse, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestattet ist (IV B. 50 der Schlussanträge vom 02.06.2022). Hinsichtlich der Vorlagefragen 3 – 6 beschränkt sich der Antrag jedoch auf die Feststellung, dass ein Erwerber eines Fahrzeugs einen Ersatzanspruch gegen einen Hersteller hat, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestattet ist. Es sei jedoch Sache der Mitgliedstaaten die Regeln für die Art und Weise der Berechnung des Ersatzes des Schadens, der dem Erwerber entstanden ist, festzulegen, sofern dieser Ersatz in Anwendung des Effektivitätsgrundsatzes dem erlittenen Schaden angemessen ist (IV C 65 der Schlussanträge vom 02.06.2022). Damit stünde es den Mitgliedstaaten, selbst wenn der Europäische Gerichtshof den Anträgen des Generalanwalts folgen sollte, weiterhin frei, einen Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages wegen einer Verletzung des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts zu verneinen. Ein solcher ist aber Gegenstand der vorliegenden Berufung.
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4. Vor diesem Hintergrund ist für die beantragte Aussetzung des Verfahrens nach § 148 ZPO im Hinblick auf das genannte Verfahren C-100/21 kein Raum.
III.
14
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10, 711 ZPO. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.