Inhalt

VG München, Urteil v. 25.08.2022 – M 17 K 19.861
Titel:

Beanstandung der Ausstrahlung eines Werbespots 

Normenkette:
JMStV § 4 Abs. 2, § 6, § 20 Abs. 1
Leitsätze:
1. Die sachverständigen Äußerungen der KJM können nur erschüttert werden, wenn der Rundfunkveranstalter sie in vergleichbarer Weise in Zweifel ziehen kann. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Werbung ist jede Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs, die im Rundfunk oder als Telemedium entweder gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung oder als Eigenwerbung gesendet wird mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und Verpflichtungen, gegen Entgelt zu fördern. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ob sich Werbung auch an Minderjährige richtet, bestimmt sich objektiv aus der Sicht von Kindern und Jugendlichen. Es ist zu bejahen, wenn sie ein vornehmlich von ihnen konsumiertes Produkt betrifft, in Jugendmedien erscheint oder nach Aufmachung, Sprachstil (zB Duzen) oder Anspielungen auf die Lebenswelt Minderjähriger darauf angelegt ist, sie besonders anzusprechen. (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)
4. Hinsichtlich des Entschließungsermessens gem. § 20 Abs. 1 JMStV handelt es sich um eine gebundene Entscheidung. Lediglich hinsichtlich der unterschiedlichen, denkbaren aufsichtlichen Maßnahmen besteht ein Auswahlermessen. (Rn. 61) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Medienrecht, Beanstandung von Fernsehwerbung zugunsten „...de“, Direkter Kaufappel, der Unerfahrenheit und Leichtgläubigkeit ausnutzt, Schädigungs- und Ausnutzungsverbot, Beanstandung als mildeste aufsichtliche Maßnahme ermessensgerecht, Rundfunkanbieter, Werbung, Beanstandung, Kaufappell, Kinder, Jugendliche, aufsichtliche Maßnahme, Ermessen
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 22.02.2024 – 7 ZB 22.2474
Fundstelle:
BeckRS 2022, 54935

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Klägerin verbreitet als private Rundfunkanbieterin bundesweit das Fernsehspartenprogramm … Sie wendet sich gegen den Bescheid der Beklagten, mit dem die Ausstrahlung eines Werbespots zugunsten „…de“ beanstandet worden ist.
2
Die Klägerin strahlte am ... Mai 2018 um ca. … Uhr einen Werbespot für das Online … „…de“ aus. Der Spot zeigt eine Art Animationsfilm in einer animierten Dschungelwelt mit Wasserfall, in der ein Yeti die Hauptrolle spielt. Der Spot beginnt mit einer schnellen Filmabfolge, in der sich der Yeti zunächst die Hände faltet, mit seinen Füßen jeweils in eine Pflanze tritt, die sich jeweils um den Fuß schlingt, sich einen Gürtel mit einer glänzenden Gürtelschnalle mit dem Buchstaben „W“ umbindet, der Yeti an einer Liane zieht, sich daraufhin drei Wasserräder an einem Wasserfall zu drehen beginnen, die Wasserräder jeweils mit einem Yeti in der Frontalansicht besetzt zum Stehen kommen, zwei Yetis sich abklatschen, eine Vielzahl von Goldmünzen dem Betrachter entgegenfliegen und dann die Goldmünzen dem Betrachter direkt aus einem Handy entgegenkommen. Am unteren linken Bildrand befindet sich ein Kreis, in dem 18+ steht. Im darauf folgenden orangen Standbild befindet sich in der Mitte der Kopf des Yeti, links daneben in einer oberen Zeile „Zahle ein“ und in einer unteren Zeile „10 €“, rechts daneben in einer oberen Zeile „Spiel mit“ und in einer unteren Zeile „50 €“, wobei die Schrift der unteren Zeile jeweils deutlich größer ist. Am unteren Bildrand befindet sich der Schriftzug „…DE“ sowie ein weiterer Text in deutlich kleinerer Schriftgröße. Links hiervon befindet sich ein Kreis, in dem 18+ steht. In einem weiteren, blauen Standbild befindet sich der Schriftzug „…DE“ und etwas kleiner in der nächsten Zeile „Dein mobiles …“. Weiterhin sind einige Symbole zu sehen, die zu erkennen geben, wie sich der Spieler das Spiel auf sein Handy laden kann (App Store), auf welchen Geräten das Spiel gespielt werden kann, ein Qualitätssiegel, das Zeichen der SSL, die Landesfahne von Schleswig-Holstein sowie erneut der Kreis, in dem 18+ steht. Darunter befindet in ein Text in deutlich kleiner Schriftgröße, in dem auf die Teilnahmebedingungen hingewiesen wird. Während der Filmabfolge und der Standbilder ist folgender Kommentar zu hören: „In der wunderbaren …welt von … ist Dein nächster Kick näher als Du denkst. Echtes … – direkt auf Deinem Handy. Heute anmelden und Startbonus sichern. Zahle zehn Euro ein und spiele mit 50. Jetzt bei …de – Dein mobiles …“
3
Nachdem die Medienanstalt Berlin-Brandenburg aufgrund von Zuschauerbeschwerden auf den Werbespot aufmerksam geworden war, erarbeitete sie unter dem Datum 9. Mai 2018 eine Beschlussempfehlung an die Kommission für Jugendmedienschutz (im Folgenden: KJM) wegen eines Verstoßes des Werbespots gegen § 6 Abs. 2 Nr. 1 JMStV und § 6 Abs. 4 JMStV (Bl. 1 ff. d. Behördenakte – BA). Am 15. Mai 2018 empfahl die mit der Angelegenheit befasste Prüfgruppe der KJM wegen der Verstöße gegen den JMStV die Einleitung eines medienrechtlichen Verwaltungsverfahrens gemäß § 20 Abs. 1 und 2 JMStV (Bl. 11 ff. d. BA).
4
Daraufhin hörte die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 3. Juli 2018 unter Verweis auf die Auffassung der Prüfgruppe der KJM sowie unter Hinweis, dass der Werbespot auch nach Auffassung der Beklagten gegen § 6 Abs. 2 Nr. 1 JMStV und § 6 Abs. 4 JMStV verstoße, zum Sachverhalt an und gab Gelegenheit zur Stellungnahme (Bl. 27 ff d. BA).
5
Mit Schreiben vom 26. Juli 2018 erklärte die Klägerin gegenüber der Beklagten, dass die Bewertung des Werbespots in Widerspruch zu der Einschätzung der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (im Folgenden: FSK) stehe, die den Spot – mit dem Motiv „Fisch“, aber nicht wie streitgegenständlich mit dem Motiv „Yeti“ – „ohne Altersbeschränkung“ freigegeben habe (Bl. 37 ff. d. BA). Diese Entscheidung habe eine über alle Medien hinweg durchgreifende Legitimierungswirkung, die von der KJM in jugendschutzrechtlichem Zusammenhang zu beachten sei. Die Werbetreibende Megapixel Entertainment Ltd. von „…de“ habe die Werbefigur eines animierten weißen Yetis einer Neubewertung unterzogen und verzichte nunmehr freiwillig auf diese Motive. Die Klägerin werde das verfahrensgegenständliche Motiv „Yeti“ sowie die nicht verfahrensgegenständlichen Motivvarianten „Fisch“ und „Melone“ nicht mehr zur Ausstrahlung bringen.
6
Die Beklagte erarbeitete unter dem Datum 18. September 2019 eine Beschlussempfehlung an die KJM, wonach festgestellt werde, dass die Klägerin durch die Ausstrahlung gegen § 6 Abs. 2 Nr. 1 JMStV und gegen § 6 Abs. 4 JMStV verstoßen habe (Bl. 73 ff. d. BA). Dies werde medienrechtlich beanstandet.
7
In der Sitzung vom 7. November 2018 machte sich die KJM die Beschlussvorlage der Beklagten zu eigen und fasste den Beschluss, dass die Klägerin durch die Ausstrahlung gegen § 6 Abs. 2 Nr. 1 JMStV und gegen § 6 Abs. 4 JMStV verstoßen habe (Bl. 88 d. BA). Dies werde von der Landeszentrale medienrechtlich beanstandet. Das Argument, die FSK habe einen Spot mit wesentlich inhaltsgleichem Motiv geprüft, trage nicht (Bl. 30 d. Gerichtsakte – GA). Es ergebe sich nicht, dass dieses Angebot auf das Vorliegen von Verstößen i.S.v. § 6 JMStV geprüft worden sei. Eine Prüfung durch eine anerkannte Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle habe darüber hinaus vor einer Ausstrahlung zu erfolgen.
8
Mit Bescheid vom 21. Januar 2019 stellte die Beklagte fest und missbilligte, dass im bundesweit verbreiteten Programm der Klägerin ein Werbespot zugunsten „…de“ entgegen § 6 Abs. 2 Nr. 1 JMStV und § 6 Abs. 4 JMStV ausgestrahlt wurde. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beanstandung auf § 20 Abs. 1 und Abs. 2 JMStV i.V.m. Art. 16 Abs. 1 Satz 1 BayMG beruhe. Es liege zunächst ein Verstoß gegen § 6 Abs. 2 Nr. 1 JMStV vor. Die FSK-Freigabe nach Ausstrahlung stelle kein Verfahrenshindernis dar. Ein direkter Kaufappel ergebe sich aus den Worten „Heute anmelden und Startbonus sichern“, „Zahle 10 € und spiele mit 50 €“ sowie der Nutzung des Imperativs. Die Werbung sei an Kinder und Jugendliche gerichtet. Dies ergebe sich aus der äußert kinderaffinen Gesamtgestaltung, der Verwendung einer kinder- und jugendgerechten Sprache, der comichaften Darstellung, der verniedlichten und überzeichneten Darstellung der Tiere, Pflanzen und Gegenstände sowie der Funktionalisierung der Räder des Glücksspielautomaten als Fahrgeschäft. Die Unerfahrenheit und Leichtgläubigkeit von Kindern und Jugendlichen werde ausgenutzt, da Jugendliche mögliche Folgen von Glücksspiel nicht überblicken könnten. Im Rahmen des § 6 Abs. 4 JMStV bestehe das berechtigte Interesse von Kindern und Jugendlichen, im Geschäftsverkehr nicht irregeführt zu werden und vor potenziell schädlichen Produkten geschützt zu werden. Es liege eine Schädigung vor, da mit einer kinder- und jugendaffinen Werbung ein für Kinder und Jugendliche nicht erlaubtes Angebot beworben werde. Die Beanstandung sei das mildeste aufsichtliche Mittel. Aus der Stellungnahme der Klägerin im Verwaltungsverfahren ergebe sich das Fehlverständnis der Klägerin hinsichtlich der geltenden Rechtslage. Die Beanstandung sei erforderlich, um der Klägerin das Gewicht des Rechtsverstoßes vor Augen zu führen und sie nachdrücklich zur Beachtung der einschlägigen Jugendschutzbestimmungen anzuhalten.
9
Hiergegen hat die Klägerin Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht München erhoben.
10
Sie beantragte,
11
Der Bescheid der Beklagten vom 21. Januar 2019 wird aufgehoben.
12
Zur Begründung der Klage wurde insbesondere ausgeführt, dass die Altersfreigabe der FSK „übernahmefähig“ auf alle Medien und Vertriebswege sei. Im Rahmen des § 6 Abs. 2 und Abs. 4 JMStV sei die Wertung der KJM, anders als bei einer Beurteilung nach § 5 Abs. 1 JMStV, nicht als sachverständige Aussage zu begreifen, die erschüttert werden müsse. Im streitgegenständlichen Fall gehe es um eine reine Rechtsfrage, bei der keine gesellschaftliche und fachfremde Wertungsfrage im Vordergrund stehe. Die Werbung sei nicht an Kinder und Jugendliche gerichtet. Die Verwendung von „Du“ sei auch bei der werblichen Ansprache von Erwachsenen üblich, die Nutzung der ungekürzten Form des Imperativs für Kinder unüblich. Es werde keine typische und gebräuchliche Jugendsprache verwendet. Comichafte Darstellungen seien vermehrt auch in Werbungen zu finden, die sich an Erwachsene richte. Bereits aus der Natur der beworbenen Dienstleistung ergebe sich, dass allein Erwachsene Adressaten des Werbespots seien. Kinder und Jugendliche würden mit Blick auf §§ 4 Abs. 3 und 5 Nr. 1 GlüStV nicht zum potentiellen Kundenkreis von … gehören. Minderjährige sollten nach dem Zweck des § 6 Abs. 2 Nr. 1 JMStV vor Ausnutzung durch direkte Werbeappelle bewahrt werden. Eine solche Gefahr bestehe denklogisch nicht, wenn der Zugang zu diesem Glücksspielangebot rechtlich und tatsächlich ausgeschlossen sei. Schon nach den Kriterien für die Aufsicht im Rundfunk und in den Telemedien der KJM (im Folgenden: KJM-Kriterien) bestehe kein Ausnutzen der Unerfahrenheit und Leichtgläubigkeit von Kindern und Jugendlichen. Es gebe keine unmittelbare Kaufmöglichkeit; Zahlungsmöglichkeiten stünden nur Erwachsenen zu. Die App sei erst ab 17+ freigeben, das Angebot führe eine Altersverifizierung durch. Ein Verstoß gegen § 6 Abs. 4 JMStV liege nicht vor, da die streitgegenständliche Werbung kein interessenschädigendes Verhalten i.S.d. KJM-Kriterien darstelle. Jedenfalls hätte die Beklagte ihr Auswahlermessen dahingehend ausüben müssen, im Ausnahmefall von einer Aufsichtsmaßnahme abzusehen. Nach Anhörung seien die Werbemotive nicht mehr ausgestrahlt worden, damit sei der Sinn und Zweck erfüllt.
13
Die Beklagte beantragte,
14
die Klage abzuweisen.
15
Zur Begründung wurden im Wesentlichen die Ausführungen des streitgegenständlichen Bescheids wiederholt. Eine Privilegierung nach § 20 Abs. 3 Satz 1 JMStV sei nur bei vorheriger Freigabe durch eine anerkannte Einrichtung der Selbstkontrolle möglich. Weiterhin sei die Wertung der KJM als sachverständige Aussage anzusehen und eine Erschütterung im gerichtlichen Verfahren notwendig. Das Angebot einer Spielteilnahme von 10 € sei ein in jeder Hinsicht kinder- und jugendaffiner Betrag, verbunden mit dem Versprechen, für 50 € spielen zu können. Weiterhin habe nicht die Klägerin erklärt, entsprechende Werbung künftig zu unterlassen, sondern nur das werbende Unternehmen. Die Beklagte verwies weiterhin auf das rechtskräftige Urteil des VG Neustadt a.d.W. vom 22.1.2020 – 5 K 532/19.NW (BeckRS 2020, 2255).
16
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 25. August 2022 Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 S. 2 VwGO).

Entscheidungsgründe

17
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 21. Januar 2019 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
I.
18
Rechtsgrundlage für die Beanstandungsverfügung ist § 20 Abs. 1 und 2 JMStV i.V.m. Art. 16 Abs. 1 Satz 1 BayMG.
19
Nach § 20 Abs. 1 JMStV trifft die zuständige Landesmedienanstalt die erforderlichen Maßnahmen gegenüber dem Anbieter, wenn sie feststellt, dass er gegen die Bestimmungen des Jugendmedienschutzstaatsvertrags verstoßen hat. Für Veranstalter von – privatem – Rundfunk trifft gemäß § 20 Abs. 2 JMStV die zuständige Landesmedienanstalt durch die KJM entsprechend den landesrechtlichen Regelungen die jeweilige Entscheidung. Art. 16 Abs. 1 Satz 1 BayMG sieht vor, dass die Landeszentrale gegenüber Anbietern, Betreibern von Kabelanlagen, Netzbetreibern und sonstigen technischen Dienstleistern zur Einhaltung der Vorschriften des Medienstaatsvertrags, des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags, dieses Gesetzes und der nach diesem Gesetz erlassenen Satzungsbestimmungen, Richtlinien und Bescheide die erforderlichen Anordnungen treffen kann.
II.
20
Ein Verfahrenshindernis nach § 20 Abs. 3 Satz 1 JMStV besteht nicht.
21
In § 20 Abs. 3 JMStV kommt das System der sog. „regulierten Selbstregulierung“ zum Ausdruck. Die Feststellung eines Verstoßes gegen § 5 Abs. 1 JMStV durch die KJM bzw. die zuständige Landesmedienanstalt nach § 20 Abs. 1 und 2 JMStV kommt wegen des Zensurverbots in Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG nur nachrangig in Betracht. Tritt die KJM an einen Rundfunkanbieter mit dem Vorwurf heran, er habe gegen Bestimmungen des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags verstoßen, und weist der Veranstalter nach, dass die Sendung vor ihrer Ausstrahlung einer anerkannten Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle im Sinne dieses Staatsvertrags vorgelegen hat und deren Vorgaben beachtet wurden, so sind nach § 20 Abs. 3 Satz 1 JMStV Maßnahmen durch die KJM nur zulässig, wenn die Entscheidung oder die Unterlassung einer Entscheidung der anerkannten Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle die rechtlichen Grenzen des Beurteilungsspielraums überschreitet. Bei nichtvorlagefähigen Sendungen ist nach § 20 Abs. 3 Satz 2 JMStV vor Maßnahmen bei behaupteten Verstößen gegen den Jugendschutz, mit Ausnahme von Verstößen gegen § 4 Abs. 1 JMStV, durch die KJM zunächst die anerkannte Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle, der der Rundfunkveranstalter angeschlossen ist, zu befassen; Satz 1 gilt entsprechend. Nach der Konzeption des Staatsvertrags obliegt somit die Prüfung der Einhaltung der Jugendmedienschutzbestimmungen nach Maßgabe von § 20 Abs. 3 JMStV vorrangig grundsätzlich der nach § 19 JMStV anerkannten Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle, wenn der Rundfunkveranstalter ihr angeschlossen ist. Denn der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag stärkt ausweislich seiner Begründung zu Gunsten der „Anbieter“ die Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle. Den anerkannten Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle (vgl. hierzu § 19 JMStV) wird bei der Prüfung der Einhaltung der Jugendschutzbestimmungen ein Entscheidungsrahmen zugebilligt, der durch die Medienaufsicht nur begrenzt überprüfbar ist. Der Gesetzgeber hat in § 20 Abs. 3 JMStV festgelegt, unter welchen Voraussetzungen die Entscheidung einer Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle von der Aufsicht anzuerkennen ist. Satz 1 betrifft nur die Angebote, die zu einer Vorabkontrolle geeignet sind. Das sind alle Angebote, die mit dem für eine Vorlage erforderlichen zeitlichen Vorlauf vor Ausstrahlung auf einem Trägermedium zur Verfügung stehen und insoweit vorlagefähig sind. Eine nicht live ausgestrahlte Sendung ist nur dann nicht vorlagefähig, wenn zwischen Fertigstellung und Ausstrahlung nach einem objektiven, dem Gedanken des effektiven Jugendmedienschutzes verpflichteten Maßstab keine Zeit mehr für eine Vorlage bei einer anerkannten Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle verbleibt, ohne das Sendekonzept des Veranstalters zu vereiteln (BVerwG, U.v. 31.5.2017 – 6 C 10.15 – juris Rn. 19 ff. m.w.N.; BayVGH, B.v. 1.9.2020 – 7 ZB 18.1183 – juris Rn. 32 ff. m.w.N.)
22
Im streitgegenständlichen Fall entscheidet die KJM allerdings nach eigener Beurteilung und Rechtsauslegung (vgl. BayVGH, B.v. 1.9.2020 – 7 ZB 18.1183 – juris Rn. 33), da die Klägerin ein vorlagefähiges Angebot nicht zum maßgeblichen Zeitpunkt vorgelegt hat. Bei der ausgestrahlten Werbung für „…de“, ein nicht live ausgestrahltes Angebot, handelt es sich ersichtlich um eine vorlagefähige Sendung. Dies wurde auch von der Klagepartei nicht in Frage gestellt. Die von der Klägerin vorgelegten Freigabebescheinigungen der FSK genügen den Anforderungen des § 20 Abs. 3 JMStV nicht. Zum einen handelt es sich um Freigabebescheinigungen vom 21. Juni 2018 bzw. 5. Juli 2018, die zeitlich nach der beanstandeten Ausstrahlung am 6. Mai 2018 liegen. Für eine analoge Anwendung von § 20 Abs. 3 JMStV auf vorlagefähige, aber erst nach Ausstrahlung vorgelegte Sendungen fehlt es an der erforderlichen planwidrigen Regelungslücke (BayVGH, B.v. 1.9.2020 – 7 ZB 18.1183 – juris Rn. 29 ff. m.w.N.). Darüber hinaus bezogen sich die Freigabebescheinigungen des FSK schon nach dem Vortrag der Klagepartei nicht auf das streitgegenständliche Motiv „Yeti“, sondern auf die Motive „Fisch“ und „Ramses“ (vgl. Bl. 71 d. GA)
23
Auf die Frage, ob die Altersfreigabe der FSK „übernahmefähig“ auf alle Medien und Betriebswege ist oder ob eine Beurteilung einer Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle im Rahmen einer Maßnahme wegen eines Verstoßes gegen § 6 JMStV überhaupt beachtlich i.S.v. § 20 Abs. 3 JMStV ist, kommt es nicht an.
III.
24
Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig.
25
1. Das Gericht prüft dabei eigenständig das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 6 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4 JMStV, unabhängig davon, ob die Bewertung der KJM von der Klagepartei erschüttert ist.
26
Nach § 16 Satz 1 JMStV ist die KJM für die abschließende Beurteilung von Angeboten nach diesem Staatsvertrag zuständig. Nach § 17 Abs. 1 Satz 3 und 4 JMStV hat die KJM ihre Beschlüsse, die gegenüber den anderen Organen der zuständigen Landesmedienanstalt bindend und deren Entscheidungen zu Grunde zu legen sind (§ 17 Abs. 1 Satz 5 und 6 JMStV), zu begründen (§ 17 Abs. 1 Satz 3 JMStV).
27
a) Das Bundesverwaltungsgericht hat im Ausgangspunkt entschieden, dass die Annahme eines Verstoßes gegen § 5 JMStV vollständiger gerichtlicher Kontrolle unterliegt. Die KJM als vom Gesetzgeber mit Entscheidungsbefugnissen ausgestattete Stelle wie auch die Fachgerichte haben sich im Bereich des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages innerhalb ihrer Befugnisse mit dem Verhältnis widerstreitender Verfassungsgüter – der Rundfunkfreiheit einerseits und dem Jugendschutz andererseits – zueinander zu befassen und sich Gewissheit über die Eignung entwicklungsbeeinträchtigender Angebote zu verschaffen. Dies hat ebenfalls uneingeschränkter gerichtlicher Kontrolle zu unterliegen (BVerwG, U.v. 31.5.2017 – 6 C 10.15 – juris Rn. 33). Da die KJM die Feststellung eines Verstoßes gegen die Bestimmungen des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages als sachverständiges Gremium trifft, deren Mitglieder nach § 14 Abs. 6 Satz 1 JMStV weisungsunabhängig sind, sind ihren Entscheidungen zugrunde liegenden Wertungen bei ihrer gerichtlichen Überprüfung als sachverständige Aussagen anzusehen. Die sachverständigen Äußerungen der KJM können nur erschüttert werden, wenn der Rundfunkveranstalter sie in vergleichbarer Weise in Zweifel ziehen kann. Hierfür eignen sich grundsätzlich die Stellungnahmen der anerkannten Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle zu den behaupteten Verstößen, weil es sich bei ihnen ebenfalls um Äußerungen eines mit Sachverständigen besetzten, unabhängigen Gremiums handelt (vgl. § 19 Abs. 3 Nr. 1 JMStV) (BVerwG, U.v. 31.5.2017 – 6 C 10.15 – juris Rn. 35 m.w.N.).
28
Diese Auffassung, eine Stellungnahme der KJM sachverständige Äußerung zu begreifen und eine Erschütterung für notwendig zu erachten, teilen zahlreiche Gerichte im Zusammenhang mit Verstößen gegen § 5 JMStV (OVG Berlin-Bbg, B.v. 30.3.2022 – OVG 11 N 58.18 – juris Rn. 10; BayVGH, U.v. 23.2.2011 – 7 BV 09.2512 / 7 BV 09.2513 – juris Rn. 45; VG Hamburg, U.v. 21.8.2013 – 9 K 1879/12 – juris Rn. 41; VG Berlin, U.v. 28.1.2009 – 27 A 61.07 – juris Rn. 37, 41; VG München, U.v. 4.6.2009 – M 17 K 05.5429 – juris Rn. 93; VG Berlin U.v. 9.11.2011 – 27 A 64.07 – juris Rn. 70).
29
b) Im Zusammenhang mit einem Verstoß gegen § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 JMStV vertritt das OVG NW, U.v. 17.6.2015 – 13 A 1072/12 (juris Rn. 61) die Auffassung, dass die Entscheidungen der KJM und deren Begründungen als sachverständige Äußerungen einzuordnen sind. In der Folge prüft das Gericht das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen allerdings voll durch, ohne dass eine Feststellung zur Erschütterung der Bewertung der KJM festgestellt wird. Auch das erkennende Gericht vertritt in einer Entscheidung zu § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 JMStV die Auffassung, dass ein Beurteilungsspielraum der KJM nicht besteht, da die Begriffsbestimmung der Pornografie der des Strafrechts entspricht und schon deshalb nach dem Bestimmtheitsgebot gerichtlich voll überprüfbar sein muss. Insoweit besteht ein grundlegender Unterschied zur Rechtsanwendung bei § 5 JMStV. Das Gericht prüft im Folgenden die Tatbestandsvoraussetzungen durch, ohne ein Erschüttern festgestellt zu haben (VG München, U.v. 12.10.2017 – M 17 K 15.5610 – juris Rn. 57 ff.).
30
c) Auch für das Vorliegen der Voraussetzungen § 6 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4 JMStV ist die Bewertung der KJM nicht als sachverständige Äußerung anzusehen, die erschüttert werden muss, damit das Gericht zur Prüfung befugt ist.
31
Dafür spricht schon der Hintergrund der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts. Das Bundesverwaltungsgericht verweist zur Begründung seiner Annahme, dass die den Entscheidungen der KJM zugrunde liegenden Wertungen bei ihrer gerichtlichen Überprüfung als sachverständige anzusehen sind (BVerwG, U.v. 31.5.2017 – 6 C 10.15 – juris Rn. 35), auf eine Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs. Hierin wird ausgeführt, dass die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts zur Bundesprüfstelle im Zusammenhang mit Indizierungsentscheidungen jugendgefährdender Schriften auf die streitgegenständliche Tätigkeit der KJM beim Vollzug der Bestimmungen des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags übertragen werden. In der zitierten Entscheidung hat das Bundesverwaltungsgericht im Zusammenhang mit § 6 Nr. 2 und 3 des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften (pornographische Schriften; Schriften, die offensichtlich geeignet sind, Kinder oder Jugendliche sittlich schwer zu gefährden) unter Berücksichtigung des Umstands, dass die gesetzlich geregelte Zusammensetzung der Bundesprüfstelle eine Beteiligung derjenigen Kreise an der Indizierungsentscheidung gewährleistet, die für die Beurteilung des jugendgefährdenden Charakters oder der künstlerischen Bedeutung von Schriften wegen ihres praktischen Erfahrungshorizonts besonders qualifiziert und unabhängig sind, angenommen, dass die Feststellungen und Wertungen dieses Gremiums nicht durch „bloßes Gegenvorbringen“ erschüttert werden können. Die der Indizierungsentscheidung zugrundeliegenden Erwägungen der Bundesprüfstelle müssen vielmehr, soweit es um die wertende Einschätzung des Kunstwerks und um die Beurteilung des von ihm ausgehenden schädigenden Einflusses für Jugendliche gehe, als sachverständige Aussagen begriffen werden, die im Verwaltungsprozess wirksam in Frage zu stellen denselben Aufwand erfordert, der notwendig ist, um die Tragfähigkeit fachgutachtlicher Äußerungen zu erschüttern (BayVGH, U.v. 23.3.2011 – 7 BV 09.2512 – juris Rn. 44).
32
Um derartige Beurteilungen geht es bei den hier streitgegenständlichen § 6 Abs. 2 Nr. 1 JMStV bzw. § 6 Abs. 4 JMStV nicht. Auch das VG Neustadt a.d.W., U.v. 22.2.2020 – 5 K 532/19.NW (BeckRS 2020, 2255 Rn. 54), das sich auf OVG NW, U.v. 17.6.2015 – 13 A 1072/12 bezieht, das wie oben dargestellt durchprüft, prüft § 6 Abs. 2 Nr. 1 JMStV bzw. § 6 Abs. 4 JMStV ohne Feststellen einer Erschütterung durch.
33
Im Einklang steht dieses Ergebnis mit der Rechtsprechung des VG Regensburg, U.v. 18.10.2016 – RO 3 K 14.1177 (juris Rn. 100 ff.). Dieses beschäftigt sich unter Ziffer 2.1 mit mehreren Verstößen gegen den JMStV. Unter Ziffer 2.1 wird zunächst auf die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zur Einstufung der Einschätzung der KJM als sachverständige Aussage verwiesen (U.v. 18.10.2016 – RO 3 K 14.1177 – juris Rn. 101). Hinsichtlich des unter Ziffer 2.1.1 dargestellten Verstoßes gegen § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 JMStV stellt das Gericht ausdrücklich fest, dass die Ausführungen der KJM nicht erschüttert worden seien (U.v. 18.10.2016 – RO 3 K 14.1177 – juris Rn. 104). Auch hinsichtlich des unter Ziffer 2.1.2 ausgeführten Verstoßes gegen § 5 Abs. 1 JMStV erkennt das Gericht keine Erschütterung der Ausführungen der KJM (U.v. 18.10.2016 – RO 3 K 14.1177 – juris Rn. 107). Hinsichtlich des unter 2.1.3 diskutierten Verstoßes gegen § 6 Abs. 1 Satz 1 JMStV verweist das Gericht nicht auf eine Stellungnahme der KJM bzw. die notwendige Erschütterung, sondern prüft das Vorliegen von Werbung für indizierte Angebote selbst (U.v. 18.10.2016 – RO 3 K 14.1177 – juris Rn. 108 ff.). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof lehnte den Zulassungsantrag ab (BayVGH, B.v. 12.12.2017 – 7 ZB 16.2346).
34
Auch das VG München prüfte in seinem U.v. 14.12.2017 – M 17 K 16.4916 (juris Rn. 26 ff.) bei einem Verstoß gegen § 6 Abs. 1 JMStV die Tatbestandsvoraussetzungen ohne Verweis auf eine Äußerung der KJM als sachverständige Aussage voll durch.
35
2. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 6 Abs. 2 Nr. 1 JMStV liegen vor.
36
Danach darf Werbung nicht direkte Aufrufe zum Kaufen oder Mieten von Waren oder Dienstleistungen an Kinder oder Jugendliche enthalten, die deren Unerfahrenheit und Leichtgläubigkeit ausnutzen.
37
Die Vorschrift setzt dabei Art. 16 der Richtlinie zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit (89/552/EWG) bzw. Art. 9 Abs. 1 g) der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (2010/13/EU) in Fassung der Richtlinie (EU) 2018/1808 (AVMD-RL) in nationales Recht um (vgl. Schwartmann in Bornemann/Erdemir, Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, 2. Aufl. 2021, § 6 Rn. 22). Nach der Richtlinie darf audiovisuelle kommerzielle Kommunikation nicht zur körperlichen, geistigen oder sittlichen Beeinträchtigung Minderjähriger führen, daher darf sie keine direkten Aufrufe zum Kauf oder zur Miete von Waren oder Dienstleistungen an Minderjährige richten, die deren Unerfahrenheit und Leichtgläubigkeit ausnutzen, Minderjährige nicht unmittelbar dazu anregen, ihre Eltern oder Dritte zum Kauf der beworbenen Waren oder Dienstleistungen zu bewegen, nicht das besondere Vertrauen Minderjähriger zu Eltern, Lehrern und anderen Personen ausnutzen, oder Minderjährige nicht ohne berechtigten Grund in gefährlichen Situationen zeigen.
38
a) Bei dem beanstandeten Werbespot handelt es sich um Werbung.
39
Werbung ist jede Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs, die im Rundfunk oder als Telemedium entweder gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung oder als Eigenwerbung gesendet wird mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und Verpflichtungen, gegen Entgelt zu fördern (Liesching in Liesching, Beck’scher Online-Kommentar JMStV, Stand: 15.12.2021, § 6 Rn. 1; Ladeur in Binder/Vesting, Beck’scher Online-Kommentar zum Rundfunkrecht, 4. Aufl. 2018, § 6 JMStV Rn. 12).
40
Dass diese Voraussetzungen vorliegen, stellt auch die Klagepartei nicht in Abrede.
41
b) Weiterhin enthält die Werbung einen direkten Aufruf zum Kaufen von Waren oder Dienstleistungen.
42
Direkte Kaufappelle sind alle unmittelbaren Aufforderungen zum entgeltlichen Erwerb von Waren oder Dienstleistungen, welche durch Worte, Gesten oder sonstige Darstellungen dem Verbraucher übermittelt werden. Dabei muss der Kauf nicht ausdrücklich appelliert weden (Liesching in Liesching, Beck’scher Online-Kommentar JMStV, Stand: 15.12.2021, § 6 Rn. 14).
43
Die im streitgegenständlichen Werbespot verwendete Formulierung „Heute anmelden und Startbonus sichern. Zahle zehn Euro ein und spiele mit 50.“ stellt eine derartige unmittelbare Aufforderung dar.
44
c) Zudem ist die Werbung an Kinder oder Jugendliche gerichtet.
45
Ob sich Werbung auch an Minderjährige richtet, bestimmt sich objektiv aus der Sicht von Kindern und Jugendlichen. Es ist zu bejahen, wenn sie ein vornehmlich von ihnen konsumiertes Produkt betrifft, in Jugendmedien erscheint oder nach Aufmachung, Sprachstil (z. B. Duzen) oder Anspielungen auf die Lebenswelt Minderjähriger darauf angelegt ist, sie besonders anzusprechen (Altenhain in Roßnagel, Beck’scher Kommentar zum Recht der Telemediendienste, 1. Aufl. 2013, § 6 JMStV Rn. 28). Nicht tatbestandsmäßig sind Werbungen, die sich an jedermann richten und Minderjährige lediglich als Reflex der allgemeinen werblichen Ansprache erfassen. § 6 Abs. 2 Nr. 1 ist nur anwendbar, wenn nach dem beworbenen Produkt und der gesamten Art und Weise der Ansprache davon auszugehen ist, dass in erster Linie Kinder oder Jugendliche gezielt angesprochen werden. Die Ausrichtung an Minderjährige kann für sich allein genommen nicht schon aufgrund der mittlerweile auch bei der werblichen Ansprache von Erwachsenen vielfach verwendeten Anrede mit „Du“ angenommen werden. Ebenso wenig tauglich wäre das bloße Vorliegen einer bunten oder comichaften graphischen Gestaltung. Vielmehr ist eine Gesamtbetrachtung der jeweiligen Werbung vorzunehmen (Schwartmann in Bornemann/Erdemir, Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, 2. Aufl. 2021, Rn. 24).
46
Unerheblich für die Frage der Gerichtetheit ist nach den dargestellten Grundsätzen demgegenüber, ob Kinder und Jugendliche das beworbene Produkt (rechtlich) kaufen bzw. mieten können.
47
Bei einer Gesamtbetrachtung aus der objektiven Sicht von Kindern und Jugendlichen ist die Werbung an diese gerichtet. Es handelt sich um einen Trick- bzw. Animationsfilm mit einem Fabelwesen (Yeti) als Hauptprotagonisten. Dabei werden sowohl der Yeti als auch die ihn umgebende Pflanzen- und Tierwelt verniedlichend, überzeichnet und vereinfacht dargestellt. Die Gestaltung ist insgesamt kinderaffin, die Filmabfolge (künstlich) bunt. Die Aufmachung erinnert an ein herkömmliches Smartphone-Spiel für Kinder und Jugendliche, sodass Kinder und Jugendliche die Werbung für „…de“ mit einem solchen – ihnen im alltäglichen Umgang vertrauten – assoziieren (vgl. VG Neustadt a.d.W., U.v. 22.1.2020 – 5 K 532/19.NW – BeckRS 2020, 2255 Rn. 61). Die textliche Gestaltung des Spots nimmt die kinder- und jugendbezogene Werbebotschaft nicht nur in der Anrede („Du“) auf, sondern auch mit dem Hinweis auf „Echtes …“, was einen besonderen Reiz auf Kinder und Jugendliche ausüben dürfte (so VG Neustadt a.d.W., U.v. 22.1.2020 – 5 K 532/19.NW – BeckRS 2020, 2255 Rn. 62).
48
Hieran ändert der Einwand der Klagepartei, dass sich aus der Natur der beworbenen Dienstleistung ergebe, dass allein Erwachsene Adressat des Werbespots seien, nichts. Maßgeblich ist nicht der subjektive Wille des Werbetreibenden, sondern – wie dargestellt – die objektive Sicht von Kindern und Jugendlichen. Auch der Hinweis darauf, dass einige der KJM-Kriterien nicht vorlägen, führen zu keiner anderen Bewertung. Es handelt sich hierbei um Kriterien für die Aufsicht im Rundfunk und in den Telemedien verfasst von der KJM selbst. Nach dem Vorwort sollen die Kriterien eine Hilfestellung bei der Aufsicht geben. Sie sollen die Beurteilungsmaßstäbe der KJM nachvollziehbar und transparent machen. Die Funktion als Hilfestellung – und etwa nicht als Festlegung notwendiger Voraussetzung für die Gerichtetheit unabhängig von der Frage der rechtlichen Qualität der Kriterien für das vorliegende Verfahren – wird durch die Einleitungspasse des entsprechenden Abschnitts deutlich („Folgende Merkmale sprechen dafür, dass sich Werbung an Kinder und Jugendliche richtet“). Die Einschätzung der Klagepartei, dass der Yeti keine Projektions- bzw. Idenfikationsfiguren sei und nicht aus bestehenden Kinderserien oder -filmen stamme, steht der Gerichtetheit demnach nicht entgegensteht. Eine Ausrichtung an Minderjährige ergibt sich aus Sicht des Gerichts jedenfalls aus den von der KJM genannten Kriterien „Verwendung von Stilmitteln aus kinder- und jugendaffinen Medien, wie Wortwahl, kindliche bzw. jugendliche Stimmen, bekannte, einfache (Kinder-)Melodien, bunte Farbgebung“ sowie „Verwendung animierter Trickfiguren mit kindlichem Gesamteindruck“ vor.
49
Auch die Alterskennzeichnung des Werbespots führt nicht dazu, dass Kinder und Jugendliche objektiv aus ihrer Sicht nicht angesprochen werden sollen. Die Alterskennzeichnung mit dem Kreis „18+“ ist zu klein und unauffällig, um diese Wirkung zu entfalten. So ist der Kreis über weite Teil des Spots nur in kleiner Schriftgröße am linken unteren Bildrand in halbtransparenter Aufmachung zu erkennen. Durch die schnelle Bildfolge wird die Aufmerksamkeit auf das Geschehen und nicht auf den halbtransparenten Kreis gezogen. Auch während der Standbilder ist die „18+“ Kennzeichnung nur in kleiner Schriftgröße und weit unten im Bildausschnitt zu erkennen.
50
d) Zuletzt beinhaltet der beanstandete Werbespot einen direkten Kaufaufruf, der die Unerfahrenheit und Leichtgläubigkeit von Kindern und Jugendlichen ausnutzt.
51
Unerfahrenheit ist gegeben, wenn eine Person einen beliebigen Sachverhalt mangels ausreichender Erfahrungen und Kenntnisse (z.B. der rechtlichen Anforderungen und wirtschaftlichen Auswirkungen von Verträgen) nicht adäquat bewerten und einordnen kann, so dass eine angemessene Reaktion erschwert oder gar nicht möglich ist. Leichtgläubigkeit ist anzunehmen, wenn eine Person nicht in der Lage ist, Behauptungen und Aussagen anderer Personen kritisch abzuwägen, zu beurteilen und sich gegebenenfalls von ihnen zu distanzieren. Ein Ausnutzen der Unerfahrenheit und der Leichtgläubigkeit liegt vor, wenn der Werbetreibende diese Umstände nutzt, um Waren oder Dienstleistungen an Kinder und Jugendliche zu verkaufen oder andere Vorteile für sich zu erlangen (z.B. um an Daten für weitergehende Werbemaßnahmen zu gelangen) (Schwartmann in Bornemann/Erdemir, Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, 2. Aufl. 2021, § 6 Rn. 25 unter Bezugnahme auf die KJM-Kriterien). Entscheidend ist, dass die fragliche Werbung darauf abzielt. Dass (zumindest manche) Minderjährige tatsächlich unerfahren oder leichtgläubig sind, muss nicht nachgewiesen werden, sondern wird vom Gesetzgeber unterstellt (Altenhain in Roßnagel, Beck’scher Kommentar zum Recht der Telemediendienste, 1. Aufl. 2013, § 6 JMStV Rn. 30).
52
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Verwechslungsgefahr mit einem herkömmlichen Smartphone-Spiel ist enorm. Zudem können Minderjährige das Angebot des Startbonus „Zahle zehn Euro und spiele mit 50“ mit seinen weiteren Bedingungen – die lediglich sehr klein gedruckt am unteren Bildrand zu sehen bzw. an andere Stelle nachzulesen sind – nicht adäquat bewerten sowie entsprechend einordnen. Nicht durchdringen kann die Klagepartei mit ihrem Argument, dass das KJM-Kriterium der „unmittelbaren Kaufmöglichkeit“ nicht vorläge. Hierbei handelt es sich – ungeachtet der Rechtsnatur der Kriterien – schon um keine zwingende Voraussetzung („können folgende Kriterien herangezogen werden“), vgl. oben Rn. 48. Es ist zudem darauf hinzuweisen, dass aus Sicht des Gerichts das von der Klagepartei nicht angeführte Kriterium der „Verständlichen und erfassbaren Kommunikation der Kosten und Kaufbedingungen“, wie bereits dargelegt, auf den streitgegenständlichen Werbespot zutrifft. Als weiteres Kriterium zur Frage des Ausnutzens der Unerfahrenheit und Leichtgläubigkeit nennt die KJM die Werbung mit Glücksspiel und das Bewerben von glücksspielähnlichen Elementen. Diese Kriterien treffen aus Sicht der Kammer auf den beanstandeten Werbespot zu.
53
Dem Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzung steht nicht entgegen, dass der Werbespot zu einem Online-Spielangebot führt, für das strenge Jugendschutzmaßnahmen greifen (sog. „SofortIdent-Verfahren“), die eine Spielteilnahme von Kindern und Jugendlichen verhindern sollen. Denn die Vorschrift zielt darauf ab, Kinder und Jugendlichen bereits vor besonders offensiven Anpreisungen zu schützen (so auch VG Neustadt a.d.W., U.v. 22.1.2020 – 5 K 532/19.NW – BeckRS 2020, 2255 Rn. 66; Schwartmann in Bornemann/Erdemir, Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, 2. Aufl. 2021, § 6 Rn. 23). Es ist keine Voraussetzung, dass der beworbene Kauf tatsächlich bzw. rechtlich abgeschlossen werden kann. Die Norm ist nicht als „Erfolgstatbestand“ in dem Sinne konzipiert, dass maßgeblich die Möglichkeit des „erfolgreichen Kaufs“ ist, sondern setzt insofern früher an, als dass Minderjährige geschützt werden sollen, den Erfolg überhaupt herbeiführen zu wollen.
54
2. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 6 Abs. 4 JMStV liegen vor.
55
Danach darf Werbung, die sich auch an Kinder oder Jugendliche richtet oder bei der Kinder oder Jugendliche als Darsteller eingesetzt werden, nicht den Interessen von Kindern oder Jugendlichen schaden oder deren Unerfahrenheit ausnutzen.
56
Der streitgegenständliche Werbespot ist (auch) an Kinder oder Jugendliche gerichtet, vgl. oben Rn. 44 ff.
57
Die Interessenschädigung ist im vorliegenden Fall darin zu sehen, dass mit „…de“ ein Glücksspielangebot beworben wird. Bei der Auslegung des Begriffs der Interessenschädigung ist ein umfassendes Verständnis des Jugendschutzanliegens des JMStV im Bereich der Werbung zugrunde zu legen. Eine diesbezügliche Missachtung des glücksspielrechtlichen Jugendschutzes ist als interessenschädigend zu qualifizieren (VG Neustadt a.d.W., U.v. 22.1.2020 – 5 K 532/19.NW – BeckRS 2020, 2255 Rn. 73 f. m.w.N.).
58
Nach § 4 Abs. 3 Satz 2 GlüStV a.F. ist die Teilnahme an öffentlichem Glücksspiel von Minderjährigen unzulässig. § 5 Abs. 2 Satz 1 GlüStV a.F. bestimmt darüber hinaus, dass sich Werbung für öffentliches Glücksspiel nicht an Minderjährige richten darf. Daraus wird deutlich, dass das glücksspielrechtliche Werbeverbot über die unmittelbare Verhinderung der Spielteilnahme von Kindern und Jugendlichen hinausgeht. An Minderjährige gerichtete Werbung ist ungeachtet der ohnehin fehlenden Teilnahmemöglichkeit verboten. Hierbei ist darüber hinaus zu berücksichtigen, dass die Werbewirkung des unmittelbar beworbenen Angebots auf der Internetseite „www. …de“ zugleich die davon profitierenden Angebote auf der Internetseite „www. …com“ erfasst. Bei letzterem handelt es sich um unerlaubtes öffentliches Glücksspiel, das nach § 5 Abs. 5, Abs. 7 GlüStV a.F. nicht beworben werden darf (BGH, U.v. 22.7.2021 – I ZR 194/20 – juris Rn. 48 ff., 55 ff.).
59
Aufgrund der unterschiedlichen Ansatzpunkte von § 6 Abs. 2 Nr. 1 JMStV („Aufmachung der Werbung“) und § 6 Abs. 4 JMStV („Beworbenes Produkt“) durfte die Beklagte im vorliegenden Fall gleichzeitig einen Verstoß gegen beide Vorschriften feststellen.
60
3. Die Ermessensentscheidung der Beklagten ist aus gerichtlicher Sicht nicht zu beanstanden.
61
Hinsichtlich des Entschließungsermessens („trifft … sie die erforderlichen Maßnahmen“, vgl. § 20 Abs. 1 JMStV) handelt es sich um eine gebundene Entscheidung. Lediglich hinsichtlich der unterschiedlichen, denkbaren aufsichtlichen Maßnahmen besteht ein Auswahlermessen (vgl. BVerwG, 22.6.2016 – 6 C 9.15 – juris Rn. 28; VG Augsburg, B.v. 5.9.2019 – Au 7 S 19.1216 – juris Rn. 79; jeweils zu Maßnahmen auf Grundlage von § 38 Abs. 2 RStV). Die Ermessensausübung der Behörde kann vom Gericht nur eingeschränkt dahingehend überprüft werden, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist, § 114 Satz 1 VwGO. Derartige Ermessensfehler liegen hier nicht vor.
62
Der verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit findet auf sämtliche staatliche Eingriffsakte – und insbesondere alle Maßnahmen der Medienaufsicht – Anwendung (OVG NW, U.v. 17.6.2015 – 13 A 1072/12 – juris Rn. 79 m.w.N.).
63
Die Beanstandung als denkbar mildeste aufsichtliche Maßnahme (VG Hamburg, U.v. 21.8.2013 – 9 K 1879 – juris Rn. 45 m.w.N.; Schuler-Harms in Binder/Vesting, BeckOK zum Rundfunkrecht, 4. Aufl. 2018, § 38 RStV Rn. 24) war erforderlich und angemessen. Zwar wurde die streitgegenständliche Werbung nach der Anhörung nicht mehr ausgestrahlt. Auch handelt es sich im Unterschied zu einer – ggf. daneben in Betracht kommenden – Ahndung des Verstoßes nach Straf- oder Ordnungswidrigkeitenvorschriften bei einer medienaufsichtlichen Beanstandung nicht um eine Sanktion früheren verbotswidrigen Verhaltens, sondern um eine an vorangegangenes Tun anknüpfende, aber notwendig zukunftsgerichtete Maßnahme, die den Veranstalter durch Aufzeigen des Verstoßes zu dessen Beseitigung und künftiger Unterlassung anhalten soll (OVG Berlin-Bbg, U.v. 13.11.2014 – OVG 11 B 15.12 – juris Rn. 44). Allerdings reicht es für ein Einschreiten, dass Verstöße in der Vergangenheit bestanden. Hingegen ist nicht erforderlich, dass sie bis in die Gegenwart fortbestehen. Denn Maßnahmen auf der Grundlage des § 20 JMStV verfolgen den Zweck, einem Anbieter sein rechtswidriges Verhalten in der Vergangenheit vor Augen zu führen und für die Zukunft die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen zum Jugendmedienschutz zu sichern (VG Hamburg, U.v. 21.8.2013 – 9 K 1879 – juris Rn. 45 m.w.N.). Auch führt das Vorbringen der Klagepartei im Schreiben vom 26. Juli 2018 (Bl. 40 ff. d. BA) nicht zu einem anderen Ergebnis. Hierin wird ausgeführt, dass die Klagepartei aufgrund der Reaktion des Werbetreibenden darauf vertraue, dass keine aufsichtliche Maßnahme ergehen werde. Diese Einleitung zeigt bereits, dass die Klagepartei ihr Verhalten auf das des Werbetreibenden zurückführt und nicht auf eigenes Umdenken. Dies ergibt sich auch aus dem weiteren Inhalt des Schreibens, dass der Werbetreibende selbst seine Werbung einer Neubewertung unterzogen hat, mit der Folge, dass er freiwillig auf diese Motive verzichte. Der Werbetreibende wolle daher seiner eigenen Erklärung zufolge auch künftig Werbemittel dieser Art nicht mehr im TV zum Einsatz bringen (lassen). Wenn sich die Klagepartei „daher“ freut, mitteilen zu können, dass sie die Motivvarianten „Yeti“, „Fisch“ und „Melone“ nicht mehr zur Ausstrahlung bringen wird, reagiert sie nur auf ihren Werbepartner. Darüber hinaus fehlt es an jedem Vortrag dazu, dass die Klagepartei auf die Ausstrahlung von vergleichbarer Werbung, abseits der Motive „Yeti“, „Fisch“ und „Melone“, verzichten wird.
64
IV.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
65
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.