Titel:
Vertragsstrafe in Höhe von bis zu 5 % der Nettoauftragssumme in Einheitspreisvertrag ist wirksam
Normenkette:
BGB § 307 Abs. 1 S. 1, § 341 Abs. 1
Leitsatz:
Eine klauselmäßige Vertragsstrafenregelung in einem Einheitspreisvertrag, nach der der Auftragnehmer bei Überschreitung der Vollendungsfrist eine Vertragsstrafe zu zahlen hat, die auf 5 Prozent der Nettoauftragssumme begrenzt ist, ist wirksam. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Vertragsstrafe, Klausel, Einheitspreisvertrag, Auftragssumme, unangemessene Benachteiligung, Wirksamkeit, Werkvertrag, Glasfaser, Allgemeine Geschäftsbedingungen, Bezugsgröße
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 15.04.2021 – 8 O 4057/20
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 15.02.2024 – VII ZR 42/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 54928
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 15.04.2021, Az. 8 O 4057/20, aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Berufung, an das Landgericht zurückverwiesen.
2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
3. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Entscheidungsgründe
1
Im Rahmen des Glasfaserkabelausbaus in M. beauftragte die Beklagte bei einer Angebotssumme von rund 5,7 Mio € netto die Klägerin mit etwa 1.583 Hausanschlüssen. Die Leistungen sollten am 18.07.2016 beginnen und am 30.11.2017 fertiggestellt sein. Fertiggestellt waren sie am 08.08.2018, die Abnahme erfolgte am 26.09.2018.
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Die Klägerin begehrt mit der Klage Restwerklohn. Diesen hat die Beklagte vollständig bezahlt mit Ausnahme des hier streitgegenständlichen Betrags, den die Beklagte als Vertragsstrafe in Anspruch nimmt. Die Klägerin bestreitet den Vertragsstrafenanspruch.
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Das Landgericht hat die Klage voll zugesprochen, weil ein Vertragsstrafenanspruch der Beklagten nicht bestehe. Am Ende der Vertragsverhandlungen sei auf Basis des Angebots vom 20.04.2016 der Vertrag geschlossen worden, so dass die nur mit dem ursprünglichen Angebot vom 24.03.2016 verbundene Vertragsstrafenregelung gerade nicht vereinbart worden sei. Außerdem seien unstreitig Nachträge und Vertragsänderungen aus der Sphäre der Beklagten entstanden, so dass jedenfalls der Terminablauf erheblich verändert worden sei und die Vertragsstrafe in Wegfall geraten sei. Außerdem sei die vereinbarte Vertragsstrafenhöhe von maximal 5% der Auftragssumme AGB-widrig, weil der Beklagten kein Schaden durch die Verzögerung entstanden sei.
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Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe im angefochtenen Urteil des Landgerichts München I vom 15.04.2021 Bezug genommen.
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Die Beklagte rügt mit ihrer Berufung, die Argumentation des Landgerichts beruhe durchgehend auf dem Übergehen ihres Vortrags samt Beweisangeboten. Die Vertragsstrafe sei vereinbart worden und verwirkt, insbesondere nicht durch Leistungsänderungen der Beklagten entfallen und auch nicht AGBwidrig. Hilfsweise rechnete die Beklagte nun in 2. Instanz mit Verzögerungsschäden auf.
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Die Beklagte beantragt,
- 1.
-
Die Klage wird unter Aufhebung des am 15.04.2021 verkündeten Urteils des Landgerichts München I (AZ 8 O 4057/20) insgesamt abgewiesen.
- 2.
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Die Klägerin hat die Kosten beider Instanzen zu tragen.
- 3.
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Die Zurückweisung an das Landgericht.
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Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Die Klägerin tritt der Berufung der Beklagten entgegen und verteidigt das Urteil des Landgerichts, die Hilfsaufrechnung sei jedenfalls verspätet.
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Im Übrigen wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und die Hinweise des Senats in der mündlichen Verhandlung vom 14.12.2021 (Bl. 32 d.A.) verwiesen.
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Auf die zulässige Berufung der Beklagten hin war das Endurteil des Landgerichts München I vom 15.04.2021 aufzuheben und zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das Landgericht gemäß § 538 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO zurückzuverweisen.
1. Wirksame Vereinbarung einer Vertragsstrafe:
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Die Historie des Vertragsschlusses ist so zu verstehen, dass die ursprünglich vorgesehene Vertragsstrafe mit vereinbart wurde. Dies ist eine Frage der Auslegung. Bei der Vertragsauslegung hat das Landgericht den rechtzeitigen und entscheidungserheblichen Sachvortrag der Beklagten in den Schriftsätzen vom 18.06.2020, S. 2/5 (Bl. 16/ 19 d.A.), vom 08.02.2021, S. 1/3 (Bl. 39/41) und vom 06.04.2021, S. 2 (Bl. 82 d.A.) zur Vertragshistorie übergangen und sich damit in keiner Weise auseinandergesetzt.
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a) Rechtsfehlerhaft geht das Landgericht davon aus, dass die streitgegenständliche Vertragsstrafenregelung zwischen den Parteien nicht wirksam vereinbart worden ist und daher nicht Inhalt des zwischen den Parteien geschlossenen Werkvertrages war.
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aa) Mit Schreiben der Beklagten vom 16.02.2016 (MEK Anlage 3) wurde die Klägerin zur Abgabe eines Angebots aufgefordert. Den „Angebotsabgabe/Ausschreibungsunterlagen“ beigefügt waren unter anderem als Anlage B-A11 die Besonderen Vertragsbedingungen (BVBVOB), die in Ziffer 1 Regelungen zu den Ausführungsfristen und in Ziffer 2 die streitgegenständliche Vertragsstrafenregelung enthielt. Die BVB-VOB sollte im einzureichenden Angebot der Klägerin als Vertragsbestandteil enthalten sein.
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bb) Dem kam die Klägerin in ihrem Angebot vom 23.03.2016 (Anlage MEK Anlage 4) auch nach, denn unter Ziffer 1.2., 3. Spiegelstrich waren die BVBVOB Gegenstand des Angebots der Klägerin und sollten somit Vertragsbestandteil werden.
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cc) Am 14.04.2016 fand ein Bietergespräch zwischen den Parteien statt. Dieses hatte das von der Klägerin eingereichte Angebot – inklusive der vom Angebot der Klägerin umfassten Besonderen Vertragsbedingungen (BVB-VOB) – zum Inhalt. Dies ergibt sich unter anderem daraus, dass im Bieterprotokoll (MEK Anlage 5) unter Ziffer 2.2. keine sonstigen Änderungen/Ergänzungen der BVB-VOB in den dafür vorgesehenen und zu diesem Zweck freigelassenen Zeilen vorgenommen wurden und es dort abschließend heißt: „Im Übrigen gelten unverändert die mit der Aufforderung zur Angebotsabgabe übergebenen Besonderen Vertragbedingungen (BVB-VOB).“ Unter Ziffer 5 des Bieterprotokolls wurde die Klägerin aufgefordert, bis 21.04.2016/ 12.00 Uhr im verschlossenen Umschlag ein überarbeitetes Angebot einzureichen. dd) Unter Bezugnahme auf dieses Bietergespräch hat die Klägerin mit Schreiben vom 20.04.2016 (Anlage BF 1) der Beklagten ein „aktualisiertes Angebot“ nebst einem siebenseitigen bepreisten Kurz-Leistungsverzeichnis übersandt und zur Erläuterung u.a. angefügt: „Unser Angebot enthält ein Kurzleistungsverzeichnis. Wir bestätigen Ihnen, dass wir das Langtextverzeichnis dazu anerkennen. Es gelten weiterhin die geplanten Projektpartner des Erstangebots, die im Nachunternehmerverzeichnis aufgeführt sind.“
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ee) Auf dieses Angebot reagierte die Beklagte mit Schreiben vom 01.06.2016 (MEK Anlage 1), überschrieben mit „Bestellung“, wie folgt: „Hiermit bestellen wir: Für das Projekt FttB2, Cluster 160 H., die Realisierung der Glasfasererschließung gemäß ihrem Angebot vom 20.04.2016 Los 1). Gewertete Angebotssumme: 5.680.275,54 EUR zuzüglich der gesetzlichen MwSt.“
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b) Entgegen der Annahme des Landgerichts umfasste das Angebot der Klägerin vom 23.03.2016 (MEK Anlage 4), nicht nur die Allgemeinen Vertragsbedingungen für Bauleistungen VOB/B, Ausgabe 2012 (MEK Anlage 4 Ziffer 1.2., 6. Spiegelstrich), sondern gemäß Ziffer 1.2., 3. Spiegelstrich auch die Besonderen Vertragsbedingungen (BVB-VOB), und somit auch die Vertragsstrafenregelung gemäß Ziffer 2 der BVB-VOB. Das Bietergespräch hatte das von der Klägerin eingereichte Angebot vom 23.03.2016 zum Gegenstand, das eben auch die BVBVOB mit der besagten Vertragsstrafenregelung enthielt. Dass die Vertragsstrafe im Bietergespräch am 14.04.2016 ausweislich des Protokolls nicht ausdrücklich erörtert und verhandelt wurde, bedeutet nicht, dass diese damit nicht weiterhin Angebotsinhalt der Klägerin blieb. Vielmehr besagt dies lediglich, dass über deren Vereinbarung und Inhalt zwischen den Parteien Einigkeit bestand und diese auch nicht von der Klägerin nachträglich in Frage gestellt wurde, und zwar weder während der Vertragsverhandlungen noch während der Vertragsdurchführung und auch nicht danach bei Vorbehalt der Vertragsstrafe durch die Beklagte im Jahr 2018.
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c) Sollte das Landgericht, was in den Entscheidungsgründen nicht ausgeführt wird, von einer Ablehnung des Angebots vom 23.03.2016 seitens der Beklagten ausgegangen sein, hätte es den mit Schriftsatz vom 06.04.2021, S. 2 (Bl. 82 d.A.) angebotenen Beweisen nachgehen müssen.
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d) Soweit das Landgericht meint, dass durch das aktualisierte Angebot der Klägerin vom 20.04.2016 das Angebot der Klägerin vom 23.03.2016 gemäß §§ 146, 150 BGB erloschen ist, ist dies unzutreffend und rechtsirrig. Denn weder hatte die Beklagte das Angebot der Klägerin vom 23.03.2016 gemäß §§ 146 ff. BGB abgelehnt, noch ist eine Annahmefrist im Sinne dieser Vorschriften verstrichen. Vielmehr hatte sich die Klägerin gemäß Ziffer 4 des Angebots vom 23.03.20216 (MEK Anlage 4) bis zum Ablauf der Zuschlagsfrist (= Bindefrist) an diese gebunden. Die Klägerin hat ihr Angebot vom 23.03.2016 (MEK Anlage 4) durch ihr Schreiben vom 20.04.2016 (Anlage BF 01) auch nicht etwa zurückgezogen. Bei dem Schreiben vom 20.04.2016 handelt es sich auch nicht um ein neues Angebot, vielmehr wurden hiermit ausschließlich im Nachgang zum Bietergespräch und den darin erfolgten technischen Klärungen einzelne Einheitspreise nochmals geändert und angepasst. Hieran ändert auch die Bezeichnung „aktualisiertes Angebot“ nichts. Denn die Aktualisierung bezog sich einzig auf die Neuermittlung einzelner Einheitspreise, weshalb seitens der Klägerin auch ausdrücklich nur ein Kurz-Leistungsverzeichnis zur neuen Preisangabe übermittelt und auf die erneute Übersendung aller sonstigen Angebotsunterlagen verzichtet wurde. Das Schreiben der Klägerin vom 20.04.2021 stellte daher lediglich eine Ergänzung zum im Übrigen unverändert fortbestehenden Angebot vom 23.03.2016 dar, machte dieses jedoch nicht obsolet. Eine vollständige Ersetzung des bisherigen Angebots vom 23.03.20216 durch das „aktualisierte Angebot“ vom 20.04.2016 war offenkundig nicht gewollt und intendiert, auch nicht von der Klägerin, vielmehr sollten die Modalitäten und normativen Bedingungen des Angebots vom 23.03.2016 (MEK Anlage 4) – ergänzt durch die abgeänderten Einheitspreise – weiterhin Bestand haben und Teil des Gesamtangebots der Klägerin bleiben.
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e) Nicht maßgeblich ist, wie das Landgericht meint, dass das Schreiben der Klägerin vom 20.04.2016 mit dem beigefügten Kurz-LV (Anlage BF 01) keine ausdrückliche Bezugnahme auf Anlagen oder auf die VOB/B enthielt. Entscheidend sind vielmehr der damalige Erklärungswille der Klägerin und vornehmlich das Verständnis nach dem Empfängerhorizont der Beklagten. Weder hat die Klägerin auch nur konkludent darin zum Ausdruck gebracht, sich von ihrem Angebot vom 23.03.2016 und den bisherigen Angebotskonditionen und -inhalten zu lösen, noch konnte dies von der Beklagten so verstanden werden. Für die Beklagte war das Schreiben der Klägerin vom 20.04.2016 mit dem Kurz-LV (Anlage BF 01) im Anschluss an das Bietergespräch vom 14.04.2016 einzig so zu verstehen, dass selbstverständlich alle Ausschreibungsunterlagen, die Gegenstand des Erstangebots der Klägerin vom 23.03.2016 waren, trotz Anpassung einzelner Einheitspreise weiterhin Bestand haben sollten. Der Klägerin sollte nach dem Bietergespräch vom 14.04.2016 lediglich die Möglichkeit zur Angebotskonsolidierung gegeben werden, ohne dass es zur Änderung der übrigen Vertragsmodalitäten kommen sollte. Das Schreiben der Klägerin vom 20.04.2016 ist daher nicht als „neues“ Angebot zu sehen, welches das Angebot vom 23.03.2016 gegenstandslos machte und entfallen ließ, sondern vielmehr als Ergänzung hierzu. Beides zusammen stellt das letztliche Gesamtangebot der Klägerin dar und beinhaltet somit auch die in den BVB-VOB enthaltene Vertragsstrafenregelung.
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f) Entgegen der Auffassung des Landgerichts bezog sich das Auftragsschreiben (Bestellung) der Beklagten vom 01.06.2016 (MEK Anlage 1), auch wenn dieses seinem Wortlaut nach nur auf das Angebot der Klägerin vom 20.04.2016 Bezug nimmt, auch auf das Angebot vom 23.03.2016, das mit dem Schreiben vom 20.04.2016 eine inhaltliche und rechtliche Einheit bildet. Hierfür spricht als Indiz auch, dass das Auftragsschreiben „Aktenzeichen Ausschreibung“ und „Systemnummer“ beinhaltet, auf welche die Klägerin in Kenntnis und Anerkennung der Vertragsbedingungen ihr Angebot abgegeben hat. Das Auftragsschreiben (Bestellung) der Beklagten vom 01.06.2016 kann beim besten Willen nicht so interpretiert werden, dass damit ausschließlich das Schreiben der Beklagten vom 20.04.2016 mit Kurz-LV als separates und aus dem Ausschreibungskontext herausgelöstes Angebot unter Wegfall und Ausschaltung aller in der Ausschreibung vorgegebenen und verhandelten technischen und rechtlichen Vorgaben und Bedingungen beauftragt werden sollte. Auch die Klägerin hat dies nie so verstanden.
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g) Unerheblich ist auch, dass sich aus dem Auftragsschreiben vom 01.06.2016 (MEK Anlage 1) nicht ausdrücklich ergibt, dass die BVB-VOB vollumfänglich einbezogen wurde, weil dort nur auf Ziffer 1.2 der BVB-VOB Bezug genommen wird, da die BVBVOB bereits Inhalt des Angebots der Klägerin vom 23.03.2016 war.
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h) Das Landgericht hat damit nicht lediglich eine andere materiell-rechtliche Rechtsauffassung als die Beklagte vertreten, sondern sich mit der von der Beklagten vorgetragenen – von der eigenen Auffassung des Landgerichts jedoch abweichenden – naheliegenden Interpretation der stattgefundenen Vertragsverhandlungen, wie sie die Beklagte vorgetragen hat, in keiner Weise beschäftigt. Damit ergibt sich, dass das Landgericht das tatsächliche Vorbringen der Beklagten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen hat oder bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat (ständige Rechtsprechung; vgl. BGH, Beschluss vom 13.04.2021 – VI ZR 493/19 – NJW 2021, 1886 – zum Dieselskandal; BayVerfGH vom 08.07.2020 – Vf. 93-VI-19 – juris Rn. 35 m.w.N.). Geht das Gericht etwa auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von wesentlicher Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vorbringens schließen, sofern es nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert war. Dies ist aber nicht der Fall. Die vom Landgericht vorgenommene Vertragsauslegung beruht daher auf einer Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. BGH MDR 2017, 597 Rn. 28).
2. Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Beklagten zur Vertragsdurchführung:
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Zu den Ursachen der Verzögerung gibt es umfangreichen Vortrag der Beklagten mit Beweisangeboten, denen das Landgericht hätte nachgehen müssen, insbesondere zu den Gründen für die Verzögerung und zur Frage, ob überhaupt relevante Leistungsänderungen vorliegen. Dies wäre ggf. auch durch ein Sachverständigengutachten zu klären. Die erforderlichen Beweise hierzu hat das Landgericht nicht erhoben. Vielmehr hat es ein Mitverschulden der Beklagten an der Verzögerung als unstreitig unterstellt und entscheidungserheblichen Sachvortrag der Beklagten mit Worten wie „augenscheinlich“ und „offensichtlich“ übergangen. Die Umstände, die zur Verzögerung geführt haben, bildeten einen wesentlichen Hauptstreitpunkt zwischen den Parteien. Nach Behauptung der Beklagten lag die Ursache allein im schuldhaften Leistungsverzug der Klägerin infolge gänzlich unstrukturierter, schlecht vorbereiteter und unorganisierter Leistungserbringung mit zu geringem Resourceneinsatz und unzureichender Überwachung der eingesetzten Nachunternehmer. Hierzu hat die Beklagte umfangreichen Schriftverkehr (Anlagen MEK 811) vorgelegt und Zeugenbeweis angeboten (Schriftsätze vom 18.06.2020, S. 6/11, Bl. 20/25; vom 08.02.2021, S. 6, Bl. 43 d.A.). Relevante Planänderungen habe es nicht gegeben oder diese seien von Beginn an einzuplanen gewesen.
3. Keine Unwirksamkeit der Vertragsstrafenregelung nach § 307 BGB:
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Nichts spricht für eine AGB-Widrigkeit der Vertragsstrafenregelung. Weder ist ein Verzögerungsschaden der Beklagten Voraussetzung, noch ist die Vertragsstrafenhöhe von maximal 5% AGBwidrig, weil sie auf die Angebotssumme bezogen werden durfte. Den Parteien steht es frei, die Bezugsgröße der Vertragsstrafe zu bestimmen. Das kann z.B. in der Weise geschehen, dass auf die Auftragssumme, also auf die vor Ausführung des Auftrags vereinbarte Vergütung, oder auf die Schlussrechnungssumme Bezug genommen wird (vgl. Werner/Pastor, Der Bauprozess, 17. Aufl. 2020, Kapitel 11, S. 1771, Rz. 2573). Keinesfalls ergibt sich daraus die Verpflichtung, die Vertragsstrafenregelung auf die spätere und bei Vereinbarung der Vertragsstrafe noch nicht feststehende Abrechnungssumme zu beziehen. Auch bei einem Einheitspreisvertrag gilt dies nicht. Vielmehr besteht ein praktisches Bedürfnis dafür, die Vertragsstrafenhöhe von maximal 5% auf die Angebotssumme beziehen zu dürfen, da allein diese zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bei einem Einheitspreisvertrag sicher feststeht. Denn andernfalls besteht bei Vereinbarung der späteren Abrechnungssumme als Bezugsgröße die Gefahr, dass eine derartige Regelung unklar ist, weil sie Auslegungsspielräume zu der Frage eröffnet, was zur späteren Abrechnungssumme gehört. Eine solche Regelung würde sich einer höheren Gefahr einer Unwirksamkeit wegen des Verstoßes gegen das Transparenzgebot aussetzen als die Bezugnahme auf die Auftragssumme. Auch aus der Rechtsprechung des BGH ergibt sich nicht, dass die Bemessungsgrundlage für die Vertragsstrafenregelung und deren maximale Höhe von 5% allein – und sei es auch nur bei einem Einheitspreisvertrag – die spätere Abrechnungssumme sein muss. Entgegen der Auffassung des Landgerichts Kleve im Urteil vom 14.03.2012 – 2 O 272/11 –, BauR 2012, 1285, lässt die hier streitgegenständliche Vertragsstrafenregelung „0,2 v.H. der im Auftragsschreiben genannten Auftragssumme ohne Umsatzsteuer“ nicht „mehrere Deutungen zu“, sondern ist eindeutig bezogen auf die im Auftragsschreiben der Beklagten genannten Angebotssumme von 5.680.275,54 €. Auch die von Jurgeleit diskutierten Beispielfälle für eine Intransparenz (Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, Kompendium des Baurechts, 5. Aufl. 2020, 6. Teil, S. 652 f., Rz. 121) liegen hier nicht vor. Unerheblich ist daher, dass bezogen auf die spätere Abrechnungssumme die Vertragsstrafe 5,77% betragen würde. Denn es darf lediglich 5% der Auftragssumme nicht überschritten werden (BGH, Urteil vom 23.01.2003, VII ZR 210/01, BauR 2003, 870; Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, Kompendium des Baurechts, 5. Aufl. 2020, 6. Teil, S. 654, Rz. 123). Auch eine der Entscheidung des OLG München vom 29.02.2016, Az. 28 U 3609/15, IBR 2019, 308 vergleichbare Konstellation, die zum gänzlichen Entfall der vereinbarten Vertragsstrafe führen könnte, liegt entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht vor.
4. Hilfsaufrechnung der Beklagten mit Verzögerungsschäden:
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Die Hilfsaufrechnung der Beklagten mit Verzögerungsschäden war gemäß § 533 ZPO nicht zulässig und daher in der Berufungsinstanz nicht berücksichtigungsfähig.
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Die Ursachen, die zur Verzögerung der Fertigstellung geführt haben, sind durch das Landgericht in einer umfangreichen Beweisaufnahme zu klären, weshalb der Rechtsstreit zurückzuverweisen war.
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Eine Kostenentscheidung unterbleibt bei Aufhebung und Zurückverweisung nach § 538 Abs. 2 ZPO (Thomas/Putzo, ZPO, 42. Aufl. 2021, § 97 Rz. 9).
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit fußt auf § 708 Nr. 10 ZPO.
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Die Revision war nicht zuzulassen, da kein Zulassungsgrund i.S.d. § 543 Abs. 2 ZPO vorlag. Es handelt sich um eine Vertragsauslegung im Einzelfall auf der Grundlage gefestigter Rechtsprechung.