Inhalt

LG München I, Endurteil v. 13.05.2022 – 43 O 10588/21
Titel:

Unbegründete Provisions- bzw. Honoraransprüche eines Alleinvorstandes neben vereinbartem Dienstlohn

Normenketten:
BGB § 612, § 653f
AktG § 76 Abs. 1, § 78 Abs. 1, § 104 Abs. 4
Leitsätze:
1. Wird das Organ Vorstand für die AG gegen Entgelt tätig, ist der Anstellungsvertrag als Dienstvertrag zu qualifizieren. Bei übervertraglicher Leistungshandlung kann aus § 612 BGB eine Vergütung neben der vertraglich vorgesehenen Vergütung geschuldet sein. Der Dienstverpflichtete hat die Umstände darzulegen und zu beweisen, die eine Leistung nur gegen Entgelt erwarten lassen. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dem Vorstand einer AG obliegen die eigenverantwortliche Geschäftsführung und die Vertretung der Gesellschaft. Der organgebundene Leitungsbereich umfasst die Kernfunktionen der Unternehmensplanung, -koordination und des -controllings, die Besetzung von Führungsstellen sowie die Vornahme von Geschäften mit außergewöhnlichem Charakter oder besonders hohem Risiko. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Provisions- bzw. Honoraransprüche, Alleinvorstand, Anstellungsvertrag, Provisionsvereinbarung, Dienstvertrag, Sondervergütung, Zusatzvergütung, Entgelt, quantitative Mehrleistung
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Endurteil vom 21.02.2024 – 7 U 3629/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 54700

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 76.778,80 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Der Kläger macht gegen die Beklagte Provisions- bzw. Honoraransprüche neben dem vereinbarten Dienstlohn geltend.
2
Der Kläger war von Oktober 2001 bis zum 30.09.2020 Alleinvorstand der Beklagten. Zuletzt bestand zwischen den Parteien ein Dienstvertrag vom 15.07.2017, der durch Dienstvertrag vom 30.09.2019 ersetzt wurde und am 30.09.2020 auslief. Auf Anlagen K 1 und K 2 wird Bezug genommen.
3
Unternehmensgegenstand der Beklagten ist gemäß § 2 Abs. 1 der Satzung die Gründung, der Erwerb, die Verwaltung sowie die Veräußerung von Beteiligungen an Firmen des Bank- und Dienstleistungssektors sowie der Industrie. Der Unternehmensgegenstand erstreckt sich darüber hinaus auf den Erwerb, die Veräußerung sowie die Verwaltung von Beteiligungen aller Art an Handelsgesellschaften im In- und Ausland. Aufsichtsratsvorsitzender war zunächst …, seit 13.02.2018 war dies ….
4
Weil sich der Geschäftsbereich Maschinenbau nicht wie gehofft entwickelte, verhandelten Großaktionäre der Beklagten und der damalige Aufsichtsratsvorsitzende … – zunächst ohne Kenntnis der weiteren Aufsichtsratsmitglieder und des Klägers – ab Mai 2017 mit der US-amerikanischen … über den Verkauf des Konzernbereichs Maschinenbau mit Schwerpunkt Automotive einschließlich der eigengenutzten Betriebsimmobilie. Am 27.07.2017 wurde ein „Agreement on break-up fee and exclusivity“ abgeschlossen, Anfang August 2017 mit der due diligence begonnen. Im August 2017 wurde der Kläger über die Verhandlungen informiert und in diesem Zusammenhang tätig, wobei Inhalt und Umfang der Tätigkeit zwischen den Parteien streitig ist. Unstreitig stellte der Kläger Unterlagen für die „due diligence“-Prüfung zusammen. Nachdem die Verkaufsverhandlungen im Dezember 2017 für gescheitert erklärt worden waren, wurden in einer Besprechung am 24.01.2018 einige Aufsichtsratsmitglieder und in einer Aufsichtsratssitzung vom 06.02.2018 der Aufsichtsrat informiert. Dieser beschloss, die Verhandlungen mit demselben Interessenten mit Nachdruck wieder aufzunehmen mit dem Ziel, einen Kaufvertrag abzuschließen. Hierfür wurde das sogenannte … zusammengestellt, das aus dem Kläger, … und dem externen Berater … bestand.
5
Mit Kaufvertrag vom 31.07.2018 verkaufte die Beklagte ihren Konzernbereich Maschinenbau mit Schwerpunkt Automotive an die …. Voraus ging ein „letter of intent“ vom 26.06.2018.
6
Der externe Berater … wurde für seine Tätigkeit vergütet.
7
In der Aufsichtsratssitzung vom 30.08.2018 befasste sich der Aufsichtsrat unter „TOP 8 Vergütung Sonderprojekte“ mit Überlegungen zur Vergütung von Sonderleistungen für die am Projekt … beteiligten Personen. Auf das Protokoll zur Aufsichtsratssitzung Anlage K 5 wird Bezug genommen.
8
In der Aufsichtsratssitzung vom 12.12.2018 beschloss der Aufsichtsrat, einem Vorschlag des … zuzustimmen, dass eine Vereinbarung über eine Provisionsvergütung von 3 % im Falle eines Verkaufs von Vermögenswerten des Konzerns erarbeitet werde. Auf das Protokoll zur Aufsichtsratssitzung Anlage K 6 wird Bezug genommen.
9
Zur Finanzierung des Kaufpreises hatte die Beklagte der Käuferin der Maschinenbausparte ein Darlehen gewährt. Zur Verbesserung der weiterhin schlechten Liquiditätslage der Beklagten und aus Sorge, dass die Forderung aufgrund der coronabedingt schlechten Entwicklung ausfallen könnte, beschloss der Aufsichtsrat den Verkauf dieser Darlehensforderung. Die Forderung belief sich auf 660.000 € und wurde unter Beteiligung unter anderem des Klägers an die Muttergesellschaft der Käuferin für 594.000 € verkauft.
10
Entgegen § 120 Abs. 2 Nr. 4e) WpHG ist die Hinweisbekanntmachung betreffend den Jahresabschluss für das Jahr 2018 zu spät veröffentlicht worden, was zu einem Bußgeldverfahren gegen die Beklagte führte.
11
Der Kläger stellte der Beklagte mit Rechnung … vom 30.06.2020 ein Honorar für das … Maschinenbau per 31.07.2018“ 46.053,00 in Rechnung auf einer Berechnungsgrundlage von 1,2 % am Gesamterlös von 3.232.000 €.
12
Mit Rechnung … vom 30.06.2020 stellte der Kläger der Beklagten ein Honorar für die … vom 28.05.2020“ 21.205,80 € in Rechnung auf einer Berechnungsgrundlage von 3 % aus 594.000 €.
13
Mit Rechnung … vom 30.06.2020 stellte der Kläger der Beklagten ein Honorar für die … Zusatzleistungen die lt. Vertrag gesondert vergütet werden Zeitraum 01.10.2019-30.06.2020“ 9.520 € in Rechnung für 65 Arbeitsstunden zu je 125 € unter Beifügung einer Anlage, in der tabellarisch die Aktivitäten des Klägers samt Datum und Stundenzahl aufgeführt sind.
14
Der Kläger trägt vor, im Oktober 2017 sei der Markt der … nach und nach weggebrochen, zwei fest eingeplante Großaufträge im Wert von 4,4 Mio € seien verloren gegangen. Im Januar 2018 habe sich herausgestellt, dass die eingeplanten Anzahlungen in Höhe von 1,4 Mio € ausbleiben würden. Deshalb und wegen der entstandenen Beraterkosten in Höhe von 230.000 € habe bis Ende März 2018 die Zahlungsunfähigkeit gedroht, wodurch dem Kläger als Vorstand ein erheblicher zusätzlicher Arbeitsaufwand entstanden sei, den er nicht in Rechnung gestellt habe.
15
Das … sei bei der Aufsichtsratssitzung vom 13.02.2018 ins Leben gerufen worden. Aufsichtsratsmitglieder hätten bei Aufsichtsratssitzungen mehrmals außerhalb des Protokolls und bei anderen Gelegenheiten darüber gesprochen und es sei mehrmals festgelegt worden, dass die Mitglieder des … für ihre Tätigkeit im Zuge des Verkaufs der Konzernsparte Maschinenbau gesondert vergütet werden sollten. Dabei sei eine Sonderzahlung an das Team von 3 % des Gesamtverkaufswertes für angemessen erachtet worden. Dies sei zwischen den Großaktionären … und … abgestimmt worden. Lediglich aus Liquiditätsgründen sollte die Sonderzahlung in Höhe von 3 % erst dann fällig werden, wenn die letzte Kaufpreisrate am 31.12.2020 bezahlt worden sei (S. 11 Schriftsatz vom 25.03.2022). Mit Abschluss des notariellen Kaufvertrags vom 31.07.2018 sei die in Rechnung gestellte Provision auf Basis der mündlichen Vereinbarung fällig geworden (Klageschrift). Die Vereinbarung spiegele sich in den Aufsichtsratssitzungsprotokollen wider. Das protokollarisch festgehaltene Vorhaben, nach einer rechtlich abbildbaren Lösung dieser Vergütung zu suchen, habe sich nur auf die Zahlung an das Aufsichtsratsmitglied … bezogen, nicht auf den Kläger, der nur Vorstand war. Man sei davon ausgegangen, dass die Sonderzahlungen rechtlich zulässig seien.
16
Der Kläger geht davon aus, dass … 1 % Provision zustünden. Der Kläger und … hätten wegen des unterschiedlichen Arbeitseinsatzes untereinander vereinbart, dass dem Kläger 1,2 % und … [xxx]0,8 % Provision zustünden. Damit schulde die Beklagte dem Kläger eine Sondervergütung in Höhe von 1,2 % aus 3.323.000 €, dem Kaufpreis für die … zuzüglich Mehrwertsteuer.
17
Der Anspruch auf Zahlung der Rechnung betreffend die Veräußerung der L. N. ergebe sich aus dem Aufsichtsratsbeschluss vom 12.12.2018 (K6)
18
Der Rechnung … vom 30.06.2020 liege die Interessentensuche für Immobilien in H. und Sondierungsgespräche zugrunde. Der Stundenlohn vom 125 € sei ortsüblich und angemessen.
19
Die Beklagte schulde die geltend gemachte Vergütung aus § 612 BGB, da es sich bei den in Rechnung gestellten Tätigkeiten um solche handele, die im Rahmen der Dienstverträge K 1 und K 2 nicht geschuldet waren.
20
Der Kläger beantragt:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 76.778,80 € nebst 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 27.02.2021 zu bezahlen.
21
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
22
Der Kläger sei nicht außerhalb seiner dienstvertraglichen Pflichten tätig geworden. Eine Vereinbarung über Sonderzahlungen sei nicht zustande gekommen. Die nachträgliche Vereinbarung zusätzlicher Vergütung an den Vorstand sei wegen § 87 Abs. 1 AktG nicht möglich.
23
Hilfsweise rechnet die Beklagte auf mit Schadensersatzansprüchen, die ihr gegen den Kläger zustünden, weil dieser Bußgelder zu verantworten habe, die die BaFin gegen die Beklagte verhängt habe. Er müsse auch für die Rechtsanwaltskosten aufkommen. Der Kläger habe es als Vorstand zu verantworten, dass die Hinweisbekanntmachung betreffend den Jahresabschluss für das Jahr 2018 zu spät veröffentlicht Worden ist.
24
Zur Ergänzung des Parteivortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen Bezug genommen.
25
Das Gericht hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung informatorisch angehört.
26
Die Klägervertreterin hat innerhalb nachgelassener Frist mit Schriftsatz vom 25.03.2022, eingegangen am 25.03.2022, zur Sach- und Rechtslage vorgetragen.

Entscheidungsgründe

27
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Die vom Kläger geltend gemachten Forderungen stehen ihm nicht zu. Auf die Hilfsaufrechnung kommt es nicht an.
A.
28
Die gegen die Beklagte, vertreten durch den Aufsichtsratsvorsitzenden gerichtete Klage ist zulässig, § 112, § 78 Abs. 2 S. 2 AktG.
B.
29
Die Klage ist nicht begründet.
I. Rechnung … vom 30.06.2020 über 46.053,00 €
30
1. Der Kläger kann die geltend gemachte Forderung nicht auf eine Provisionsvereinbarung stützen.
31
Eine Vereinbarung über die Zahlung einer Provision in Höhe von 1,2 % aus 3.232.000 € ist nicht schlüssig dargetan. Das Vorbringen des Klägers dazu kann als wahr unterstellt werden, einer Beweisaufnahme bedarf es nicht.
32
Bekanntermaßen kommt ein Vertrag zustande durch Angebot und Annahme mit übereinstimmendem Inhalt. Das Zustandekommen einer Vereinbarung über die Bezahlung der in Rechnung gestellten Provision ist weder schlüssig dargetan noch sonst ersichtlich.
33
Damit zwischen dem Kläger und der Beklagten der behauptete Vertrag über die Gewährung zusätzlicher Vergütung zustande gekommen ist, muss auf Seiten der Beklagten eine entsprechende Willenserklärung des Aufsichtsrats abgegeben worden sein. Denn der Aufsichtsrat vertritt die Aktiengesellschaft gegenüber dem Vorstand, §§ 84 Abs. 1, 87 Abs. 1, 107 Abs. 3, S. 1 und 2, 112 AktG. Eine entsprechende Willenserklärung des Aufsichtsrats – sei es als Angebot oder als Annahme eines Angebots – ist nicht schlüssig vorgetragen.
34
1.1 Eine schriftliche Erklärung des behaupteten Inhalts gibt es nicht. Eine solche ist insbesondere auch nicht den vorgelegten Aufsichtsratssitzungsprotokollen zu entnehmen. Dem Protokoll vom 30.08.2018 (K5) ist auf Seite 2 unten lediglich zu entnehmen, dass die Überlegung zur Vergütung von Sonderleistungen für die am … beteiligten Personen nochmals vertieft werden soll. Dazu werde … auf der nächsten AR (Aufsichtsratssitzung) einen Vorschlag vorlegen. Eine Willenserklärung des Organs Aufsichtsrat betreffend eine konkrete Vereinbarung liegt damit ganz offensichtlich nicht vor. Auf die Frage, ob die erörterten rechtlichen Bedenken berechtigt waren oder nicht, kommt es dabei nicht an.
35
Dem Protokoll vom 12.12.2018 ist unter TOP 8, in dem die Vergütungsfrage behandelt wurde, zwar immerhin eine Beschlussfassung des Aufsichtsrats zu entnehmen. Der Beschluss hat beinhaltet jedoch nicht eine Willenserklärung, dass den Mitgliedern des … eine Provisionsvergütung bezahlt werde. Vielmehr hat der Beschluss den Inhalt, dass eine Vereinbarung erarbeitet wird, die „die Provisionsvergütung (3 % des Verkaufswertes oder der Wertschöpfung) im Falle eines Verkaufs von Vermögenswerten des Konzerns regelt“. Dass damit eine Willenserklärung über eine Provisionszusage noch nicht verbunden ist, ergibt sich schon daraus, dass unklar bleibt, wer einen Anspruch auf eine Provision von 3 % erhalten soll. Unerwähnt bleibt, welche Personen aufgrund welcher Tätigkeiten einen Provisionsanspruch erhalten sollen. Zudem behauptet nicht einmal der Kläger, dass jede an einem Verkauf beteiligte Person eine Provision in Höhe von 3 % erhalten soll. Damit sind wesentliche Bedingungen (essentialia negotii) des ins Auge gefassten Vertrags noch vollkommen offen. Dies steht dem vom Kläger behaupteten Bindungswillen entgegen. Ein Beschluss des Aufsichtsrats gemäß § 108 Abs. 1 bis 3 AktG über die vom Kläger behauptete Provisionsvereinbarung ist nicht ersichtlich.
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1.2 Auch ein Beschluss des Aufsichtsrats gemäß § 104 Abs. 4 AktG und § 15 der Satzung, also eine Beschlussfassung in schriftlicher, fernmündlicher oder vergleichbarer Form, ist nicht schlüssig dargetan. Der Kläger behauptet eine mündliche Provisionszusage. Dem Vorbringen des Klägers (insbesondere Seite 7 und 8 der Klageschrift, S. 10, 11 im nachgelassenen Schriftsatz) sind lediglich Gespräche zwischen einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern und dem Kläger sowie eine Abstimmung zwischen zwei Großaktionären, die zugleich Aufsichtsratsmitglieder bzw. -vorsitzender waren, zu entnehmen. Eine Willensbildung und -erklärung der Aktiengesellschaft durch das dafür gemäß § 87 AktG zuständige Organ Aufsichtsrat, das sich nach dem Vortrag des Klägers und ausweislich der Protokollköpfe noch aus weiteren Personen zusammensetzt als … und … ist nicht schlüssig vorgetragen.
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2. Zur Begründung seines Anspruchs kann sich der Kläger auch nicht auf § 612 BGB berufen.
38
Der Kläger trägt vor, er habe Leistungen erbracht, zu denen er nicht aufgrund des Vertrags verpflichtet war, so dass er neben dem dienstvertraglich geschuldeten Honorar einen Anspruch auf weitere Zahlung gemäß § 612 BGB habe.
39
Die behaupteten Tätigkeiten des Klägers gingen jedoch nicht über das dienstvertraglich Geschuldete hinaus.
40
2.1 Wird das Organ Vorstand für die AG gegen Entgelt tätig, ist der Anstellungsvertrag als Dienstvertrag zu qualifizieren (MüKoBGB/Spinner, 8. Aufl. 2020, BGB § 611 Rn. 39). Bei übervertraglicher Leistungshandlung kann aus § 612 BGB eine Vergütung neben der vertraglich vorgesehenen Vergütung geschuldet sein. Der Dienstverpflichtete hat die Umstände darzulegen und zu beweisen, die eine Leistung nur gegen Entgelt erwarten lassen (MüKoBGB/Müller-Glöge, 8. Aufl. 2020, BGB § 612 Rn. 38). Mehrleistung liegt stets vor, wenn die Leistung als solche nicht geschuldet ist, da es auf das Abweichen von der vertraglichen Verpflichtung ankommt. Da § 612 BGB die Privatautonomie unterstützen will, ist zu untersuchen, ob die Parteien für diesen Fall der Leistungshandlung eine Vergütungsabrede redlicherweise geschlossen hätten. Wenn der Dienstverpflichtete eine Leistung erbringt, die inhaltlich nicht mit seiner Arbeitsverpflichtung übereinstimmt, sondern eine andere Tätigkeit darstellt, so ist bei Gleichwertigkeit der vorgenommenen Leistung mit der vertraglich geschuldeten Leistung kein weiterer Lohn geschuldet, wenn die Quantität (Arbeitszeit) den vertraglichen Rahmen einhält. Es kommt auf den konkreten Vertrag an (BeckOGK/Maties, 1.3.2022, BGB § 612 Rn. 75-80).
41
2.2. Die Aufgaben des Klägers als Vorstand werden durch den Dienstvertrag bestimmt. Die notarielle Beurkundung des Unternehmensverkaufs, auf den sich der Kläger als Auslöser seines Vergütungsanspruchs stützt, fand am 31.07.2018 statt. Für den Umfang der vom Kläger bis dahin geschuldeten Tätigkeiten ist daher der Dienstvertrag vom 15.07.2017 maßgeblich. Gemäß „§ 1 Aufgaben (1)“ dieses Vertrags führt der Kläger die Geschäfte der AG nach Maßgabe u.a. der Gesetze (2.2.1) und der Satzung (2.2.2). Schließlich enthält der Dienstvertrag samt Anlage noch weitere Bestimmungen, die den Umfang der geschuldeten Tätigkeit regeln (2.2.3).
42
2.2.1 Das Aktiengesetz, auf das der Dienstvertrag Bezug nimmt, liefert den gesetzlichen Rahmen für die Vorstandstätigkeit. Dem Vorstand der AG obliegen die eigenverantwortliche Geschäftsführung und die Vertretung der Gesellschaft, §§ 76 Abs. 1, 78 Abs. 1 AktG. Gemäß § 76 AktG hat der Vorstand unter eigener Verantwortung die Gesellschaft zu leiten. Der organgebundene Leitungsbereich umfasst die Kernfunktionen der Unternehmensplanung, -koordination und des -controllings, die Besetzung von Führungsstellen sowie die Vornahme von Geschäften mit außergewöhnlichem Charakter oder besonders hohem Risiko (MüKoAktG/Spindler, 5. Aufl. 2019, AktG § 76 Rn. 18). Unstreitig war der Kläger Alleinvorstand der Beklagten. Damit war er alleine für die beschriebenen Aufgaben verantwortlich.
43
2.2.2. Nach der Satzung der AG ist Gegenstand des Unternehmens unter anderem die Veräußerung von Beteiligungen an Firmen der Industrie und die Veräußerung von Beteiligungen an Handelsgesellschaften. Der Kläger muss damit als Vorstand damit rechnen, mit solchen Geschäften befasst zu sein. Darunter fällt der Verkauf des Maschinenbaubereichs.
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2.2.3. Gemäß § 1 (1) des Dienstvertrages ist der Kläger insbesondere für den Bereich Finanz- und Rechnungswesen sowie die Berichterstattung der AG und des Konzerns verantwortlich. Er wird im Rahmen dieser Maßgabe ein Aufsichtsratsmandat bei der … wahrnehmen. Er ist nach (2) für externe und auch interne Jahresberichte zuständig und wird der AG seine Arbeitskraft zur Verfügung stellen.
45
Die Anlage vom 01.06.2017 listet teilweise wiederholend, teilweise noch näher ausführend die Tätigkeiten des Vorstands der … auf.
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2.3. Die von dem Kläger behaupteten Tätigkeiten gehen qualitativ nicht über diesen unter 2.2 dargelegten Rahmen hinaus.
47
Die vom Kläger vorgetragenen, auf Seite 2 und 3 des nachgelassenen Schriftsatzes genauer beschriebenen Tätigkeiten fallen qualitativ nach der Überzeugung des Gerichts in seine Aufgaben als Vorstand. Die Financial Due Diligence der … ist geradezu auf die im Dienstvertrag aufgeführten Tätigkeiten zugeschnitten, vgl. die Zuständigkeit gemäß § 1 (1) des Dienstvertrags („insbesondere … für den Bereich Finanz- und Rechnungswesen“), die Verpflichtung zum Erstellen und Präsentieren von Analysen, Kalkulationen und Statistiken (Punkt 7 der Anlage zum Dienstvertrag), das Erstellen von Prognosen für Umsatz und Ergebnis des Konzerns (Punkt 8) und die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat im Maschinenbau (Punkt 12 der Anlage). Der Kläger war zuständig für die Erstellung von Abschlüssen für den Konzern (vgl. Punkte 3 und 5), für die Budgetierung des Konzerns (Punkt 6). Die auf Seite 2 unten vorgetragene Vorschau fällt unter die Punkte 8, 9 und 10 der Anlage zum Dienstvertrag. Dass sich die nicht näher beschriebenen Besprechungen und Emails oder der Simpson Dispute Report auf Bereiche bezogen hätten, die außerhalb seiner Vorstandsaufgaben lagen, ist nicht ersichtlich. Zu seinen Aufgaben als Vorstand, der gemäß Vertrag „insbesondere“ für den Bereich Finanz- und Rechnungswesen zuständig ist, gehört auch die Prüfung von extern durch Wirtschaftsprüfer erstellte Zwischenabschlüsse. Zu seinen Aufgaben gehörte es auch, sich mit Problemen beim … zu befassen.
48
Ein Anspruch wegen qualitativer Mehrleistung ist nicht gegeben.
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2.4. Auch auf eine quantitative Mehrleistung kann sich der Kläger zur Begründung seines zusätzlichen Honoraranspruchs nicht erfolgreich berufen.
50
Sein Anstellungsvertrag sieht kein Stundenhonorar vor. Die Entlohnung des Klägers erfolgt arbeitszeitunabhängig, nämlich pauschal pro Monat. Der Kläger seinerseits schuldet gemäß „§ 1 Aufgaben (2)“ Satz 2, seine Arbeitszeit – und nicht nur einen Teil davon – zur Verfügung zu stellen. Andere berufliche Tätigkeiten darf er ausweislich § 4 (1) nur mit schriftlicher Zustimmung ausüben. Damit ist die Dienstverpflichtung des Klägers quantitativ nicht bestimmt. Auf Mehrarbeit kann er sich daher nicht berufen.
51
Dem Kläger hilft auch nicht sein Vortrag auf Seite 2 und 3 des nachgelassenen Schriftsatzes zu den geleisteten Arbeitsstunden. Danach wandte der Kläger gewöhnlich jährlich 696 Stunden, also 13 h wöchentlich für die AG auf. Für den Zeitraum 02/2018 bis 07/2019, etwa 78 Wochen, trägt er einen Mehraufwand von 592 Stunden vor. Es errechnet sich eine durchschnittliche Mehrarbeit von aufgerundet 7,6 Stunden pro Woche. Daraus ergibt sich eine durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit von 20,6 Stunden. Dass dies so weit über die Verpflichtungen aus dem Dienstvertrag hinausgeht, dass eine zusätzliche Vergütung redlicherweise hätte vereinbart werden müssen, erschließt sich dem Gericht nicht.
52
Dass redlicherweise eine zusätzliche Vergütung für die Tätigkeit des Klägers vereinbart hätte werden müssen, ist aus folgendem zusätzlichen Grund ausgeschlossen: Der Kläger trägt vor, die AG habe sich in einer akuten wirtschaftlichen Krisenlage befunden, da aufgrund des Ausfalls der eingeplanten Anzahlungen und der hohen Beraterkosten bis März 2018 die Zahlungsunfähigkeit gedroht habe. Dies geht auch aus dem Aufsichtsratsprotokoll vom 13.02.2018 hervor. In einer solchen Situation ist Mehrarbeit zur Abwendung der Zahlungsunfähigkeit und anschließenden weiteren Sicherung des Unternehmens aufgrund seiner organschaftlichen Treuepflicht von dem Vorstand zu leisten – erst recht in dem vom Kläger vorgetragenen moderaten zeitlichen Umfang.
53
2.5. Im Ergebnis folgt das Gericht dem Beklagtenvertreter darin, dass vor dem Hintergrund der vom Kläger vorgetragenen wirtschaftlichen Situation eine zusätzliche Entlohnung mit § 87 Abs. 1 AktG im vorliegenden Fall nur schwer vereinbar sein dürfte. Denn der Kläger ist – siehe oben – auch ohne weitere Entlohnung zur Ausfüllung seiner Vorstandsposition dienstvertraglich verpflichtet.
54
3. Der Kläger kann sich nach dem eben Ausgeführten zur Begründung seiner Forderung auch nicht auf §§ 652, 653 Abs. 1 BGB berufen. Denn die Tätigkeiten schuldete er bereits im Rahmen des Dienstvertrages.
II. Rechnung … vom 30.06.2020 über 21.205,80 €
55
Mit dieser Rechnung stellte der Kläger der Beklagten ein Honorar für die … Provision Verkauf … vom 28.05.2020“ in Rechnung.
56
Auch insoweit hat der Kläger keinen Anspruch.
57
Eine Honorar- oder Provisionsvereinbarung ist zwischen den Parteien gerade nicht zustande gekommen, siehe oben.
58
Es gilt das oben Ausgeführte: Die vom Kläger geschilderte Tätigkeit war dienstvertraglich geschuldet, sodass eine zusätzliche Vergütung weder aus § 612 BGB noch aus § 653 f BGB in Betracht kommt. Für den Umfang der geschuldeten Dienste ist hier nicht der Dienstvertrag vom 15.07.2017 (K1), sondern der vom 30.09.2019 (K2) maßgeblich. Der Verkauf der Darlehensforderung gegen die deutsche Tochtergesellschaft an die Muttergesellschaft in der Absicht, Liquidität herzustellen, fällt unter Punkt 1 der Anlage zum Vertrag vom 30.09.2019 – die Führung der Geschäfte.
59
Zwar sieht der Vertrag vom 30.09.2019 abweichend vom vorhergehenden in § 5 (5) vor, dass Tätigkeiten, die nicht in der beigefügten Tätigkeitsbeschreibung aufgelistet sind, wie zum Beispiel die Veräußerung von Vermögenswerten des Konzerns, separat verhandelt und vergütet werden. Diese Regelung findet jedoch keine Anwendung, da die Tätigkeit in der Tätigkeitsbeschreibung enthalten ist.
60
Zudem: Einen Anspruch des Klägers auf eine Vereinbarung über eine Sondervergütung räumt der Dienstvertrag nicht ein. Der Dienstvertrag räumt vielmehr dem Kläger unter bestimmten Bedingungen einen Anspruch auf Verhandlungen mit der Beklagten über eine gesonderte Vergütung ein. Das Ergebnis dieser Verhandlungen ist dienstvertraglich nicht vorgegeben. Dem folgt der Kläger im Ergebnis selbst, indem er seiner nächsten Rechnung … eine ganz andere Berechnung zugrunde legt, nämlich ein Stundenhonorar abrechnet.
III. Rechnung … vom 30.06.2020 über 9.520 €
61
Dieser Rechnung liegt nach dem Vortrag des Klägers zugrunde, dass er im Auftrag des Aufsichtsrats Interessenten für Immobilien in H. suchte und mit diesen Sondierungsgespräche führte.
62
Zur Vereinbarung einer Zusatzvergütung für diese Tätigkeit ist es nicht gekommen.
63
Auch hier gilt das oben ausgeführte: Diese Tätigkeit war bereits dienstvertraglich im Rahmen der Vorstandsaufgaben gemäß Punkt 1 der Anlage zum Vertrag vom 30.09.2019 – Führung der Geschäfte – geschuldet, so dass eine zusätzliche Vergütung aus § 612 BGB nicht in Betracht kommt.
64
Zudem stellt das Finden von Interessenten und das Führen Sondierungsgespräche noch keine Veräußerung von Vermögenswerten des Konzerns dar, so dass auch aus diesem Grund der Anwendungsbereich von § 5 (5) des Dienstvertrags nicht eröffnet ist.
IV.
65
Die Klage ist daher insgesamt unbegründet und mitsamt Nebenforderungen kostenpflichtig abzuweisen.
C.
66
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.