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VG Augsburg, Urteil v. 04.05.2022 – Au 4 K 21.1873
Titel:

Beseitigungsanordnung, fehlende landwirtschaftliche Privilegierung, Pensionspferdehaltung, Entfallen von Vertrauens- oder Bestandsschutz bei wesentlichen Änderungen einer vorhandenen Anlage

Normenketten:
BauGB § 35
BayBO Art. 76 Satz 1
Schlagworte:
Beseitigungsanordnung, fehlende landwirtschaftliche Privilegierung, Pensionspferdehaltung, Entfallen von Vertrauens- oder Bestandsschutz bei wesentlichen Änderungen einer vorhandenen Anlage
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 08.01.2024 – 2 ZB 22.1432
Fundstelle:
BeckRS 2022, 54692

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger als Gesamtschuldner zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

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Die Kläger wenden sich gegen eine Beseitigungsanordnung.
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Sie sind seit 2019 Eigentümer des Grundstücks Flurnummer … der Gemarkung …
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Bei mehreren Baukontrollen in den Jahren 2004 und 2005 stellte der Beklagte fest, dass der Voreigentümer auf dem Grundstück ein Stallgebäude errichtet hatte. Das im Verfahren beteiligte Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (AELF) bestätigte seinerzeit die Privilegierung. Der Beklagte genehmigte mit Bescheid vom 22. September 2005 den Neubau eines landwirtschaftlichen Stalles und mit weiterem Bescheid vom 23. Mai 2008 die Erweiterung des bestehenden Stalles jeweils gem. § 35 Abs. 1 BauGB.
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Der Kläger zu 2 richtete am 30. Oktober 2018 eine formlose Anfrage zur Errichtung eines Pferdefreilaufstalles und Mistlagerplatzes sowie Umnutzung des bestehenden Stalles in eine Futterbergehalle und Maschinenunterstand an den Beklagten. Nach der vom Beklagten hierzu eingeholten Stellungnahme des AELF vom 14. Dezember 2018 handelte es sich nicht um einen landwirtschaftlichen Betrieb. Der Beklagte teilte den Klägern daraufhin mit Schreiben vom 9. Januar 2019 mit, dass die Baumaßnahmen aufgrund fehlender Privilegierung nicht genehmigungsfähig seien.
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Mit E-Mail vom 29. April 2019 informierte das AELF die Kläger u.a. darüber, dass die Anforderungen an ein privilegiertes Vorhaben unter folgenden Voraussetzungen erfüllt seien:
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- überwiegend eigene Futtergrundlage von 0,35 ha/Pferd (Eigentum oder Pachtvertrag über 12 Jahre),
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- arrondierte Weideflächen von 0,15 ha/Pferd (Eigentum oder Pachtvertrag über 12 Jahre) – durch Eigentumsflächen für die geplanten 10 Pferde gegeben, wenn diese tatsächlich als Weide genutzt würden,
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- es werde ein dem Arbeitsumfang und eingesetztem Kapital entsprechender Einkommensbeitrag erzielt – dies sei bei dem ursprünglich vorgelegten Konzept erst ab acht Pensionspferden neben zwei eigenen Pferden und den angegebenen Daten (Pensionspreis 215 Euro brutto, Baukosten max. 56.000 Euro netto) erfüllt.
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Mit Plangeheft vom 29. Januar 2020 beantragten die Kläger die Erteilung einer Baugenehmigung für die Erweiterung eines genehmigungsfreien Stadels und den Bau eines Allwetterauslaufs. Diese hatten die Kläger bereits errichtet.
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Die Kläger teilten dem Beklagten mit E-Mails jeweils vom 22. April 2020 mit, sie hätten in mehreren Gesprächen versichert, dass der Neubau ein privilegiertes Vorhaben sei. Sie hätten beim Landwirtschaftsamt ausdrücklich gefragt, ob es einer weiteren Bestätigung des Beklagten bedürfe, dies sei mündlich verneint und die Privilegierung bestätigt worden. Die Kläger hätten eine landwirtschaftliche Betriebsnummer. Sie hätten 2019 zusätzlich 3,5 ha Grünland erworben und würden jetzt zusammen mit den Pachtflächen insgesamt ca. 7 ha bewirtschaften. Die Anforderungen des AELF aus dem Schreiben vom 29. April 2019 seien damit weit übertroffen. Die Wirtschaftlichkeit des Vorhabens habe sich bezüglich der Kosten nicht verändert, lediglich die Dauer der Genehmigung verhindere, dass sie die notwendigen zusätzlichen Pferde und Schafe aufstellen und somit monatlich die Einnahmen nicht im geplanten und vorgegebenen Umfang generieren könnten. Sie hätten die Fläche bereits seit April 2003 gepachtet und als Pferdebetrieb geführt.
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Das vom Beklagten aufgrund des Bauantrags beteiligte AELF teilte unter dem 23. Juni 2020 mit, dass das Vorliegen eines wirtschaftlichen, landwirtschaftlichen Betriebs nach den bei Betriebsneugründungen geltenden Vorgaben nicht bestätigt werden könne.
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Der Beklagte führte am 15. Juli 2020 eine Baukontrolle durch, die ergab, dass das Stadelgebäude auf dem bestehenden Auslaufplatz errichtet, ein neuer Auslaufplatz angelegt wurde und das Heulager beim Stall als Aufenthaltsraum genutzt wird.
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Mit Schreiben vom 14. September 2020 hörte der Beklagte die Kläger zur Ablehnung des Bauantrags und Erlass einer Beseitigungsanordnung an. Die Kläger ließen mit Schriftsatz ihrer damaligen Bevollmächtigten vom 12. November 2020 zur Genese des Vorhabens und der aus Sicht der Kläger bestehenden Privilegierung vortragen und ein Betriebsdatenblatt zum Nachweis der bewirtschafteten Flächen sowie eine Kostenkalkulation zur Ermittlung der Deckungsbeiträge bei Unterbringung von acht Pferden vorlegen.
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Das AELF nahm mit Schreiben vom 2. Dezember 2020 erneut Stellung und führte u.a. aus, die dem Anwaltsschreiben beigefügte Wirtschaftlichkeitskalkulation sei laut Fachzentrum für Pferdehaltung des AELF … (im Folgenden: Fachzentrum) vollumfänglich mangelhaft zugunsten des Bauwerbers. Die Pferdehaltung sei daher nicht wirtschaftlich sinnvoll. Darüber hinaus sei zu verneinen, dass ein vernünftiger Landwirt ein Gebäude, das als Futterlager und Maschinenstellfläche dienen solle, auf einem bestehenden Auslauf errichte und bei jeder Be- und Entladetätigkeit in den Auslauf der Pferde fahre. In der wirtschaftlichen Gesamtbetrachtung sei es nach Auffassung des Fachzentrums in keiner Konstellation möglich, im vorliegenden Fall einen angemessenen Einkommensbeitrag zu erwirtschaften.
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Mit weiterem Schreiben ihres mittlerweile Bevollmächtigten ließen die Kläger unter dem 19. Februar 2021 erneut zum Vorliegen einer landwirtschaftlichen Privilegierung vortragen und eine Übersicht über die entsprechenden Flächen, Baulichkeiten und Genehmigungen sowie eine Einnahmen-Ausgaben-Kalkulation vorlegen.
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Das Fachzentrum prüfte auch diese Unterlagen und führte unter dem 19. März 2021 u.a. aus, der Kläger zu 2 führe bisher keinen landwirtschaftlichen Betrieb. Seit Dezember 2018 sei durch die neu begonnene Flächenbewirtschaftung eine Beitragszahlung in die Berufsgenossenschaft fällig. Der erste Mehrfachantrag sei 2019 mit 3,52 ha gestellt worden. Eine langjährige landwirtschaftliche Tätigkeit liege nicht vor. Allein durch die Pferdehaltung seit 2003 werde keine Landwirtschaft nach § 201 BauGB begründet.
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Mit Bescheid vom 23. August 2021, zugestellt am 27. August 2021, lehnte der Beklagte den Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung für die Erweiterung des Stadels und den Bau eines Allwetterauslaufs auf dem Grundstück Fl.Nr. … ab (Ziffer I). In Ziffern II bis V wurden die Kläger unter entsprechenden Zwangsgeldandrohungen verpflichtet, die bereits errichteten Anlagen zu beseitigen sowie die Nutzung des Heulagers zu Aufenthaltszwecken im genehmigten Stall untersagt.
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Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, die Voraussetzungen für die Erteilung einer Baugenehmigung seien nicht gegeben. Das AELF habe mitgeteilt, dass kein landwirtschaftlicher Betrieb i.S.d. § 35 Abs. 1 BauGB vorliege. Aufgrund der fehlenden Privilegierung sei das Vorhaben nicht zulässig. Als sonstiges Vorhaben stünden ihm öffentliche Belange entgegen. Es widerspreche den Darstellungen des Flächennutzungsplans und beeinträchtige die natürliche Eigenart der Landschaft und Belange des Naturschutzes. Zudem lasse das Vorhaben die Verfestigung einer Splittersiedlung befürchten.
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Mit Schriftsatz vom 17. September 2021 ließen die Kläger Klage erheben. Sie beantragen,
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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 23. August 2021 zu verpflichten, die Baugenehmigung für die Erweiterung des Stadels und den Bau eines Allwetterauslaufs auf dem Grundstück Fl.Nr. … der Gemarkung … zu erteilen.
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Zur Begründung ließen die Kläger unter dem 6. Januar 2022 insbesondere zur Frage der Privilegierung und zur Gewinnerzielungsabsicht vortragen und eine Wirtschaftlichkeitsberechnung des Bayerischen … übersenden. Vorsorglich wurde darauf hingewiesen, dass öffentliche Belange nicht beeinträchtigt seien. Aufgrund der Privilegierung und der Genehmigungsfähigkeit entfalle die Rechtfertigung hinsichtlich der Beseitigungsanordnung und der Nutzungsuntersagung. Lediglich ergänzend werde hinsichtlich der Beseitigungsanordnung des bestehenden Allwetterauslaufs darauf hinweisen, dass dieser bereits ca. 2008 vom damaligen Verpächter, einem privilegierten Landwirt, gebaut worden sei. Die Beseitigungsanordnung sei unverhältnismäßig.
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Die Klage auf Erteilung der Baugenehmigung wird unter dem Aktenzeichen Au 4 K 21.1869 geführt. Die Klage gegen die Nutzungsuntersagung trägt das Aktenzeichen Au 4 K 21.1875.
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Der Beklagte trat der Klage mit Schriftsatz vom 9. Februar 2022 entgegen. Für ihn ist beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung verwies er u.a. darauf, dass aus Sicht des AELF nach mehrfacher Überprüfung kein landwirtschaftlicher Betrieb, sondern Hobbytierhaltung vorliege. Eine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes könne nicht unter Hinweis auf die Kosten der Beseitigung gerügt werden. Weiterhin sei unerheblich, dass die Anlage seit 2008 bestehe, da eine Anlage nur dann Bestandsschutz genieße, wenn sie seit ihrem Entstehen in irgendeinem Zeitraum dem maßgeblichen materiellen Recht entsprochen habe bzw. förmlich genehmigt sei. Die illegale Errichtung und anschließend lange – nicht genehmigte, aber genehmigungspflichtige – Nutzung begründe keinen Bestandsschutz.
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Die Kläger ließen unter dem 26. April 2022 weiter vortragen und ihr bisheriges Vorbringen ergänzen und vertiefen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die vorgelegten Behördenakten sowie die Gerichtsakten (auch in den Verfahren Au 4 K 21.1869 und Au 4 K 21.1875) und die Niederschrift über die mündliche Verhandlung.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Die in diesem Verfahren streitgegenständlichen Ziffern II (Beseitigungsanordnung) und IV (Zwangsgeldandrohung) des angefochtenen Bescheids sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Nach Art. 76 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde die Beseitigung von Anlagen anordnen, die im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert werden. Die nach Art. 76 Satz 1 BayBO erforderlichen Tatbestandsvoraussetzungen für die Anordnung einer Baubeseitigung liegen vor. Weiter weist die auf dieser Grundlage ausgesprochene Beseitigungsanordnung keine Ermessensfehler auf. Im Einzelnen:
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1. Eine Baugenehmigung für den Stadel und die beiden Allwetterausläufe gibt es nicht. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ist dies allein jedoch nicht ausreichend, eine Baubeseitigung anzuordnen. Dementsprechend setzt der Erlass einer Baubeseitigungsanordnung nach Art. 76 Satz 1 Halbs. 2 BayBO weiter voraus, dass nicht auf andere Weise, insbesondere durch die Erteilung einer Genehmigung, rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Eine nachträgliche Genehmigung scheidet vorliegend jedoch aus. Die von der Beseitigungsanordnung des Beklagten umfassten Anlagen sind nicht genehmigungsfähig, da die von den Klägern betriebene Pensionspferdehaltung nicht landwirtschaftlich privilegiert i.S.d. § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB ist. Insoweit wird auf die Ausführungen im die Ablehnung der Baugenehmigung betreffenden Urteil im Verfahren Au 4 K 21.1869 vom 4. Mai 2022 Bezug genommen.
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2. Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 76 Satz 1 BayBO vor, steht die Anordnung einer Baubeseitigung im Ermessen der Bauaufsichtsbehörde. Der Beklagte hat das ihm im Rahmen des Art. 76 Satz 1 BayBO eingeräumte Ermessen unter Berücksichtigung des nach § 114 Satz 1 VwGO insoweit eingeschränkten gerichtlichen Prüfungsumfanges ordnungsgemäß ausgeübt und das Erhaltungsinteresse der Kläger mit dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der Vorschriften des Baurechts abgewogen. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich. Die Beseitigungsanordnung erweist sich auch unter Berücksichtigung der Gesamtumstände als verhältnismäßig.
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3. Entgegen der Einlassung der Klagepartei kann sich diese auch hinsichtlich des vom Voreigentümer, einem privilegierten Landwirt, errichteten Allwetterauslaufs nicht auf Bestandsschutz berufen. Selbst wenn man unterstellt, dass dieser Allwetterauslauf zu einem früheren Zeitpunkt formell oder zumindest materiell baurechtmäßig gewesen wäre, erstreckt sich der Bestandsschutz nur auf den genehmigten Bestand bzw. die genehmigte bzw. früher materiell rechtmäßige Nutzung. Er erfasst grundsätzlich nicht Bestands- oder Funktionsänderungen, von ihm ist also nur die nach Art und Umfang unveränderte Nutzung gedeckt. Der (passive) Bestandsschutz gewährleistet damit das Recht, das Bauwerk weiterhin so zu unterhalten und zu nutzen, wie es seinerzeit – im Einklang mit dem damals geltenden materiellen Recht oder aufgrund einer entsprechenden Genehmigung – errichtet wurde. Wird ein Bauwerk, das bisher für einen nach § 35 Abs. 1 BauGB im Außenbereich privilegierten Zweck genutzt worden war, für Freizeitzwecke weitergenutzt, so liegt hierin nicht nur eine Nutzungs-, sondern zugleich auch eine Funktionsänderung, die zu einer Entprivilegierung und damit auch zum Verlust des Bestandsschutzes führt (VG München, B.v. 11.5.2020 – M 1 S 19.5839 – juris Rn. 36 m.w.N.).
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Nach diesen Maßstäben besteht auch hinsichtlich des alten Allwetterauslaufs kein Vertrauens- oder Bestandsschutz. Zum einen nutzen die Kläger – anders als der Voreigentümer – das Grundstück einschließlich des vorhandenen Stalles für private Zwecke und nicht im Rahmen einer privilegierten Landwirtschaft. Bereits aus diesem Grund ist eine Entprivilegierung verbunden mit einem Wegfall des Bestandsschutzes eingetreten. Darüber hinaus bewirkt der von den Klägern auf dem alten Allwetterauslauf erstellte Stadel zur Heu- und Maschinenlagerung einen so wesentlichen Eingriff in die Substanz und v.a. die Nutzungsweise dieses Allwetterauslaufs, dass sich der verbleibende Restteil des Allwetterauslaufs als Aliud gegenüber dem früheren Bestand darstellt. Auch insofern wäre ein etwaiger Bestandsschutz erloschen.
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4. Die in Ziffer IV des Bescheids erlassenen Zwangsgeldandrohungen finden ihre Rechtsgrundlage in Art. 29 Abs. 2 Nr. 1, Art. 31 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 36 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 VwZVG und sind ebenfalls rechtmäßig.
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5. Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.