Titel:
Keine sittenwidrige Schädigung des Erwerbers eines BMW-Diesel-Fahrzeugs (hier: BMW 420d)
Normenketten:
BGB § 31, § 826, § 831
ZPO § 296 Abs. 1, § 522 Abs. 2, § 530
Leitsätze:
1. Zu BMW-Diesel-Fällen (vor Erlass der Differenzschaden-Entscheidungen des BGH) vgl. auch BGH BeckRS 2021, 37995; BeckRS 2021, 40856; OLG München BeckRS 2019, 19592; BeckRS 2021, 40857; BeckRS 2021, 54108; BeckRS 2022, 47159; BeckRS 2023, 9804 (sowie die ausführlichen Verweise in den dortigen Rn. 4–5); BeckRS 2023, 9808; BeckRS 2023, 9806; OLG Koblenz BeckRS 2020, 30105; OLG Bremen BeckRS 2020, 31082; OLG Stuttgart BeckRS 2020, 5654; OLG Schleswig BeckRS 2021, 11679; OLG Celle BeckRS 2021, 43494; OLG Saarbrücken BeckRS 2022, 1872. (redaktioneller Leitsatz)
2. Die einer Partei eingeräumte Frist zur Stellungnahme gem. § 522 Abs. 2 S.2 ZPO ermöglicht keine Art "zweite Berufungsbegründung"; erstmals in der Gegenerklärung enthaltene und im Berufungsverfahren neue Angriffsmittel sind deshalb gem. §§ 530, 296 Abs. 1 ZPO zwingend zurückzuweisen. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Umschaltlogik liegt nicht bereits dann vor, wenn die Bedingungen, unter denen das Fahrzeug "sauber" ist, unter Prüfbedingungen – anders als im realen Betrieb durch den Nutzer auf der Straße – stets gegeben sind, wie etwa bei einem auf die im Prüfstand herrschenden Außentemperaturen ausgerichteten Thermofenster. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
4. Von den Messergebnissen eines Motors der Herstellerin kann nicht auf eventuelle Abschalteinrichtungen in einem anderen Motor geschlossen werden. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, BMW, B47, Schadensersatz, unzulässige Abschalteinrichtung, Thermofenster, Kaltstartheizen, Umschaltlogik, Messergebnisse, Gegenerklärung
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 21.05.2021 – 34 O 13050/20
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 30.01.2024 – VIa ZR 623/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 54578
Tenor
1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 21.05.2021, Aktenzeichen 34 O 13050/20, wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klagepartei kann die Vollstreckung durch Sicherheits-leistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 50.000,00 € festgesetzt.
Gründe
1
Die Klagepartei macht gegen die Beklagte Ansprüche im Zusammenhang mit dem sog. Abgas-Skandal geltend.
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Sie erwarb am 21.07.2015 einen BMW 420d, 140 kW, EU6, als Neuwagen mit einem Kilometerstand von 10 km für 54.456,90 € brutto. In dem Fahrzeug ist ein von der Beklagten hergestellter Dieselmotor B47 (Applikation: B47D20O0) verbaut.
3
Die Klagepartei wurde mit Hinweisbeschluss des Senats vom 03.03.2022 darauf hingewiesen, dass und warum der Senat beabsichtigt, ihre Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen. Hierzu hat sie mit Schriftsatz vom 29.03.2022 Stellung genommen.
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Bezüglich der näheren Einzelheiten wird auf den Inhalt des angegriffenen Urteils, die Ausführungen im Hinweisbeschluss des Senats vom 03.03.2022 sowie auf die Schriftsätze der Parteien im Berufungsverfahren verwiesen.
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Die Berufung der Klagepartei ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO im Beschlussweg als unbegründet zurückzuweisen, da der Senat einstimmig davon überzeugt ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats nicht erfordern und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
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Der Senat hält das Urteil des Landgerichts zumindest im Ergebnis für offensichtlich zutreffend. Auf die Hinweise vom 03.03.2022, in denen der Senat im Einzelnen erläutert hat, weshalb er die Berufung bei Abstellen auf die zur „Dieselproblematik“ ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung i.S.v. § 522 Abs. 2 ZPO für unbegründet hält, wird verwiesen.
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1. Voranzustellen ist, dass die Gegenerklärung im Wesentlichen neuen Vortrag enthält. So wird nunmehr erstmals bei näherer Darlegung zum Einsatz der Funktion des Kaltstartheizens vorgetragen. Weiter wird diesbezüglich eine Stellungnahme des Sachverständigen Dr. M. H. vom 09.12.2021 vorgelegt. In der Berufungsbegründung finden sich keine entsprechenden Ausführungen zum Kaltstartheizen noch ist ihr zu entnehmen, dass und welcher Vortrag erstinstanzlich hierzu gehalten worden wäre. Es wird lediglich pauschal hinreichend substantiierter Vortrag der Klagepartei bei Verweis auf zwischenzeitlich in Parallelverfahren ergangene Hinweis- und Beweisbeschlüsse behauptet. Darunter finden sich auch solche zur Funktion des Kaltstartheizens, die sich großenteils auf andere Motoren beziehen. Der bloße Hinweis auf diese Entscheidungen, der jeder Substanz entbehrt, genügte dabei – wie im Hinweisbeschluss ausgeführt – der Darlegungslast der Klagepartei nicht.
8
Der jetzige Vortrag ist mithin unbeachtlich. Die der Klagepartei eingeräumte Frist zur Stellungnahme gemäß § 522 Abs. 2 S.2 ZPO ermöglicht keine Art „zweite Berufungsbegründung“. Die in der Gegenerklärung enthaltenen und im Berufungsverfahren neuen Angriffsmittel sind deshalb schon gemäß §§ 530, 296 Abs. 1 ZPO zwingend zurückzuweisen (vgl. z.B. Thomas/Putzo, ZPO, 36. Aufl. 2015, § 530 Rnr. 4; Rimmelspacher in: Münchener Kommentar zur ZPO, 4. Auflage 2012, § 522 Rnr. 28) und werden zurückgewiesen.
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Deren Zulassung würde die Erledigung des Rechtsstreits, die hier sogleich durch eine Zurückweisung der Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO erfolgen kann, verzögern, sollte diesbezüglich – wie nicht – eine Beweisaufnahme veranlasst sein.
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Die Verspätung wurde auch nicht entschuldigt. Es wird nicht erläutert, weshalb erst jetzt der nunmehr erfolgte Vortrag zur Funktion des Kaltstartheizens möglich gewesen sein sollte. Außerdem erschließt sich nicht, dass und weshalb die Einholung der gutachterlichen Stellungnahme zu dieser Funktion bei der gebotenen gründlichen Aufarbeitung des Prozessstoffes nicht bereits in erster Instanz bzw. jedenfalls innerhalb der Berufungsbegründungsfrist möglich gewesen sein sollte. Der Senat hat daher davon auszugehen, dass die Verspätung des nunmehrigen Vortrags auf Nachlässigkeit beruht, d.h. unentschuldigt ist.
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2. Die Gegenerklärung der Klagepartei vom 01.03.2022 ergab, dessen ungeachtet, keinen Anlass für eine abweichende Beurteilung.
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Für eine deliktische Haftung der Beklagten, insbesondere eine solche gemäß §§ 826, 31 BGB und § 831 BGB ist auch bei Abstellen auf die dortigen Darlegungen kein Raum. Eine Beweisaufnahme ist nicht veranlasst.
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a. Die Ausführungen im Hinweisbeschluss zum Fehlen zureichender Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Prüfstanderkennungssoftware bzw. Umschaltlogik (entsprechend der im VW-Motor EA 189 implementierten) und für das Vorhandensein sonstiger verwaltungsrechtlich unzulässiger streitiger Abschalteinrichtungen besitzen nach wie vor Geltung.
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Die Klagepartei kann sich insoweit auch nicht auf den Beschluss des BGH vom 25.11.2021, III ZR 202/20, berufen.
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Der dortige Kläger hat bezüglich der Abgasrückführung ersichtlich zwei unterschiedliche Betriebsmodi behauptet, je nachdem, ob sich das Fahrzeug im Prüfzyklus oder auf der Straße befindet.
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Hier fehlt schon schlüssiger Vortrag zum Vorhandensein einer entsprechenden Umschaltlogik. Dass die Bedingungen, unter denen das Fahrzeug „sauber“ ist, unter Prüfbedingungen – anders als im realen Betrieb durch den Nutzer auf der Straße – stets gegeben sind, wie etwa bei einem auf die im Prüfstand herrschenden Außentemperaturen ausgerichteten Thermofenster, genügt dafür nicht.
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Auch nach dem erstmaligen Vortrag in der Gegenerklärung zum Kaltstartheizen differenziert diese Funktion nicht gezielt danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand befindet oder nicht. Dementsprechend soll es im Realbetrieb auch nur seltener zum Kaltstartheizen kommen.
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Zudem waren in der zitierten BGH-Entscheidung greifbare Anhaltspunkte vorgetragen worden, die den Verdacht begründeten, das Fahrzeug weise eine unzulässige Abschalteinrichtung auf. Nach den bindenden tatbestandlichen Feststellungen des Berufungsgerichts hatte die Beklagte in dem vom BGH entschiedenen Fall insbesondere nicht in Abrede gestellt, dass die Motorsteuerungssoftware erkennen könne, ob nur die Antriebsachse rotiert, der Lenkradeinschlag nicht mehr als 15 Grad beträgt und Radio sowie Multimedia-Einheit ausgeschaltet sind. In einer Gesamtbetrachtung mit vorgelegten Messergebnissen wurden deshalb dort Anhaltspunkte für eine unzulässige Abschalteinrichtung in Gestalt einer Prüfstanderkennungssoftware bejaht.
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Hier hat sich die Klagepartei bzw. Berufung indessen bereits überwiegend mit Fahrzeugen und Motoren anderer oder unklarer Provenienz befasst.
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Dies gilt auch für das vom Oberlandesgericht Frankfurt am Main erholte Gutachten, mit dem sich der Senat – anders als in der Gegenerklärung behauptet – durchaus auseinandergesetzt hat.
21
Auch bezüglich der angeführten Messungen ist schon kein konkreter Bezug zu dem hier streitgegenständlichen Motor B47 erkennbar und kann nicht einfach von den Messergebnissen irgendeines Motors der Beklagten auf eventuelle Abschalteinrichtungen in einem anderen Motor geschlossen werden. Lediglich bezüglich der ICCT-Messungen sowie einer Messung der DHU wurde, wie im Hinweisbeschluss ausgeführt, behauptet, diese wären am hier verbauten Motor durchgeführt worden. Bezüglich der Messungen der DUH ist bereits nicht nachvollziehbar, unter welchen Bedingungen sie stattfanden. Die Anlage K C2 enthält insoweit zwar in der Aufstellung der im realen Fahrbetrieb gemessenen Fahrzeuge einen BMW 420 d, allerdings mit Erstzulassung 2016 und nicht – wie hier – 2015. Außer der Außentemperatur (1- bis +4 Grad) und dem Messdatum ist der Anlage aber hinsichtlich der Messbedingungen nichts weiteres zu entnehmen; auch ist erkennbar, dass bei den Messungen der dort genannten Fahrzeuge völlig unterschiedliche Temperaturbereiche herrschten (beim BMW 420 d -1 bis 4+ Grad; bei einem BMW 320 d etwa +21 bis +26 Grad). Derartige Messungen zu völlig unterschiedlichen und hauptsächlich unbekannten Bedingungen sind insoweit ohne Aussagekraft für das Vorliegen einer Umschaltlogik in einem konkreten Fahrzeug (vgl. Hinweisbeschluss S. 11, Bl. 639). Bei den ICCT-Messungen wurde danach ein BMW 520d, Baujahr 2015, mit einem Hubraum von 1.995 ccm und der Euro-Norm 6b mit einem Motor der Baureihe B47 getestet (BB S.70). Verwiesen wurde dabei auf eine Anlage K C 10, der indessen weder dies noch die vorgetragenen Messergebnisse zu entnehmen sind. Die aus einem Blatt bestehende, auch in erster Instanz vorgelegte Anlage bezieht sich vielmehr auf Messungen des Department for Transport an einem BMW 320 x mit einem Hubraum von 1.995 ccm. Zureichender Vortrag zu maßgeblichen Grenzwertüberschreitungen fehlt daher vorliegend.
22
Im Übrigen wurde von der Klagepartei bzw. Berufung auf die Darlegungen des Sachverständigen Prof.-Dr. B. verwiesen, der für das Landgericht Hannover, die auch hier herangezogenen Messungen auswerten sollte. Den Grenzwertüberschreitungen ist danach jedenfalls nicht zu entnehmen, dass eine ohnehin nicht schlüssig vorgetragene evident unzulässige Prüfstanderkennungssoftware verbaut worden wäre.
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b. Auch bezüglich des Thermofensters bleibt es bei den Ausführungen im Hinweisbeschluss.
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Anhaltspunkte dafür, dass die für die Beklagte handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung des Thermofensters im Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, hat die Klagepartei bzw. Berufung nicht aufgezeigt.
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Die, deshalb schon nicht zu sekundärer Darlegung verpflichtete, Beklagte hat dies auch nicht eingeräumt.
26
Anlass zur Zulassung der Revision besteht nicht. Die Rechtslage ist bei Verweis auf die im Hinweisbeschluss zitierten höchstrichterlichen Entscheidungen hinreichend geklärt. Basieren im Ergebnis voneinander abweichende Entscheidungen auf unterschiedlichen tatrichterlichen Feststellungen, führt dies nicht zu einer Divergenz i.S.d. Revisionsrechts. Selbst wenn ein Berufungsgericht im Einzelfall trotz identischen Sachverhalts zu einem anderen Ergebnis – z.B. bei der Beurteilung der Frage, ob hinreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung vorgebracht wurden – als ein anderes gleich- oder höherrangiges Gericht gelangt, begründet auch dies für sich allein nicht die Notwendigkeit der Revisionszulassung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Es kommt vielmehr darauf an, ob eine Divergenz in Rechtsfragen oder ein Rechtsfehler mit symptomatischer Bedeutung vorliegt (BGH, Beschluss vom 16.09.2003 – XI ZR 238/02). Beides ist hier nach Einschätzung des Senats nicht ersichtlich.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.