Titel:
Abschalteinrichtung, Sittenwidrigkeit, Deliktsrecht, Unzulässigkeit, Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung, Vorabentscheidungsersuchen, Schlussanträge des Generalanwaltes, Aussetzung des Verfahrens, Berufungsrücknahme, Sachmängel, Selbstbestimmungsrecht, Sachverständigenbeweis, Nationale Verfahrensvorschrift, Sachverständigengutachten, Verrichtungsgehilfen, Ersatzansprüche, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, Schutzgesetzcharakter, Schadensfeststellung, Sekundäre Darlegungslast
Schlagworte:
Schadensersatzansprüche, unzulässige Abschalteinrichtungen, EG-Typzulassung, Rückruf, vorsätzliche sittenwidrige Schädigung, Schutzgesetze, Haftung des Verrichtungsgehilfen
Vorinstanz:
LG Memmingen, Endurteil vom 14.04.2022 – 25 O 1147/21
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 01.12.2022 – 24 U 2878/22
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 30.01.2024 – VIa ZR 1729/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 54303
Tenor
1. Der Antrag des Klägers, das Verfahren gemäß § 148 ZPO bis zur Entscheidung des Rechtsstreits vor dem europäischen Gerichtshof im Verfahren C-100/21 auszusetzen, wird zurückgewiesen.
2. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 14.04.2022, Az. 25 O 1147/21, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen
3. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
Entscheidungsgründe
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Der Kläger macht Schadensersatzansprüche wegen behaupteter unzulässiger Abschalteinrichtungen geltend.
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Der Kläger erwarb gemäß Bestellung vom 16.05.2017 (Anlage K 1) bei der A. L. GmbH das Gebrauchtfahrzeug VW Touareg V8 4,2 TDI EU-5 mit Erstzulassung 11.04.2012 und einem Kilometerstand von 67.900 km zum Kaufpreis von 29.000 €. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten entwickelten und gebauten 4,2-Liter-Dieselmotor ausgestattet, für den eine EGTypzulassung nach der Abgasnorm EU 5 besteht. Unstreitig liegt ein vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) angeordneter Rückruf nicht vor. Zur Zeit der mündlichen Verhandlung vom 21.02.2022 wies das Fahrzeug einen Kilometerstand von 127.401 km auf.
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Das Landgericht Memmingen hat die Klage abgewiesen. Mit der Berufung verfolgt der Kläger seine Schadensersatzansprüche weiter. Er beantragt,
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Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Memmingen vom 14.04.2022, Az.: 25 O 1147/21, wird die Beklagte verurteilt, an die Klagepartei € 22.891,39 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des PKW VW Touareg V8 4,2 TDI Euro 5 mit der FIN …442 am Wohnort der Klagepartei.
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Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des in Ziffer 1 benannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
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Das Verfahren wird gemäß § 148 ZPO bis zu einer Entscheidung in dem Vorabentscheidungsverfahren, anhängig bei dem Gerichtshof der Europäischen Union mit dem Akteneichen C-100/21, ausgesetzt Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
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Zur Begründung seines Aussetzungsantrags stützt sich der Kläger auf das Verfahren C-100/21, in dem der EuGH darüber entscheiden werde, ob die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB wegen Verletzung der Schutzgesetze aus der RL 2007/46/EG begründe. Da das Landgericht festgestellt habe, dass „das Fahrzeug mit einem sogenannten Thermofenster ausgestattet“ sei und weitere Abschalteinrichtungen im Raum stünden, könne die Aussetzung die doppelte Befassung mit derselben Rechtsfrage in verschiedenen Verfahren vermeiden.
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Eine Verpflichtung zur Aussetzung besteht nach gefestigter Rechtsprechung sowohl des Europäischen Gerichtshofs als auch des Bundesgerichtshofs im Falle von Vorabentscheidungsersuchen anderer nationaler Gerichte gerade nicht.
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Der Senat ist nach gefestigter Rechtsprechung nicht bereits deshalb zur Anrufung des EuGH verpflichtet, weil einzelstaatliche Gerichte in Rechtssachen, die der beim Senat anhängigen ähneln und die gleiche Problematik betreffen, dem Gerichtshof eine Frage zur Vorabentscheidung nach Art. 267 Abs. 1 – 3 AEUV vorgelegt haben (vgl. EuGH, Urteil vom 09.09.2015 – C-72/14, C197/14, BeckRS 2015, 81095; BGH, NVwZ-RR 2020, 436 Rn. 51). Ebenso wenig ist der Senat verpflichtet, die Antwort auf diese Frage abzuwarten und das bei ihm rechtshängige Verfahren analog § 148 ZPO auszusetzen (vgl. EuGH, Urteil vom 09.09.2015 – C-72/14, C-197/14, BeckRS 2015, 81095; BGH, NVwZ-RR 2020, 436 Rn. 51).
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Der Bundesgerichtshof hat dies jüngst mit Beschluss vom 14.06.2022, VIII ZR 409/21 für eine Vorlage zum Europäischen Gerichtshof (wiederum durch das Landgericht Ravensburg) zum Verhältnis zwischen Verbraucherkreditlinie und Kilometerleasingverträgen nochmals ausdrücklich bestätigt.
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In Anwendung seines richterlichen Ermessens hält der Senat weiterhin eine Aussetzung des Verfahrens nicht für sachgerecht.
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Selbst wenn entsprechend der in den Schlussanträgen des Generalanwalts R. vom 02.06.2022 (dort Rn. 50 und Rn. 78 Ziff.1) vertretenen Auffassung davon ausgegangen würde, die RL 2007/46/EG solle (auch) das Interesse des individuellen Erwerber seines Kraftfahrzeugs schützen, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, handelt es sich bei den zur Umsetzung der Richtlinie erlassenen §§ 6 und 27 EGFGV nicht um Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB.
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Der VO (EG) Nummer 715/2007, die unmittelbar anwendbar ist, misst selbst der Generalanwalt keine Schutzwirkung zugunsten von Vermögensinteressen von Fahrzeugerwerbern zu.
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Bereits das bestehende deutsche Vertrags- und Deliktsrecht hält zahlreiche – abgestufte – Instrumente bereit, die hinreichend wirksam das Interesse eines Erwerbers schützen, nicht ein mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattetes Fahrzeug zu erwerben und zugleich auch einen erheblichen Anreiz für die Hersteller von Motoren bedingen, unionsrechtliche Vorschriften einzuhalten. Vor diesem Hintergrund bedarf es in der deutschen Rechtsordnung über die bestehenden Institute des Vertrags- und Deliktsrechts hinaus nicht der Einordnung der Vorschriften der EG-FGV als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, um das Interesse der Käufer von Fahrzeugen, die mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet sind, angemessen zu schützen (im gleichen Sinne OLG Stuttgart, Urteil vom 28.06.2022, 24 U 115/22, Seite 27 ff; dort auch eingehend zu entstehenden nicht hinnehmbaren Wertungswidersprüchen, wollte man den Bestimmungen der §§ 6 und 27 EG-FGV Schutzgesetzcharakter im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB beimessen).
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Soweit das im Verfahren C-100/21 vorlegende Landgericht Ravensburg hierzu eine abweichende Auffassung (insbes. hinsichtlich des Erfordernisses einer Herstellerhaftung bereits für fahrlässiges Verhalten) vertritt, ist als Beleg für den gegenteiligen Befund darauf zu verweisen, dass in den vergangenen Jahren hunderttausende Käufer von Dieselfahrzeugen (nicht zuletzt der Kläger selbst wegen eines Skoda Yeti 2.0 TDI, vgl. Urteil des Senats vom 28.04.2022, Az. 24 U 370/21) erfolgreiche, auf unzulässige Abschalteinrichtungen gestützte Klagen gegen unterschiedliche Hersteller von Pkw und darin eingesetzten Dieselmotoren geführt haben.
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Im Übrigen erkennt der Senat auch keine unmittelbaren Wirkungen für anhängige Verfahren, soweit es in den Schlussanträgen des Generalanwalts unter Ziffer 57 wörtlich lautet:
„Im Einklang mit dem Effektivitätsgrundsatz ist es Sache dieses Gerichts (gemeint ist das vorlegende Gericht) zu prüfen, ob die in § 826 BGB vorgesehenen Voraussetzungen die Ausübung des Ersatzanspruchs, der dem Erwerber eines Fahrzeugs nach der RL 2007/46 zusteht, praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren können. Wenn ja, wären diese nationalen Verfahrensvorschriften nicht mit dem Unionsrecht vereinbar.“ (Hervorhebung durch den Senat)
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Da die Umsetzung einer Richtlinie in nationales Recht infrage steht, dürfte selbst bei – unterstellten – Defiziten zuvörderst der nationale Gesetzgeber gefordert sein, soweit nicht im Auslegungswege abgeholfen werden kann, was hier vom Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung hinsichtlich der Regelungen der EG-FGV mit Recht verneint wird.
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Der Senat ist einstimmig der Auffassung, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung ist nicht geboten.
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Zu Recht hat das Landgericht Memmingen Schadensersatzansprüche verneint. Solche ergeben sich insbesondere nicht aus §§ 826, 31 BGB, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB, §§ 823 Abs. 2, 31 BGB i.V.m. §§ 6, 27 EG-FGV.
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1. Die Anspruchsvoraussetzungen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung gem. § 826 BGB wurden vom Kläger nicht hinreichend vorgetragen. Aus diesem Grund war die Einholung von Sachverständigengutachten oder die Vernehmung von Zeugen nicht erforderlich.
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Der Kläger hat vorgetragen, die Beklagte habe im streitgegenständlichen Motor eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters verbaut, so dass die Grenzwerte nur auf dem Prüfstand, nicht aber auf der Straße eingehalten würden. Die unzulässigen Abschalteinrichtungen seien dieselben wie beim Porsche Cayenne S Diesel 4,2 Euro 5, in dem derselbe Motor verbaut sei; diesen habe das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) wegen einer zu engen Bedatung zurückgerufen. Unstreitig besteht für den streitgegenständlichen VW Touareg VW Touareg V8 4,2 TDI EU-5 kein vom KBA angeordneter Rückruf.
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a) Der Vortrag zu den behaupteten unzulässigen Abschalteinrichtungen wird nicht hinreichend belegt. Aus der „Freiwilligen Service-Maßnahme“, die VW für das Fahrzeug anbietet, folgt gerade nicht, dass das KBA eine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt hat. Auf der Homepage des KBA unter www.kba-online.de ist weder für den streitgegenständlichen VW Touareg noch für den Portsche Cayenne des Baujahrs 2012 ein verpflichtender Rückruf verzeichnet.
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b) Selbst wenn eine unzulässige Abschalteinrichtung eingebaut wäre, genügte dies nicht zur Feststellung der Voraussetzungen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung.
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Der Senat verweist zunächst auf die Beschlüsse des Bundesgerichtshofs vom 19.01.2021 (VI ZR 433/19 ‒ juris Rn. 13 bis 19), vom 09.03.2021 (VI ZR 889/20 ‒ juris Rn. 27 f.), vom 29.09.2021 (VII ZR 126/21 – BeckRS 2021 33038 Rn. 18) und die Urteile vom 16.09.2021 (VII ZR 190/20, 286/20, 321/20 und 322/20). Danach wäre Voraussetzung für ein sittenwidriges Handeln und damit für einen Anspruch des Klägers aus § 826 BGB, dass die Beklagte in Fahrzeugen des vom Kläger erworbenen Typs eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut und diesen Umstand dem KBA als für die Typgenehmigung zuständiger Behörde verschwiegen hat, um sich die begehrte Typgenehmigung zu erschleichen. Selbst wenn die Beklagte also in den Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs eine nach Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 unzulässige Abschalteinrichtung eingebaut haben sollte, genügte dies nicht dafür, dass die Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 826 BGB bestehen. Das Verhalten der für einen Kraftfahrzeughersteller handelnden Personen ist nicht bereits deshalb als sittenwidrig zu qualifizieren, weil sie einen Fahrzeugtyp aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems („Thermofenster“) ausgestattet und in den Verkehr gebracht haben. Dies gilt auch dann, wenn mit der Entwicklung und dem Einsatz dieser Steuerung eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinn erstrebt war. Der Vorwurf der Sittenwidrigkeit wäre nur gerechtfertigt, wenn weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Die Annahme objektiver Sittenwidrigkeit setzt jedenfalls voraus, dass die handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Für diese Voraussetzung trägt nach den allgemeinen Grundsätzen der Kläger als Anspruchsteller die Beweislast. Solche Umstände hat der Kläger, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, nicht hinreichend substantiiert vorgetragen, so dass auch die Grundsätze für das Eingreifen einer sekundären Darlegungslast seitens der Beklagten nicht gegeben sind.
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c) Im Gegenteil spricht der Umstand, dass das streitgegenständliche Fahrzeug keinem amtlichen Rückruf unterliegt, eher dafür, dass das KBA bei seinen Untersuchungen und Prüfungen nicht zu der Auffassung gelangt ist, dass ihm für die Typzulassung relevante Umstände nicht mitgeteilt worden sind.
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d) Das Fehlen eines Rückrufbescheids ist insbesondere auch hinsichtlich einer etwaigen Schadensfeststellung und der Feststellung eines etwaigen Schädigungsvorsatzes auf Seiten der Beklagten von Bedeutung. Der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München hat dazu in seinem Urteil vom 14.04.2021 (15 U 3584/20 ‒ juris Rn. 79 bis 81), eine vergleichbare Fallkonstellation betreffend, aus Sicht des Senats im Kern zutreffend ausgeführt wie folgt:
„Im Übrigen liegt auch kein Schaden vor […] Diesen hat der BGH in den EA189-Verfahren maßgeblich auf die drohende Betriebsbeschränkung oder -untersagung aufgrund des KBA-Rückrufbescheids gestützt. Abgestellt wurde darauf, dass das Fahrzeug im Zeitpunkt des Erwerbs für die Zwecke des Käufers nicht voll brauchbar gewesen sei, weil es einen verdeckten Sachmangel aufgewiesen habe, der zu einer Betriebsbeschränkung oder untersagung hätte führen können […] Für einen solchen Sachmangel gibt es vorliegend jedoch gerade keine Anhaltspunkte. Wenn der Kläger behauptet, im Motor EA 288 sei eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut, welche die erteilte Genehmigung in Frage stelle (und welche offensichtlich nach der Vorstellung des Klägers vom KBA im Rahmen der Untersuchungen stets übersehen wurde), und hierzu Sachverständigenbeweis anbietet, übersieht er, dass das KBA die für einen eventuellen Rückruf des Fahrzeugs oder Widerruf der Typengenehmigung maßgebliche Behörde ist. Das (abstrakte) Risiko eines Widerrufs kann mit Null bezeichnet werden, wenn die zuständige Behörde nach (mehrfacher) tatsächlich durchgeführter, sorgfältiger Prüfung keine unzulässige Abschaltvorrichtung festzustellen vermag.“
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2. Ein Schadensersatz des Klägers ergibt sich im vorliegenden Fall auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 Satz 1 EG-FGV .
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a) §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 Satz 1 EG-FGV stellen nach der Rechtsprechung des BGH keine Schutzgesetze i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB dar, die den Käufer vor der Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit schützen sollen. Das Interesse, nicht zu der Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liegt nicht im Schutzbereich dieser Normen (vgl. Urteil des BGH v. 25.05.2020 – VI ZR 252/19, Rn. 72 ff.; BGH VI ZR 5/20, a.a.O., Rn. 10 ff.).
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b) Art. 5 Abs. 2 Verordnung (EG) 715/2007 und Art. 18 Abs. 1, 26 Abs. und 46 RL 2007/46/EG besagen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für die Frage, ob damit auch der Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts und damit der Schutz des Käufers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrages erfasst sein soll, nichts. Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Gesetz- und Verordnungsgeber mit den genannten Vorschriften (auch) einen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts der einzelnen Käufer bezweckte und an die (auch fahrlässige) Erteilung einer inhaltlich unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung einen gegen den Hersteller gerichteten Anspruch auf (Rück-)Abwicklung eines mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrags hätte knüpfen wollen (BGH, Urteil vom 30. 07. 2020 – VI ZR 5/20 Rn. 11, ZIP 2020, 1715; Beschluss vom 04. 05. 2022 – VII ZR 656/21 –, Rn. 3, juris). Daran ändert der Schlussantrag des Generalanwalts im Verfahren C-100/21 nichts, in denen den Bestimmungen der VO (EG) 715/2007 kein individualschützender Charakter beigemessen wird. Der RL 2007/46/EG entnimmt der Generalanwalt lediglich eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten vorzusehen, dass ein Erwerber eines Fahrzeugs einen Ersatzanspruch gegen den Fahrzeughersteller hat, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestattet ist (Schlussanträge des Generalanwaltsvom 02.06.2022, C-100/21, Celex-Nr. 62021CC0100, Nr. 65). Nach der Rechtsprechung des EuGH wie des BGH scheidet eine Anerkennung als Schutzgesetz für Richtlinien regelmäßig aus (vgl. EuGH Urteil vom 07.06. 2007 – C-80/06 Carp Snc di L. Moleri eV. Corsi/Ecorad Srl, EuZW 2007, 545 Rn. 20; BGH, Urteil vom 10. 02. 2011 – I ZR 136/09 –, BGHZ 188, 326 Rn. 17 = EuZW 2011, 440; BAGE 106, 252 (267) = NZA 2004, 164; MüKoBGB/Wagner 8. Aufl. 2020, § 823 BGB Rn. 539 ff.; BeckOK BGB/Förster, 63. Ed. 1.8.2022, BGB § 823 Rn. 269).
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3. Da eine deliktische Handlung eines Verrichtungsgehilfen der Beklagten nicht festgestellt ist (vgl. 1, 2.), kommt auch eine Haftung der Beklagte nach § 831 BGB nicht in Betracht.
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Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).