Inhalt

LG Memmingen, Endurteil v. 14.04.2022 – 25 O 1147/21
Titel:

Kein Anspruch auf Schadensersatz in Diesel-Fall (hier: VW Touareg V8 4,2 TDI)

Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
Fahrzeugemissionen-VO Art. 5 Abs. 2 S. 1
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Leitsätze:
1. Der Umstand, dass ein Thermofenster in dem Motor eingebaut wurde, reicht für sich noch nicht aus, um eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung annehmen zu können. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Verweis auf Messungen, insbesondere der Deutschen Umwelthilfe, greift nicht durch, wenn diese zu anderen Fahrzeugtypen und/oder im realen Fahrbetrieb durchgeführt wurden. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
3. Aus dem Verweis auf Feststellungen zu anderen Fahrzeugen kann ein Käufer für sein Fahrzeug und seinen konkreten Streitfall nichts herleiten. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, Audi, 4.2 l V8 Dieselmotor, unzulässige Abschalteinrichtung, Thermofenster, KBA, (kein) Rückruf, ins Blaue hinein
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 04.10.2022 – 24 U 2878/22
OLG München, Beschluss vom 01.12.2022 – 24 U 2878/22
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 30.01.2024 – VIa ZR 1729/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 53914

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 23.755,32 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über Rückabwicklungsansprüche des Klägers gegen die Beklagte anlässlich des Kaufes eines Fahrzeugs der …
2
Der Kläger erwarb am 16.05.2017 bei der … das gegenständliche Fahrzeug, einen … zum Kaufpreis von 29.000,00 €. Bei seiner Übergabe hatte das Fahrzeug einen Kilometerstand von 68.000 km (Anlagen K 1 und K 2). Für das Fahrzeug existiert eine freiwillige Servicemaßnahme (Anlage K 4). Das angebotene Service-Update wurde nicht durchgeführt. Ein Rückruf existiert für das Fahrzeug nicht. Es ist von einer Konformitätsabweichung betroffen. Das Fahrzeug ist mit einem sog. Thermofenster ausgestattet. Es verfügt nicht über einen SCR-Katalysator. Im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung hatte es einen Kilometerstand von 127.401 km.
3
Der Kläger trägt vor, dass der Motor, der in dem Fahrzeug verbaut ist, durch die Beklagte manipuliert worden sei. So enthalte der Motor unzulässige Abschalteinrichtungen, welche dazu führen, dass die maßgeblichen Stickoxidgrenzwerte lediglich auf dem Prüfstand eingehalten würden. So würde eine umgebungstemperaturabhängige Korrektur der AGR erfolgen. In Kenntnis der Umstände der Manipulation hätte die Klägerseite das Fahrzeug nicht erworben. In dem Fahrzeug sei derselbe Motor wie im … verbaut. Dieser sei vom Kraftfahrt-Bundesamt aufgrund einer zu engen Bedatung zurückgerufen worden. Es werde bei dem Motor zwischen zwei Betriebsmodi unterschieden. Das Fahrzeug erkenne anhand verschiedener Umgebungsparameter, welche durch eine UND-Verknüpfung verbunden seien, wann das Fahrzeug den Prüflauf durchfahre. In diesem Modus würde eine Strategie in Gang gesetzt, mit deren Hilfe die gesetzlichen Grenzwerte eingehalten würden. Da es sich um denselben Motor handele, gehe der Kläger davon aus, dass dieselbe Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug zum Einsatz komme. Zudem sei in dem Fahrzeug eine Lenkwinkelerkennung aktiv, durch welche die Software erkenne, ob das Fahrzeug den Prüfstand durchlaufe und damit eine Veränderung der Abgasrückführung in Gang setze.
4
Die Klagepartei ist der Ansicht, sie habe einen Anspruch auf Rückabwicklung des verfahrensgegenständlichen Kaufvertrages gegen die Beklagte. Der Anspruch der Klagepartei ergebe sich aus § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB, § 831 BGB. Illegale Abschalteinrichtungen könnten nur mit Wissen von Vorstandsmitgliedern, zumindest aber von verfassungsmäßigen Vertretern, eingebaut worden sein. Die Beklagte habe aus reinem Gewinnstreben gehandelt.
5
Der Kläger beantragt:
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 23.446,81 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des PKW … am Wohnort der Klagepartei.
2.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des im Ziffer 1 genannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
6
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
7
Die Beklagte trägt im Wesentlichen vor, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug keine unzulässigen Abschalteinrichtungen verbaut seien. Bei Fahrzeugen, für welche ein freiwilliges Serviceupdate bestehe, lägen nach Auffassung des Kraftfahrt-Bundesamtes keine Anhaltspunkte für den Einbau illegaler Abschalteinrichtungen vor. Eine unzulässige Lenkwinkelerkennung komme in dem Fahrzeug nicht zum Einsatz.
8
Die Beklagte ist der Ansicht, der klägerische Vortrag sei bereits unsubstantiiert und nicht auf das streitgegenständliche Fahrzeug bezogen.
9
Die Klageschrift vom 22.07.2022 (Bl. 1/15 d.A.) wurde der Beklagten ausweislich der bei den Akten befindlichen Postzustellungsurkunde am 04.08.2021 zugestellt. Die Beklagte hat sich der teilweisen Erledigungserklärung nicht angeschlossen (Bl. 100 d.A.). Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 21.02.2022 und den sonstigen Akteninhalt.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage erweist sich als unbegründet, sodass sie vollumfänglich abzuweisen war.
I.
11
Die Klage ist zulässig.
12
Das Landgericht Memmingen ist das örtlich jedenfalls gem. § 39 ZPO und sachlich gem. § 1 ZPO i.V.m. §§ 71 Abs. 1, 23 Nr. 1 GVG zuständige Gericht.
13
Für den in Ziffer 2. gestellten Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs ist das erforderliche Feststellungsinteresse gem. §§ 756, 765 Nr. 1 ZPO gegeben.
14
Die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen sind gegeben.
II.
15
Die Klage erweist sich als unschlüssig und war daher ohne Beweisaufnahme als unbegründet abzuweisen. Ein gerichtlicher Hinweis vor Klageabweisung war entbehrlich, da die Beklagte auf die Unschlüssigkeit ausdrücklich substantiiert unter Berücksichtigung der von dem Kläger behaupteten, einzelnen Abschalteinrichtungen hingewiesen hatte.
16
Nach der Rechtsprechung des BGH, Beschluss vom 29.09.2021 – VII Z 126/21, und des OLG München, der sich das Gericht anschließt, ist das Vorliegen eines bestandskräftigen Rückrufbescheids ein erhebliches Indiz für den Einbau illegaler Abschalteinrichtungen (vgl. nur OLG München, Hinweisbeschluss vom 12.07.2021 – 24 U 3688/21; OLG München, Endurteil vom 30.07.2021 – 24 U 6281/20). Bereits dieses Indiz, welches für sich alleine noch nicht einmal genügen könnte, um auch von einer Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamtes und letztlich einer illegalen Abschalteinrichtung ausgehen zu können, fehlt vorliegend. Nachdem der Kläger auch im Übrigen nicht schlüssig vorgetragen hat, dass sein Fahrzeug mit illegalen Abschalteinrichtungen versehen wäre, ist die Klage unbegründet. Der geltend gemachte Schadensersatzanspruch besteht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt.
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1. a) Der von der Klagepartei geltend gemachte Schadensersatzanspruch folgt insbesondere nicht aus §§ 826, 31 BGB.
18
Es kann hierbei letztlich dahinstehen, ob in der Verwendung von Thermofenstern eine unzulässige Abschalteinrichtung zu sehen ist. Denn um einen Anspruch auf Schadensersatz aus § 826 BGB zu begründen, muss das schädigende Verhalten des Schuldners sittenwidrig sein. Hieran fehlt es vorliegend in jedem Fall.
19
Objektiv sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach Inhalt oder Gesamtcharakter, der durch zusammenfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, das heißt mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist (BGH, Urteil vom 19.11.2013 – VI ZR 336/12). Dass das Verhalten gegen vertragliche Pflichten oder das Gesetz verstößt, unbillig erscheint oder einen Schaden hervorruft, genügt nicht (OLG Koblenz, Urteil vom 21.10.2019 – 12 U 246/19). Insbesondere die Verfolgung eigener Interessen bei der Ausübung von Rechten ist im Grundsatz auch dann legitim, wenn damit eine Schädigung Dritter verbunden ist (BGH, Urteil vom 19.10.1987 – II ZR 9/87). Hinzutreten muss eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage tretenden Gesinnung oder den eintretenden Folgen ergeben kann (BGH, Urteil vom 13.12.2011 – XI ZR 51/10; Urteil vom 03.12.2013 – XI ZR 295/12; Urteil vom 15.10.2013 – VI ZR 124/12). Subjektiv ist ein Bewusstsein der Sittenwidrigkeit nicht erforderlich. Der Schädiger muss aber grundsätzlich die Tatumstände kennen, die sein Verhalten als sittenwidrig erscheinen lassen (BGH, Urteil vom 13.09.2004 – II ZR 276/02).
20
Bei Abschalteinrichtungen, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeiten wie auf dem Prüfstand und bei denen Gesichtspunkte des Motor-, respektive des Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft angeführt werden können, kann bei Fehlen ausreichender Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Handelnden bzw. Verantwortlichen bei der Beklagten in dem Bewusstsein gehandelt haben, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Vielmehr muss in dieser Situation, selbst wenn man mit der Klagepartei von einer objektiv unzulässigen Abschalteinrichtung ausginge, eine möglicherweise falsche, aber dennoch vertretbare Gesetzesauslegung und -anwendung durch die Organe der Beklagten in Betracht gezogen werden (BGH, Beschluss vom 09.03.2021 – VI ZR 889/20; BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19; OLG Celle, Urteil vom 13.11.2019 – 7 U 367/18 –, juris unter Verweis auf OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19; OLG München, Beschluss vom 29.09.2020 – 8 U 201/20 –, juris; OLG Köln, Beschluss vom 04.07.2019 – 3 U 148/18; OLG Koblenz, Urteil vom 21.10.2019 – 12 U 246/19).
21
Selbst wenn man das Thermofenster als unzulässig im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 EG (VO) 715/2007 einstufen wollte – so hatte es der BGH in seiner Entscheidung BGH, Urteil vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, BeckRS 2021, 847 unterstellt –, so reicht der Umstand, dass ein Thermofenster in dem streitgegenständlichen Motor eingebaut wurde für sich noch nicht aus, um eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung annehmen zu können. Eine Sittenwidrigkeit kommt danach nur in Betracht, wenn über die bloße Kenntnis von dem Einbau einer Einrichtung mit den in Rede stehenden Funktionsweisen in den streitgegenständlichen Motor hinaus zugleich auch konkrete Anhaltspunkte dafür erkennbar wären, dass dies von Seiten der Beklagten in dem Bewusstsein geschah, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen, und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wurde (BGH, Beschluss vom 09.03.2021 – VI ZR 889/20; BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19; OLG Koblenz, Urteil vom 20.04.2020 – 12 U 1570/19; OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19). Aus Sicht des BGH ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt, sollte es an diesem Umstand fehlen. Die Klagepartei trägt hierfür die Darlegungs- und Beweislast (BGH, Beschluss vom 09.03.2021 – VI ZR 889/20; BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19; OLG Celle, Urteil vom 13.11.2019 – 7 U 367/18 –, juris unter Verweis auf OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19; OLG München, Beschluss vom 29.09.2020 – 8 U 201/20 –, juris; OLG Köln, Beschluss vom 04.07.2019 – 3 U 148/18; OLG Koblenz, Urteil vom 21.10.2019 – 12 U 246/19). Entsprechende Anhaltspunkte sind vorliegend weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich.
22
Die Beklagte hat für den streitgegenständlichen Motor hinreichend dargelegt, dass das Kraftfahrt-Bundesamt diesen überprüft und in keinem Fall beanstandet hat. Dies hat letztlich auch die Klagepartei nicht bestritten. Sie beruft sich vielmehr auf Anordnungen zu anderen Fahrzeugtypen. Daraus kann sie für das konkrete Fahrzeug jedoch nichts herleiten. Die Beklagte hat schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, dass dem Kraftfahrt-Bundesamt die Verwendung der Funktion eines „Thermofensters“ bekannt war. Das behauptete, bloße Überschreiten der Grenzwerte im normalen Fahrbetrieb genügt aus Sicht des Gerichts alleine nicht, um auf das Vorliegen einer entsprechenden illegalen Abschalteinrichtung schließen zu können, da er Schadstoffausstoß eines Fahrzeugs jedenfalls von vielen Faktoren, wie insbesondere dem individuellen Fahrverhalten, abhängt. Die bloße Behauptung, die Funktion sei nicht (hinreichend) offengelegt worden kann nicht genügen, um einen entsprechenden Schluss zu zeihen (BGH, Beschluss vom 13.10.2021 – VII ZR 99/21). Es sind somit keine Anknüpufngstatsachen vorgetragen, aus denen auf eine objektive Sittenwidrigkeit hinsichtlich des Einbaus eines Thermofensters im streitgegenständlichen Fahrzeug geschlossen werden könnte.
23
b) Ein Anspruch gem. § 831 BGB besteht nach den vorgehenden Ausführungen ebenfalls nicht.
24
c) Unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer unerlaubten Handlung in Gestalt eines Verstoßes gegen ein Schutzgesetz (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB) ergibt sich nichts anderes, denn hiernach wäre eine vorsätzliche Täuschung im Sinne eines Betruges erforderlich, die das Gericht nach den vorstehenden Ausführungen ebenfalls nicht festzustellen vermag.
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d) Entsprechendes gilt für einen möglichen Anspruch gem. §§ 823 Abs. 2 i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 EG-FGV. Unabhängig davon, ob die Beklagte diese Vorschrift verletzt hat, fehlt ihr der von § 823 Abs. 2 BGB vorausgesetzte Schutzgesetzcharakter. Der Bundesgerichtshof hat diese Rechtsauffassung inzwischen mehrfach aktuell bestätigt (BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI 252/19, Rn. 72 ff.; Urteil vom 30.07.2020 – VI 5/20, Rn. 10 ff.; BGH, Urteil vom 08.12.2020 – VI ZR 244/20 sowie BGH, Beschluss vom 09.03.2021 – VI ZR 889/20).
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2. Die vorliegende Klage ist als unbegründet abzuweisen, auch soweit die Klagepartei auf weitere behauptete unzulässige Abschalteinrichtungen abstellt. Der diesbezüglich umfangreiche und sich wiederholende Vortrag enthält „Behauptungen ins Blaue hinein“ und erweist sich als unschlüssig. Er rechtfertigt auch unter Berücksichtigung des Beschlusses des BGH vom 28.01.2020 – VIII ZR 57/19 keine Beweisaufnahme, da der BGH dort als ausreichende Anknüpfungstatsache auf einen ergangenen Bescheid des Kraftfahrt-Bundesamtes betreffend denselben Motortyp – OM651 – abstellen konnte. Vorliegend ist für den eingebauten Motor unstreitig überhaupt kein Bescheid ergangen. In der Liste der betroffenen Fahrzeugvarianten des Kraftfahrt-Bundesamtes (Anlage K 6) findet sich das streitgegenständliche Fahrzeug, …, nicht. Dort sind lediglich Fahrzeuge der Euro 6-Norm angeführt. Auch aus den vorgetragenen Messergebnissen kann der Kläger nichts für sein konkretes Fahrzeug herleiten.
27
Die Klagepartei trägt für das Vorliegen der Voraussetzungen einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung die volle Darlegungs- und Beweislast (BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19). Erschöpft sich der klägerische Vortrag in einer Vermutung „ins Blaue“, für die keine ausreichenden Anknüpfungstatsachen dargetan sind, besteht für eine Beweisaufnahme kein Anlass (OLG München, Beschluss vom 18.10.2019 – 21 U 3241/19). Die angebotenen Beweise waren entsprechend nicht zu erheben.
28
a) Grundsätzlich ist zwar bei der Annahme einer „ins Blaue hinein“ aufgestellten Behauptung Zurückhaltung geboten. Die Annahme eines willkürlichen Sachvortrags kommt nur im Ausnahmefall in Betracht, da es einer Partei durchaus möglich sein muss, im Zivilprozess Tatsachen zu behaupten, über die sie keine genaue Kenntnis haben kann, die sie aber nach Lage der Dinge für wahrscheinlich hält (vgl. etwa BeckOK-ZPO/von Selle, Ed. 34, § 138 ZPO, Rn. 32 m.w.N.). Eine zivilprozessual unzulässige Ausforschung ist aber dann gegeben, wenn eine Partei ohne greifbaren Anhaltspunkt für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ Behauptungen aufstellt (vgl. etwa BGH, NJW-RR 2003, 69, 70; BGH, NJW-RR 2002, 1419, 1420). Dies ist dann der Fall, wenn jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkt für den Einsatz einer Manipulationssoftware entsprechend der Ausstattung des Motortyps EA189 im klägerischen Fahrzeug fehlt (OLG Koblenz, Urteil vom 18. Juni 2019 – 3 U 416/19).
29
b) Die Tatsachenbehauptungen der Klagepartei zu weiteren angeblich verbauten Abschalteinrichtungen sind hier letztlich ins Blaue hinein aufgestellt. Somit hatte für diese Behauptungen eine Beweiserhebung zu unterbleiben, da es sich mangels ausreichend greifbarer Anhaltspunkte, dass diese auf das konkrete streitgegenständliche Fahrzeug bezogen wären, um eine reine Ausforschung gehandelt hätte (vgl. OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 31.03.2020 – 3 U 57/19). Die Klagepartei verkennt letztlich die Anforderungen an einen schlüssigen Klagevortrag. Sie hat insoweit Tatsachen vorzutragen, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet wären, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen. Ein von Vermutungen und pauschalen Behauptungen ohne hinreichende Anknüpfungstatsachen geprägter Vortrag genügt dem bereits grundsätzlich nicht. Für eine Vergleichbarkeit von Messwerten und Feststellungen kommt es immer auf den konkreten Fahrzeugtyp, den Produktionszeitraum wie auch den eingebauten Motor an (OLG München, Beschluss vom 14.08.2019 – 21 U 3241/19 –, juris Rn. 20 ff.). Aus Messergebnissen zu anderen Fahrzeugtypen oder gleichen Fahrzeugtypen anderen Baujahres kann für das streitgegenständliche Fahrzeug nichts hergeleitet werden. Die Klagepartei vermochte auch keinerlei tatsächliche Anhaltspunkte darzulegen, welche auf den Einbau der von ihr beschriebenen Funktionen oder Verwendung entsprechender Technik und Funktionsweisen in dem streitgegenständlichen Fahrzeug schießen lassen würden. Sie behauptet den Einbau lediglich unter Angebot eines Sachverständigengutachtens.
30
Nach der Rechtsprechung des OLG München ist das Vorliegen eines bestandskräftigen Rückrufbescheids ein erhebliches Indiz für den Einbau illegaler Abschalteinrichtungen (vgl. nur OLG München, Hinweisbeschluss vom 12.07.2021 – 24 U 3688/21). Ein solcher Rückruf liegt für das streitgegenständliche Fahrzeug ebenfalls nicht vor. Die Beklagte hat im Übrigen nachvollziehbar die technischen, rechtlichen und tatsächlichen Hintergründe der von Klägerseite behaupteten Abschalteinrichtungen erläutert, so dass sich nach Auffassung des Gerichts auch daraus keine ausreichenden Anknüpfungstatsachen für etwaige, in dem streitgegenständlichen Fahrzeug verbaute, unzulässigen Abschalteinrichtungen herleiten lassen, zumal der Kläger bereits nicht schlüssig zu der Funktionsweise der behaupteten Abschalteinrichtungen vorträgt. Der Verweis auf Messungen, insbesondere der Deutschen Umwelthilfe, greifen bereits nicht durch, weil diese zu anderen Fahrzeugtypen und teilweise auch im realen Fahrbetrieb durchgeführt wurden (OLG München, Beschluss vom 14.08.2019 – 21 U 3241/19 –, juris Rn. 20 ff.).
31
Das Kraftfahrt-Bundesamt hat den streitgegenständlichen Motor umfassend geprüft. Dennoch kam es bis heute zu keinem Rückrufbescheid. Die Klagepartei stellt lediglich Behauptungen in den Raum, ohne dass sie einen Bezug zu dem streitgegenständlichen Fahrzeug herstellen würde. An keiner Stelle legt sie dar, dass die Behauptungen auch für ihr konkretes Fahrzeug zutreffen würden. Sie konnte mit diesem Vortrag nicht darlegen, dass ein Recht in ihrer Person bezüglich ihres Fahrzeugs entstanden wäre.
32
Zudem kann aus Sicht des Gerichts allein die Behauptung, dass die Messungen für bestimmte Fahrzeuge einen höheren Ausstoß von NOx-Emissionen im realen Straßenverkehr nachgewiesen hätten, keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür geben, dass das Fahrzeug mit einer illegalen Abschalteinrichtung ausgestattet wäre. Es liegt auf der Hand, dass die Überschreitung der Werte im Straßenverkehr darauf zurückzuführen sein kann, dass der Motor aufgrund der konkreten Verkehrsverhältnisse mehr Schadstoffe emittiert, als in einem zu Vergleichszwecken festgelegten, standardisierten Fahrzyklus (OLG München, Hinweisbeschluss vom 13.11.2020 – 20 U 4770/20).
33
c) Eine bloße Zykluserkennung kann erforderlich sein, um auf dem Prüfstand bestimmte Funktionen zu deaktivieren.
34
Der Vortrag, in dem Fahrzeug sei derselbe Motor wie im Porsche Cayenne S Diesel 4,2 Euro 5 verbaut. Dieser sei vom Kraftfahrt-Bundesamt aufgrund einer zu engen Bedatung zurückgerufen worden. Es müsse daher davon ausgegangen werden, dass auch im streitgegenständlichen Motor illegale Abschalteinrichtungen verbaut seien, ist unschlüssig. Es wird weder die konkrete Funktionsweise der behaupteten Abschalteinrichtung dargelegt, noch zu dem streitgegenständlichen Fahrzeug vorgetragen. Aus dem Verweis auf Feststellungen zu anderen Fahrzeugen kann der Kläger für sein Fahrzeug und seinen konkreten Streitfall nichts herleiten.
35
Darüber hinaus kann die bloße Behauptung, dass die Beklagte die maßgebliche Funktionsweise der behaupteten, verwendeten Abschalteinrichtungen vor dem Kraftfahrt-Bundesamt (bewusst) verschwiegen habe ohne nähere Angaben dazu, worauf sich dieser Verdacht begründen soll, nicht genügen, um annehmen zu können, die Beklagte hätte das Kraftfahrt-Bundesamt getäuscht.
36
Das streitgegenständliche Fahrzeug ist wegen derartiger Funktionen trotz umfassender Überprüfungen nicht vom Kraftfahrt-Bundesamt beanstandet worden, was jedenfalls ein Indiz für das Vorliegen illegaler Abschalteinrichtungen gewesen wäre. Ein Rückruf ist für das streitgegenständliche Fahrzeug unstreitig nicht ergangen. Weder eine Konformitätsabweichung noch eine freiwillige Maßnahme deuten auf den Einbau illegaler Abschalteinrichtungen hin. Eine Konformitätsabweichung stellt bereits begrifflich keinen Rückruf dar und entspricht einer solchen Anordnung auch nicht. Diese kann auch nicht belegen, dass in dem Fahrzeug illegale Abschalteinrichtungen aktiv wären.
37
d) Der Umstand, dass keine Beanstandung durch einen Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamtes vorliegt, hat auch Auswirkungen auf eine etwaige Schadensfeststellung und die Feststellung eines etwaigen Schädigungsvorsatzes auf Seiten der Beklagten wie das OLG München in seinem Urteil vom 14.04.2021 – 15 U 3548/20 – ausführte: Es liegt kein Schaden vor. Der BGH hatte in den EA189-Verfahren maßgeblich auf die drohende Betriebsbeschränkung oder -untersagung aufgrund des Rückrufbescheids des Kraftfahrt-Bundesamtes abgestellt. Das Kraftfahrt-Bundesamt ist die für einen eventuellen Rückruf des Fahrzeugs oder einen Widerruf der Typengenehmigung maßgebliche Behörde. Das (abstrakte) Risiko eines Widerrufs kann mit Null bezeichnet werden, wenn die zuständige Behörde nach (mehrfacher) tatsächlich durchgeführter, sorgfältiger Prüfung eine unzulässige Abschaltvorrichtung nicht festzustellen vermag (so auch OLG München, Hinweisbeschluss vom 28.09.2021 – 24 U 5712/21). Unter dieser Annahme kann folglich auch nicht angenommen werden, der Kläger sei eine ungewollte Verpflichtung eingegangen. Wenn eine Betriebsuntersagung nicht droht, kann auch kein Schaden in Form einer insoweit (rechtlich relevant) ungewollt eingegangenen Verbindlichkeit bestehen.
38
e) Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Klagepartei auch nicht ohne Weiteres auf eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten hinsichtlich etwaiger Kenntnis von den (unschlüssig) behaupteten Manipulationen berufen kann, ohne zunächst ihrer primären Darlegungslast nachgekommen zu sein. Damit ist auch der subjektive Tatbestand als nicht nachgewiesen anzusehen.
39
An eine sekundäre Darlegungslast in Bezug auf die Frage, wer bei der Beklagten welche Kenntnisse hatte, kann gedacht werden, wenn ausreichend konkrete Anhaltspunkte für eine Kenntnis vorliegen. Fehlt es dagegen wie hier an jeglichem, auch pauschalem Vortrag dazu, welche Kenntnisse bzw. welches Verhalten welchem (jedenfalls abstrakt bezeichneten) Organ oder Repräsentanten vorgeworfen wird, dann kommt eine sekundäre Darlegungslast nicht in Betracht. Schon begrifflich ist eine sekundäre Behauptungslast ohne primäre Behauptung seitens des Gegners ausgeschlossen (Laumen, MDR 2019, 193, 197). Selbst wenn eine – hier nicht gegebene – hinreichend konkrete Behauptung einer Kenntnis des Vorstands oder eines anderen Repräsentanten des in Anspruch genommenen Unternehmens vorliegt, löst dies nicht stets eine sekundäre Darlegungslast aus. Vom Standpunkt des Unternehmens, das eine Kenntnis bestreitet, müsste der ihm sonst aufgegebene Vortrag auf eine sogenannte negative Tatsache zielen, nämlich die Unkenntnis des fraglichen Vorstands oder sonstiger Repräsentanten. Wenn eine Partei eine solche negative Tatsache behauptet und gegebenenfalls beweisen muss, führt dies regelmäßig allerdings gerade umgekehrt zu einer sekundären Darlegungslast der anderen Partei, damit die darlegungsbelastete Partei überhaupt in der Lage ist, einen sachgerechten Vortrag zu halten (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19, Rn. 90).
40
Würde man der Beklagten eine sekundäre Darlegungslast für die Unkenntnis auferlegen, obwohl die Darlegungs- und Beweislast für die Kenntnis eines Vorstandsmitglieds oder eines sonstigen Repräsentanten von den haftungsbegründenden Merkmalen einer Norm an sich bei der Klagepartei liegt, müsste die Beklagte faktisch die gesamte Kommunikation innerhalb des Unternehmens über einen jahrelangen Zeitraum offenlegen. Dies ist praktisch nicht möglich und entgegen der klägerischen Ausführungen grundsätzlich unzumutbar (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19, Rn. 91). Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn eine bestimmte Verhaltensweise eines Unternehmens zum Geschäftsmodell geworden ist und deshalb davon auszugehen ist, dass der Vorstand dieses Geschäftsmodell gebilligt hat. Dann kann eine deutlich erhöhte Substantiierungslast des Unternehmens eintreten (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19).
41
3. Der Kläger hat folglich nicht schlüssig dargelegt, dass die Beklagte vorliegend eine „unzulässige Abschalteinrichtung“ verbaut und damit eine Täuschung begangen hat bzw. ein Sachmangel gegeben ist. Ein Anspruch ergibt sich entsprechend auch nicht aus anderen rechtlichen Gesichtspunkten. Das Fahrzeug der Klagepartei verfügt über die erforderliche EG-Typengenehmigung. Bei dieser handelt es sich um einen Verwaltungsakt, der Tatbestandswirkung für die Zivilgerichte entfaltet. Solange ein solcher Verwaltungsakt nicht durch die zuständige Behörde oder durch ein Verwaltungsgericht aufgehoben worden oder nichtig ist, ist die Zulässigkeit der betreffenden Abschalteinrichtung im Sinne des Artikels 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 einer Nachprüfung durch die Zivilgerichte entzogen (vgl. BGH, Urteil vom 30.04.2015, Az. I ZR 13/14, BGHZ 205, 195 Rn. 31 m.w.N.). Trotz dieser Tatbestandswirkung des Verwaltungsakts kann allerdings ein Sachmangel vorliegen, woraus unter Umständen neben vertraglichen auch deliktische Ansprüche resultieren können, wenn feststeht, dass eine objektiv rechtswidrige Genehmigung durch den Fahrzeughersteller aufgrund einer Täuschung erschlichen worden ist, wie dies beim Einsatz einer sogenannten „Schummelsoftware“ (Prüfstanderkennungssoftware) angenommen werden muss. Als Folge muss mit einer Betriebsuntersagung oder gar dem Widerruf der mithilfe der Software erschlichenen Typengenehmigung gerechnet werden. Dies ist vorliegend nicht schlüssig vorgetragen. Hat der Fahrzeughersteller die Prüfer weder durch den Einsatz einer Prüfstanderkennungssoftware getäuscht, noch gegenüber der Genehmigungsbehörde eine Abschaltvorrichtung im Sinne des Artikels 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 verschwiegen und erteilt die Behörde die EG-Typengenehmigung, beinhaltet dies die Billigung der Abschaltvorrichtung im Rahmen ihres Bewertungsermessens. In einem solchen Fall scheiden eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung im Sinne von § 826 BGB oder ein sonstiges deliktisches Verhalten des Herstellers von vornherein aus. Zudem fehlt es schon an einem Sachmangel, weil die behördliche Genehmigung vorliegt und anders als beim Einsatz einer Schummelsoftware eine Betriebsuntersagung oder -beschränkung nach § 5 Abs. 1 FZV durch die Zulassungsbehörde nicht drohen kann.
42
Daraus folgt auch, dass – grundsätzlich und so auch im vorliegenden Fall – der Klagevortrag, der Fahrzeughersteller habe eine objektiv rechtswidrige Abschaltvorrichtung eingebaut, zur schlüssigen Darlegung eines Sachmangels sowie eines deliktischen Handelns nicht ausreichen kann. Die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit einer Abschaltvorrichtung ist, wie dargelegt, durch die Zulassungsbehörde zu prüfen. Erteilt diese die Typenzulassung, ohne vom Hersteller über die Funktionsweise ihres Emissionsreduzierungssystems getäuscht worden zu sein, ist von der Rechtmäßigkeit der Abschalteinrichtung auszugehen.
43
4. Die Beklagte befand sich weder im Verzug noch im Annahmeverzug. Die Nebenforderungen teilen das Schicksal der Hauptforderung.
III.
44
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
45
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1, S. 2 ZPO.
IV.
46
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 63 Abs. 2, 48 Abs. 1 S. 1 GKG, §§ 3 und 4 ZPO. Die geltend gemachten Nebenforderungen werden bei der Streitwertfestsetzung nicht berücksichtigt. Dem Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs kommt neben dem auf eine Zug um Zug Verurteilung gerichteten Antrag zu Ziffer I. keine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung zu (BGH, Beschluss vom 09.05.2017 – XI ZR 484/15).