Inhalt

OLG München, Beschluss v. 24.03.2022 – 8 U 7586/21
Titel:

Darlegungslast in Dieselfall zur unzulässigen Abschalteinrichtung und zur Funktion Kaltstartheizen

Normenkette:
BGB § 31, § 826
Leitsätze:
1. Hat die Klagepartei konkrete Anhaltspunkte, dass im Motor ihres Pkw eine, wie auch immer geartete Prüfstanderkennungsfunktion vorhanden wäre, die in Bezug auf den NOx-Ausstoß zu bewusst von der Fahrzeugherstellerin herbeigeführten Unterschieden zwischen Rollenprüfstand und Straßenbetrieb führen würde, nicht vorgebracht, bedarf es insoweit weder einer Beweisaufnahme noch ist die beklagte Fahrzeugherstellerin zu weiterer sekundärer Darlegung verpflichtet. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der bloße Vortrag, dass es sich beim "Kaltstartheizen" nicht um eine übliche und in jedem Fall zulässige Funktion handele, genügt jedoch nicht den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen an die Darlegung greifbarer Anhaltspunkte für eine im streitgegenständlichen Fahrzeugmotor verbaute unzulässige Abschalteinrichtung in Form einer Prüfstanderkennungssoftware. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatz, sittenwidrige Schädigung, Dieselskandal, unzulässige Abschalteinrichtung, N 47, Darlegungslast, Kaltstartheizen
Vorinstanz:
LG Traunstein, Endurteil vom 23.09.2021 – 2 O 370/21
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 11.12.2023 – VIa ZR 574/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 53713

Tenor

1. Der Antrag der Klägervertreter vom 25.02.2022, die Frist zur Stellungnahme auf den Hinweisbeschluss des Senats vom 23.02.2022 um zwei Wochen zu verlängern, wird zurückgewiesen.
2. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 23.09.2021, Aktenzeichen 2 O 370/21, wird zurückgewiesen.
3. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
4. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Traunstein ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klagepartei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 22.000,- € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Klagepartei macht gegen die Beklagte Ansprüche im Zusammenhang mit dem sog. Abgas-Skandal geltend.
2
Der Kläger erwarb am 01.07.2016 von dritter Seite einen gebrauchten BMW 320d (EZ: 27.02.2013), EU 5, für 26.200,- €. In dem Fahrzeug ist ein von der Beklagten hergestellter Dieselmotor N47 verbaut.
3
Die Klagepartei wurde mit Hinweisbeschluss des Senats vom 23.02.2022 darauf hingewiesen, dass und warum der Senat beabsichtigt, ihre Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen. Hierzu hat sie mit Schriftsatz vom 17.03.2022 Stellung genommen.
4
Hinsichtlich der näheren Einzelheiten wird auf den Inhalt des angegriffenen Urteils, die Ausführungen im Hinweisbeschluss des Senats vom 23.02.2022 sowie auf die Schriftsätze der Parteien im Berufungsverfahren Bezug genommen.
II.
5
Die Berufung der Klagepartei war als unbegründet zurückzuweisen.
I.
6
Die beantragte Fristverlängerung zur Stellungnahme zu den Hinweisen des Senats war nicht zu gewähren.
7
Gemäß § 224 Abs. 2 ZPO können richterliche Fristen verlängert werden, wenn erhebliche Gründe hierfür glaubhaft gemacht worden sind.
8
Hierauf wurde die Klagepartei bereits in den Allgemeinen Verfahrenshinweisen des Senats seitens des Gerichts aufmerksam gemacht (zu Bl. 360 d.A.). Zudem wurde nochmals im Hinweisbeschluss vom 23.02.2022 (dort S.14) unter Anführung einschlägiger Rechtsprechung darauf hingewiesen, dass mit einer Verlängerung der Frist zur Stellungnahme nur bei Glaubhaftmachung konkreter triftiger Gründe zu rechnen ist. Schließlich hat auch der Vorsitzende am 28.03.2022 nochmals einen entsprechenden Hinweis erteilt.
9
Zu beurteilen sind dabei die „erheblichen Gründe“ vor dem Hintergrund des gesetzlichen Regelungszwecks sowohl des Verfahrens zur Fristverlängerung (§ 224 f. ZPO) wie des Verfahrens zur Zurückweisung einer Berufung durch Beschluss (§ 522 Abs. 2 ZPO). Die Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens nach § 224 ZPO hat sich nicht einzig an den Interessen der den Fristverlängerungsantrag stellenden Partei, sondern ebenso an denen der Gegenpartei und den übergeordneten Belangen der Prozessförderung und der Prozesswirtschaftlichkeit zu orientieren (vgl. auch Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach/ Albers/Hartmann, 61. Aufl., § 224 ZPO Rn. 2). Dieser Regelungszweck trifft sich mit den vom Gesetzgeber verfolgten Zielen eines Zurückweisungsbeschlusses nach § 522 Abs. 2 ZPO. Er dient zum einen der Verfahrensbeschleunigung und soll der Einlegung von Rechtsmitteln allein in der Absicht, das Verfahren und den Eintritt der Rechtskraft zu verzögern, wirksam begegnen (vgl. BT-Drs. 14/4722, S. 62, 64).
10
Der Fristverlängerungsantrag vom 25.02.2022 wurde lediglich formelhaft auf eine starke Arbeitsüberlastung in anderen fristgebundenen Verfahren verwiesen. Eine auch nur ansatzweise nähere Darlegung hierzu ist nicht erfolgt. Worin die scheinbar nun erst erkannte Arbeitsbelastung konkret bestehen soll und ob diese nachvollziehbar ist, kann deshalb nicht beurteilt werden. Außerdem würde eine andauernde, organisationsbedingte Überlastung der Kanzlei nicht eine Fristverlängerung rechtfertigen, sondern eine entsprechende Umorganisation der Kanzlei nahelegen. Dass es sich vorliegend um eine so nicht vorhersehbare, zeitlich begrenzte Arbeitsspitze handeln würde, die eine Fristverlängerung grundsätzlich rechtfertigen könnte, ist außerdem weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Soweit die Klagepartei weiter darauf verwies, dass insbesondere noch die Abstimmung mit der Mandantschaft und der Rechtsschutzversicherung erfolgen müsse, ist weder nachvollziehbar vorgetragen noch ersichtlich, weshalb der bis zum Fristablauf am 17.03.2022 verbleibende Zeitraum von knapp drei Wochen hierfür nicht ausreichte.
11
Ein erheblicher Grund für eine benötigte Fristverlängerung ist damit nicht ersichtlich.
12
Der Senat verkennt dabei nicht, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt werden kann, wenn eine vom Gericht gesetzte Frist zur Äußerung objektiv nicht ausreicht, um innerhalb der Frist eine sachlich fundierte Äußerung zum entscheidungserheblichen Sachverhalt und zur Rechtslage zu erbringen (BGH, Beschluss vom 15. Mai 2018 – VI ZR 287/17). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Die eingeräumte Frist hat drei Wochen betragen, was nach Auffassung des Senats bei Abstellen auf die nicht besondere Komplexität und Schwierigkeit des Falls völlig ausreichend erscheint, zumal es sich hier um ein Massenverfahren handelt.
13
Unter Abstellen darauf und bei Berücksichtigung der Interessen der Gegenpartei sowie der übergeordneten Belange der Prozessförderung und der Prozesswirtschaftlichkeit – wie oben ausgeführt – war daher der Fristverlängerungsantrag zurückzuweisen.
II.
14
Die Berufung ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO im Beschlussweg ferner als unbegründet zurückzuweisen, da der Senat einstimmig davon überzeugt ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats nicht erfordern und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
15
Der Senat hält das Urteil des Landgerichts zumindest im Ergebnis für offensichtlich zutreffend. Auf die Hinweise vom 23.02.2022, in denen der Senat im Einzelnen erläutert hat, weshalb er die Berufung bei Abstellen auf die zur „Dieselproblematik“ ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung i.S.v. § 522 Abs. 2 ZPO für unbegründet hält, wird verwiesen.
16
Die Gegenerklärung der Klagepartei vom 17.03.2022 gibt keinen Anlass für eine abweichende Beurteilung.
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Für eine deliktische Haftung der Beklagten, insbesondere eine solche gemäß §§ 826, 31 BGB und § 831 BGB, ist auch bei Abstellen auf die dortigen Darlegungen kein Raum. Eine Beweisaufnahme ist nicht veranlasst.
18
1. Vorauszuschicken ist, dass soweit in der Gegenerklärung nunmehr noch neu vorgetragen wird, u.a. zur Funktion des „Kaltstartheizens“, die der Klagepartei eingeräumte Frist zur Stellungnahme gem. § 522 II 2 ZPO nicht etwa eine Art „zweite Berufungsbegründung“ ermöglicht. In den weiteren Schriftsätzen im Berufungsverfahren enthaltene neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind deshalb bereits gemäß §§ 530, 296 I ZPO zwingend zurückzuweisen (vgl. z.B. Thomas/Putzo, ZPO, 39. Aufl. 2018, § 530 Rnr. 4; Rimmelspacher in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Auflage 2016, § 522 Rnr. 29).
19
2. Die Gegenerklärung der Klagepartei vom 17.03.2022 ergab, dessen ungeachtet, keinen Anlass für eine abweichende Beurteilung. Für eine Haftung der Beklagten gemäß §§ 826, 31 BGB und § 831 BGB ist auch bei Abstellen auf die dortigen Darlegungen kein Raum. Die Ausführungen im Hinweisbeschluss zum Fehlen zureichender Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Prüfstanderkennungssoftware bzw. Umschaltlogik (entsprechend der im VW-Motor EA 189 implementierten) und für das Vorhandensein sonstiger verwaltungsrechtlich unzulässiger streitiger Abschalteinrichtungen besitzen nach wie vor Geltung.
20
a) Die Klagepartei kann sich insoweit nicht auf den Beschluss des BGH vom 25.11.2021, III ZR 202/20, berufen.
21
Der dortige Kläger hat bezüglich der Abgasrückführung ersichtlich zwei unterschiedliche Betriebsmodi behauptet, je nachdem, ob sich das Fahrzeug im Prüfzyklus oder auf der Straße befindet. Zudem waren in der zitierten BGH-Entscheidung greifbare Anhaltspunkte vorgetragen worden, die den Verdacht begründeten, das Fahrzeug weise eine unzulässige Abschalteinrichtung auf. Nach den bindenden tatbestandlichen Feststellungen des Berufungsgerichts hatte die Beklagte in dem vom BGH entschiedenen Fall insbesondere nicht in Abrede gestellt, dass die Motorsteuerungssoftware erkennen könne, ob nur die Antriebsachse rotiert, der Lenkradeinschlag nicht mehr als 15 Grad beträgt und Radio sowie Multimedia-Einheit ausgeschaltet sind. In einer Gesamtbetrachtung mit vorgelegten Messergebnissen wurden deshalb dort Anhaltspunkte für eine unzulässige Abschalteinrichtung in Gestalt einer Prüfstanderkennungssoftware bejaht.
22
Demgegenüber fehlt hier schon schlüssiger Vortrag zum Vorhandensein einer entsprechenden Umschaltlogik. Dass die Bedingungen, unter denen das Fahrzeug „sauber“ ist, unter Prüfbedingungen – anders als im realen Betrieb durch den Nutzer auf der Straße – stets gegeben sind, wie etwa bei einem auf die im Prüfstand herrschenden Außentemperaturen ausgerichteten Thermofenster, genügt dafür nicht.
23
Soweit die Klagepartei nun erstmals vorträgt und darauf hinweist, dass eine Aufheizstrategie wie das hier vorgetragene „Kaltstartheizen“ durch das KBA bei dem 3-Liter-Motor von Audi als unzulässige Abschalteinrichtung angesehen wurde und Gegenstand des Rückrufbescheids zum 3 Liter Dieselmotor, Euro 6, beim VW Touareg gewesen sei, ergeben sich hieraus keine zureichenden Anhaltspunkte für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung auch im streitgegenständlichen Fahrzeugmotor. Denn es geht nicht an, sämtliche Motoren einer Motorenfamilie/einer Baureihe auch anderer Fahrzeughersteller ohne Berücksichtigung ihrer unterschiedlichen technischen Merkmale und ohne Berücksichtigung der möglicherweise äußerst unterschiedlichen technischen Rahmenbedingungen (z.B. EU 6 statt EU 5) dem Generalverdacht einer unzulässigen Abschalteinrichtung zu unterwerfen (vgl. zum Ganzen ausführlich Senat, Beschluss vom 29.08.2019, Az. 8 U 1449/19, WM 2019, 1937, NZB vom BGH mit Beschluss vom 15.09.2020, Gz. VI ZR 389/19, ohne weitere Begründung zurückgewiesen). Einen solchen „Generalverdacht“ hat auch der BGH in seinem Beschluss vom 28.01.2020 – VIII ZR 57/19 – nicht angenommen, d.h. auch bei Abstellen auf die dortigen Ausführungen sind motorbezogene Anhaltspunkte erforderlich.
24
Nach dem Vortrag in der Gegenerklärung zum „Kaltstartheizen“ differenziert diese Funktion nicht gezielt danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand befindet oder nicht. Seitens der Klagepartei wird lediglich vorgetragen, dass die Bedingungen des Kaltstartheizens so gewählt seien, dass diese im NEFZ aktiv seien. Dass die Bedingungen, unter denen das Fahrzeug „sauber“ ist, unter Prüfbedingungen – anders als im realen Betrieb durch den Nutzer auf der Straße – stets gegeben sind, wie etwa bei einem auf die im Prüfstand herrschenden Außentemperaturen ausgerichteten Thermofenster, genügt nicht, um ein vorsätzliches sittenwidriges Verhalten der Beklagten zu begründen.
25
Konkrete Anhaltspunkte, dass im Motor ihres Pkw eine, wie auch immer geartete Prüfstanderkennungsfunktion vorhanden wäre, die in Bezug auf den NOx-Ausstoß zu bewusst von der Beklagten herbeigeführten Unterschieden zwischen Rollenprüfstand und Straßenbetrieb führen würde, hat die Klagepartei jedoch nicht vorgebracht, d.h. es hat insoweit keiner Beweisaufnahme bedurft noch war die Beklagte zu weiterer sekundärer Darlegung verpflichtet. Vielmehr hat die Klagepartei lediglich ausgeführt, dass es sich beim „Kaltstartheizen“ nicht um eine übliche und in jedem Fall zulässige Funktion handele (Schriftsatz vom 17.03.2022, S. 3). Dieser Vortrag genügt jedoch nicht den von der höchstrichterlichen Rspr. aufgestellten Anforderungen an die Darlegung greifbarer Anhaltspunkte für eine im streitgegenständlichen Fahrzeugmotor verbaute unzulässige Abschalteinrichtung in Form einer Prüfstanderkennungssoftware (vgl. BGH, Urt. V. 18.05.2021 – VI ZR 401/19).
26
b) Im Übrigen hat sich die Klagepartei bzw. die Berufung überwiegend mit Fahrzeugen und Motoren anderer oder unklarer Provenienz befasst. So bezieht sich auch die nunmehr vorgelegte Stellungnahme des Sachverständigen M. H. vom 09.12.2021 auf die BMW-Motoren B37 und B47 und weist daher keinen Bezug zum streitgegenständlichen Fahrzeugmotor auf.
27
c) Soweit die Klagepartei geltend macht, dass die Bedingungen, unter denen das Fahrzeug „sauber“ ist, bewusst so gewählt wurden, dass diese unter Prüfbedingungen immer, beim realen Betrieb durch den Nutzer jedoch selten bis garnicht vorkämen, verkennt sie, dass die Euro-5 und Euro-6-Grenzwerte nach der früheren gesetzlichen Regelung ausschließlich auf den NEFZ-Rollenprüfstandstest bezogen waren. Ob der jeweilige Fahrzeugtyp sie einhielt, wurden nach den EU-Vorschriften ausschließlich unter NEFZ-Prüfbedingungen getestet. Dies erlaubte es den PKW-Herstellern, ihre Emissionsstrategien auf das enge Prüfkorsett des NEFZ zuzuschneiden und entsprechend zu optimieren. Emissionen, die unter wechselnden Bedingungen im Realbetrieb der Fahrzeuge entstehen, waren nicht Gegenstand im Typgenehmigungsverfahren (vgl. Z.B. Wiedemann, NVwZ 2020, 9 (13 f.), beck-online). Eine Software, die den NEFZ-Prüfbedingungen entspricht, war daher nach damaliger Rechtslage wohl rechtmäßig. Selbst wenn man dies nachträglich anders sehen sollte, wäre eine diesbezügliche vorsätzliche sittenwidrige Schädigung durch die Beklagte zur Zeit des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Fahrzeugs im Jahr 2013 nicht ersichtlich. Denn dass die relevanten Umstände bereits damals eventuell erkennbar waren und die Beklagte sie vielleicht hätte erkennen können oder müssen, würde für die Feststellung von Vorsatz nicht ausreichen, sondern nur den Vorwurf der Fahrlässigkeit rechtfertigen (BGH, Urteil vom 6.11.2015 – VI ZR 78/14, Rz. 25). Mit ihrem Einwand, dass die Beklagte in späteren Versionen der Motorsteuerung die Werte auf einen Temperaturrahmen von – 7 Grad Celsius bis 100 Grad Celsius gegenüber dem beim streitgegenständlichen Fahrzeugmotor verwendeten Temperaturkorridor beim Motorstart im NEFZ zwischen 15 Grad Celsius und 35,5 Grad Celsius (Schriftsatz vom 17.03.2022, S. 9), dringt die Klagepartei vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen daher nicht durch.
28
d) Es kann auch nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die an der Entwicklung des streitgegenständlichen Fahrzeugmotors beteiligten Mitarbeiter bzw. die Verantwortlichen bei der Beklagten bei der Entwicklung der Funktion des „Kaltstartheizens“, deren Aktivierung laut Klagevortrag die Beklagte in ihren Motoren bestritten hat (Schriftsatz vom 17.03.2022, S. 4), in dem Bewusstsein agiert hätten, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Denn für die Vertretbarkeit der Gesetzesauslegung kommt es auf die Umstände zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs an (so OLG Koblenz, Entscheidung vom 28.12.2020 – 12 U 318/20, nicht beanstandet im Hinweisbeschluss des BGH vom 13. Oktober 2021 – VII ZR 50/21, dort Rz. 7 – zum Daimler Motor OM 651).
29
e) Soweit die Klagepartei weiterhin darauf hinweist, dass die sich aus den Messwerten in Anl. K C 1 – K C 5, insbesondere den konkreten Messergebnissen zum streitgegenständlichen Fahrzeugtyp 320 d mit Motor N47 in der streitgegenständlichen Variante EU 5, Hubraum 1995 ccm, ergebende – lediglich im Prüfstand eingehaltene – deutliche Überschreitung der gesetzlichen Messwerte im normalen Verkehr greifbare Anhaltspunkte im Sinne der Rspr. des BGH für die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung darstelle, hat sich der Senat mit diesem Argument bereits im Hinweisbeschluss (dort S. 10) befasst, ohne dass in der Gegenerklärung hierauf eingegangen wurde. Auf die Ausführungen wird insoweit Bezug genommen. Da nach der früheren gesetzlichen Regelung – 2013 – die Euro-5 und Euro-6-Grenzwerte ausschließlich auf den NEFZ-Rollenprüfstandstest bezogen waren, wurden – wie bereits ausgeführt – Emissionen, die unter wechselnden Bedingungen im Realbetrieb der Fahrzeuge entstehen, nicht im Typgenehmigungsverfahren geprüft, wie die Beklagte zutreffend ausgeführt hat (Schriftsatz vom 17.03.2022, S. 18).
30
Dass die Verantwortlichen der Beklagten bei Verwendung der Funktion „Kaltstartheizen“ bei Vornahme einer einfach rechtlichen Prüfung hätten erkennen können bzw. müssen, dass es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne der Verordnung EG 715/2007 handelt (Schriftsatz vom 17.03.2022, S. 19 ff.) würde – wie bereits ausgeführt – nur den Vorwurf der Fahrlässigkeit rechtfertigen und kann daher eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung der Klagepartei nicht begründen.
31
f) Soweit in der Gegenerklärung erneut auf aktuelle Beweisbeschlüsse anderer Zivilgerichte verwiesen wird (Schriftsatz vom 17.03.2022, S. 21 ff.), stellen pauschale Bezugnahmen auf Anlagen und bloße Rechtsprechungszitate keinen prozessordnungsgemäßen Vortrag dar bzw. können einen solchen nicht ersetzen, worauf der Senat gleichfalls bereits hingewiesen hat (vgl. Hinweisbeschluss vom 23.02.2022, S. 4/5).
32
3. Auch ansonsten, d.h. insbesondere bezüglich des Thermofensters bleibt es bei den Ausführungen im Hinweisbeschluss.
33
Anhaltspunkte dafür, dass die für die Beklagte handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung des Thermofensters im Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, hat die Klagepartei bzw. Berufung nicht aufgezeigt.
34
Die deshalb schon nicht zu sekundärer Darlegung verpflichtete Beklagte hat dies auch nicht eingeräumt.
III.
35
1. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
36
2. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.
37
3. Anlass zur Zulassung der Revision besteht nicht. Die Rechtslage ist bei Verweis auf die im Hinweisbeschluss zitierten höchstrichterlichen Entscheidungen hinreichend geklärt. Basieren im Ergebnis voneinander abweichende Entscheidungen auf unterschiedlichen tatrichterlichen Feststellungen, führt dies nicht zu einer Divergenz i.S.d. Revisionsrechts. Selbst wenn ein Berufungsgericht im Einzelfall trotz identischen Sachverhalts zu einem anderen Ergebnis – z.B. bei der Beurteilung der Frage, ob hinreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung vorgebracht wurden – als ein anderes gleich- oder höherrangiges Gericht gelangt, begründet auch dies für sich allein nicht die Notwendigkeit der Revisionszulassung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Es kommt vielmehr darauf an, ob eine Divergenz in Rechtsfragen oder ein Rechtsfehler mit symptomatischer Bedeutung vorliegt (BGH, Beschluss vom 16.09.2003 – XI ZR 238/02). Beides ist hier nach Einschätzung des Senats nicht ersichtlich.