Titel:
Grober Behandlungsfehler, Hypothetischer Kausalverlauf, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Kostenentscheidung, Informatorische Anhörung, Befunderhebungsfehler, Sachverständigengutachten, Prozeßbevollmächtigter, Außergerichtliche Kosten, Berufungsbeklagter, Gesamtschuldner, Beweiswürdigung, Aussageverhalten, Prozeßrechtsverhältnis, Beweiserleichterung, Eingegangene Schriftsätze, Ärztlicher Sachverständiger, Erhebliches Eigeninteresse, medizinischer Sachverständiger, Schmerzensgeld
Normenkette:
BGB § 630h Abs. 5 Sätze 1 und 2
Leitsätze:
1. Zur Geltung der Beweiserleichterungen zugunsten des Patienten bei grobem Behandlungsfehler durch medizinisches Hilfspersonal.
2. Zur Beweiserleichterung bei einem einfachen Befunderhebungsfehler (§ 630h Abs. 5 Satz 2 BGB).
3. Dem Grundsatz der fachgleichen Begutachtung steht es nicht entgegen, die Tätigkeit einer medizinischen Hilfsperson durch einen ärztlichen Sachverständigen des einschlägigen Fachgebiets begutachten zu lassen.
Schlagworte:
Schadensersatzansprüche, Behandlungsfehler, Blutzuckerbestimmung, Unterzuckerung, Parenchymblutung, grober Behandlungsfehler, Kausalität, Blutzuckermessung, Sauerstoffunterversorgung, Informationsweitergabe, Schmerzensgeld, Beweiswürdigung
Vorinstanz:
LG Memmingen, Endurteil vom 04.02.2020 – 23 O 1909/16
Fundstelle:
BeckRS 2022, 53616
Tenor
I. Die Berufungen des Klägers und der Beklagten zu 4) gegen das Endurteil des Landgerichts Memmingen vom 04.02.2020, Az. 23 O 1909/16, werden zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Berufungsverfahrens sind wie folgt zu tragen:
Die Gerichtskosten sowie die außergerichtlichen Kosten des Klägers tragen dieser zu 2/3 und die Beklagte zu 4) zu 1/3. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2) und 3) trägt der Kläger. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 4) trägt diese selbst.
III. Dieses Urteil ist ebenso wie das in Nr. I genannte Urteil des Landgerichts Memmingen ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Jede Partei kann die Vollstreckung durch die jeweilige Gegenpartei gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweilige Gegenpartei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Entscheidungsgründe
1
Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche des Klägers aus von diesem behaupteter fehlerhafter Behandlung während und nach seiner Geburt.
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Der Kläger kam am 23.10.2013 um 20:45 Uhr in der Klinik der Beklagten zu 4) zur Welt, wobei die Geburtshilfe durch den Beklagten zu 2) (Belegarzt) und die Beklagte zu 3) (Beleghebamme) erfolgte. Obwohl den Beklagten zu 2) und 3) bekannt war, dass bei der Mutter des Klägers während der Schwangerschaft ein diätetisch eingestellter Schwangerschaftsdiabetes festgestellt worden war, erfolgte im Kreißsaal keine Blutzuckerbestimmung beim Kläger, bis dieser zwischen 22:45 Uhr und 23:15 Uhr unter Übergabe des klägerseits als Anlage K 2 vorgelegten Entbindungsjournals an die bei der Beklagten zu 4) beschäftigte Kinderkrankenschwester, die Zeugin S., zur Übernahme auf die Wochenbettstation übergeben wurde. Auch dort fand zunächst keine Blutzuckermessung statt; erst nachdem am ....2013 um 09:15 Uhr beim Wickeln aufgefallen war, dass der Kläger, der mit einer Stauungszyanose auf die Welt gekommen war, auch am Körperstamm zyanotisch war, wurde eine Blutzuckermessung veranlasst, welche den viel zu niedrigen Wert von 17 mg/dl ergab. Bei Übergabe des Klägers an den Babynotarzt war der Blutzucker nicht mehr messbar und die Sauerstoffsättigung im Blut auf 60% abgefallen. Der Kläger macht geltend, aufgrund fehlerhafter Behandlung durch die Beklagten zu 2) und 3) sowie die bei der Beklagten zu 4) beschäftigte Zeugin S. sei es zu seiner Unterzuckerung (Hypoglykämie) und infolge dessen zu einer postpartalen Parenchymblutung gekommen, die wiederum zu schweren geistigen und körperlichen Beeinträchtigungen geführt habe.
3
Vor dem Landgericht nahm der Kläger die Beklagten zu 2) bis 4) sowie den mit dem Beklagten zu 2) in einer Gemeinschaftspraxis tätigen Beklagten zu 1) auf Zahlung eines Schmerzensgeldes von mindestens 150.000,00 € in Anspruch und beantragte die Feststellung, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet seien, ihm sämtliche bisherigen und künftigen materiellen sowie derzeit noch nicht vorhersehbare immaterielle Schäden aus der Behandlung vom .../....2013 zu ersetzen.
4
Nachdem das Landgericht die Beklagten zu 2) und 3) informatorisch angehört, die Zeugin S. uneidlich vernommen und (jeweils in mündlicher Verhandlung erläuterte) Sachverständigengutachten eines Gynäkologen (Professor Dr. Wö.) und eines Neuropädiaters (Professor Dr. St.) erholt hatte, hat es mit dem Klägervertreter am 07.02.2020, dem Beklagtenvertreter zu 4) am 06.02.2020 zugestelltem Endurteil vom 04.02.2020 (Bl. 368/383 d. A.) die Klage gegen die Beklagten zu 1) bis 3) abgewiesen und die Beklagte zu 4) zur Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 150.000,00 € verurteilt sowie festgestellt, dass die Beklagte zu 4) verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materiellen und die am 06.12.2019 noch nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden aus der Behandlung vom ... und ....2013 zu ersetzen. Hinsichtlich des streitgegenständlichen Sachverhalts, der vom Landgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen und des Inhalts der Entscheidung im Einzelnen wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf dieses Urteil Bezug genommen.
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Mit ihrer am 02.03.2020 eingegangenen und nach gewährter Fristverlängerung bis zum 06.05.2020 mit am 05.05.2020 eingegangenem Schriftsatz begründeten Berufung verfolgt die Beklagte zu 4) ihr Ziel der Abweisung der gegen sie gerichteten Klage weiter und macht in der Berufungsbegründung im Wesentlichen geltend,
- das Landgericht habe aufgrund einer nicht nachvollziehbaren Beweiswürdigung angenommen, die Beklagte zu 3) habe der Zeugin S. mündlich mitgeteilt, dass bei der Mutter des Klägers ein Schwangerschaftsdiabetes vorgelegen habe;
- das Landgericht habe nicht nachvollziehbar begründet, worauf es seine Auffassung stützt, die Zeugin S. habe behandlungsfehlerhaft gehandelt, weil sie nicht die gesamten ihr von der Beklagten zu 3) übergebenen Unterlagen geprüft habe; insoweit wäre ein medizinisches Sachverständigengutachten erforderlich gewesen;
- es hätten im Schriftsatz vom 11.12.2018 (Seiten 2 f., Bl. 226 f. d. A.) benannte weitere Zeuginnen (auf der Station tätige Krankenschwestern) zum Beweis für die Maßgeblichkeit eines „großen Aufklebers“ auf den Behandlungsunterlagen für die weitere Behandlung vernommen werden müssen, aus dem sich jedoch der Schwangerschaftsdiabetes nicht ergeben habe;
- die Einordnung des Unterlassens der Blutzuckerbestimmungen als grober Behandlungsfehler werde weder durch die einschlägige AWMF-Leitlinie 024/006 noch durch die Angaben der Sachverständigen gestützt;
- die Annahme des Landgerichts, bei Durchführung der Blutzuckerbestimmungen hätte sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Hypoglykämie als reaktionspflichtiger Befund ergeben, sei nicht belegt; unklar sei schon, zu welchen Zeitpunkten diese Messungen hätten durchgeführt werden müssen;
- es sei nicht nachvollziehbar, weshalb bei den Beschäftigten der Beklagten zu 4) ein grober Behandlungsfehler angenommen werde, nicht aber bei den Beklagten zu 2) und 3), die bereits im Kreißsaal die erste Blutzuckermessung hätten durchführen müssen.
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Im Einzelnen wird hinsichtlich des Vortrags des Beklagten zu 4) in der Berufungsinstanz auf die Schriftsätze ihres Prozessbevollmächtigten vom 05.05.2020 (Bl. 421/451 d. A.), vom 17.09.2021 (Bl. 584/594 d. A.), vom 08.04.2022 (Bl. 605 f. d. A.) und (das Ergebnis der Beweisaufnahme und die Rechtslage würdigend) vom 28.11.2022 (Bl. 622/625 d. A.) sowie auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 25.03.2021 (Bl. 517/524 d. A.) und vom 03.11.2022 (Bl. 616/621 d. A.) Bezug genommen.
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Im Berufungsverfahren beantragt die Beklagte zu 4):
1. Die Entscheidung des Landgerichts Memmingen, Az. 23 O 1909/16 vom 04.02.2020 wird in Tenor Nr. 1 + 2 aufgehoben.
2. Die Klage wird auch im Hinblick auf die Beklagte zu 4 abgewiesen.
die Zurückweisung der Berufung der Beklagten zu 4).
9
Mit seiner eigenen, am 05.03.2020 eingegangenen und nach gewährter Fristverlängerung bis zum 06.05.2020 mit an diesem Tag eingegangenem Schriftsatz begründeten Berufung verfolgt der Kläger seine Ansprüche gegen die Beklagten zu 2) und 3), nicht aber gegen den Beklagten zu 1) weiter. Mit seiner Berufungsbegründung macht er im Wesentlichen geltend,
- das Landgericht habe rechtsfehlerhaft verkannt, dass in der Unterlassung der ersten Blutzuckermessung im Kreißsaal ein Behandlungsfehler sowohl des Beklagten zu 2) als auch der Beklagten zu 3) zu sehen sei; wäre diese erste Messung erfolgt, wäre es auch zu weiteren Messungen auf der Station gekommen, die dann einen reaktionspflichtigen Befund ergeben hätten;
- das Landgericht habe weiter verkannt, dass das Unterlassen der ersten Blutzuckermessung noch im Kreißsaal nach Einschätzung des Sachverständigen Professor Dr. St. als grober Fehler zu werten sei;
- dem Personal der Wochenbettstation hätten Anweisungen mit Blick auf die Behandlung der beim zyanotischen Kläger gegebenen Sauerstoffunterversorgung gegeben werden müssen, die grob fehlerhaft nicht behandelt worden sei.
10
Im Einzelnen wird hinsichtlich des Vortrags des Klägers in der Berufungsinstanz (auch bezüglich seiner Erwiderung auf die Berufung der Beklagten zu 4)) auf die Schriftsätze seines Prozessbevollmächtigten vom 06.05.2020 (Bl. 452/464 d. A.), vom 10.06.2020 (Bl. 474/479 d. A.) und vom 30.09.2021 (Bl. 599 f. d. A.) sowie auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 25.03.2021 (Bl. 517/524 d. A.) und vom 03.11.2022 (Bl. 616/621 d. A.) Bezug genommen.
11
Der Kläger beantragt im Rahmen seiner eigenen Berufung:
1. Das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 04.02.2020, Az. 23 O 1909/16 wird teilweise abgeändert und die Berufungsbeklagten Ziffer 1 und Ziffer 2 [i. e. nach hiesiger Zählung: die Berufungsbeklagten Ziffer 2 und Ziffer 3] werden als Gesamtschuldner mit der Berufungsbeklagten Ziffer 3 [i. e.: der Beklagten zu 4) ] verurteilt, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens aber 150.000,00 € nebst Verzugszinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen;
2. Das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 04.02.2020, Az. 23 O 1909/16 wird teilweise abgeändert und es wird festgestellt, dass die Berufungsbeklagten zu Ziffer 1 und 2 [i. e. nach hiesiger Zählung: die Berufungsbeklagten Ziffer 2 und Ziffer 3] als Gesamtschuldner mit der Berufungsbeklagten Ziffer 3 [i. e.: der Beklagten zu 4) ] verpflichtet sind, dem Kläger alle weiteren materiellen Schäden zu ersetzen, die ihm aus der fehlerhaften Behandlung in der Zeit vom ....2013 bis ....2013 entstanden sind und noch entstehen werden, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden;
3. Das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 04.02.2020, Az. 23 O 1909/16 wird teilweise abgeändert und es wird festgestellt, dass die Berufungsbeklagten zu Ziffer 1 und 2 [i. e. nach hiesiger Zählung: die Berufungsbeklagten Ziffer 2 und Ziffer 3] als Gesamtschuldner mit der Berufungsbeklagten Ziffer 3 [i. e.: der Beklagten zu 4) ] verpflichtet sind, dem Kläger alle weiteren immateriellen Schäden zu ersetzen, die ihm aus der fehlerhaften Behandlung in der Zeit vom ....2013 bis ....2013 noch entstehen werden.
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Die Beklagten zu 2) und 3) beantragen jeweils
die Zurückweisung der klägerischen Berufung.
13
Hinsichtlich des Vortrags des Beklagten zu 2) in der Berufungsinstanz wird auf die Schriftsätze seiner Prozessbevollmächtigten vom 24.07.2020 (Bl. 486/489 d. A.) und vom 22.09.2021 (Bl. 596 f. d. A.) sowie auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 25.03.2021 (Bl. 517/524 d. A.) und vom 03.11.2022 (Bl. 616/621 d. A.) Bezug genommen. Hinsichtlich des Vortrags der Beklagten zu 3) in der Berufungsinstanz wird auf die Schriftsätze ihres Prozessbevollmächtigten vom 10.06.2020 (Bl. 480/484 d. A.), vom 09.08.2021 (Bl. 566/570 d. A.) und vom 08.10.2021 (Bl. 602/604 d. A.) sowie auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 25.03.2021 (Bl. 517/524 d. A.) und vom 03.11.2022 (Bl. 616/621 d. A.) Bezug genommen.
- am 25.03.2021 mit der Beklagten zu 3) und den Parteivertretern mündlich verhandelt und dabei die Beklagte zu 3) informatorisch angehört und die Zeugin S. uneidlich einvernommen (s. Protokoll Bl. 517/524 d. A.);
- gemäß Beweisbeschluss vom 29.04.2021 (Bl. 530/532 d. A.) ein neonatologisches Gutachten des Sachverständigen Professor Dr. Ma. erholt, welches dieser unter dem 24.07.2021 erstattete (Bl. 533/562 d. A.);
- am 03.11.2022 erneut mit den Parteivertretern mündlich verhandelt. Im Rahmen der Verhandlung hat der Sachverständige Professor Dr. Ma. sein Gutachten mündlich erläutert (s. Protokoll Bl. 616/621 d. A.).
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Die zulässige Berufung der Beklagten zu 4) ist unbegründet. Das Landgericht ist zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass die Beklagte zu 4) dem Kläger für die Folgen der bei ihm nach seiner Geburt eingetretenen Parenchymblutung aus § 280 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 630a Abs. 1 und 2 BGB schadensersatzpflichtig ist, weil die der Beklagten zu 4) gemäß § 278 Satz 1 BGB zuzurechnende Krankenschwester S. es (grob) fehlerhaft unterlassen hat, etwa sechs Stunden nach der Geburt des Klägers dessen Blutzuckerspiegel zu messen oder eine solche Messung zu veranlassen.
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1. Im Unterlassen der Messung des klägerischen Blutzuckerspiegels etwa sechs Stunden nach der Geburt liegt in Anbetracht des Schwangerschaftsdiabetes der Mutter des Klägers ein Behandlungsfehler in Gestalt einer fehlerhaft unterlassenen Befunderhebung.
17
a) Dieser Ausgangspunkt ist „an sich“ zwischen den Parteien nicht umstritten. Auch die Beklagte zu 4) hat in der Berufungsbegründung (Seiten 16 bis 21, Bl. 436/441 d. A.) insoweit zwar gegen die Annahme eines groben, nicht aber gegen die Annahme überhaupt eines Behandlungsfehlers argumentiert. Dass in Anbetracht des Schwangerschaftsdiabetes der Mutter des Klägers dessen Blutzucker etwa sechs Stunden nach seiner Geburt hätte gemessen werden müssen, ergibt sich sowohl aus der in der Berufungsbegründung (a. a. O.) genannten (und erstinstanzlich als Anlage B4-2 vorgelegten) Leitlinie als auch aus der erstinstanzlich vom Beklagtenvertreter zu 2) als Anlage B1 vorgelegten hausinternen Anweisung der Beklagten zu 4) selbst; der neonatologische Sachverständige Professor Dr. Ma. hat in seinem schriftlichen Gutachten vom 24.07.2021 (Seiten 9 bis 11 und 16, Bl. 541/543 und 548 d. A.) und in der Berufungsverhandlung vom 03.11.2022 (Seiten 3 f. des Protokolls, Bl. 618 f. d. A.) dieses Verständnis der Handlungsanweisungen bestätigt und sie seinen Ausführungen als für die Behandlung maßgeblich zugrunde gelegt. Es besteht für den Senat kein Anlass, an diesen Ausführungen des offenbar kompetenten Sachverständigen, der die medizinische Problematik sowohl in seinem schriftlichen Gutachten vom 24.07.2021 (Bl. 533/562 d. A.) als auch in der Berufungsverhandlung vom 03.11.2022 (Protokoll Bl. 616/621 d. A.) nachvollziehbar und verständlich sowie in der Berufungsverhandlung emotionsfrei erläuterte, zu zweifeln. Auch die Zeugin S. hat in ihrer Einvernahme vom 18.12.2018 durch das Landgericht auf Frage des Beklagtenvertreters zu 4) erklärt, es habe ein Blutzuckerschema gegeben, „wonach Blutzuckerkontrollen nach 2, 6 und 12 Stunden zu veranlassen waren“ (Seite 7 [drittletzter Absatz] des Protokolls, Bl. 248 d. A.). In gleicher Weise hat sie in der Berufungsverhandlung vom 25.03.2021 (Seite 6 des Protokolls, Bl. 522 d. A.) gesagt: „Die Anlage B 1,Indikationen für Blutzuckerkontrollen' ist der in der Klinik der Beklagten zu 4) geltende Standard. Er ist mir bekannt. Es wären danach Blutzuckerkontrollen nach 2, 6 und 12 Stunden erforderlich gewesen […]“. Schließlich hat auch der Beklagtenvertreter zu 4) in der Berufungsverhandlung vom 03.11.2022 (insoweit nicht protokolliert, dem Senat aber noch erinnerlich) erklärt, dass auf der Wochenbettstation ohne Zweifel die fragliche Blutzuckermessung erfolgt wäre, wenn denn der Schwangerschaftsdiabetes der Mutter des Klägers dort bekannt gewesen wäre.
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b) Vor diesem Hintergrund besteht die relevante Frage darin, ob im Unterlassen der Befunderhebung hier deshalb kein Behandlungsfehler zu sehen ist, weil die Zeugin S., wie sie in ihrer Einvernahme vom 18.12.2018 (Seite 7 Mitte des Protokolls, Bl. 248 d. A.) erklärte, während der gesamten Nacht keine Kenntnis vom Schwangerschaftsdiabetes der Mutter des Klägers hatte. Diese Frage ist zu verneinen, weil das Fehlen dieser Kenntnis vorwerfbar ist; die Zeugin S. (oder ein anderer Bediensteter der Wochebettstation der Beklagten zu 4)) hätte den Eintrag „SS-Diabetes (Diät)“ auf der Seite 1 (letztes Drittel in der Mitte einer Zeile) des erstinstanzlich als Anlage K 2 vorgelegten vierseitigen Entbindungsjournals zur Kenntnis nehmen müssen. Die gegenteilige Ansicht der Beklagten zu 4) kann nicht überzeugen.
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aa) Bereits in seinem schriftlichen Gutachten vom 24.07.2021 (Seiten 18 f., Bl. 550 f. d. A.) hat der neonatologische Sachverständige Professor Dr. Ma. seine Bewertung, dass es „aus objektiver Sicht unverständlich“ sei, dass die vorgesehenen Blutzuckerbestimmungen beim Kläger unterblieben, auch auf den Umstand gestützt, dass „[i]m Mutterpass und auf der ersten Seite (= Deckblatt) des Entbindungsjournals […] die Diagnose,SS-Diabetes' an prominenter Stelle dokumentiert“ war, und so zum Ausdruck gebracht, dass es zu den Pflichten der Bediensteten der den Kläger übernehmenden Wochenbettstation gehörte, jedenfalls an prominenter Stelle befindliche Eintragungen auf der ersten Seite (= auf dem Deckblatt) des Entbindungsjournals zur Kenntnis zu nehmen. Diese (aus Sicht des Senats naheliegende) Auffassung hat der Sachverständige im Rahmen seiner Einvernahme in der Berufungsverhandlung vom 03.11.2022 (Seite 4 des Protokolls, Bl. 619 d. A.) bekräftigt.
20
(1) Damit verfängt die Argumentation der Beklagten zu 4), nicht das Entbindungsjournal, sondern die (vom Beklagtenvertreter zu 4) mit Schriftsatz vom 20.12.2017 als Anlage NI 1 vorgelegte) „Kurve“ mit dem „großen Aufkleber“ sei für die Weiterbehandlung maßgeblich gewesen, von vornherein nicht, weshalb auch die Berufungsrüge, das Landgericht hätte diesbezüglich benannte Zeugen anhören müssen, keinen Erfolg haben kann. Ohne, dass es darauf ankäme, fiele im Übrigen auch der Umstand, dass auf dem „großen Aufkleber“ der Schwangerschaftsdiabetes nicht als Risiko vermerkt ist, wiederum der Beklagten zu 4) zur Last, mit deren Computersystem der Aufkleber erstellt wurde. Der Vortrag der Beklagten zu 3), sie habe auch das Risiko Schwangerschaftsdiabetes in das System eingegeben (Seiten 1 f. des Schriftsatzes des Beklagtenvertreters zu 3) vom 12.01.2018, Bl. 166 f. d. A.; Seite 5 des Protokolls vom 18.12.2018, Bl. 246 d. A.), wurde nicht bestritten und findet zudem eine Stütze in dem Umstand, dass der im selben Zuge erstellte „kleine Aufkleber“ auf der zweiten Seite des Entbindungsjournals (Anlage K 2) als Schwangerschaftsrisiko unter anderem die Kennung „50“ aufweist, die nach dem Vortrag der Beklagten zu 3) (Seite 2 des Schriftsatzes vom 22.11.2018, Bl. 220 d. A.) für Gestationsdiabetes (= Schwangerschaftsdiabetes) steht, was auch die Beklagte zu 4) nicht in Abrede gestellt hat (vgl. Seite 3 des Schriftsatzes vom 11.12.2018, Bl. 227 d. A.).
21
(2) Aus dem Umstand, dass die Zeugin S. den Eintrag „SS-Diabetes“ auf der ersten Seite des Entbindungsjournals hätte zur Kenntnis nehmen müssen, folgt zugleich, dass auch ihr Vorbringen, die Beklagte zu 3) habe sie bei der Übergabe nicht auf das Problem des Schwangerschaftsdiabetes hingewiesen, unbehelflich ist, da dieses – hier unterstellte und erst im Rahmen der klägerischen Berufung (Abschnitt III Nr. 2) näher zu diskutierende – Unterlassen für den Fall, dass die Zeugin S. den Eintrag auf dem Entbindungsjournal (wie geboten) zur Kenntnis genommen hätte, ohne jegliche Auswirkungen geblieben wäre. Die Frage, ob die Beweiswürdigung des Landgerichts dahingehend, dass die Beklagte zu 3) der Zeugin S. den Schwangerschaftsdiabetes mündlich mitgeteilt habe, zutreffend ist, kann daher an dieser Stelle auf sich beruhen.
22
bb) Für den Senat besteht auch kein Zweifel daran, dass der Zeugin S. das als Anlage K 2 vorgelegte Entbindungsjournal mit dem diskutierten Eintrag „SS-Diabetes (Diät)“ von der Beklagten zu 3) übergeben wurde.
23
(1) Die Zeugin S. selbst hat in ihrer Vernehmung durch das Landgericht am 18.12.2018 (Seite 7 des Protokolls, Bl. 248 d. A.) erklärt: „Dass auf diesem Bericht der Schwangerschaftsdiabetes genannt ist, habe ich damals nicht gelesen. Der Bericht war jedoch bei den mir übergebenen Anlagen dabei.“ In der Berufungsverhandlung vom 25.03.2021 (Seite 6 des Protokolls, Bl. 522 d. A.) äußerte sie: „Ich lese grundsätzlich auch das Entbindungsjournal. Im Fall des Klägers habe ich den Eintrag,SS-Diabetes (Diät)' aber nicht gesehen.“ Dass dieser Eintrag im Zeitpunkt der Übergabe des Entbindungsjournals an die Zeugin S. noch gar nicht vorhanden gewesen sei, hat weder die Zeugin S. ausgesagt noch die Beklagte zu 4) behauptet.
24
(2) Letzteres änderte sich erst mit dem Schriftsatz der Beklagten zu 4) vom 17.09.2021 (Seite 3, Bl. 586 d. A.; vgl. auch Seiten 2 f. des Schriftsatzes vom 28.11.2022 zu Nr. 3, Bl. 623 f. d. A.), wonach die Unkenntnis der Zeugin S. von dem Vermerk nunmehr mit dessen angeblicher Nichtexistenz erklärt werden soll. In der Berufungsverhandlung vom 03.11.2022 erklärte der Beklagtenvertreter zu 4) (nicht protokolliert, dem Senat aber noch erinnerlich) diese Wendung damit, dass die Zeugin S. ihn nach der ersten Berufungsverhandlung (vom 25.03.2021) angerufen und ihm erklärt habe, der Eintrag habe „nicht dagestanden“.
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Unabhängig davon, ob dieser Vortrag überhaupt gemäß § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO zulässig ist, vermag der Senat ihm jedenfalls nicht zu folgen.
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(a) Sämtliche Einlassungen der Zeugin S. zeigen deutlich, dass sie dem Entbindungsjournal gegenüber dem „großen Aufkleber“ bestenfalls eine untergeordnete Bedeutung beigemessen hat. Dem entsprechend hat sie weder bei ihrer erstinstanzlichen noch bei ihrer Vernehmung durch den Senat auch nur ansatzweise geltend gemacht, wenn der Eintrag im Zeitpunkt der Übergabe vorhanden gewesen wäre, hätte sie ihn (aufgrund ihrer aufmerksamen Lektüre des Entbindungsjournals) wahrnehmen müssen.
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(b) In der dem Beklagtenvertreter zu 4) gegenüber „nachgereichten“ Erklärung kann daher nur eine die Zeugin entlastende, aber keinesfalls zwingende Schlussfolgerung durch diese selbst gesehen werden. Es bestehen auch überhaupt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Eintrag „SS-Diabetes (Diät)“ später vorgenommen worden sein könnte als die übrigen Eintragungen. Das Gegenteil ist der Fall: Die Eintragungen auf der ersten Seite des Entbindungsjournals weisen alle dieselbe Handschrift auf; auch wurde das Journal von der Beleghebamme (Beklagte zu 3)) an die Wochenbettstation der Beklagten zu 4) übergeben. Um das Journal nachträglich (durch Einfügen des Eintrags „SS-Diabetes (Diät)“) manipulieren zu können, hätte es die Beklagte zu 3) also der Obhut der Beklagten zu 4) entwinden müssen, was aber auch die Beklagte zu 4) nicht behauptet.
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2. Der mithin gegebene Behandlungsfehler (Befunderhebungsfehler), der darin besteht, dass der Blutzucker des Klägers auf der Wochenbettstation nicht erstmals etwa sechs Stunden, sondern erst etwa zwölfeinhalb Stunden nach seiner Geburt (am ....2013 gegen 09:15 Uhr) gemessen wurde, ist als grob zu bewerten, so dass gemäß § 630h Abs. 5 Satz 1 BGB seine Ursächlichkeit für die beim Kläger aufgetretene Parenchymblutung zu vermuten ist.
29
a) Zur Bedeutung des Rechtsbegriffs des groben Behandlungsfehlers hat der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 24.05.2022 (VI ZR 206/21 – juris Rn. 11) Folgendes ausgeführt:
„Ein Behandlungsfehler ist nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats als grob zu bewerten, wenn der Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf. Bei der Einstufung eines ärztlichen Fehlverhaltens als grob handelt es sich um eine juristische Wertung, die dem Tatrichter und nicht dem Sachverständigen obliegt. Dabei muss diese wertende Entscheidung des Tatrichters jedoch in vollem Umfang durch die vom ärztlichen Sachverständigen mitgeteilten Fakten getragen werden und sich auf die medizinische Bewertung des Behandlungsgeschehens durch den Sachverständigen stützen können […]“
30
Wie sich bereits aus dieser Formulierung ergibt, ist das Konzept des groben Behandlungsfehlers ein objektives; auf den subjektiven Grad der Vorwerfbarkeit gegenüber dem Arzt kommt es dabei nicht an (BGH vom 08.02.2022 – VI ZR 409/19 – juris Rn. 16).
31
Die Grundsätze für Beweiserleichterungen zugunsten des Patienten bei groben Behandlungsfehlern hinsichtlich der Kausalität gelten auch für das (hier inmitten stehende) Fehlverhalten des medizinischen Hilfspersonals (vgl. BGH vom 10.11.1970 – VI ZR 83/69 – juris Rn. 32; OLG Frankfurt vom 22.12.1983 – 1 U 226/82 – VersR 1984, 168/169; OLG Stuttgart vom 20.08.1992 – 14 U 3/92 – juris Rn. 45; KG vom 20.03.2017 – 20 U 147/16 – juris Rn. 21).
32
b) Hieran gemessen, ist das Unterlassen der Blutzuckermessung etwa sechs Stunden nach der Geburt des Klägers als grober Behandlungsfehler (Befunderhebungsfehler) zu werten.
33
aa) Wie der neonatologische Sachverständige Professor Dr. Ma. in seinem schriftlichen Gutachten vom 24.07.2021 (Seiten 15 f., Bl. 547 f. d. A.) ausgeführt hat, wurde „[m]it dieser viel zu späten Blutzuckerbestimmung [i. e.: erst am ....2013 gegen 09:15 Uhr] […] in eklatanter Weise gegen die übliche Überwachung von Kindern diabetischer Mütter und gegen die damals geltenden Standards verstoßen“, bzw. „stellt es einen eklatanten Verstoß gegen den einzuhaltenden medizinischen Behandlungsstandard dar, dass [beim Kläger] im Zeitraum von seiner Geburt (....2013, 20:45 Uhr) bis zum Folgetag, dem ....2013, um 09:15 Uhr keine einzige Blutzuckermessung erfolgte.“ Dem entsprechend, kam er zu dem Schluss (Seite 19 des Gutachtens, Bl. 551 d. A.), dass „es aus objektiver Sicht unverständlich [ist], dass [beim Kläger] die vorgesehenen Blutzuckerbestimmungen unterblieben“. Aus diesen Formulierungen des Sachverständigen, dem der Senat auch insoweit folgt, ergibt sich unmissverständlich, dass ein Zuwarten mit der ersten Blutzuckermessung bis zwölfeinhalb Stunden nach der Geburt des Klägers schlechterdings nicht hätte passieren dürfen.
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bb) Der Bewertung dieses Unterlassens als grob steht auch nicht entgegen, dass die Zeugin S., die bei Übernahme des Klägers offenkundig von der beim Kläger ebenfalls vorhandenen, mit dem Hyperinsulinismus des Klägers aber ausweislich der Ausführungen des geburtshilflichen Sachverständigen Professor Dr. Wö. (Seite 9 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 18.12.2018, Bl. 250 d. A.) nicht zusammenhängenden Stauungszyanose beeindruckt war, mangels Kenntnisnahme vom Schwangerschaftsdiabetes der Mutter des Klägers keinen Anlass für die Durchführung einer Blutzuckermessung gesehen hat.
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(1) Dass es „menschlich nachvollziehbar“ sein mag, dass die Zeugin S. womöglich durch die Stauungszyanose „abgelenkt“ war und deshalb unterlassen hat, die Eintragungen jedenfalls auf Seite 1 des Entbindungsjournals zur Kenntnis zu nehmen, ist insofern von vornherein unerheblich, als es für die Frage eines groben Behandlungsfehlers, wie oben ausgeführt, nicht auf den subjektiven Grad der Vorwerfbarkeit, sondern darauf ankommt, ob der Fehler aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt (bzw. hier dem ärztlichen Hilfspersonal) schlechterdings nicht unterlaufen darf.
36
(2) Das Unterlassen der Blutzuckermessung etwa sechs Stunden nach der Geburt des Klägers ist auch nicht deshalb nur als einfacher Behandlungsfehler zu qualifizieren, weil die Nichtzurkenntnisnahme des Eintrags „SS-Diabetes (Diät)“ im Entbindungsjournal nur einfach fehlerhaft gewesen wäre und auf dieser Grundlage der Unkenntnis nach dem medizinischen Standard überhaupt keine Veranlassung für eine Blutzuckermessung bestanden hätte.
37
(a) Zum einen erachtet der Senat auf der Grundlage der Ausführungen des neonatologischen Sachverständigen Professor Dr. Ma. auch das Unterlassen des Lesens der auf der ersten Seite des Entbindungsjournals enthaltenen Eintragungen durch die Zeugin S. im oben dargelegten Sinne als – objektiv – grob. Der Sachverständige hat in seinem schriftlichen Gutachten vom 24.07.2021 (Seiten 14 und 18, Bl. 546 und 550 d. A.) zweimal darauf hingewiesen, dass „auf der ersten Seite (= Deckblatt) des Entbindungsjournals […] die Diagnose,SS-Diabetes' an prominenter Stelle dokumentiert“ war, und im selben Sinne im Rahmen seiner Einvernahme durch den Senat am 03.11.2022 (Seite 4 des Protokolls, Bl. 619 d. A.) ausgeführt: „Dennoch ist es so, dass die Krankenunterlagen und die dort vermerkten Befunde vom übernehmenden Personal zur Kenntnis zu nehmen und zu beachten sind. Im vorliegenden Fall war der Schwangerschaftsdiabetes prominent auf der ersten Seite festgehalten.“ Damit bringt der Sachverständige unmissverständlich (und aus Sicht des Senats naheliegenderweise) zum Ausdruck, dass es schlechterdings nicht passieren darf, dass für die Weiterbehandlung eines Neugeborenen wichtige Befunde im Entbindungsjournal vom Personal der Wochenbettstation nicht zur Kenntnis genommen werden, zumal wenn sich diese Befunde auf der ersten Seite des Entbindungsjournals an prominenter Stelle befinden.
38
(b) Zum anderen und unabhängig davon kann das vorwerfbare Unterlassen des Lesens des Entbindungsjournals, das zur Verkennung der Situation und infolge dessen zum Unterlassen der Blutzuckermessung geführt hat, nicht zur Folge haben, dass die Beklagte zu 4) besser gestellt wird, als wenn die Zeugin Su. das Entbindungsjournal zwar gelesen, aber gleichwohl keine Blutzuckermessung veranlasst hätte.
39
c) Rechtsfolge des groben Befunderhebungsfehlers ist, wie ausgeführt, dass seine Ursächlichkeit für die beim Kläger aufgetretene Parenchymblutung zu vermuten ist (vgl. § 630h Abs. 5 Satz 1 BGB). Dieser Grundsatz gilt allerdings dann ausnahmsweise nicht, wenn die zu vermutende Kausalität im Einzelfall „äußerst unwahrscheinlich“ wäre (vgl. BGH vom 24.05.2022 ‒ VI ZR 206/21 ‒ juris Rn. 18). Ein solcher Ausnahmefall ist nicht gegeben. Wie der Sachverständige Professor Dr. Ma. in seinem schriftlichen Gutachten vom 24.07.2021 (Seiten 11, 15 und 19 f., Bl. 543, 547 und 551 f. d. A.) erklärte, wäre die beim Kläger aufgetretene schwere symptomatische Hypoglykämie mit ihren schädlichen Folgen für das Gehirn jedenfalls mit großer Wahrscheinlichkeit vermieden worden. In der Berufungsverhandlung vom 03.11.2022 (Seiten 4 f. des Protokolls, Bl. 619 f. d. A.) erläuterte der Sachverständige ebenso verständlich und nachvollziehbar, dass die Hypoglykämie des Klägers jedenfalls (neben einer nicht besonders stark ausgeprägten Sauerstoffmangelversorgung) mitursächlich für die bei ihm eingetretene Parenchymblutung gewesen ist. Mit diesen Ausführungen übereinstimmend, erklärte der neuropädiatrische Sachverständige Professor Dr. St. in seinem schriftlichen Gutachten vom 23.07.2019 (Seiten 9 f., Bl. 318 f. d. A.), dass die beim Kläger aufgetretene Hirnblutung (Parenchymblutung) multifaktoriell zu erklären ist, aber mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 50% hätte verhindert werden können, wenn die sich anbahnende Hypoglykämie durch Blutzuckerkontrollen zwei bis drei sowie sechs Stunden nach der Geburt des Klägers erkennt worden wäre. In seiner Einvernahme durch das Landgericht (Seiten 4 f. des Protokolls der Verhandlung vom 06.12.2019, Bl. 356 f. d. A.) erklärte der Sachverständige Professor Dr. St. (wie der Sachverständige Professor Dr. Ma. bei seiner Einvernahme durch den Senat am 03.11.2022), dass für ihn zwei Faktoren für die eingetretene Hirnschädigung verantwortlich sind, nämlich die Unterzuckerung und die Sauerstoffuntersättigung. Von einem „äußerst unwahrscheinlichen“ Zusammenhang kann also keine Rede sein.
40
3. Aus den zuletzt gemachten Ausführungen folgt im Gegenteil, dass sich eine Haftung der Beklagten zu 4) (in Anwendung des § 630h Abs. 5 Satz 2 BGB) selbst dann ergäbe, wenn man, anders als der Senat, im Unterlassen der Blutzuckermessung etwa sechs Stunden nach der Geburt des Klägers nur einen einfachen Behandlungsfehler (Befunderhebungsfehler) sähe.
41
a) Hinsichtlich der – hier unterstellt einfach – behandlungsfehlerhaften Unterlassung der Blutzuckermessung wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
42
b) Die gemäß § 630h Abs. 5 Satz 2 BGB (in gleicher Weise wie beim groben Behandlungsfehler gemäß Satz 1 dieser Vorschrift) zu vermutende Ursächlichkeit des (einfachen) Befunderhebungsfehlers für den eingetretenen Primärschaden (hier: Parenchymblutung) setzt voraus, dass sich im Fall der gebotenen Befunderhebung (hier: Blutzuckermessung etwa sechs Stunden nach der Geburt des Klägers) „mit hinreichender Wahrscheinlichkeit“ ein reaktionspflichtiger Befund ergeben hätte, was in der obergerichtlichen Rechtsprechung einhellig als eine Wahrscheinlichkeit von mehr als 50% verstanden wird (vgl. die Nachweise bei Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 6. Aufl. 2021, Rn. U 57). Diese Voraussetzung ist erfüllt. Sowohl der gynäkologische Sachverständige Professor Dr. Wö. (Seite 8 seines Gutachtens vom 10.11.2017, Bl. 137 d. A.) als auch der neonatologische Sachverständige Professor Dr. Ma. (Seiten 6 und 19 des Gutachtens vom 24.07.2021, Bl. 538 und 551 d. A.) haben erklärt, dass Blutzuckerbestimmungen nach dem von ihnen benannten Schema mit hoher Wahrscheinlichkeit reaktionspflichtige Befunde gezeigt hätten. Der neuropädiatrische Sachverständige Professor Dr. St. hat, wie ausgeführt, in seinem Gutachten erklärt, die Parenchymblutung wäre mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 50% verhindert worden, wenn die sich anbahnende Hypoglykämie durch Blutzuckerkontrollen zwei bis drei sowie sechs Stunden nach der Geburt des Klägers erkannt worden wäre; dies impliziert, dass die Kontrollen überhaupt einen reaktionspflichtigen Befund ergeben hätten. Der neonatologische Sachverständige Professor Dr. Ma. erklärte (den wiedergegebenen Aussagen seines schriftlichen Gutachtens [Seite 19, Bl. 551 d. A.] entsprechend) in der Berufungsverhandlung vom 03.11.2022 (Seite 4 des Protokolls, Bl. 619 d. A.) nachvollziehbar und verständlich, dass er sowohl aufgrund des zu einer Hypoglykämie führenden Mechanismus (zu hoher Insulinspiegel und Verbrauch von Zucker über mehrere Stunden ohne ausreichende Nahrungszufuhr) als auch aufgrund der in den Behandlungsunterlagen beim Kläger beschriebenen Symptome (schläfrig, trinkschwach), die zwar nicht spezifisch für eine Hypoglykämie seien, aber zu ihr passten, zu der Einschätzung gelangt, dass bei einer Blutzuckermessung nach sechs Stunden mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 50% ein zu niedriger Blutzuckerspiegel festgestellt worden wäre. Dass Blutzuckermessungen bei Vorhandensein einer Hypoglykämie diese mit einhundertprozentiger Sicherheit zu Tage fördern, hat der neonatologische Sachverständige Professor Dr. Ma. in seinem schriftlichen Gutachten (Seite 19, Bl. 551 d. A.) ebenfalls ausgeführt.
43
c) Dass das Unterlassen einer Reaktion auf den (hypothetischen) Befund einer Hypoglykämie (im Sinne des § 630h Abs. 5 Satz 2 BGB) grob fehlerhaft gewesen wäre, wird von niemandem in Zweifel gezogen. Dass es schlechterdings nicht vorkommen darf, dass auf den Befund einer Unterzuckerung nicht (mit der Gabe von Glukose) reagiert wird, ist medizinisches Allgemeinwissen und ergibt sich unmissverständlich aus den Gutachten des neonatologischen Sachverständigen Professor Dr. Ma. (Seite 20, Bl. 552 d. A. und Seiten 3 f. des Protokolls der Berufungsverhandlung vom 03.11.2022, Bl. 618 f. d. A.).
44
d) Da somit die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 630h Abs. 5 Satz 2 BGB erfüllt sind, ist auch bei Annahme eines einfachen Befunderhebungsfehlers zu vermuten, dass dieser für die beim Kläger eingetretene Parenchymblutung kausal ist. Dass die (Mit-)Verursachung der Parenchymblutung durch die nicht erkannte Hypoglykämie nicht „äußerst unwahrscheinlich“ ist, wurde bereits oben zu Nr. 2 Buchst. c) dargelegt.
45
4. Entgegen den Ausführungen des Beklagtenvertreters zu 4) (vgl. auch Seite 2 des Schriftsatzes vom 28.11.2022 zu Nr. 1, Bl. 623 d. A.) erforderte der Grundsatz der fachgleichen Begutachtung es nicht, das Verhalten der für die Beklagte zu 4) tätig gewordenen Zeugin S. durch einen pflegerischen Sachverständigen begutachten zu lassen. Es ist nicht zu beanstanden, wenn die Tätigkeit pflegerischen Personals, das (wie hier die Zeugin S. mit Blick auf die in Rede stehenden [erforderlichen, aber unterlassenen] Blutzuckermessungen) medizinische Hilfsleistungen erbringt, durch einen medizinischen Sachverständigen des Fachgebiets begutachtet wird, in welchem die Hilfsleistungen erfolgen (vgl. Rensen, MDR 2012, 497/499; Lafontaine/K. Schmidt in juris-PK BGB, 9. Aufl. 2020, Stand 07.11.2022, § 630h Rn. 263).
46
5. Die Höhe des vom Landgericht ausgeurteilten Schmerzensgeldes ist von der Beklagten zu 4) – nach Auffassung des Senats zu Recht – mit der Berufung nicht angegriffen worden und bedarf daher hier keiner weiteren Erörterung.
47
Die klägerische Berufung ist ebenfalls zulässig, aber unbegründet. Die Verneinung eines (schadenskausalen) Behandlungsfehlers durch den Beklagten zu 2) oder die Beklagte zu 3) durch das Landgericht ist nicht zu beanstanden.
48
1. Das gilt zunächst mit Blick darauf, dass nicht bereits im Kreißsaal eine erste Blutzuckermessung beim Kläger erfolgt ist.
49
a) Allerdings sieht der Senat in dieser Unterlassung auf der Grundlage der Ausführungen insbesondere der Sachverständigen Professor Dr. Wö. und Professor Dr. Ma. sowie der als Anlage B 4-2 vorgelegten Leitlinie (Nr. 024/006 des AWMF-Leit-linien-Registers [Stand 05/2010]) einen Behandlungsfehler.
50
aa) Letztere enthält (unter den Überschriften „Überwachungsalgorithmus“ bzw. „Zusammenfassung der Empfehlungen“) folgende Aussagen:
„Aufgrund des physiologischen Nadirs sind Blutglukosebestimmungen im Alter von 1 h problematisch, da die Ergebnisse solcher Messungen schwer zu interpretieren sind und den Charakter sich selbst erfüllender Prophezeiungen bekommen. Um ein Absinken der Blutglukosekonzentration während dieser physiologischen Senke auf gefährlich tiefe Werte zu verhindern, sollten Neugeborene diabetischer Mütter präventiv im Kreißsaal eine Frühfütterung im Alter von 30 min erhalten, deren Erfolg mit einer präprandialen Messung 2 h später, auf alle Fälle noch vor Verlegung von Mutter und Kind auf die Wochenbettstation überprüft wird.“
„Ab einem Alter von 2-3 h werden Blutglukosewerte über 2.5 mmol/l [45 mg/dl] angestrebt.“
51
Ein Fließschema gibt zunächst einen Zeitraum von 30 Minuten bis zum ersten Anlegen und evtl. Zufüttern und im Anschluss daran einen Zeitraum von zwei Stunden bis zur Anweisung „Blutglucose messen“ an.
„Obligate präprandiale Blutglukosebestimmung 2-3 h nach der Geburt und noch vor Verlegung aus dem Kreißsaal […]“
52
bb) Die Frage, ob eine erste Blutzuckermessung bereits im Kreißsaal zu erfolgen hatte, betrifft eine Frage der postpartalen Versorgung des neugeborenen Klägers und damit das Fachgebiet des neonatologischen Sachverständigen Professor Dr. Ma. Zugleich betrifft es das gebotene Verhalten des Geburtshelfers und seines Hilfspersonals noch im Kreißsaal vor Übergabe des Klägers an die Wochenbettstation und damit auch das Fachgebiet des geburtshilflichen Sachverständigen Professor Dr. Wö.
53
(1) Dieser hat (Seite 7 seines schriftlichen Gutachtens vom 10.11.2017, Bl. 135 d. A.) ausgeführt, nach der zitierten Leitlinie sollten „Blutglukosebestimmungen nach 1, 3, 6 und 12 Stunden nach der Geburt erfolgen“. In seiner Einvernahme in der mündlichen Verhandlung vom 18.12.2018 (Seite 9 des Protokolls, Bl. 250 d. A.) hat er erneut erklärt, die damals gültige Leitlinie habe Blutzuckerkontrollen nach 1, 3 und 6 Stunden vorgesehen, wobei „ein leicht abweichendes Schema mit Abweichungen von etwa 1 Stunde […] unerheblich“ sein dürfte. Aus seiner Sicht „hätte jedoch bereits vor Verlegung in den Kreißsaal eine Blutzuckerbestimmung erfolgen sollen und der Wert hätte mitgeteilt werden sollen“.
54
(2) Der neonatologische Sachverständige Professor Dr. Ma. hat in seinem Gutachten (Seiten 9 f. und 15, Bl. 541 f. und 547 d. A.) unter Verweis auf die oben zitierte Leitlinie ausgeführt, es wäre nach 2, 6, 12 und ggf. 24 Stunden eine Blutzuckermessung durchzuführen gewesen, was sich ebenfalls aus der an dieser Leitlinie orientierten internen Handlungsanweisung (Anlage B 1) ergebe. Außerdem hat er unter Bezugnahme auf die oben zitierten Aussagen der Leitlinie, wonach die erste Blutzuckermessung noch im Kreißsaal erfolgen solle, erklärt (Seite 17 des Gutachtens, Bl. 549 d. A.):
„Schnittstellen, wie in diesem Fall die Übergabe vom Kreißsaal auf die Wochenbettstation, sind im Klinikbetrieb besonders fehleranfällig. Es muss Sorge dafür getragen werden, dass es bei Übergaben zu keinem Informationsverlust und zu keinem Auslassen von vorgesehenen und gebotenen Untersuchungen kommt. Diesem Umstand trägt die Empfehlung in der AWMF-Leitlinie 024/006 Rechnung, die erste Blutzuckermessung noch vor dem Verlassen des Kreißsaals durchzuführen.“
55
Im gleichen Sinne hat er in der Berufungsverhandlung vom 03.11.2022 (Seite 4 des Protokolls, Bl. 619 d. A.) mit Blick auf die „Schnittstelle der Übernahme des Kindes vom Kreißsaal auf die Kinderstation“ geäußert, „dass es wünschenswert gewesen wäre, wenn bereits im Kreißsaal die erste Blutzuckerkontrolle erfolgt und das Ergebnis im Journal festgehalten worden wäre“. Zudem hat er angegeben, man finde für den Zeitpunkt der ersten Blutzuckermessung auch die Angabe „zwei bis drei Stunden“ (Seite 3 des Protokolls, Bl. 618 d. A.).
56
cc) Nach Auffassung des Senats stimmen die von den zitierten Sachverständigen der genannten Leitlinie zugeschriebenen Inhalte mit deren Text allerdings nicht durchgehend überein.
57
(1) So wird die vom Sachverständigen Professor Dr. Wö. unter Berufung auf die Leitlinie postulierte Pflicht, eine erste Blutzuckermessung bereits eine Stunde nach der Geburt vorzunehmen, im (oben zitierten) Text der Leitlinie explizit verworfen, wobei dieser Widerspruch womöglich dadurch aufgelöst wird, dass der Sachverständige seinem schriftlichen Gutachten die Leitlinie nach dem Stand von 2008 zugrunde gelegt hat (vgl. Seite 10 des Gutachtens, Bl. 139 d. A.).
58
(2) Auch die in den Ausführungen des Sachverständigen Professor Dr. Ma. enthaltene Aussage, die Leitlinie verlange eine erste Blutzuckermessung zwei Stunden nach der Geburt, erscheint mit Blick auf deren Text nicht zweifelsfrei. Die oben zitierten Passagen und das Fließschema legen eher nahe, dass zunächst 30 Minuten nach der Geburt ein erster Fütterungsversuch und sodann zwei Stunden später eine erste Blutzuckermessung stattfinden solle, was auch mit der ebenfalls in der Leitlinie enthaltenen Aussage, es solle eine erste obligate präprandiale Blutzuckerbestimmung „2-3 h nach der Geburt“ stattfinden, in Einklang zu bringen ist.
59
(3) Da beide Sachverständigen sich auf die Leitlinie 024/006 gestützt und nicht etwa geltend gemacht haben, diese habe den relevanten medizinischen Standard im Behandlungszeitpunkt verfehlt, vermag der Senat vor dem Hintergrund der dargelegten Widersprüche nicht zu sehen, dass allein in Anbetracht des Zeitraums zwischen der Geburt des Klägers (20:45 Uhr) und seiner Verlegung auf die Wochenbettstation (zwischen 22:45 Uhr und 23:15 Uhr) eine erste Blutzuckermessung bereits im Kreißsaal hätte stattfinden müssen.
60
dd) Die Leitlinie enthält jedoch zweimal die Aussage, die erste Blutzuckermessung solle unabhängig von der seit der Geburt verstrichenen Zeit noch im Kreißsaal gemacht werden, was der neonatologische Sachverständige Professor Dr. Ma., wie oben ausgeführt, sowohl in seinem schriftlichen Gutachten als auch in der Berufungsverhandlung vom 03.11.2022 nachvollziehbar und überzeugend damit begründete, dass dies einen Informationsverlust an der Schnittstelle zwischen Kreißsaal und Wochenbettstation verhindern solle. Auch der geburtshilfliche Sachverständige Professor Dr. Wö. hat erklärt, der noch im Kreißsaal zu erhebende Wert hätte mitgeteilt werden sollen, was ebenfalls auf die Schnittstellenproblematik zwischen Kreißsaal und Station verweist. Vor diesem Hintergrund sieht der Senat einen Behandlungsfehler darin, dass nicht noch im Kreißsaal die erste Blutzuckermessung durchgeführt wurde.
61
b) Dieser Behandlungsfehler ist aber (entgegen der Auffassung des Klägers wie der Beklagten zu 4)) nicht im oben zu Abschnitt II Nr. 2 Buchst. a) dargelegten Sinne grob, so dass die Beweislastumkehr des § 630h Abs. 5 Satz 1 BGB nicht zum Tragen kommt.
62
aa) Wie ausgeführt, fällt die Beurteilung der Frage, ob noch im Kreißsaal eine erste Blutzuckermessung durchzuführen gewesen wäre, in den Fachbereich der Professoren Dr. Wö. (Geburtshilfe) und Dr. Ma. (Neonatologie). Beide haben das Unterlassen der ersten Blutzuckermessung noch im Kreißsaal nicht als grob fehlerhaft bewertet. Professor Dr. Wö. hat in seiner Aussage vor dem Landgericht in der Verhandlung vom 18.12.2018 (Seite 9 des Protokolls, Bl. 250 d. A.) vielmehr ausdrücklich erklärt: „Das Unterlassen dieser Kontrolle ist nichts, was aus meiner Sicht überhaupt nicht mehr nachvollziehbar wäre“. Auch der Umstand, dass der Sachverständige Professor Dr. Ma. das Gebot einer ersten Blutzuckermessung noch im Kreißsaal ausschließlich mit der genannten „Schnittstellenproblematik“, nicht aber mit bereits in diesem frühen Stadium zu erwartenden Befunden begründete, zeigt, dass er im Unterlassen der Bestimmung keinen Fehler sieht, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf. Dem entspricht, dass seine Formulierung, eine erste Blutzuckerkontrolle noch im Kreißsaal wäre „wünschenswert“ gewesen (Seite 4 des Protokolls der Berufungsverhandlung vom 03.11.2022, Bl. 619 d. A.), mit der Annahme eines groben Behandlungsfehlers unvereinbar ist.
63
bb) Soweit sich der Kläger (Seiten 5 f. der Berufungsbegründung, Bl. 456 f. d. A.) insoweit auf die Ausführungen des neuropädiatrischen Sachverständigen Professor Dr. St. beruft, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Beurteilung dieser Frage nicht in sein Fachgebiet fällt. Im Übrigen vermag der Senat auch den Äußerungen dieses Sachverständigen nicht zu entnehmen, dass er einen groben Behandlungsfehler sähe. In seinem schriftlichen Gutachten (Seite 7, Bl. 316 d. A.) hat er insoweit nur auf die Ausführungen des Sachverständigen Professor Dr. Wö. verwiesen, der aber, wie ausgeführt, gerade keinen groben Behandlungsfehler angenommen hat. Auch aus den vom Kläger in Bezug genommenen Aussagen des Sachverständigen Professor Dr. St. in der mündlichen Verhandlung vom 06.12.2019 (Seiten 4 f. des Protokolls, Bl. 356 f. d. A.) ergibt sich nicht, dass dieser einen groben Behandlungsfehler annähme. Der Umstand, dass „man extrem aufpassen [muss], dass es nach der Geburt zu keiner Unterzuckerung kommt“, ist nicht gleichbedeutend damit, dass es schlechterdings nicht passieren dürfe, dass die erste Kontrolle nicht im Kreißsaal, sondern bereits auf der Wochenbettstation erfolgt.
64
c) Die Kausalität dieses einfachen Befunderhebungsfehlers für die beim Kläger aufgetretene Parenchymblutung ist weder (gemäß § 630h Abs. 5 Satz 2 BGB) zu vermuten noch nachgewiesen.
65
aa) Wie ausgeführt, knüpft § 630h Abs. 5 Satz 2 BGB die Vermutung der Kausalität eines einfachen Befunderhebungsfehlers für einen beim Patienten eingetretenen Schaden daran, dass die Erhebung des geforderten Befundes mit hinreichender Wahrscheinlichkeit, also mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 50%, ein reaktionspflichtiges Ergebnis erbracht hätte. Dies ist nach den Ausführungen des geburtshilflichen Sachverständigen Professor Dr. Wö. (Seite 9 der mündlichen Verhandlung vom 18.12.2018, Bl. 250 d. A.) gerade nicht der Fall, und auch der neuropädiatrische Sachverständige Professor Dr. St. hat (Seiten 9 f. seines Gutachtens, Bl. 318 f. d. A.) ausgeführt, die schwere Hypoglykämie des Klägers sei „mit großer Wahrscheinlichkeit erst mehrere Stunden nach der Geburt ab ca. 3:00 mit Trinkunlust, Erbrechen, mangelhafter Reaktion auf äußere Re. […] klinisch relevant geworden“. Auch der neonatologische Sachverständige Professor Dr. Ma. hat schließlich sowohl in seinem schriftlichen Gutachten (Seite 19, Bl. 551 d. A.) als auch in der Berufungsverhandlung vom 03.11.2022 (Seite 4 des Protokolls, Bl. 619 d. A.) eine Wahrscheinlichkeit von mehr als 50% für das Vorhandensein eines zu niedrigen Blutzuckerwertes nur (unter Verweis auf die beim Kläger aufgetretenen Symptome) auf die Nacht bzw. auf die Zeit sechs Stunden nach der Geburt, nicht aber auf die Zeit bis zur Übergabe des Klägers vom Kreißsaal an die Wochenbettstation bezogen. Dazu passt auch, dass er die Fehlerhaftigkeit des Unterlassens einer ersten Blutzuckermessung noch im Kreißsaal ausschließlich mit der „Schnittstellenproblematik“, nicht aber mit der bis zur Übergabe des Klägers an die Wochenbettstation verstrichenen Zeit begründet hat.
66
bb) Mit Blick auf diese „Schnittstellenproblematik“ versuchen der Kläger wie auch die Beklagte zu 4) (s. zuletzt Seiten 3 f. des Schriftsatzes vom 28.11.2022 zu Nr. 4, Bl. 624 f. d. A.), die Kausalität der im Kreißsaal unterlassenen Blutzuckerbestimmung für die eingetretene Parenchymblutung damit zu begründen, dass für den Fall der Durchführung dieser Bestimmung der in der Leitlinie beschriebene „Überwachungsalgorithmus“ in Gang gesetzt worden wäre mit der Folge, dass die etwa sechs Stunden nach der Geburt erforderliche Messung auf der Station ebenfalls durchgeführt und dabei die Hypoglykämie entdeckt worden wäre.
67
Von diesem – hypothetischen – Kausalverlauf vermag sich der Senat jedoch nicht mit dem gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO erforderlichen Maß – ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (ständige höchstrichterliche Rechtsprechung; vgl. zuletzt BGH vom 10.02.2022 – VII ZR 396/21 – ju-ris, Rn. 19) – zu überzeugen. Wenn der Eintrag „SS-Diabetes (Diät)“ in der Mitte einer Zeile auf der ersten Seite des Entbindungsjournals von den Bediensteten der übernehmenden Wochenbettstation nicht zur Kenntnis genommen wird, so ist nicht erkennbar, wieso sich daran dadurch etwas ändern sollte, dass zusätzlich das Ergebnis einer ersten Blutzuckermessung eingetragen wird. Bei der Beurteilung dieses hypothetischen Kausalverlaufs handelt es sich nicht um eine medizinische Frage, die der Senat deshalb ohne sachverständige Hilfe beurteilen kann. Im Übrigen hat auch der Sachverständige Professor Dr. Wö. lediglich die Einschätzung geäußert, eine erste Blutzuckerkontrolle hätte „wahrscheinlich die Einhaltung des beschriebenen Folgeschemas ausgelöst“ (Seite 9 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 18.12.2018, Bl. 250 d. A.). Eine bloße Wahrscheinlichkeit genügt dem Beweismaß des § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO jedoch nicht.
68
2. Aus Sicht des Senats ist auch nicht nachgewiesen, dass die Beklagte zu 3) die Zeugin S. bei Übergabe des Klägers nicht auf den Schwangerschaftsdiabetes hingewiesen hätte, was jedenfalls nach den Ausführungen des geburtshilflichen Sachverständigen Professor Dr. Wö. fehlerhaft gewesen wäre, der in der mündlichen Übergabe „das entscheidende und zielführende Instrument“ gesehen hat (Seite 9 des Protokolls vom 18.12.2018, Bl. 250 d. A.), während der neonatologische Sachverständige Professor Dr. Ma. insoweit lediglich von einem „usus“ gesprochen hat (Seite 4 des Protokolls der Berufungsverhandlung vom 03.11.2022, Bl. 619 d. A.).
69
a) Allerdings vermag der Senat die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht nachzuvollziehen, der zufolge es erwiesen sei, dass die Beklagte zu 3) die Zeugin S. mündlich über den Schwangerschaftsdiabetes informiert habe (Seite 12 des landgerichtlichen Urteils, Bl. 379 d. A.). Der Senat hat daher die Beklagte zu 3) erneut informatorisch angehört und die Zeugin S. erneut einvernommen.
70
b) Auf dieser Grundlage bleibt es aus Sicht des Senats letztlich ungeklärt, ob die Beklagte zu 3) es unterlassen hat, die Zeugin S. mündlich vom Schwangerschaftsdiabetes in Kenntnis zu setzen. Der Senat kann sich von einem solchen Unterlassungsfehler nicht nach dem Beweismaß des § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO überzeugen.
71
aa) Die Zeugin S. hat ausgesagt (Seiten 5 f. des Protokolls der Berufungsverhandlung vom 25.03.2021, Bl. 521 f. d. A.), ihr sei sofort die Stauungszyanose beim Kläger aufgefallen, weshalb sie sogleich im Zimmer eine Messung von Sauerstoffsättigung und Puls vorgenommen habe. Eine mündliche Information über den Schwangerschaftsdiabetes sei nicht erfolgt; sie lese „grundsätzlich auch das Entbindungsjournal“, habe „den Eintrag,SS-Diabetes (Diät)' aber nicht gesehen“. Dies entspricht im Wesentlichen ihren Einlassungen gegenüber dem Landgericht (vgl. Seiten 5 f. des Protokolls vom 18.12.2018, Bl. 521 f. d. A.).
72
bb) Die Beklagte zu 3) gab demgegenüber an (Seiten 3 f. der Berufungsverhandlung vom 25.03.2021, Bl. 519 f. d. A.), die Zeugin S. sei wegen der Stauungszyanose erschrocken gewesen. Nach ihrer Erinnerung sei die Übergabe (wie üblich) „anhand des Journals und der Papiere“ erfolgt, wobei sie nicht mehr sagen konnte, „ob das Wort,Schwangerschaftsdiabetes' bei der Übergabe gefallen ist“. Wegen der Stauungszyanose habe es sich „um einen eher ungewöhnlichen Fall der Übergabe“ gehandelt. Auch diese Aussagen entsprechen im Wesentlichen den gegenüber dem Landgericht gemachten (vgl. Seiten 3 f. des Protokolls vom 18.12.2018, Bl. 519 f. d. A.).
73
cc) Der Senat verkennt nicht, dass es sich bei der Beklagten zu 3) um eine Partei handelt. Dass Frau S. demgegenüber Zeugin ist, bedeutet jedoch nicht, dass ihren Aussagen per se ein höheres Gewicht zukäme als denen der Beklagten zu 3) im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung (vgl. BGH vom 08.11.1989 – I ZR 14/88 – juris Rn. 69; vom 25.03.1993 – IX ZR 192/92 – juris Rn. 20). Zu sehen ist hier, dass sowohl die Beklagte zu 3) als auch die Zeugin S. ein erhebliches Eigeninteresse am Ausgang des Rechtsstreits haben, geht es doch in beiden Fällen um die Klärung eines mit Blick auf seine gravierenden Folgen erheblichen Fehlverhaltens. Dass es der Zeugin S., nachdem sie bereits zweimal gerichtlich vernommen worden war, ein Anliegen war, dem Beklagtenvertreter zu 4) gegenüber zu erklären, der Umstand, dass sie den Eintrag „SS-Diabetes (Diät)“ nicht zur Kenntnis genommen habe, lasse darauf schließen, dass er bei Übergabe nicht vorhanden gewesen sei, zeigt deutlich, wie wichtig es ihr ist, ihr Verhalten nicht in einem schlechten Licht erscheinen zu lassen.
74
Vor diesem Hintergrund vermag der Senat keiner der beiden Aussagen den Vorzug zu geben; auch das (unauffällige) Aussageverhalten sowohl der Beklagten zu 3) als auch der Zeugin S. gibt keinen Anlass, die eine oder die andere für glaubwürdiger zu halten.
75
dd) Das bedeutet im Ergebnis, dass aus Sicht des Senats konkrete Zweifel daran bestehen, dass die Beklagte zu 3) die Zeugin S. nicht mündlich auf den Schwangerschaftsdiabetes hingewiesen habe.
76
(1) Dabei wird nicht verkannt, dass die Beklagte zu 3) nicht mehr sicher sagen konnte, „ob das Wort,Schwangerschaftsdiabetes' bei der Übergabe gefallen ist“. Insoweit ist aber zu berücksichtigen, dass das fragliche Geburtsgeschehen im Zeitpunkt der Befragung durch den Senat siebeneinhalb Jahre (im Zeitpunkt der Befragung durch das Landgericht mehr als fünf Jahre) zurücklag. Dass „nach [ihrer] Erinnerung“ die Übergabe aber – wie üblich – anhand des Journals (in welchem der Schwangerschaftsdiabetes an prominenter Stelle genannt ist) erfolgt sei, stellt aus Sicht des Senats ein naheliegendes Geschehen und damit ein konkret mögliches Szenario dar, auch wenn dieses durch die Zeugin S. verneint wurde.
77
(2) Zu berücksichtigen ist weiterhin, dass nach den Aussagen sowohl der Beklagten zu 3) als auch der Zeugin S. (in beiden Instanzen) letztere ob der beim Kläger vorhandenen Stauungszyanose erschrocken und von dieser beeindruckt war. Die Beklagte zu 3) sprach wegen dieser Stauungszyanose insgesamt von einem „eher ungewöhnlichen Fall der Übergabe“. Dieser Umstand lässt es sowohl als möglich erscheinen, dass die Beklagte zu 3) (entgegen der allgemeinen Übung) die Übergabe nicht anhand des Journals (und damit auch unter Hinweis auf den Schwangerschaftsdiabetes) durchgeführt hat, als auch, dass die Zeugin S. einen erfolgten Hinweis darauf nicht zur Kenntnis genommen hat.
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(3) Etwas anderes ergibt sich schließlich auch nicht aus dem (nicht protokollierten, dem Senat aber noch erinnerlichen) Vortrag des Beklagtenvertreters zu 4) in der Berufungsverhandlung vom 03.11.2022, aus den Ausführungen des geburtshilflichen Sachverständigen Professor Dr. Wö. ergebe sich eine Pflicht zur Informationsweitergabe „mit Kontrolle, ob's angekommen ist“ (so im Übrigen auch im Nachgang zur Berufungsverhandlung vom 03.11.2022 geltend gemacht im Schriftsatz vom 28.11.2022 [Seite 2 zu Nr. 2 und Seite 4, Bl. 623 und 625 d. A.]). Dann ergäbe sich aus dem (bislang nicht thematisierten, aber wohl unstreitigen) Umstand, dass die Zeugin S. der Beklagten zu 3) gegenüber nicht unmissverständlich erklärt hat, vom Schwangerschaftsdiabetes Kenntnis genommen zu haben, dass die Information darüber noch nicht in zureichender Weise erfolgt ist. Eine so weitreichende Pflicht hat der Sachverständige Professor Dr. W. aber nicht postuliert. Offenkundig hat der Beklagtenvertreter zu 4) auf folgenden Passus aus der Einvernahme des Sachverständigen vom 18.12.2018 (Seite 9 des Protokolls, Bl. 250 d. A.) angespielt:
„Eine mündliche Übergabe ist für mich das entscheidende und zielführende Instrument. So kann gegebenenfalls durch Rückfragen sicher gestellt werden, dass die notwendigen Informationen angekommen sind.“
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Der zweite Satz erklärt damit nicht, wie die mündliche Übergabe auf jeden Fall (und bezüglich jeden Aspekts) abzulaufen habe, sondern stellt nur eine Begründung für den ersten Satz dar. Auch wird nur gesagt, dass „gegebenenfalls“ durch Rückfragen sichergestellt werden könne, dass die mitgeteilten Informationen aufgenommen und verstanden worden sind. Dass die Beklagte zu 3) Anlass gehabt hätte anzunehmen, die Zeugin S. habe die (unterstellt) mitgeteilte Information „Schwangerschaftsdiabetes“ nicht wahrgenommen, ist aber nicht ersichtlich.
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3. Der Vorwurf des Klägers, mangels Anordnungen gegenüber dem Personal der Wochenbettstation sei die beim zyanotischen Kläger vorhandene Sauerstoffunterversorgung grob fehlerhaft nicht behandelt worden, greift nicht durch. Zum ersten war die bei der Übergabe bestehende Stauungszyanose der den Kläger übernehmenden Zeugin S. wie ausgeführt, von Anfang an präsent, so dass darauf (soweit möglich und erforderlich) auf der Wochenbettstation reagiert werden konnte. Zum zweiten ist nicht ersichtlich, inwiefern das Personal der (dem Fachbereich der Neonatologie zuzurechnenden) Wochenbettstation diesbezüglich Anweisungen durch die Geburtshelfer (die Beklagten zu 2) und 3)) benötigt und zu erwarten gehabt hätte. Der geburtshilfliche Sachverständige Professor Dr. Wö. hat weder in seinem Gutachten (Bl. 130/139 d. A.) noch in seiner Einvernahme durch das Landgericht am 18.12.2018 (Seiten 9 f. des Protokolls, Bl. 250 f. d. A.) mit Blick auf die Sauerstoffunterversorgung irgendwelche Versäumnisse des Beklagten zu 2) oder der Beklagten zu 3) thematisiert, sondern nur erklärt, die Stauungszyanose sei kein Hinweis auf ein Stoffwechselproblem, sondern entstehe durch Einblutungen bei der Geburt. Zum dritten hätte ein dem Beklagten zu 2) oder der Beklagten zu 3) etwa vorzuwerfendes Informationsdefizit mit Blick auf die Sauerstoffunterversorgung nicht dazu geführt, dass diese auf der Wochenbettstation unzureichend behandelt worden wäre. Der neonatologische Sachverständige Professor Dr. Ma. hat in seiner Einvernahme durch den Senat am 03.11.2022 (Seite 5 des Protokolls, Bl. 620 d. A.) abschließend ausdrücklich erklärt, „dass die Behandlung auf der Kinderstation für ein reifes Neugeborenes einer gesunden Mutter (ohne Schwangerschaftsdiabetes) nicht fehlerhaft gewesen wäre“.
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1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 97 Abs. 1 ZPO und der Baumbach'schen Formel. Da beide Berufungen denselben Gegenstand betreffen, findet keine Addition von Streitwerten statt (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 2 GKG). Bezogen auf den einheitlichen Streitwert unterliegt der Kläger (mit Blick auf seine eigene Berufung) gegenüber den Beklagten zu 2) und 3), während er (mit Blick auf die Berufung der Beklagten zu 4)) obsiegt, so dass er mit 2/3 der Gerichtskosten und seiner eigenen außergerichtlichen Kosten zu belasten ist, während diese Positionen zu 1/3 von der Beklagten zu 4) zu tragen sind. Die Beklagten zu 2) und 3) stehen nur in einem Prozessrechtsverhältnis zum Kläger und obsiegen diesem gegenüber voll, so dass er deren außergerichtlichen Kosten voll zu tragen hat. Die Beklagte zu 4) steht ebenfalls nur in einem Prozessrechtsverhältnis zum Kläger und unterliegt diesem gegenüber voll, so dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen hat.
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2. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
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3. Ein Grund für die Zulassung der Revision (vgl. § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO) war nicht gegeben.