Inhalt

LG Landshut, Endurteil v. 14.04.2022 – 82 O 1710/20
Titel:

Kein Nachweis der Berufungsunfähgkeit

Normenkette:
AVBBU § 2
Leitsatz:
Die Klägerin hat die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit nicht nachgewiesen.  (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Berufungsunfähigkeit, Nachweis
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 11.10.2023 – 25 U 2494/22
OLG München, Hinweisbeschluss vom 13.12.2023 – 25 U 2494/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 53519

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist für die Beklagte vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils vollstreckbaren Betrages.
4. Der Streitwert für das Verfahren wird auf 35.279,24 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Klägerin macht Leistung aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung geltend.
2
Die Klägerin hat bei der Beklagten eine selbständige Berufsunfähigkeitsversicherung mit der Versicherungsschein-Nr. ... abgeschlossen gemäß Versicherungsschein Anlage K 1.
3
Im Februar 2018 hat die Klägerin bei der Beklagten wegen Berufsunfähigkeit aus der vorgenannten Versicherung Leistungen beantragt. Mit Schreiben vom 08.07.2019 (Anlage B 2) hat die Beklagte die Leistungspflicht abgelehnt.
4
Mit Schreiben vom 20.02.2020 (Anlage B 3) hat die Beklagte nach erneuter Prüfung der Klägerin mitgeteilt, dass Anspruch auf Leistungen wegen Berufsunfähigkeit nicht bestünden.
5
Die Klägerin macht Leistungen wegen Berufsunfähigkeit ab dem 01.08.2017 geltend.
6
Die Klägerin trägt vor, dass sie seit 01.08.2017 zu mehr als 50% berufsunfähig sei. Die Klägerin seit zu mehr als 50% nicht mehr in der Lage, ihren zuvor ausgeübten Beruf als IT-Mitarbeiterin auszuüben. Bei der Klägerin liege folgendes Krankheitsbild vor:
Schwere generalisierte Angststörung, vorwiegend Zwangshandlungen, Spannungskopfschmerz, chronische Schulter-Nacken-Beschwerden beidseitig mit Zunahme bei körperlicher Belastung und psychischem Stress, Schlafapnoe-Syndrom.
7
Durch die Diagnosen sei die Klägerin insbesondere in den Bereichen Gruppenfähigkeit im Publikumsverkehr erheblich eingeschränkt sowie in den Bereichen Durchhaltefähigkeit und Fähigkeit zur Selbstversorgung. Die Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit sowie das Anpassungsvermögen sei gesundheitsbedingt so eingeschränkt, dass die Klägerin hierdurch berufsunfähig sei. Aus medizinischer Sicht seien die Einschränkungen für die Tätigkeit als EDVMitarbeiterin bei der Klägerin derart stark, dass sie diese Tätigkeit nicht mehr ausüben könne.
8
Die Klägerin beantragt,
I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin eine rückständige Berufsunfähigkeitsrente für den Zeitraum 01.08.2017 bis einschließlich 31.07.2019 in Höhe von 18.406,56 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 766,94 € hieraus seit 05.08.2017
1.533,88 € hieraus seit 05.09.2017
2.300,82 € hieraus seit 05.10.2017
3.067,76 € hieraus seit 05.11.2017
3.834,70 € hieraus seit 05.12.2017
4.601,61 € hieraus seit 05.01.2018
5.368,58 € hieraus seit 05.02.2018
6.135,52 € hieraus seit 05.03.2018
6.902,46 € hieraus seit 05.04.2018
7.669,40 € hieraus seit 05.05.2018
8.436,34 € hieraus seit 05.06.2018
9.203,28 € hieraus seit 05.07.2018
9.970,22 € hieraus seit 05.08.2018
10.737,16 € hieraus seit 05.09.2018
11.504,10 € hieraus seit 05.10.2018
12.271,04 € hieraus seit 05.11.2018
13.037,98 € hieraus seit 05.12.2018
13.804,92 € hieraus seit 05.01.2019
14.571,86 € hieraus seit 05.02.2019
15.338,80 € hieraus seit 05.03.2019
16.105,74 € hieraus seit 05.04.2019
16.872,68 € hieraus seit 05.05.2019
17.639,62 € hieraus seit 05.06.2019
18.406,56 € hieraus seit 05.07.2019 zu zahlen.
II. Die Beklagte wird ferner verurteilt, an rückständiger Berufsunfähigkeitsrente für den Zeitraum 01.08.2019 bis einschließlich 31.05.2020 in Höhe von 7.669,40 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 766,94 € hieraus seit 05.08.2019
1.533,88 € hieraus seit 05.09.2019
2.300,82 € hieraus seit 05.10.2019
3.067,76 € hieraus seit 05.11.2019
3.834,70 € hieraus seit 05.12.2019
4.601,61 € hieraus seit 05.01.2020
5.368,58 € hieraus seit 05.02.2020
6.135,52 € hieraus seit 05.03.2020
7.669,40 € hieraus seit 05.05.2020
III. Die Beklagte wird weiter verurteilt, beginnend ab 01.06.2020 an die Klägerin eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 766,94 € zu zahlen.
IV. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.590,91 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz nach § 247 BGB hieraus seit Rechtshängigkeit zu erstatten.
9
Die Beklagte beantragt,
die Klage kostenpflichtig abzuweisen.
10
Die Beklagte trägt vor, dass die Klägerin nicht berufsunfähig im Sinne der Versicherungsbedingungen sei. Der ihr obliegende Vollbeweis ihrer Berufsunfähigkeit sei nicht erbracht. Vollständige Berufsunfähigkeit liege nach § 2 Ziff. 1 der AVB vor, wenn der Versicherte infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich 6 Monate ununterbrochen außer Stande ist, seinen Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben, die aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann und seiner bisherigen Lebensstellung entspricht. Eine solche bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit liege bei der Klägerin nicht vor. Es könne nicht von einer Berufsunfähigkeit von mindestens 50% für die Tätigkeit der Klägerin als EDV-Mitarbeiterin ausgegangen werden. Aus medizinischer Sicht ergäbe sich bei der Klägerin, wenn überhaupt, lediglich leichtere Einschränkungen für die Tätigkeit als EDV-Mitarbeiterin. Die Beklagte bestreitet, dass die Klägerin aufgrund einer vermeintlichen mittelschweren Depression mit einer vermeintlichen schweren generalisierten Angststörung, Zwangshandlungen, Spannungskopfschmerz, chronischer Schulter-Nacken-Beschwerden und Schlafapnoe-Syndrom Berufsunfähigkeit im Sinne der Bedingungen sei. Die Beklagte bestreitet, dass die Klägerin die von ihr beschriebene Tätigkeiten aufgrund der behaupteten Erkrankungen nicht mehr ausüben könne. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung alleine sei nicht maßgeblich für Berufsunfähigkeit.
11
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteivertreter nebst Anlagen Bezug genommen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 21.01.2021.
12
Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Einvernahme der Zeugen M. und O. sowie durch die Erholung schriftlicher medizinischer Sachverständigengutachten der Sachverständigen D., G., W.. Diesbezüglich wird auf die schriftlichen Sachverständigengutachten in den Akten verwiesen.

Entscheidungsgründe

13
Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
I.
14
Die Klägerin kann gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Bezahlung von Leistung aus der zwischen den Parteien abgeschlossenen Berufsunfähigkeitsversicherung gemäß Versicherungsschein Anlage K 1 geltend machen.
15
Nach § 1 Ziff. 1 der zwischen den Parteien geltenden AVB stehen dem Versicherungsnehmer Leistungen ab einer voraussichtlich dauernd vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigung der Berufsunfähigkeit von mindestens 50% zu:
„Wird die versicherte Person während der Versicherungsdauer dieser Versicherung zumindest zu 50% berufsunfähig, so erbringen wir folgende Versicherungsleisten: … Bei einem geringeren Grad der Berufsunfähigkeit besteht kein Anspruch auf diese Versicherungsleistungen“.
16
Berufsunfähigkeit im Sinne der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung wird nach § 2 Ziff. 1 der AVB wie folgt definiert:
„Vollständige Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn der Versicherte infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich 6 Monate ununterbrochen außer Stande ist, seinem Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben, die aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann und seiner bisherigen Lebensstellung entspricht“.
17
Eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit ist vom Versicherungsnehmer nachzuweisen.
18
Die Klägerin konnte zur Überzeugung des Gerichts nicht eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit nachweisen.
19
Die Klägerin konnte nicht zur Überzeugung des Gerichts nachweisen, dass bei ihr eine Berufsunfähigkeit von mindestens 50% für die Tätigkeit als EDV-Mitarbeiterin vorliegt.
20
Aufgrund der Angaben der Zeugen M. und O. in der mündlichen Verhandlung vom 21.01.2021 legte das Gericht die Tätigkeitsbeschreibung der Klagepartei zugrunde.
21
Sämtliche Sachverständigen kamen jedoch zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin keine Berufsunfähigkeit von mehr als 50% vorliegt.
22
Der neurologische Sachverständige, der ein psychiatrisch-neurologisches Fachgutachten mit psychometrischer Testung und Beschwerdevalidierung durchführte, kam zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin eine rezidivierende depressive Störung mit aktuell leichtgradige Episode (ICD10: F33.0) sowie eine Zwangserkrankung mit vorwiegend Zwangshandlung (ICD-10: F42.1) vorliege. Das Vorliegen einer Berufsunfähigkeit zu mehr als 50% seit dem 01.08.2017 könne aus neurologisch-psychiatrischer Sicht nicht bestätigt werden. Die Klägerin sei zu mehr als 50% in der Lage, ihren zuvor ausgeübten Beruf als IT-Mitarbeiterin auszuüben. Die Diagnose einer schweren generalisierten Angststörung könne aus fachpsychiatrischer Sicht nicht bestätigt werden. Eine Zwangserkrankung mit vorwiegend Zwangshandlungen sei in leichtgradiger Form aus psychiatrischer Sicht zu bejahen. Die Diagnose eines Spannungskopfschmerzes könne aus neurologischer Sicht nicht gestellt werden. Bei dem Bericht der Klägerin über chronische SchulterNacken-Beschwerden beiseits mit Zunahme bei körperlicher Belastung und Stress handele es sich um eigene Angaben der Klägerin und nicht um eine separate ICD-10-konforme diagnostische Entität. Die Klägerin sei auf nervenärztlichem Gebiet nicht so erheblich eingeschränkt in den Bereichen Gruppenfähigkeit und Publikumsverkehr sowie in den Bereichen Durchhaltefähigkeit und Fähigkeit zur Selbstversorgung, dass hieraus eine Berufsunfähigkeit resultieren würde. Die Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit sowie das Anpassungsvermögen seien gesundheitsbedingt das nervenärztliche Gebiet betreffend nicht so eingeschränkt, dass die Klägerin hierdurch berufsunfähig sei. Aus nervenärztlicher Sicht seien die Einschränkungen für die Tätigkeit als EDV-Mitarbeiterin bei der Klägerin nicht derart stark, dass sie diese Tätigkeit nicht mehr ausüben könne.
23
Das neuropsychologische Zusatzgutachten des Sachverständigen W. kam zu dem Ergebnis, dass die geistige Leistungsfähigkeit die Probandin als weit unterdurchschnittlich beschreibe, ebenso in den Teilbereichen Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Exekutivfunktionen. Die Kontrollskala verhalte sich auffällig.
24
Der Sachverständige D. kam in seinem traumatologischen Fachgutachten zu dem Ergebnis, dass anhand der Anamnese, des am Untersuchungstag erhobenen klinischen Befunds, der vorliegenden Bildgebung sowie des Tätigkeitsprofils bei der Klägerin weder eine qualitative noch quantitative Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit über 50% im Hinblick auf die berufliche Tätigkeit aus orthopädischer Sicht nachvollzogen werden können. Von der Klägerin seien geschildert worden generelle Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule, des rechten Knies und vorwiegend des rechten Sprunggelenks, an den Händen bestünden teilweise Gefühlsstörungen sowie Schmerzen. Die linke Schulter sowie der rechte Hallux valgus würden der Klägerin ebenso Beschwerden bereiten. Der Sachverständige D. stellte fest, dass sich klinisch am Untersuchungstag im Bereich der Halswirbelsäule insbesondere eine Tonuserhöhung der Muskulatur gezeigt habe, an der linken Schulter das typische Bild eines Schulterimpingements (Engesyndrom) zu diagnostizieren sei. Im Bereich der Lendenwirbelsäule habe sich bezüglich der Beweglichkeit keine wesentliche krankhafte Störung gezeigt, die festzustellenden Druckschmerzen sowie die anamnestisch berichtete Schmerzausstrahlung in das rechte Bein sei in Anbetracht der vorliegenden Röntgenaufnahmen aus medizinischer Sicht nachvollziehbar. Darüber hinaus habe sich am Untersuchungstag eine außenseitige Instabilität beider Sprunggelenke gezeigt, ein aktuell asymptomatischer Hallux valgus beiderseits. Aus orthopädischer Sicht seien die genannten Leistungsbeeinträchtigungen bei längerer Überkopftätigkeit sowie die Beschwerden im Bereich der linken Schulter geeignet, insbesondere zu Beeinträchtigungen bei dauerhaftem Stehen und Gehen sowie Steigen auf Leitern und Gerüsten zu führen. Die Ausführung schwerer körperlicher Tätigkeiten erscheine durch die Gesamtkonstellation bei der Klägerin nicht vollschichtig möglich, ebenso wie längere Tätigkeiten in Zwangshaltung z.B. Oberkörpervorbeuge. Das von der Klägerin geschilderte Tätigkeitsprofil über 15 Stunden pro Woche lasse eine überwiegend leichte bis zeitweise mittelschwere Tätigkeit nachvollziehen. Längerfristige Tätigkeiten in Zwangshaltung seien von der Klägerin nicht berichtet worden, ganz im Gegenteil werde eine Tätigkeit in wechselnder Körperpositionierung geschildert.
25
Somit kommt der Sachverständige D. auch aus orthopädischer Sicht zu dem Ergebnis, dass eine Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit bei der Klägerin im Hinblick auf ihre berufliche Tätigkeit von über 50% nicht nachvollzogen werden könne.
26
Somit kommen alle Sachverständigen auf sämtlichen begutachteten medizinischen Gebieten zu dem Ergebnis, dass eine Beeinträchtigung der beruflichen Leistungsfähigkeit der Klägerin für ihren ausgeübten Beruf von über 50% nicht vorliege.
27
Somit liegt keine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit bei der Klägerin vor.
II.
28
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 I S. 1 ZPO.
29
Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.