Titel:
Unterbringungsverfahren, Begründung der Rechtsbeschwerde, Rechtsbeschwerdegrund, Vorsorgevollmacht, Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens, Sachverständigengutachten, Berufsbetreuer, Aufenthaltsbestimmungsrecht, Aufgabenkreis, Elektronisches Dokument, Betreuerwechsel, Betroffenheit, Beschlüsse des Amtsgerichts, Elektronischer Rechtsverkehr, Verfahrenspfleger, Aufgabe zur Post, Alkoholabhängigkeit, Verlängerung der Betreuung, Sozialleistungsträger, Juristische Person des öffentlichen
Schlagworte:
Betreuungsanordnung, Betreuerwechsel, Vorsorgevollmacht, Verlängerung der Betreuung, Ungeeignetheit des Betreuers, Anhörung der Betroffenen, Zustand der Betroffenen
Vorinstanz:
AG Erding, Beschluss vom 18.05.2022 – 404 XVII 320/14
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 06.12.2023 – XII ZB 401/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 53494
Tenor
I. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts Erding vom 18.05.2022, Az.: 404 XVII 320/14 wird zurückgewiesen.
II. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.
Gründe
1
Für die Betroffene hat das Amtsgericht Erding mit Beschluss vom 11.09.2014 die Betreuung angeordnet und ihren Ehemann Herrn ... zum Betreuer bestellt.
2
Die Betroffene leidet unter paranoider Schizophrenie und langjähriger Alkoholabhängigkeit.
3
Mit Beschluss vom 08.06.2021 hat das Amtsgericht Erding die vorläufige Unterbringung der Betroffenen durch den Betreuer in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bzw. der beschützenden Abteilung einer Pflegeeinrichtung bis längstens 19.07.2021 genehmigt.
4
Mit Schreiben vom 20.07.2010 hat das ... I.-A.-Klinikum T. einen Antrag auf Betreuerwechsel in Bezug auf die Betroffene gestellt. Der Antrag wurde damit begründet, dass der Betreuer – durch die Betreuung emotional überlastet sei. Die Betroffene übe großen Druck auf ihren Ehemann aus, ihr Alkohol zu verschaffen, dem sich der Betreuer regelmäßig beuge. Durch den Alkoholkonsum könne bei der Betroffenen ein lebensbedrohlicher Zustand entstehen.
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Unter dem 28.07.2021 erteilte die Betroffene ihrem Ehemann – eine Vorsorgevollmacht. Für die Einzelheiten der Vollmacht wird auf Bl. 276 d.A. Bezug genommen.
6
Mit Beschluss vom 05.08.2021 hat das Amtsgericht Erding die Betreuung ausdrücklich auch auf den Aufgabenkreis des Abschlusses, der Änderung und der Kontrolle der Einhaltung eines Heim-Pflegevertrages erstreckt, den bisherigen Betreuer für die Aufgabenkreise Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung, Abschluss, Änderung und Kontrolle der Einhaltung eines Heim-Pflegevertrages und Entscheidung über die Unterbringung und unterbringungsähnliche Maßnahmen entlassen und für diese Aufgabenkreise die Berufsbetreuerin – als neue Betreuerin bestellt (vgl. Bl. 127 – 130 d.A.).
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Die gegen diesen Beschluss eingelegten Beschwerden der Betroffenen und ihres Ehemannes hat das Landgericht mit Beschlüssen vom 16.09.2021 und 08.10.2021 zurückgewiesen.
8
Unter dem 29.08.2021 erstattete der Facharzt für Psychiatrie Dr. O. im Unterbringungsverfahren ein psychiatrisches Sachverständigengutachten (Bl. 66 bis 76 des Unterbringungsheftes).
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Mit Schreiben vom 30.08.2021 hat die Berufsbetreuerin die Übertragung der Aufgabenkreise Vermögenssorge, Entgegennahme der Post und Kommunikation mit Behörden, Versicherungen und Sozialleistungsträgern beantragt, damit sie für die Betroffene sinnvoll einen Heimplatz suchen könne, weil der Ehemann die Zusammenarbeit mit ihr verweigere (Bl. 136 d.A.).
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Die Betreuungsbehörde hat sich mit Schreiben vom 08.09.2021 diesem Anliegen angeschlossen (Bl. 140 d.A.).
11
Am 17.11.2021 hat das Amtsgericht die Betroffene und ihren Ehemann zu dem weiteren Betreuerwechsel angehört. Für die Einzelheiten der Anhörung wird auf den Anhörungsvermerk auf Bl. 168 bis 170 d.A. Bezug genommen.
12
Die Verfahrenspflegerin hat mit Schreiben vom 03.11.2021 zum weiteren Betreuerwechsel Stellung genommen (Bl. 169 d.A.).
13
Mit Schreiben vom 16.12.2021 hat die Betreuungsbehörde zu einem möglichen Wechsel der Betreuung auf die Schwester der Betroffenen, Frau –, Stellung genommen (Bl. 176, 177 d.A.).
14
Mit Beschluss vom 21.12.2021 hat das Amtsgericht den Ehemann der Betroffenen vollständig als Betreuer entlassen und die diesem bislang noch obliegenden Aufgabenkreise (Vermögenssorge, Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post im Rahmen der übertragenen Aufgabenkreise, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern und Wohnungsangelegenheiten) ebenfalls der Berufsbetreuerin übertragen (Bl. 180 f d.A.).
15
Die gegen diesen Beschluss eingelegte Beschwerde hat die Beschwerdekammer mit Beschluss vom 19.01.2022 zurückgewiesen (Bl. 218 bis 225 d.A.)
16
Mit Schreiben vom 08.03.2022 hat sich der Ehemann der Beschwerdeführerin über die Zustände im Pflegeheim O. wo die Betroffene aufgrund Beschlusses des Amtsgerichts Erding vom 07.09.2021 derzeit untergebracht ist, beschwert.
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Mit ärztlichem Attest vom 22.03.2022 bestätigte der Hausarzt der Betroffenen Dr. S., dass die bekannten Erkrankungen der Betroffenen, paranoide Schizophrenie und Alkoholabhängigkeit), sowie die Betreuungsbedürftigkeit unverändert fortbestehen.
18
Mit Schreiben vom 17. und 18.03.2022 nahm das Pflegeheim O. zum Zustand der Betroffenen und zum Verhalten ihres Ehemannes Stellung (Bl. 242 d.A.).
19
Mit Schreiben vom 14.04.2022 nahm die Betreuungsstelle des LRA E. zum Verfahren auf Verlängerung der Betreuung Stellung (Bl. 241 bis 243 d.A.).
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Unter dem 10.05.2022 erstattete die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie – - im Unterbringungsverfahren ein psychiatrisches Gutachten über die Betroffene (Bl. 118 bis 131 des Unterbringungsheftes).
21
Am 16.05.2022 hörte das Amtsgericht die Betroffene u.a. zur Verlängerung der Betreuung und zum Antrag auf Aufhebung der Betreuung und Betreuerwechsel an. Für die Einzelheiten wird auf die Anhörungsniederschrift vom 16.05.2022 Bezug genommen (Bl. 246 d.A.).
22
Mit Schreiben vom 16.05.2022 erklärte die Betroffene, sie brauche „keine Frau T.“ (Bl. 245 d.A.).
23
Mit Beschluss vom 18.05.2022 verlängerte das Amtsgericht Erding die Betreuung für die bereits bisher bestehenden Aufgabenkreise und wies den Antrag der Betreuten vom 16.05.2022 auf Aufhebung der Betreuung und Entlassung der Betreuerin und Bestellung eines neuen Betreuers ab (Bl. 248 ff d.A.).
24
Mit Schreiben vom 17.06.2022 legte der Verfahrensbevollmächtigte der Betreuten Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 18.05.2022 ein (Bl. 261 d.A.). Hierbei wies er unter anderem auf die durch die Betroffene im Juli 2021 ihrem Ehemann erteilte Vorsorgevollmacht hin und legte diese auf gerichtliche Nachfrage vor.
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Mit Beschluss vom 28.07.2022 hat das Amtsgericht der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt (Bl. 272 d.A.).
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Die gemäß §§ 58 ff FamFG zulässig eingelegte Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
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1. Die Beschwerde der Betreuten ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht in Namen der Betreuten eingelegt. Beim Auftreten von Rechtsanwälten wird gem. § 11 Satz 4 FamFG das Bestehen einer konkludent behaupteten Vollmacht nicht von Amts wegen überprüft, solange keine konkreten Anhaltspunkte für das Nichtbestehen der Vollmacht vorliegen. Solche Anhaltspunkte bestehen vorliegend nicht.
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2. Die Beschwerde ist nicht begründet.
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2.1. Das Amtsgericht hat die Betreuung zu Recht verlängert, weil die Voraussetzungen für eine Betreuung in den angeordneten Aufgabenkreisen nach wie vor vorliegen. Insbesondere ist die Betreute nach wie vor aufgrund der bestehenden Erkrankungen, insbesondere einer paranoiden Schizophrenie und einer Alkoholabhängigkeit nicht in der Lage, ihre Angelegenheiten in den angeordneten Aufgabenkreisen selbst zu regeln. Dies ergibt sich aus dem psychiatrischen Sachverständigengutachten der Sachverständigen Dr. W. vom 08.08.2014, das durch das ärztliche Attest vom 22.03.2022 und das im Unterbringungsverfahren erholte psychiatrische Gutachten der Sachverständigen C. vom 10.05.2022 bestätigt wird. Auch die Beschwerde stellt das Vorliegen der Erkrankungen der Betreuten und die daraus resultierende Betreuungsbedürftigkeit der Betroffenen nicht in Abrede.
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2.2 Soweit die Beschwerdeführerin der Ansicht ist, dass die Anordnung einer Betreuung in Anbetracht der ihrem Ehemann erteilten Vorsorgevollmacht nicht erforderlich sei, trifft diese Ansicht nicht zu.
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2.2.1 Zum einen ist die Betroffene nicht in der Lage, eine wirksame Vorsorgevollmacht zu errichten, weil sie hierfür geschäftsfähig sein müsste. Ausweislich des Gutachtens der Sachverständigen Dr. W. von 08.08.2014 und dem psychiatrischen Sachverständigengutachten des Psychiaters Dr. O. vom 29.08.2021 befindet sich die Betroffene aufgrund der festgestellten schizophrenen Psychose und der hierdurch verursachten Affektverflachung sowie der ausgeprägten Beeinträchtigung des Antriebs und der mit der Psychose einhergehenden Eigenweltlichkeit in einem Zustand krankhafter Störung ihrer Geistestätigkeit, die absehbar dauerhafter Natur ist. Sie kann daher weder einen freien Willen in Bezug auf die Betreuung oder Unterbringung bilden noch ist sie in Bezug auf die Erteilung einer Vorsorgevollmacht geschäftsfähig. Zweifel an der Richtigkeit der ärztlichen Feststellungen zu ihrem Zustand bestehen nicht. Insbesondere der Sachverständige Dr. O. ist der Kammer seit vielen Jahren als hervorragender Experte auf dem Gebiet der Psychiatrie und erfahrener Gutachter bekannt. Aufgrund der dargestellten psychischen Erkrankung ist die Betroffene weder in der Lage, einen freien von ihrer Erkrankung unbeeinflussten Willen zu bilden noch nach zutreffend gewonnenen Einsichten zu handeln. Die Betroffene ist insbesondere nicht in der Lage, ihre Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen. Vielmehr sind alle Entscheidungen der Betroffenen von ihrer krankheitsbedingten Bagatellisierung ihrer Erkrankungen und von der Möglichkeit, an Alkohol zu gelangen, beeinflusst. Die Betroffene war im Juli 2021 daher nicht geschäftsfähig und folglich zur Erteilung einer wirksamen Vorsorgevollmacht nicht in der Lage.
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2.2.2 Eine Vorsorgevollmacht steht einer Betreuung überdies nur dann entgegen, wenn die Angelegenheiten des Betroffenen durch einen Bevollmächtigten ebenso gut wie durch den Betreuer besorgt werden können (§ 1896 Abs. 3 Satz 2 BGB). Das ist vorliegend nicht der Fall. Der Ehemann der Betroffenen war ursprünglich als Betreuer für die Betroffene bestellt. Mit Beschlüssen vom 05.08.2021 und 21.12.2021 hat das Amtsgericht Erding den Ehemann der Betroffenen für alle Aufgabenkreise als Betreuer entlassen. Die hiergegen gerichteten Beschwerden hat die Beschwerdekammer mit Beschlüssen vom 16.09.2021, 08.10.2021 und 29.01.2022 zurückgewiesen, weil der Ehemann der Betroffenen zur Ausübung des Betreueramts nicht geeignet ist, der Betroffenen in der Vergangenheit insbesondere immer wieder Alkohol zugeführt hat, wodurch es zu lebensgefährlichen Situationen gekommen ist. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die ausführlichen Begründungen dieser Beschlüsse zur Ungeeignetheit des Ehemanns der Betroffenen als Betreuer Bezug genommen.
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An der damals zu Recht durch das Amtsgericht festgestellten Ungeeignetheit des Ehemanns der Betroffenen hat sich nichts geändert. Aus den Stellungnahmen des Pflegeheims O. vom 17. und 18.03.2022 ergibt sich, dass der Ehemann der Betroffenen auch nach seiner Entlassung als Betreuer Alkohol in das Pflegeheim seiner Ehefrau geschmuggelt hat. Die Betreute musste aufgrund des zu sich genommenen Alkohols in das Krankenhaus eingewiesen werden. Der Ehemann füllte zu diesem Zweck Alkohol in andere Plastikflaschen um. Um der deshalb erfolgten Durchsuchung der mitgebrachten Sachen zu entgehen, kletterte der Ehemann über den Gartenzaun des Heimes, um der Betroffenen von den Angestellten des Pflegeheims unbemerkt Alkohol und Süßigkeiten, die wegen ihres insulinpflichtigen Diabetes ebenfalls lebensgefährlich sind, zu verschaffen. Bei dem Ehemann besteht kein Verständnis für die Alkoholerkrankung seiner Ehefrau und die möglicherweise letalen Folgen ihres Alkoholkonsums durch Intoxikationen bzw. durch Dekompensationen der bereits in erheblichem Umfang bestehenden körperlichen Erkrankungen (Blutzuckerentgleisung, fortgeschrittene Leberzirrhose, Anämie, chronische Pankreatitis, Ösphagusvarizen mit letal verlaufender Blutung etc.) durch weiteren Alkoholkonsum.
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Angesichts dieses Verhaltens und der fortbestehenden Uneinsichtigkeit für die Gefahren des Alkoholkonsums ist der Ehemann weder als Betreuer noch als Vorsorgebevollmächtigter geeignet.
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Das gilt auch und gerade für den Aufgabenkreis der Aufenthaltsbestimmung und der Gesundheitssorge. Denn es ist anzunehmen, dass der Ehemann, falls ihm die Aufenthaltsbestimmung obläge, die Betroffene zu sich nach Hause holen und sie dort erst recht mit Alkohol versorgen würde, falls ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht zustünde.
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Der Ehemann ist daher als Bevollmächtigter nicht geeignet, die Angelegenheiten der Betroffenen ihrem Wohl entsprechend zu regeln, so dass die Betreuung in keinem der angeordneten Aufgabenkreise wegen des Bestehens der Vorsorgevollmacht aufgehoben werden konnte.
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Vielmehr musste die Betreuung in den angeordneten Aufgabenkreisen verlängert werden.
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2.3 Gegen die Geeignetheit der Berufsbetreuerin Frau T. sprechen keine Anhaltspunkte. Zwar hat die Betroffene klar gemacht, dass sie mit dieser nicht zusammenarbeiten will. Das liegt aber nicht an der Person der Berufsbetreuerin. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Betroffene und ihr Ehemann mit keinem familienfremden Berufsbetreuer zusammenarbeiten wollen / werden, der ihre Wünsche nicht umsetzt. Auch wenn die Betroffene und ihr Ehemann (derzeit) nicht mit der Berufsbetreuerin kooperieren, kann diese zum Wohl der Betroffenen tätig werden, indem sie sich z.B. um einen geeigneten Therapieplatz kümmert und die vermögensrechtlichen Angelegenheiten erledigt.
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2.4 Die obigen Feststellungen erfolgten durch das Amtsgericht verfahrensfehlerfrei, insbesondere nach Anhörung der Betroffenen, der Betreuerin, der Betreuungsbehörde und der Verfahrenspflegerin, die der Betroffenen für das Betreuungs- und Unterbringungsverfahren bestellt worden war. Gemäß § 295 Abs. 1 Satz 2 FamFG kann im Verlängerungsverfahren von der erneuten Erholung eines Gutachtens abgesehen werden, wenn sich aus der Anhörung und dem ärztlichen Zeugnis ergibt, dass sich die Betreuungsbedürftigkeit nicht verringert hat. Dies war vorliegend der Fall, zumal im Unterbringungsverfahren mit den psychiatrischen Gutachten vom 19.08.2021 und 10.05.2022 weitere aktuelle Gutachten zu dem Zustand der Betroffenen erholt worden waren, die alle zum selben Ergebnis, nämlich dem Fortbestehen der Erkrankungen, gekommen waren. Bei dieser Sachlage ist die Erholung eines weiteren Gutachtens im betreuungsgerichtlichen Verlängerungsverfahren offenkundig entbehrlich.
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Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf §§ 36 Abs. 3, 79 Abs. 1 GNotKG.