Inhalt

OLG München, Beschluss v. 11.07.2022 – 24 U 2879/22
Titel:

Aussetzung des Verfahrens, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Rechtsschutzversicherung, Prozeßbevollmächtigter, Deliktsrecht, Vorabentscheidungsersuchen, Abschalteinrichtung, Kosten des Berufungsverfahrens, Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Kostenentscheidung, Sicherheitsleistung, Zug-um-Zug, Berufungsinstanz, Streitwert, Berufungsbeklagter, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, Schutzgesetzcharakter, Landgerichte, Europäischer Gerichtshof, Fristgerechte Berufung

Schlagworte:
Unzulässige Abschalteinrichtungen, Klageabweisung, Berufung, Aussetzung des Verfahrens, Schutzgesetze, Kostenentscheidung, Streitwert
Vorinstanzen:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 20.06.2022 – 24 U 2879/22
LG Memmingen, Endurteil vom 11.04.2022 – 25 O 1310/21
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 13.11.2023 – VIa ZR 1179/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 53369

Tenor

1. Der Antrag des Klägers, das Verfahren gemäß § 148 ZPO bis zu der Entscheidung des Rechtsstreits vor dem Europäischen Gerichtshof im Verfahren C-100/21 auszusetzen, wird zurückgewiesen.
2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 11.04.2022, Aktenzeichen 25 O 1310/21, wird zurückgewiesen.
3. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
4. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Memmingen ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 28.168,37 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger erwarb laut Rechnung vom 01.03.2016 bei der K. Maschinen GmbH einen Gebrauchtwagen VW T6 Caravelle 2,0 TDI mit einer Laufleistung von 20 km zum Kaufpreis von 41.150 €. In dem Fahrzeug ist ein Dieselmotor der Baureihe EA 288 (Schadstoffklasse Euro 6) verbaut. Der Motor ist mit einem SCR-Katalysator versehen. Herstellerin des Motors ist die Beklagte. Das Fahrzeug ist von keinem amtlichen Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamts wegen Vorliegens einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen. Es hatte am 21.02.2022 eine Laufleistung von 94.655 km.
2
Der Kläger macht geltend, bei seinem Fahrzeug kämen unzulässige Abschalteinrichtungen zum Einsatz. Er nahm die Beklagte vor dem Landgericht Memmingen auf Zahlung von 28.168,37 € Zug-um-Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs in Anspruch. Mit dem angegriffenen Urteil vom 11.04.2022 wies das Landgericht die Klage ab. Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts Memmingen vom 11.04.2022 Bezug genommen. Der Kläger hat gegen das Urteil form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Hinsichtlich des Vorbringens in der Berufungsinstanz wird auf die Berufungsbegründung sowie die eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.
3
Im Berufungsverfahren beantragt den Kläger unter Abänderung des am 11.04.2022 verkündeten und am 12.04.2022 zugestellten Urteils Az.: 25 O 1310/21 des Landgerichts Memmingen:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 28.168,37 EUR sowie Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 08.06.2021 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges Volkswagen T6 Caravelle mit der Fahrzeugidentifikationsnummer …6824.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Fahrzeuges Volkswagen T6 Caravelle mit der Fahrzeugidentifikationsnummer …6824 seit dem 08.06.2021 in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die C. Rechtsschutz-Versicherungs AG, …, … zur Schadennummer …98-9-1 zi vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.239,40 EUR (netto), zuzüglich der gesetzlich geltenden Umsatzsteuer sowie Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten.
4. Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit im Übrigen erledigt ist.
4
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
5
Hinsichtlich des Vortrags in der Berufungsinstanz wird auf die Berufungserwiderung sowie die eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.
II.
6
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 11.04.2022, Aktenzeichen 25 O 1310/21, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
7
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats vom 20.06.2022 (Bl. 296/303) Bezug genommen.
8
Die Gegenerklärung des Klägers vom 06.07.2022 (Bl. 306/314 d. A.) rechtfertigt keine andere Beurteilung als im Hinweis dargelegt.
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1. Der Kläger trägt, wie bereits mit der Berufungsbegründung und in den vorausgegangenen Schriftsätzen weiterhin seine von den rechtlichen Beurteilungen des Landgerichts und des Senats abweichenden Auffassungen vor. Der Senat hält jedoch auch in Ansehung der neuerlichen Ausführungen des Klägers insbesondere zur Fahrkurvenerkennung und zum Thermofenster an den im Hinweisbeschluss dargelegten rechtlichen Beurteilungen fest.
10
Ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat der Kläger auch weiterhin keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung seitens der Beklagten vorgetragen und belegt.
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2. Der Antrag des Klägers auf Aussetzung des Verfahrens nach § 148 ZPO war zurückzuweisen.
12
Zur Begründung seines Aussetzungsantrags stützt sich der Kläger auf (die Absetzung eines für den 30.06.2022 geplanten Verhandlungstermins durch den VII. Zivilsenat des BGH und) die Pressemitteilung des VIa. Zivilsenats des BGH vom 01.07.2022 im Verfahren VIa ZR 335/21.
13
Weder aus den Schlussanträgen noch der Pressemitteilung vom 01.07.2022 folgt eine Verpflichtung der Instanzgerichte, Verfahren aus dem Bereich der sogenannten Abgasthematik bis zu einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs auszusetzen. Eine solche Verpflichtung besteht nach gefestigter Rechtsprechung sowohl des Europäischen Gerichtshofs als auch des Bundesgerichtshofs im Falle von Vorabentscheidungsersuchen anderer nationaler Gerichte gerade nicht. Demzufolge hat der Senat auch aufgrund der Formulierung keinen Anlass anzunehmen, dass der Bundesgerichtshof mit seiner Presseerklärung vom 01.07.2022 im Verfahren VIa ZR 335/21 hiervon abweichen und eine Wartepflicht der Instanzgerichte statuieren wollte.
14
Der Senat ist nach gefestigter Rechtsprechung nicht bereits deshalb zur Anrufung des EuGH verpflichtet, weil einzelstaatliche Gerichte in Rechtssachen, die der beim Senat anhängigen ähneln und die gleiche Problematik betreffen, dem Gerichtshof eine Frage zur Vorabentscheidung nach Art. 267 Abs. 1 – 3 AEUV vorgelegt haben (vgl. EuGH, Urteil vom 09.09.2015 – C-72/14, C-197/14, BeckRS 2015, 81095; BGH, NVwZ-RR 2020, 436 Rn. 51). Ebenso wenig ist der Senat verpflichtet, die Antwort auf diese Frage abzuwarten und das bei ihm rechtshängige Verfahren analog § 148 ZPO auszusetzen (vgl. EuGH, Urteil vom 09.09.2015 – C-72/14, C-197/14, BeckRS 2015, 81095; BGH, NVwZ-RR 2020, 436 Rn. 51). Der Bundesgerichtshof hat dies jüngst mit Beschluss vom 14.06.2022, VIII ZR 409/21 für eine Vorlage zum Europäischen Gerichtshof (wiederum durch das Landgericht Ravensburg) zum Verhältnis zwischen Verbraucherkreditlinie und Kilometerleasingverträgen nochmals ausdrücklich bestätigt.
15
In Anwendung seines richterlichen Ermessens hält der Senat weiterhin eine Aussetzung des Verfahrens nicht für sachgerecht.
16
Die Schlussanträge des Generalanwalts R. vom 02.06.2022 erfordern ein Abwarten durch den Senat nicht. Selbst wenn entsprechend der in den Schlussanträgen (dort Rn. 50 und Rn. 78 Ziff.1) vertretenen Auffassung davon ausgegangen würde, die RL 2007/46/EG solle (auch) das Interesse des individuellen Erwerber seines Kraftfahrzeugs schützen, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, handelt es sich bei den zur Umsetzung der Richtlinie erlassenen §§ 6 und 27 EG-FGV nicht um Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB. Der VO (EG) Nummer 715/2007, die unmittelbar anwendbar ist, misst selbst der Generalanwalt keine Schutzwirkung zugunsten von Vermögensinteressen von Fahrzeugerwerbern zu.
17
Bereits das bestehende deutsche Vertrags- und Deliktsrecht hält zahlreiche – abgestufte – Instrumente bereit, die hinreichend wirksam das Interesse eines Erwerbers schützen, nicht ein mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattetes Fahrzeug zu erwerben und zugleich auch einen erheblichen Anreiz für die Hersteller von Motoren bedingen, unionsrechtliche Vorschriften einzuhalten. Vor diesem Hintergrund bedarf es in der deutschen Rechtsordnung über die bestehenden Institute des Vertrags- und Deliktsrechts hinaus nicht der Einordnung der Vorschriften der EG-FGV als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, um das Interesse der Käufer von Fahrzeugen, die mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet sind, angemessen zu schützen (im gleichen Sinne OLG Stuttgart, Urteil vom 28.06.2022, 24 U 115/22, Seite 27 ff; dort auch eingehend zu entstehenden nicht hinnehmbaren Wertungswidersprüchen, wollte man den Bestimmungen der §§ 6 und 27 EG-FGV Schutzgesetzcharakter im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB beimessen).
III.
18
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
19
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
20
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.
Verfügung
1. Beschluss vom 11.07.2022 hinausgeben an:
Prozessbevollmächtigter des Berufungsklägers … zustellen
Prozessbevollmächtigte der Berufungsbeklagten … zustellen
2. Schlussbehandlung