Inhalt

AG München, Endurteil v. 08.07.2022 – 1290 C 19698/21 WEG
Titel:

Änderung der Teilungserklärung, Wohnungseigentümergemeinschaft, Eigentümerversammlung, Abrechnungsspitze, Umlage der Betriebskosten, Miteigentumsanteil, Beschlußfassung, Elektronisches Dokument, Beschlüsse, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Einzelabrechnung, Personenaufzüge, Bayerisches Oberstes Landesgericht, Streitwert, Elektronischer Rechtsverkehr, Eigentümergemeinschaft, Jahresabrechnung, Beschlusssammlung, Kostenerstattungsanspruch, Einzelner Wohnungseigentümer

Schlagwort:
Wohnungseigentum
Fundstellen:
ZMR 2024, 81
LSK 2022, 53350
BeckRS 2022, 53350

Tenor

1. Der in der außerordentlichen Eigentümerversammlung der WEG, vom 15.11.2021 unter TOP 2 gefasste Beschluss wird für ungültig erklärt.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung der Kläger durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leisten.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 234,70 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Gegenstand des Verfahrens ist die Anfechtung des in der außerordentlichen Eigentümerversammlung der WEG, am 15.11.2021 zu den TOP 2 gefassten Beschlusses.
2
Die beiden Kläger sind mit Miteigentumsanteilen von 1035,63/10.000 und 70/10.000 Teil der genannten Wohnungseigentümergemeinschaft, welche aus zehn Wohneinheiten besteht. Die Wohnung Nr. 2 im Erdgeschoss des Anwesens steht im alleinigen Miteigentum der Kläger.
3
Die Teilungserklärung der Beklagten wurde am 28.02.1968 notariell beurkundet. In § 10 dieser Teilungserklärung finden sich die Regelungen für die Kosten des Wohnungseigentums. Dort ist festgehalten:
(2) Betriebskosten
Die Betriebskosten umfassen folgende Lasten:
d) Betrieb des Personenaufzugs, sofern vorhanden, (Erdgeschoß-Wohnungen sind hiervon freigestellt),
e) …
4
Weitere Regelungen betreffend die Kosten eines Aufzugs finden sich in der Teilungserklärung nicht. Es existieren auch keine entsprechenden Nachträge zur Teilungserklärung.
5
Über einen Personenaufzug verfügte das Anwesen in den ersten Jahrzehnten seines und des Bestehens der Wohnungseigentümergemeinschaft nicht.
6
Auf einer außerordentlichen Eigentümerversammlung am 29.08.2011 beschloss die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer den Einbau eines Personenaufzugs (Beschlusssammlung der Beklagten, Nr. 37 bis 40).
7
Hierbei wurde folgender zwischenzeitlich bestandskräftiger Beschluss (Beschlusssammlung Nr. 40) gefasst:
8
Die Betriebskosten des Aufzugs werden auf Grundlage der Teilungserklärung von allen Eigentümern getragen. Die Verteilung erfolgt nach 1.000stel Miteigentumsanteilen.
9
In der Folgezeit wurde der Personenaufzug wie beschlossen eingebaut. Mit ihm sind das Untergeschoss, das Erdgeschoss, der 1. Stock und der 2. Stock des Hauses erreichbar.
10
Nach einer ordentlichen Eigentümerversammlung am 28.07.2021 hielt die Beklagte am 15.11.2021 eine außerordentliche Eigentümerversammlung ab. Bei dieser erging zu TOP 2 folgender Beschluss:
Der Beschluss über die Einzelabrechnungen für das Wirtschaftsjahr 2020 vom 21.05.2021 aus der Eigentümerversammlung vom 28.07.2021 wird aufgehoben.
Die sich aus den Jahreseinzelabrechnungen für das Wirtschaftsjahr 2020 vom 12.10.2021 ergebenden Nachschüsse bzw. Anpassung der beschlossenen Vorschüsse werden genehmigt. Der Ausgleich der Abrechnungssalden bis zum 30.11.2021 fällig.
11
Der Beschluss wurde – bei Enthaltungen – einstimmig angenommen.
12
Die Jahreseinzelabrechnungen vom 12.10.2021 berechnet den Klägern die Kosten des Postens „80040 Aufzug Wartung/Notruf/TÜV“ in Höhe von 234,70 €, anteilig entsprechend dem Miteigentumsanteil der Kläger aus den Gesamtkosten von 2.192,55 €.
13
Zur Anfechtung des Beschlusses tragen die Kläger vor, sie seien an den Betriebskosten des Aufzugs nicht zu beteiligen, da es hierfür keine Rechtsgrundlage gebe. Nach § 10 Abs. 2 lit. d) der Teilungserklärung vom 28.02.1968 [Anm.: in der Klageschrift ab Seite 6 erkennbar irrtümlich als § 10 Abs. 2 lit. c) bezeichnet] seien die Kläger als Eigentümer einer der Erdgeschosswohnungen von den Betriebskosten einer Aufzugsanlage freigestellt. Eine andere Rechtsgrundlage zur Auferlegung der genannten Kosten bestünde nicht.
14
Der Passus in der Teilungserklärung „sofern vorhanden“ sei so zu verstehen, dass für den Fall, dass ein Personenaufzug nachträglich eingebaut werde, die Eigentümer der Erdgeschosswohnungen, für die – jedenfalls aus damaliger Sicht – der Aufzug so gut wie keinen Nutzen habe, nicht für die Betriebskosten des Aufzugs aufzukommen hätten.
15
Nach Auffassung der Kläger beinhaltet auch die Beschlussfassung vom 29.08.2011 keine Rechtsgrundlage für eine Kostentragung seitens der Kläger.
16
Zunächst habe schon keine Beschlusszuständigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft bestanden. Aufgrund höchstrichterlicher Rechtsprechung sei geklärt, dass eine in der Teilungserklärung enthaltene Kostenverteilungsregelung, vorliegend § 10 Abs. 2 lit. d), nicht durch einen Beschluss der Eigentümergemeinschaft geändert werden könne. Sollte also in dem Beschluss (Beschlusssammlung Nummer 40) der Wille gesteckt haben, die Betriebskostenverteilung des Aufzugs abweichend von der Teilungserklärung zu regeln, so sei ein solcher Beschluss wegen Beschlussunzuständigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft nichtig.
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Auch aus § 16 Abs. 3 bzw. Abs. 4 WEG a.F. ergebe sich keine Rechtsgrundlage für die getroffene Beschlussfassung.
18
Im Übrigen sei der Beschluss auch deshalb nichtig, da es ihm an einem eindeutigen Inhalt mangele. Auch durch Auslegung sei der Sinn der Beschlussfassung nicht zu ermitteln: Wenn gleichzeitig beschlossen werde, dass alle Eigentümer die Betriebskosten entsprechend ihrer Miteigentumsanteile begleichen sollten und dass dies auf Grundlage der Teilungserklärung erfolgen solle, sei der Beschluss in sich widersprüchlich. Denn der bereits zitierte § 10 Abs. 2 lit. d) der Teilungserklärung schließe die Eigentümer der Erdgeschosswohnungen ja gerade von einer Kostentragungspflicht aus.
19
Auch in der ordentlichen Eigentümerversammlung am 28.07.2021 sei keine Regelung betreffend die Aufzugskosten getroffen worden.
20
Damit sei die anteilige Berechnung der Betriebskosten für den Personenaufzug gegenüber den Klägern zu Unrecht erfolgt. Die in der korrigierten Jahresabrechnung vom 12.10.2021 berechnete Abrechnungsspitze der Kläger sei daher in Höhe von 234,70 € unrichtig.
21
Die Kläger beantragen, den in der außerordentlichen Eigentümerversammlung am 15.11.2021 gefassten Beschluss zu TOP 2 für ungültig zu erklären.
22
Die Beklagte beantragt Klageabweisung.
23
Die Beklagte wendet ein, dass auch in der Abrechnungsspitze, die im Rahmen der ordentlichen Eigentümerversammlung am 28.07.2021 beschlossen worden sei, für die Kläger der genannte Kostenanteil für den Personenaufzug enthalten gewesen sei. Zu diesem Punkt sei der damalige Beschluss innerhalb der Anfechtungsfrist gerade nicht angegriffen worden. Er sei damit in dieser Hinsicht bereits bestandskräftig. Denn bei verständiger Würdigung des Beschlusses vom 15.11.2021 zu TOP 2 sollte der Beschluss über die Abrechnungsspitze vom 28.07.2021 nicht insgesamt, sondern zur Vermeidung eines Gerichtsurteils nur insoweit aufgehoben werden, als er berechtigt angegriffen worden sei. Damit sei der nun erhobenen Klage die Bestandskraft des angegriffenen Beschlusses entgegenzuhalten.
24
Die fragliche Regelung in § 10 Abs. 2 lit. d) der Teilungserklärung sei dahingehend auszulegen, dass der Bauträger ersichtlich keine Regelung für den Fall treffen konnte und wollte, falls die Wohnungseigentümer sich zu späterer Zeit für den Einbau eines Personenaufzugs entscheiden sollten. Die Formulierung „sofern vorhanden“ könne lediglich gemeint haben „sofern damals vorhanden“. Sie beziehe sich ausschließlich auf den damaligen Zustand, eine Regelung für die Zukunft sei nicht gewollt gewesen.
25
Die gegenteilige Auslegung konterkariere den Willen des Gesetzgebers, Modernisierungen am Bestandseigentum zu erleichtern.
26
Im Jahr 2011 seien sich die Eigentümer bei ihrer Beschlussfassung einig gewesen, dass die laufenden Kosten des Personenaufzuges, den man einzubauen beabsichtigte, von allen Eigentümern gleichmäßig nach ihrem Miteigentumsanteil getragen werden sollten. In nicht zu beanstandender Weise sei damals geregelt worden, dass auch für die Betriebskosten eines Personenaufzugs sich die Verteilung nach dem allgemeinen Verteilungsschlüssel richten solle. Diese Regelung sei nach § 22 Abs. 1, Abs. 2 WEG a.F. zulässig gewesen.
27
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20.05.2022 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.
28
Die Klage ist zulässig und begründet.
29
1. Das Amtsgericht München ist für die erhobene Beschlussklage (§ 44 Abs. 1 Satz 1 WEG) örtlich und sachlich ausschließlich zuständig, §§ 43 Abs. 2 Nummer 4 WEG, 23 Nr. 2c GVG.
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2. Sowohl die einmonatige Klagefrist als auch die zweimonatige Klagebegründungsfrist des § 45 Satz 1 WEG wurden eingehalten.
31
3. Der angegriffene Beschluss zu TOP 2, mit dem seitens der Eigentümer die Jahresabrechnung vom 12.10.2021 genehmigt wurde, ist für ungültig zu erklären, da die in der genannten Abrechnung enthaltene Abrechnungsspitze für die Kläger unrichtig ist. Für die Umlage des Betrages von 234,70 € als anteilige Kosten für „Wartung/Notruf Aufzug“ auf die Kläger fehlt es an einer tragfähigen Rechtsgrundlage. Damit entspricht Beschluss zu TOP 2, der für die Kläger die Abrechnungsspitze mit entsprechender Umlage billigt, nicht ordnungsgemäßer Verwaltung.
32
Nach der unverändert gültigen Teilungserklärung vom 28.02.1968 sind die Wohnungen im Erdgeschoss von den Betriebskosten eines Personenaufzugs freigestellt. Das Gericht mag der von der Beklagten vertretenen Auffassung, der Wortlaut in § 10 Abs. 2 lit. d) der Teilungserklärung („Die Betriebskosten umfassen folgende Lasten: … d) Betrieb des Personenaufzugs, sofern vorhanden, (Erdgeschoß-Wohnungen sind hiervon freigestellt)“) habe nur den Zustand im Jahr 1968 geregelt, nicht zu folgen.
33
Der genannte Wortlaut der Teilungserklärung enthält keine Einschränkungen hinsichtlich seiner Geltung, weder zeitlich noch sonst, etwa nach Art des Personenaufzugs (ob dieser den Keller anfährt oder nicht). Die Teilungserklärung trifft eine Regelung zu den Betriebskosten eines Personenaufzugs, sofern ein solcher vorhanden ist. Nun ist ein solcher vorhanden, also ist die Regelung anzuwenden. Dass die Regelung nur damals gelten sollte, insbesondere (nur) für den damaligen Fall, dass noch ein Personenaufzug eingebaut würde, jetzt aber nicht mehr (ab wann nicht mehr?), ist ihr nicht zu entnehmen.
34
Ob diese Regelung angesichts dessen, dass der nunmehr nachgerüstete Aufzug auch das Kellergeschoss erreicht, wirtschaftlich noch angemessen ist, muss angesichts des eindeutigen Wortlauts der Teilungserklärung dahinstehen. Eine abweichende Kostentragungsregelung würde eine entsprechende Änderung der Teilungserklärung voraussetzen, welche nicht erfolgt ist.
35
Hieran ändert auch die (angesichts des soeben Ausgeführten in sich widersprüchliche) Beschlussfassung aus dem Jahr 2011 nichts. „Auf Grundlage der Teilungserklärung“ wären die Betriebskosten gerade nicht von allen Eigentümern zu tragen.
36
Wie in der Klageschrift vom 13.12.2021 zutreffend ausgeführt, besaß die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer für die fragliche Beschlussfassung aus dem Jahr 2011 bereits keine Kompetenzzuweisung. Eine in der Teilungserklärung enthaltene Kostenverteilungsregelung (wie § 10 Abs. 2 lit. d) der Teilungserklärung vom 28.02.1968) kann nicht durch einen Beschluss der Wohnungseigentümergemeinschaft abgeändert werden (BGH, Beschluss vom 20.09.2000, Az. V ZB 58/99, BGHZ 145, 158-170 sowie Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 20.12.2000, Az. 2Z BR 61/00, und OLG Köln, Beschluss vom 24.05.2002, Az.16 Wx 84/02, jeweils juris).
37
Auch § 16 Abs. 3 WEG a.F. begründet nicht die Befugnis, einen Wohnungseigentümer, der nach einer bestehenden Vereinbarung von der Tragung bestimmter Kosten befreit ist, durch Beschluss erstmals an den Kosten zu beteiligen (BGH, Urteil vom 01.06.2012, Az. V ZR 225/11, juris).
38
Ein in absoluter Beschlussunzuständigkeit gefasster Beschluss der Eigentümergemeinschaft ist nichtig (BGH, Beschluss vom 20.09.2000, s.o.).
39
Im Übrigen wäre der Beschluss, hätte es für die Beschlussfassung eine Rechtsgrundlage gegeben, wegen der darin enthaltenen in sich widersprüchlichen Regelung nichtig.
40
Soweit die Beklagtenpartei weiter ausführt, der zunächst gefasste Beschluss zur Genehmigung der Abrechnung vom 28.07.2021 sei hinsichtlich der Umlage der Betriebskosten der Aufzuganlage auf die Kläger mangels fristgerechter Anfechtung zu diesem Punkt bereits bestandskräftig, findet dies im Wortlaut des am 15.11.2021 zu TOP 2 gefassten Beschlusses keine Grundlage:
41
Laut Beschlusstext vom 15.11.2021 wird der am 28.07.2021 gefasste Beschluss über die Einzelabrechnungen vom 21.05.2021 ohne Wenn und Aber, ohne Einschränkungen aufgehoben und es werden die Einzelabrechnungen in der Fassung vom 12.10.2021 neu beschlossen bzw. genehmigt. Dieser Beschluss vom 15.11.2021 kann vollumfänglich von jedem einzelnen Wohnungseigentümer hinsichtlich der ihn betreffenden Abrechnungsspitze mit allen dieser zugrundeliegenden Einzelposten und Berechnungen angegriffen werden, auch wenn der betreffende Eigentümer den Beschluss vom 28.07.2021 nicht angefochten hat.
42
II. 1. Gem. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
43
2. Die vorläufige Vollstreckbarkeit, welche nur für den Kostenerstattungsanspruch der Kläger greift, folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
44
3. Der Streitwert war gem. § 49 GKG unverändert auf 234,70 € festzusetzen.