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OLG München, Hinweisbeschluss v. 08.04.2022 – 27 U 872/22
Titel:

Berufungsverfahren, Streitwert, Verwaltungsgerichte, Abschalteinrichtung, Berufungsanträge, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, Verwaltungsakt, Hinweisbeschluss, Tatbestandswirkung, Kraftfahrt-Bundesamt, Rücknahme der Berufung, Zurückweisung, Gelegenheit zur Stellungnahme, Angefochtene Entscheidung, Nebenforderungen, Aussicht auf Erfolg, Behörden, Zulassungsbescheinigung Teil I, Entscheidung des Landgerichts, Zivilgericht

Schlagworte:
Berufungszulässigkeit, Unbegründetheit der Berufung, Deliktische Haftung, Abschalteinrichtung, Schadensersatzanspruch, Typzulassung, Rücknahme der Berufung
Vorinstanz:
LG Augsburg vom 01.02.2022 – 31 O 2410/21
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 22.06.2022 – 27 U 872/22
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 20.11.2023 – VIa ZR 988/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 53305

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 01.02.2022, Az: 031 O 2410/21, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 30.05.2022.
3. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert im Berufungsverfahren auf bis zu 40.000,00 € festzusetzen. Binnen vorgenannter Frist können die Parteien auch zum Streitwert des Berufungsverfahrens Stellung nehmen.

Entscheidungsgründe

I.
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1. Die Berufung ist zulässig, insbesondere an sich statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
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2. Die Berufung ist aber offensichtlich unbegründet. Die angefochtene Entscheidung beruht weder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigen die gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO). Entscheidungserhebliche Rechtsfehler im Sinne des § 520 Abs. 3 ZPO sind nicht ersichtlich und werden von der Berufung auch nicht aufgezeigt.
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Die Entscheidung des Landgerichts erweist sich als zutreffend. Auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung kann Bezug genommen werden. Die hiergegen von der Berufung erhobenen Einwendungen greifen nicht durch:
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a) Mangels vertraglicher Beziehungen zwischen den Parteien kommt allenfalls eine deliktische Haftung der Beklagten im Zusammenhang mit dem von der Klägerin am 16.06.2015 bei der Fa. M. GmbH vorgenommenen Erwerb des Gebrauchtfahrzeugs BMW X 3, mit einem Kilometerstand von 4.432 km zum Preis von 47.500,00 €, ausgestattet mit einem Dieselmotor Typ B 47 D 20, Abgasnorm Euro 6, in Betracht.
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b) Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass es der Klägerin nicht gelungen ist, hinreichend substantiell vorzutragen, inwiefern das von der Beklagten hergestellte Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen sei und daraus Ansprüche der Klägerin gemäß § 826 BGB resultieren sollten.
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Vor allem hat das Landgericht richtig erkannt, dass jenseits aller von der Klägerin vorgelegten Unterlagen (Gutachten, Messungen der Deutschen Umwelthilfe und anderes mehr) nicht im Ansatz ersichtlich ist, inwieweit der Klägerin durch den Erwerb des streitgegenständlichen Kraftfahrzeugs ein Schaden entstanden sein soll.
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Insoweit hat das Landgericht mit Recht in den Blick genommen, dass das streitgegenständliche Fahrzeug unstreitig einem behördlichen Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt (KBA) nicht unterlegen ist.
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Darüber hinaus ergibt sich aus den von der Beklagten in Bezug genommenen Unterlagen (Presseerklärung des KBA zur Untersuchung des BMW 320 d Euro 6 – ausgestattet mit dem Motor B 47 – vom 15.02.2018, vorgelegt als Anlage B1 und der dem Senat aus zahlreichen weiteren Berufungsverfahren bekannten Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage von Abgeordneten und der Fraktion B. – Bundestagsdrucksache 19/1535) in Klarheit, dass das KBA als zuständige Verwaltungsbehörde aufgrund eigener Untersuchung davon ausgeht, dass die hier in Streit stehende, von der Beklagten eingesetzte Motorisierung B 47 EU 6 keine unzulässigen Abschalteinrichtungen enthält und die Behörde keine Veranlassung zur Einleitung von Maßnahmen sieht. Auch für den Zeitraum bis zur jetzt vorliegenden Berufungsbegründung berichtet die Klägerin von keinen behördlichen Maßnahmen hinsichtlich ihres Pkw.
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Vor diesem Hintergrund erstaunt, dass die Klägerin mit ihrem Rechtsmittel weiterhin die Auffassung vertritt, sie habe hinreichend zu Manipulationen der Beklagten bei der Motorsteuerung der Baureihe B 47 vorgetragen und die Voraussetzungen eines deliktischen Anspruchs dargelegt.
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Insofern ist noch zu ergänzen, dass sich der Bundesgerichtshof mittlerweile in seinem Hinweisbeschluss vom 15.09.2021 (Az: VII ZR 2/21) eingehend mit der hier streitgegenständlichen Motorisierung befasst und seine Absicht kundgetan hat, die Revision des dortigen Klägers gegen das klageabweisende Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main zurückzuweisen. Zugrunde lag im dortigen Verfahren ein Neuwagen BMW X1 Sdrive, ausgestattet mit einem Dieselmotor des Typs B 47 D 20, eingestuft in die Schadstoffklasse Euro 6.
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Dies entspricht exakt der Motorisierung, wie sie im Fahrzeug der Klägerin ausweislich der vorgelegten Zulassungsbescheinigung Teil I vorhanden ist.
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c) Steht mithin nicht in Aussicht, dass das KBA hinsichtlich des im Fahrzeug der Klägerin verbauten Motors Maßnahmen ergreifen wird, so ist nicht ansatzweise ersichtlich, inwieweit die Klägerin hier durch den Erwerb des streitgegenständlichen Fahrzeugs einen Schaden erlitten haben könnte. Einen solchen Schaden könnte die Klägerin nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 21) durch den Erwerb des Fahrzeugs nur dann erlitten haben, wenn durch die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung das rechtliche Risiko einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung nach dem Zulassungsrecht bestünde. Davon kann hier vor dem Hintergrund der zitierten Presseerklärung des KBA und der Antwort der Bundesregierung vom 04.04.2018 (Bundestagsdrucksache 19/1535) nicht ausgegangen werden.
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In diesem Zusammenhang ist auch die Tatbestandswirkung der Typzulassung (Verwaltungsakt) zu beachten. Erteilt die Zulassungsbehörde die Typzulassung, haben die Zivilgerichte bis auf Weiteres von der Rechtmäßigkeit der Motorkonfiguration auszugehen (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 27.07.2020 – 5 U 4765/19, BeckRS 2020, 17693 Rn. 16 ff.; OLG Oldenburg, Beschluss vom 01.12.2020 – 11 U 58/20, BeckRS 2020, 44907 Rn. 66 ff.). Denn solange ein solcher Verwaltungsakt nicht durch die zuständige Behörde oder durch ein Verwaltungsgericht aufgehoben worden oder nichtig ist, ist die Zulässigkeit der betreffenden Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG einer Nachprüfung durch die Zivilgerichte entzogen (vgl. BGH, NJW-RR 2016, 557 Rn. 31 m. w. N.). Gründe, warum dies vorliegend nicht gelten sollte, sind nicht ersichtlich.
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Soweit die Berufungsbegründung umfangreich über Softwareanalysen und Messungen im Auftrag der Deutschen Umwelthilfe berichtet, mag dies der Sorge um die Luftreinheit in der Bundesrepublik Deutschland verpflichtet sein, ist jedoch gleichzeitig nicht geeignet, einen bei der Klägerin entstandenen Schaden im Rechtssinne, der nur durch ein behördliches Einschreiten entstehen könnte, darzutun. Hierzu kann auf die Antwort der Bundesregierung vom 04.04.2018, BT-Drs. 19/1535 Ziff. 11 verwiesen werden, in der auf die Frage, inwiefern das Kraftfahrtbundesamt den von der DUH beanstandeten BMW 320 d (motorisiert mit dem Aggregat B 47 der Schadstoffklasse Euro 6) nachgeprüft habe, ausgeführt wird:
„Bei dem Modell BMW 320 d konnte das Kraftfahrtbundesamt die Messungen der D. Umwelthilfe und die Messergebnisse reproduzieren. Das Nachfahren des von der D. Umwelthilfe gefahrenen Geschwindigkeitsprofils enthält jedoch Beschleunigungsphasen, die nicht mit dem Prüfzyklus und auch nicht dem üblichen Verkehrsfluss vereinbar sind.“
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Dem entnimmt der Senat, dass das KBA auch unter Vorhalt der Messungen der D. Umwelthilfe Anlass für ein behördliches Einschreiten nicht erkennt.
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Die Berufungsbegründung, die trotz ihres Umfangs von annähernd 200 Seiten bedauerlicherweise nicht mit einer Inhaltsübersicht versehen ist, enthält hierzu außer allgemeinen Betrachtungen beispielsweise über „Nachrüstungserfordernisse“ und „Wertverfall“ (Berufungsbegründung Seite 186) und zuvor zum „juristischen Schadensbegriff“ (Berufungsbegründung Seite 66) keine substantiellen Ausführungen.
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d) Der Streitwert des Berufungsverfahrens richtet sich gemäß § 3 ZPO hier nach dem Berufungsantrag Ziff. 1. Soweit mit dem Berufungsantrag Ziff. 2 Deliktszinsen verlangt werden, stellen diese eine nicht anzusetzende Nebenforderung dar.
II.
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Aus den dargelegten Gründen hat die Berufung unter keinem Gesichtspunkt Aussicht auf Erfolg. Der Senat beabsichtigt daher, die Berufung der Klägerin gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO zurückzuweisen.
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Nach Sachlage empfiehlt es sich, zur Vermeidung unnötiger weiterer Kosten die Rücknahme der Berufung binnen o. g. Frist zu prüfen. Im Falle einer Rücknahme ermäßigt sich gemäß Nr. 1222 S. 2 KV zum GKG die Gebühr für das Verfahren im Allgemeinen von 4,0 auf 2,0.