Inhalt

OLG München, Beschluss v. 07.06.2022 – 2 WF 354/22 e
Titel:

Bayerisches Oberstes Landesgericht, Persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse, Zulassung der Rechtsbeschwerde, Begründung der Rechtsbeschwerde, Rechtsbeschwerdegrund, Verfahrenskostenhilfeverfahren, Sofortige Beschwerde, Antrag auf gerichtliche Entscheidung, Rechtsmittel, Antragsgegner, Gewährung von Akteneinsicht, Elektronisches Dokument, Elektronischer Rechtsverkehr, Rechtsbehelfsbelehrung, Anfechtung von Beschlüssen, Anhörung der Beteiligten, Aufgabe zur Post, Justizverwaltungsakt, Akteneinsichtsgesuch, Entscheidung des Amtsgerichts

Schlagworte:
Sofortige Beschwerde, Akteneinsicht, Verweisung, Gerichtliche Entscheidung, Rechtsbehelfsbelehrung, Justizverwaltungsakt, Zulassung der Rechtsbeschwerde
Vorinstanz:
AG Dachau vom -- – 5 F 808/21
Fundstelle:
BeckRS 2022, 53264

Tenor

1. Das Oberlandesgericht München ist für die als Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 23 EGGVG auszulegende „sofortige Beschwerde“ des Antragsgegners vom 28.03.2022 nicht zuständig.
2. Das Verfahren wird entsprechend § 17 a Abs. 2 Satz 1 und Abs. 6 GVG an das Bayerische Oberste Landesgericht verwiesen.
1. 3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.
1
Im Ausgangsverfahren beantragt die Antragstellerin mit Antrag vom 09.12.2021, die am …2017 geschlossene Ehe der Beteiligten zu scheiden, und ihr für dieses Verfahren Verfahrenskostenhilfe zu gewähren.
2
Mit Schreiben vom 19.12.2021 beantragte der Antragsgegner unter Beigabe einer Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe, die mit Beschluss vom 22.02.2022 unter Ratenzahlung und mit Beiordnung der Rechtsanwältin V.-K. gewährt wurde.
3
Mit Schriftsatz vom 22.02.2022 beantragte die Antragstellerin, ihr gemäß § 117 Abs. 2 Satz 2 ZPO die Erklärung und die Belege betreffend die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragsgegners im Verfahrenskostenhilfeverfahren zu übersenden, wogegen sich der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 07.03.2022 wehrt.
4
Mit Beschluss vom 11.03.2022 bewilligte das Amtsgericht D. der Antragstellerin Einsicht in die Erklärung und Belege betreffend die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragsgegners. Dem Beschluss ist eine Rechtsbehelfsbelehrungbeigefügt, nach der gegen den Beschluss das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde stattfindet.
5
Mit seiner sofortigen Beschwerde vom 28.03.2022, eingegangen bei dem Amtsgericht D. am selben Tag, wendet sich der Antragsgegner gegen den ihm am 14.03.2022 zugestellten Beschluss vom 11.03.2022.
6
Mit Beschluss vom 29.03.2022 half das Amtsgericht D. der Beschwerde vom 28.03.2022 nicht ab, und legte sie dem Oberlandesgericht München zur Entscheidung vor.
7
Mit Verfügung vom 04.05.2022 wies das Oberlandesgericht München darauf hin, dass beabsichtigt sei, das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 17 a Abs. 2 und Abs. 6 GVG an das zuständige Bayerische Oberste Landesgericht zu verweisen, und gab Frist zur Stellungnahme.
8
Mit Schriftsatz vom 10.05.2022 wendet sich die Antragstellerin gegen eine Verweisung an das Bayerische Oberste Landesgericht und vertritt die Ansicht, dass vorliegend das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde statthaft sei, nicht zuletzt wegen § 117 Abs. 2 Satz 2 ZPO, nach dem die Entscheidung über das Zugängigmachen der Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der mit der Sache befasste Richter zu treffen habe. Hierbei handele es sich nicht um eine Form der Akteneinsicht.
II.
9
Die Sache ist entsprechend § 17 Abs. 2 und Abs. 6 GVG an das für die Entscheidung über den Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. §§ 23 Abs. 1; 25 Abs. 2 EGGVG i.V.m. Art. 12 Nr. 3 bay. AGGVG zuständige Bayerische Oberste Landesgericht zu verweisen (vgl. BayObLG vom 12.02.2020, 1 VA 133/19).
10
Gegen die als Beschluss ergangene Entscheidung des Amtsgerichts D., mit der Einsicht in die Erklärung und Belege betreffend die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragsgegners zugunsten der weiteren Beteiligten bewilligt worden ist, ist die in Übereinstimmung mit der Rechtsbehelfsbelehrungerhobene sofortige Beschwerde und nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung auch ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 23 Abs. 1 EGGVG statthaft.
11
Zwar hat im vorliegenden Fall tatsächlich nicht die Gerichtsverwaltung, sondern das Familiengericht und damit eine funktional unzuständige Stelle über das Akteneinsichtsgesuch entschieden. Diesbezüglich gilt jedoch der Meistbegünstigungsgrundsatz, wonach die auf Akteneinsicht antragende Ehefrau dadurch keinen Rechtsnachteil erleiden darf. Ihr stand deshalb sowohl das Rechtsmittel zu, das nach der Art der tatsächlich ergangenen Entscheidung statthaft war, als auch das Rechtsmittel, das bei einer in der richtigen Form und in funktionaler Zuständigkeit erlassenen Entscheidung zulässig gewesen wäre. Nach zulässiger, insbesondere fristgemäßer, Einlegung eines danach statthaften Rechtsmittels – hier Einlegung der sofortigen Beschwerde – hat das angerufene Oberlandesgericht das Verfahren weiter so zu betreiben, wie dies im Falle einer formell richtigen Entscheidung durch die Vorinstanz und dem danach gegebenen Rechtsmittel geschehen wäre, nämlich als Justizverwaltungssache gem. § 23 ff. EGGVG (BGH, Beschluss vom 22. August 2018, XII ZB 312/18, NJW 2018, 3189 Rn. 10).
12
Weil das Oberlandesgericht München für die Entscheidung über den Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 23 ff EGGVG nicht zuständig ist, ist die Sache nach Anhörung der Beteiligten von Amts wegen an das zuständige Bayerische Oberste Landesgericht zu verweisen.
13
1. Der von der Antragstellerin gewählte Rechtsbehelf erfüllt die Voraussetzungen, die an die Zulässigkeit einer sofortigen Beschwerde gem. § 58 ff FamFG zu stellen sind.
14
Bei Anwendung des Meistbegünstigungsgrundsatzes müssen die Zulässigkeitsvoraussetzungen desjenigen Rechtsbehelfs eingehalten werden, für den sich der Beteiligte entschieden hat (BGH, Urt. v. 28. Juni 2002, V ZR 74/01, NJW-RR 2002, 1651 [juris Rn. 12]; Meyer-Holz in Keidel, FamFG, 20. Aufl. 2020, § 58 Rn. 110), hier also – in Übereinstimmung mit der erteilten Belehrung – die einer sofortigen Beschwerde.
15
Dies ist hier der Fall. Der Antrag wurde schriftlich innerhalb der in der Rechtsbehelfsbelehrunggenannten 2-wochenfrist bei dem Amtsgericht D. eingelegt.
16
2. Das Oberlandesgericht München ist für die Entscheidung über das Begehren der Antragstellerin, die Gewährung von Akteneinsicht in die Unterlagen über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragsgegners aufzuheben, nicht zuständig, und hat das Verfahren von Amts wegen an das für die Sachentscheidung zuständige Bayerische Oberste Landesgericht zu verweisen.
17
Das angerufene Gericht hat das weitere Verfahren so zu betreiben, wie dies im Falle einer formell richtigen Entscheidung durch die Vorinstanz und dem danach gegebenen Rechtsmittel geschehen wäre (BGH, Beschluss vom 22. August 2018, XII ZB 312/18, NJW 2018, 3189 Rn. 10; Beschluss vom 29. April 2015, XII ZB 214/14, NJW 2015, 1827 Rn. 13; Beschluss vom 29. Mai 2013, XII ZB 374/11, NJW 2013, 2358 Rn. 7, je m. w. N.). Der in zulässiger Weise eingelegte Rechtsbehelf ist deshalb als das Rechtsmittel zu behandeln, das gegen eine im richtigen Verfahren ergangene Entscheidung statthaft ist (BayObLG Beschluss vom 12.2.2020 – 1 VA 133/19, BeckRS 2020, 1178 Rn. 17, 18, beck-online).
18
Im vorliegenden Fall wäre gem. § 23 Abs. 1 EGGVG das statthafte Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Amtsgerichts D., der Antragstellerin die Verfahrenshilfekostenunterlagen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisses des Antragsgegners zugänglich zu machen, ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung, über den nach § 25 Abs. 2 EGGVG i.V.m. Art. 12 Nr. 3 bay. AGGVG das Bayerische Oberste Landesgericht zu entscheiden hat.
19
2.1. Es liegt im Ausgangsverfahren eine Ehesache gem. § 121 Nr. 1 FamFG vor. Nach § 113 Abs. 1 FamFG finden die Vorschriften der §§ 2 bis 22 FamFG – hier insbesondere § 13 Abs. 7 FamFG – keine Anwendung, sondern die allgemeinen Vorschriften der Zivilprozessordnung und die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren vor den Landgerichten. Die Gewährung von Akteneinsicht regelt hier § 299 ZPO.
20
Hiernach gilt Folgendes:
21
Während eines laufenden Verfahrens richtet sich die Einsicht der Parteien in die Verfahrensakten nach § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG iVm § 299 Abs. 1 ZPO. Danach können die Beteiligten die Verfahrensakten einsehen und sich aus ihnen durch die Geschäftsstelle Ausfertigungen, Auszüge und Abschriften erteilen lassen.
22
Dritten Personen kann der Vorstand des Gerichts ohne Einwilligung der Beteiligten die Einsicht der Akten nur gestatten, wenn ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht wird (§ 299 II ZPO; vgl. auch § 13 II FamFG). Diese Entscheidung stellt einen Justizverwaltungsakt dar, gegen dessen Ablehnung der Antrag auf gerichtliche Entscheidung statthaft ist (§ 23 EGGVG).
23
Der Gegner ist, soweit es im Prozess- bzw. Verfahrenskostenhilfeverfahren um die Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen geht, von vornherein kein Beteiligter mit eigenen Verfahrensrechten (BGHZ 89, 65 [67] = NJW 1984, 740 = FamRZ 1984, 373 [374]), sondern steht, wenn er die Einsicht in die Unterlagen beantragt, einem „Dritten“ iSd § 299 II ZPO gleich. Über ein solches Einsichtsgesuch hat – jedenfalls nach Abschluss des Verfahrens – die Gerichtsverwaltung zu entscheiden (vgl. BGH vom 29.04.20215, Az. XII ZB 214/14,NJW 2015, 1827, beck-online mit Anmerkung RAin Zempel, Saarbrücken).
24
Mangels einer anderslautenden Regelung muss dasselbe auch im noch laufenden Verfahren gelten. Das Verfahrenskostehilfeverfahren stellt als solches keinen Akt der rechtsprechenden Gewalt, sondern als Unterform der staatlichen Beihilfen einen Akt der Verwaltung dar. Schon aus diesem Gesichtspunkt ist es mangels anderslautender gesetzlicher Regelungen geboten, die Fragen über die Gewährung von Akteneinsicht oder Informationen der Gerichtsverwaltung zu unterstellen.
25
Die Rechtsprechung des BayObLG zur Bedeutung des § 13 Abs. 7 FamFG in diesem Zusammenhang spielt mangels Anwendbarkeit des § 13 FamFG keine Rolle (vgl. dazu BayObLG vom24.10.2019, Az. 1 VA 107/19 und dem folgend BayObLG vom 12.02.2020, Az. 1 VA 133/19).
26
Entgegen der Ansicht des Antragstellervertreters in seinem Schriftsatz vom10.05.2022 ändert auch § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO hieran nichts. § 127 Abs. 2 ZPO regelt das Beschwerderecht im Verfahrenskostenhilfeverfahren neben der Anfechtung von Beschlüssen nach § 127 Abs. 3 ZPO. Eine von § 299 ZPO abweichende Regelung für die Akteneinsicht für das Verfahrenskostenhilfeverfahren liefert § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO entgegen der Ansicht des Antragstellervertreters ersichtlich nicht. Dies bestätigt auch die vom Antragstellerbevollmächtigten zitierte Entscheidung des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 10.10.2014 gerade nicht, nachdem diese im Leitsatz schon die Beschwerde gegen eine Ablehnung der Einsichtnahme in Verfahrenskostenhilfekostenunterlagen durch den Antragsgegner als nicht statthaft ansieht.
27
3. Die Sache ist entsprechend § 17a Abs. 2 und Abs. 6 GVG an das für die gerichtliche Entscheidung über Justizverwaltungsakte zuständige Gericht zu verweisen.
28
Für den hier vorliegenden Fall finden § 17 a Abs. 2 und Abs. 6 GVG entsprechende Anwendung (BayObLG Beschluss vom 12.2.2020 – 1 VA 133/19, BeckRS 2020, 1178 Rn. 21, 22, beck-online).
29
Die Entscheidung ergeht nach Anhörung der Beteiligten, die schriftlich erfolgt ist, von Amts wegen, § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG.
30
§ 17a Abs. 5 GVG steht nicht entgegen.
31
4. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf § 17a Abs. 4 Satz 5 GVG; die inmitten stehenden Rechtsfragen haben grundsätzliche Bedeutung.