Inhalt

OLG München, Beschluss v. 20.05.2022 – 2 WF 271/22 e
Titel:

Kinderfreibetrag, Verfahrenskostenhilfe, Barunterhalt, Doppelte Berücksichtigung, Naturalunterhalt, Getrenntleben, Ehegattenfreibetrag, Sofortige Beschwerde, Pauschalierung, Verfassungswidrige Ungleichbehandlung, Nichtabhilfeentscheidung, Zusammenlebende Eltern, Freibetrag, Bedürftigkeit, Getrennt lebende Eltern, Verschlechterungsverbot, Gleichbehandlungsgrundsatz, Eigenes Einkommen, Einkommen des Ehegatten, Unterhaltsverpflichteter

Schlagworte:
Verfahrenskostenhilfe, Beschwerde, Ratenzahlung, Kinderfreibetrag, Barunterhalt, Gleichbehandlungsgrundsatz, Pauschalierung
Vorinstanz:
AG Starnberg, Beschluss vom 05.01.2022 – 001 F 1031/21
Fundstelle:
BeckRS 2022, 53261

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Antragsstellerin vom 14.01.2022 gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 05.01.2022 in der Form des Teilabhilfebeschlusses vom 03.02.2022 wird zurückgewiesen.

Gründe

1
Das Amtsgericht S. hat der Antragsstellerin mit Beschluss vom 05.01.2022 Verfahrenskostenhilfe mit Raten in Höhe von 499 € monatlich bewilligt.
2
Dagegen hat die Antragsstellerin mit Schriftsatz vom 14.01.2022 Beschwerde eingelegt mit dem Ziel, Verfahrenskostenhilfe ohne Anordnung von Raten zu erreichen.
3
Es seien Ausgaben nicht berücksichtigt worden. Im übrigen seien in drei parallel laufenden Verfahren jeweils Raten in Höhe von 499 € angeordnet worden, ohne die Raten in den anderen Verfahren zu berücksichtigen.
4
Dieser Beschwerde hat das Amtsgericht teilweise abgeholfen mit Beschluss vom 03.02.2022 und Raten in Höhe von 30 € angeordnet.
5
Es hat dabei die drei bei der Antragsstellerin lebenden Kinder mit dem jeweiligen Freibetrag nach § 115 Abs. 1 S.3 Nr.2 b) ZPO berücksichtigt. Von diesem Kinderfreibetrag hat das Amtsgericht nach § 115 Abs. 1 S.7 ZPO den Barunterhalt des getrennt lebenden Vaters als eigenes Einkommen abgezogen.
6
Die Antragsstellerin hat gegen diese Entscheidung mit Schriftsatz vom 02.03.2022 nochmals sofortige Beschwerde eingelegt.
7
Sie ist der Ansicht, dass eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung entstehe, wenn der Barunterhalt des Vaters uneingeschränkt auf den Kinderfreibetrag nach § 115 Abs. 1 S.3 Nr.2 b) ZPO angerechnet werde.
8
Das führe zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung von getrennt lebenden Eltern mit zusammenlebenden Elternpaaren, bei denen der Kinderfreibetrag bei jedem Elternteil voll berücksichtigt werde. Insbesondere im Zusammenhang mit der Berechnung des Ehegattenfreibetrages werde der Kinderfreibetrag bei zusammen lebenden Elternteilen doppelt berücksichtigt.
9
Das Amtsgericht konstatiert in seiner Nichtabhilfeentscheidung ebenfalls diese Ungleichbehandlung und verweist insoweit auf die Ausführungen in einem Aufsatz aus dem Jahre 2017 (Nickel, NJW 2017, 1929). Es geht allerdings davon aus, dass angesichts des klaren Wortlautes eine abweichende Auslegung der Vorschrift nicht möglich sei.
10
Der Aufsatz geht dabei von folgendem aus:
11
Bei einem Zusammenleben verheirateter Eltern sei ein Freibetrag für den Ehegatten nach § 115 Abs. 1 S.3 Nr.2a) ZPO abzuziehen. Von diesem Freibetrag sei wiederum nach § 115 Abs. 1 S.3 Nr.2 a) ZPO das eigene Einkommen dieses Ehegatten abzuziehen. Die Höhe des abzuziehenden Einkommens des Ehegatten sei dabei nach den gleichen Grundsätzen zu berechnen, die auch für das Einkommen desjenigen gelten, der Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe stellt (nachfolgend Bedürftiger). Deshalb geht der Verfasser davon aus, dass von diesem Einkommen neben den Beträgen nach § 115 Abs. 1 S.3 Nr. 1 a) und dem Erwerbstätigenfreibetrag nach § 115 Abs. 1 S.3 Nr.1 b) ZPO auch ein Kinderfreibetrag nach § 115 Abs. 1 S.3 Nr.2 b) ZPO abzuziehen wäre, wenn Kinder im gemeinsamen Haushalt leben. Er verweist insoweit auf die Rechtsprechung zur Aufteilung des Kinderfreibetrages bei zusammenlebenden Eltern, nach der der Kinderfreibetrag in diesen Fällen jedem Elternteil voll zustehe. Danach sei der Kinderfreibetrag also sowohl beim eigenen Einkommen des Bedürftigen zu berücksichtigen, als auch bei der Berechnung des im Rahmen des Ehegattenfreibetrages anzurechnenden Einkommens des Ehegatten.
12
Aus dieser „doppelten“ Berücksichtigung ergebe sich eine massive Ungleichbehandlung im Vergleich zu getrenntlebenden Eltern. Denn bei diesen werde der vom getrenntlebenden Elternteil gezahlte Barunterhalt vom Kinderfreibetrag abgezogen, der damit (teilweise) aufgebraucht werde. Im Ergebnis werde der Kinderfreibetrag deshalb in Höhe des Barunterhaltes nur einmal gewährt. Die dadurch entstehende Ungleichbehandlung zwischen zusammenlebenden und getrennt lebenden Eltern sei sachlich nicht zu rechtfertigen und verstoße deshalb gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art.3 GG. Eine verfassungsmäßige Auslegung des § 115 ZPO erfordere es demzufolge gegen dessen Wortlaut, den Barunterhalt nur insoweit freibetragsmindernd zu berücksichtigen, als er den Freibetrag selbst übersteige.
13
Eine solche Handhabung der Regelung sei auch im Hinblick auf den Grundsatz der Gleichwertigkeit von Betreuungs- und Barunterhalt nach § 1606 Abs. 3 S.2 BGB geboten.
14
Die Bezirksrevisorin beruft sich wie das Ausgangsgericht auf die Pauschalierung in der einschlägigen Vorschrift.
II.
15
Die Beschwerde vom 14.01.2022 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Starnberg vom 05.01.2022 ist zulässig, aber, soweit ihr nicht abgeholfen wurde, unbegründet.
16
Zu Recht hat das Amtsgericht gemäß § 115 Abs. 1 S.7 ZPO die Barunterhaltszahlungen an die im Haushalt der Beschwerdeführerin lebenden Kinder vom Kinderfreibetrag nach § 115 Abs. 1 S.3 Nr. 2 b) ZPO abgezogen.
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Nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 115 Abs. 1 S.7 ZPO sind eigene Einkünfte der Kinder, und dazu gehört auch der Barunterhalt, vom Kinderfreibetrag abzuziehen.
18
Dadurch entsteht auch keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung im Vergleich zu Elternteilen, die in einem Haushalt zusammenleben.
19
Nach wohl herrschender Meinung ist ein Kinderfreibetrag nach § 115 Abs. 1 S.3 Nr. 2 b) ZPO bei einem Bedürftigen im Rahmen der Verfahrenskostenhilfe auch dann voll zu berücksichtigen, wenn der im Haushalt lebende andere Elternteil ebenfalls ein entsprechendes Einkommen erzielt und sich deshalb am Naturalunterhalt für die Kinder beteiligt.
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Die abweichende Meinung hat in solchen Fällen angenommen, dass der andere Elternteil am Naturalunterhalt ebenfalls beteiligt und deshalb der Kinderfreibetrag für den Bedürftigen entsprechend zu mindern sei (vgl. die Fundstellen bei OLG Hamm, 20.02.2007, 19 W 1 /07 BGH 19.01.2022, XII ZB 276/21 mit Anmerkungen Streicher, FamRZ 2022, 639 zum Wechselmodell a.a.O).
21
Nach herrschender Meinung steht der Kinderfreibetrag dem Bedürftigen voll zur Verfügung. Das kann mit der vom Gesetzgeber ausdrücklich vorgenommenen Pauschalierung begründet werden, die den Richter von etwaigen Ermittlungen des tatsächlich auf den Bedürftigen entfallenden Anteils am Naturalunterhalt freistellen und die Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse im Rahmen der Verfahrenskostenhilfe handhabbar machen soll. Im Unterschied zum paritätischen Wechselmodell, das von einer 50prozentigen Aufteilung ausgeht, stehen im Falle eines Zusammenlebens von Kindern und erwerbstätigen Eltern die tatsächlichen Anteile am Naturalunterhalt auch nicht fest, so dass eine Pauschalierung umso mehr erforderlich ist (vgl. OLG Hamm, 20.02.2007, 19 W 1 /07; OLG Dresden, 5.8.2015, 20 WF 29415 zum Wechselmodell, BGH 19.01.2022, XII ZB 276/21 mit Anmerkungen Streicher, FamRZ 2022, 639 zum Wechselmodell). Die dadurch entstehende Ungleichheit ist deshalb sachlich gerechtfertigt, der gesetzgeberische Spielraum nicht überschritten.
22
Ob diese volle Berücksichtigung auch dann gelten soll, wenn beide Elternteile in einem Verfahren Verfahrenskostenhilfe beantragen, muss im übrigen gerade auch im Hinblick auf die neueste Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Kinderfreibetrag beim Wechselmodell bezweifelt werden (OLG Hamburg, 26.07.1985, 12 W 15/85; BGH, a.a.O.).
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Die weiter von der Beschwerdeführerin monierte und von Nickel in seinem Aufsatz aus dem Jahre 2017 dargestellte „doppelte“ Berücksichtigung des Kinderfreibetrages bei zusammenlebenden Eltern würde daneben nur dann entstehen, wenn man davon ausgeht, dass bei der Berechnung des im Rahmen des Ehegattenfreibetrages anzurechnenden Einkommens des Ehegatten wiederum ein Kinderfreibetrag nach § 115 Abs. 1 S.3 Nr.2 b) ZPO zu berücksichtigen wäre, dieser deshalb dadurch doppelt zum Tragen käme.
24
Dies ist aber nicht der Fall. Anders als dort angenommen, führt die oben dargestellte Rechtsprechung zur vollen Berücksichtigung des Kinderfreibetrages bei zusammenlebenden Eltern nicht dazu, dass der Kinderfreibetrag auch bei der Berechnung des vom Ehegattenfreibetrag abzuziehenden Einkommens des Ehegatten nochmals berücksichtigt wird. Diese doppelte Berücksichtigung ist vielmehr abzulehnen.
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Zwar ist auch das Einkommen des Ehegatten nach den Grundsätzen des § 115 ZPO zu berechnen, insbesondere sind zu berücksichtigen die Abzüge nach Abs. 1 S.3 Nr.1 a) i.V.m. § 82 Abs. 2 SBG XII (Steuer, Versicherungen etc.) und b) (Freibetrag für Erwerbstätige). Eine erneute und damit doppelte Berücksichtigung eines Kinderfreibetrages ist damit aber auch nach herrschender Meinung nicht verbunden (vgl. Gottschalk/Schneider, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, 10.Aufl. 2022, Rn 306; Zöller, ZPO, 33.Aufl., § 115 Rn 34). Eine doppelte Berücksichtigung des Kinderfreibetrages ist abzulehnen, denn mit der Berücksichtigung beim Bedürftigen ist das sozialhilferechtliche Existenzminimum des Kindes abgedeckt (vgl. BGH 19.1.2022, a.a.O; LAG Hamm, 6.3.12, 14 Ta 629/11 Rn. 12).
26
Demzufolge ergibt sich insoweit auch keine sachlich unbegründete Ungleichbehandlung im Vergleich mit zusammenlebenden Elternteilen.
27
Auch § 1606 Abs. 3 S.2 BGB gebietet keine andere Handhabung. Er regelt das Verhältnis zwischen Betreuungs- und Barunterhalt im Verhältnis der unterhaltsverpflichteten Eltern, die Vorschriften über die Verfahrenskostenhilfe regeln einen Fall der Sozialhilfe in besonderen Lebenslagen durch den Staat, die sich nach sozialrechtlichen Kriterien richtet (vgl. z.B. MüKoZPO/Wache ZPO § 115 Rn. 2-4).
28
Es wird ergänzend darauf hingewiesen, dass das Amtsgericht zu Unrecht Kosten der allgemeinen Lebensführung wie Strom, GEZ und Telefon als Wohnkosten abgesetzt hat. An einer Abänderung der Raten ist das Beschwerdegericht wegen des Verschlechterungsverbotes gehindert.
Erlass des Beschlusses (§ 38 Abs. 3 Satz 3 FamFG): Übergabe an die Geschäftsstelle am 23.05.2022