Titel:
Anstaltsärzte, Ermessenserwägungen, Bayerisches Oberstes Landesgericht, Krankenunterlagen, Antragstellers, Verfahrenswert, Antragsgegner, Kostenentscheidung, Aufhebung, Diagnose, Effektiver Rechtsschutz, Ermessensfehlerfreie Entscheidung, Medikation, Einstweiliger Rechtsschutz, Gerichtliche Überprüfung, Gerichtliche Kontrolle, Notwendige Auslagen, Verweigerung, Ermessensentscheidung, Abänderung der Entscheidung
Schlagwort:
Strafvollzug
Fundstellen:
BeckRS 2022, 53225
LSK 2022, 53225
StV 2024, 48
Tenor
1. Auf den Antrag des Antragstellers auf gerichtliche Entscheidung wird die Anordnung der Justizvollzugsanstalt St. – Einrichtung für Sicherungsverwahrung – vom 14.03.2022 und 22.06.2022, die Dosis des Medikaments Zopicoln beim Antragsteller von 15 mg/Tag auf 11,25 mg/Tag (14.03.2022) und auf 7,5 mg/Tag (22.06.2022) zu reduzieren aufgehoben. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse zu 75 % und der Antragsteller zu 25 %. Die notwendigen Auslagen des Antragstellers trägt die Staatskasse zu 75 % und der Antragsteller zu 25 % selbst.
3. Der Verfahrenswert wird auf 500,00 € festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller befindet sich in der Abteilung für Sicherungsverwahrte in der JVA St. Er befindet sich mindestens seit dem 18.06.1998 ununterbrochen in Haft oder Sicherungsverwahrung in der JVA St.
2
Seit 2002 nimmt der Antragsteller das Medikament Zopiclon ein, seit 2013 in einer Dosis von 15 mg. Bei der Erhöhung der Dosis wurde von dem ehemaligen Anstaltsarzt angegeben, dass der Antragsteller unter Schlafstörungen leide. Am 14.03.2022 kündigte der Anstaltsarzt … an, die Medikation ab dem 23.03.2022 auf 11,25 mg/Tag zu reduzieren. Die Reduktion wurde entsprechend der Ankündigung umgesetzt. Am 22.06.2022 kündigte der Anstaltsarzt eine Reduktion der Medikation auf 7,5 mg/Tag an, welche am 06.07.2022 umgesetzt wurde.
3
Die Reduktion der Medikation begründet der Anstaltsarzt damit, dass die vom Hersteller vorgesehene Höchstdosierung 7,5 mg/Tag beträgt, der Antragsteller von Zopiclon abhängig sei, eine genetisch bedingte Schlafstörung im Diagnosekatalog ICD-10 nicht vermerkt sei und ihm auch aus anderen Quellen nicht bekannt sei. Es seien auch keine Schlafstörungen bekannt, die eine dauerhafte Verordnung von Zopiclon in doppelter Höchstdosis erforderten. Es sei zudem zu berücksichtigen, dass der Antragsteller eine angebotene Untersuchung der Erkrankung im Schlaflabor I. verweigere, keine Unterlagen zur Diagnose vorlege und auch die Anforderung vpn Unterlagen, aus der die Diagnose hervorgehe nicht gestatte.
4
Zur Abklärung der Erkrankung wurde dem Antragsteller eine Untersuchung im Schlaflabor des Klinikums I. angeboten. Eine Untersuchung im Schlaflabor I. lehnt der Antragsteller ab, weil das Schlaflabor I. nicht zur Untersuchung der genetisch bedingten Schlafstörung in der Lage sei.
5
In der Krankenakte des Antragstellers ist im Rahmen der Erhöhung der Dosis im Jahr 2013 vermerkt, dass der Antragsteller an einer Schlafstörung leide. Im Zeitraum 2013 bis 2021 verschrieb auch der Anstaltsarzt … die Medikation von 15 mg/Tag Zopiclon, wenn der an sich für den Antragsteller zuständige Arzt verhindert war, ohne eine aktuelle Diagnose oder die Vorlage von Unterlagen, aus denen sich die Diagnose ergibt, zu fordern.
6
Der Antragsteller behauptet, an einer genetisch bedingten Schlafstörung zu leiden. Durch die Reduktion der Medikation schlafe er nur noch zwei bis drei Stunden in der Nacht statt drei bis vier Stunden.
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Der Antragsteller beantragt sinngemäß, die Entscheidungen der Antragsgegnerin zur Reduktion der Medikation aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihn mit 15 mg/Tag Zopiclon zu behandeln.
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Der Antrag ist in dem tenorierten Umfang begründet. Darüber hinaus ist er unbegründet.
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1. Maßnahmen des Anstaltsarztes sind im Verfahren nach §§ 109 ff. StVollzG jedenfalls dann; überprüfbar, wenn die Überschreitung der Grenzen des ärztlichen Ermessens in Frage steht, wobei Antragsgegnerin die Vollzugsbehörde ist.
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Grundsätzlich ist die Bestimmung des medizinisch Erforderlichen einschließlich der Wahl der richtigen Behandlungsmethode allein Sache der ärztlichen Beurteilung. Auf Einschätzung des Anstaltsarztes gestützte vollzugliche Entscheidungen über die medizinische Behandlung eines Gefangenen können jedoch im Hinblick auf die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nicht jeder gerichtlichen Kontrolle entzogen sein. Sie unterliegen der gerichtlichen Überprüfung daraufhin, ob die Grenzen des pflichtgemäßen ärztlichen Ermessens überschritten wurden. Im hier vorliegenden Fall geht es nicht um die Frage einer alternativen Behandlung mit einem anderen Medikament, sondern um die Reduzierung der Medikation bei gleichbleibenden äußeren und inneren Umständen beim Antragsteller. Die Reduzierung hat nach der Darstellung des Antragstellers erhebliche Auswirkungen auf seinen Gesundheitszustand, wenn diese Auswirkungen auch nicht sofort, sondern schleichend eintreten. (vgl. auch BayObLG, Beschluss vom 16.12.2021, Az. 204 StObWs 571/21).
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2. Der Anstaltsarzt hat die Grenzen des ärztlichen Ermessens überschritten.
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Zur Begründung der Absetzung des Medikaments Zopiclon hat der Anstaltsarzt ausgeführt, dass die vom Hersteller vorgesehene Höchstdosierung 7,5 mg/Tag beträgt, der Antragsteller vop Zopiclon abhängig sei, eine genetisch bedingte Schlafstörung im Diagnosekatalog ICD-10 nicht vermerkt sei und ihm auch aus anderen Quellen nicht bekannt sei. Es seien auch keine Schlafstörungen bekannt, die eine dauerhafte Verordnung von Zopiclon in doppelter Höchstdosis erforderten. Es sei zudem zu berücksichtigen, dass der Antragsteller eine Untersuchung der Erkrankung verweigere und Unterlagen über die Diagnose nicht vorlege und auch die Anforderung solcher Unterlagen verweigere.
13
Die Erwägungen des Anstaltsarztes sowohl bei der Entscheidung der Reduktion auf 11,25 mg/Tag, als auch bei der Entscheidung der Reduktion auf 7,5 mg/Tag stellen sich als Überschreitung des Ermessens dar. Diese Ermessensüberschreitung liegt bereits darin, dass die Stellungnahme auf einer unzureichenden Tatsachengrundlage basiert. Insbesondere hat der Anstaltsarzt dargelegt, dass der Antragsteller die Untersuchung der Erkrankung in dem Schlaflabor I. verweigere, weshalb eine Überprüfung der Diagnosestellung nicht möglich sei. Allerdings ist insoweit zu berücksichtigen, dass die Verweigerung der Untersuchung der genetisch bedingten Schlafstörung dem Antragsteller nicht vorzuwerfen ist. Er hat die Untersuchung mit einer zutreffenden Erwägung verweigert, nämlich dass das zur Untersuchung vorgeschlagene Schlaflabor eine Diagnose einer genetisch bedingten Schlafstörung nicht vornehmen kann. Das Schlaflabor hat im Rahmen der Beweisaufnahme mitgeteilt, dass es eine Untersuchung einer fraglichen Schlafstörung für nicht sinnvoll erachtet wird. Auf die Nachfrage, ob das Schlaflabor in I. eine Untersuchung hinsichtlich einer genetisch bedingten Schlafstörung durchgeführt werden könne teilten die dortigen Verantwortlichen mit, dass dies aufgrund des Umstands, dass die genetische Analyse von einem Humangenetiker durchgeführt werden müsste und des Umstands, dass bei dem Antragsteller eine längere Ableitung erfolgen müsse, aus Kapazitätsgründen im dortigen Schlaflabor nicht durchgeführt werden kann. Die Auswahl eines nicht zur Diagnose der fraglichen Erkrankung geeigneten und berechtigten Instituts und die Begründung der Maßnahme in Form der Herabsetzung der Dosis stellt sich als ermessensfehlerhaft dar. Die übrigen Ermessenserwägungen können die Ermessensentscheidung auch nicht isoliert tragen. Dies fußt darauf, dass der Anstaltsarzt hinsichtlich der Problematik der Indikationsstellung darauf abgestellt hat, dass weder eine aktuelle Diagnosestellung möglich ist, noch die Indikationsstellung auf eine Vordiagnose in Form von Unterlagen, aus denen die Diagnose hervorgeht, gestützt werden kann. Eine isolierte Herausnahme der Erwägung, dass der Untergebrachte sich im Schlaflabor I. nicht untersuchen lässt, ist nicht möglich, ohne dass das konkrete Ergebnis der Ermessenserwägungen beeinflusst werden könnte. Die Erwägungen, dass eine aktuelle Diagnosestellung aufgrund des fehlenden Mitwirkens des Antragstellers nicht möglich sei, und dass keine Unterlagen vorliegen, aus denen die Diagnose hervorgeht, stellen sich als gleichwertige Ermessenserwägungen dar, die ohne die andere Erwägung die Entscheidung nicht stützen können.
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Zu berücksichtigen ist bei der Frage der Indikationsstellung hinsichtlich der Medikation auch, dass der Untergebrachte sich seit 1998 ununterbrochen in Haft oder Sicherungsverwahrung in der JVA St.befindet und die Medikation mit Zopiclon daher begonnen wurde, als sich der Untergebrachte in der JVA St. befand. Auch ist zu berücksichtigen, dass der Anstaltsarzt … an der Gabe der konkreten Dosis der Medikation jedenfalls im Zeitraum seit 2013 beteiligt war und in diesem Zeitraum auch ohne das Erfordernis des Nachweises der Diagnose durch erneute Untersuchung oder Vorlage der Unterlagen, aus denen sich die Diagnose ergibt die Medikation verschrieben hat, wenn der an sich zuständige Arzt verhindert war.
15
Zudem ist zu berücksichtigen, dass sich in den Krankenunterlagen der JVA St. für den Antragsteller die Diagnose Schlafstörung zumindest insoweit findet, als sie für die Erhöhung der Dosis der Medikation im Jahr 2013 herangezogen wurde. Ein in Abrede Stellen der Diagnose durch die Anstaltsärzte ist daher nur unter besonders engen Voraussetzungen möglich, wobei zu berücksichtigen ist, dass der Antragsteller vorträgt, selbst keinen Zugriff auf Unterlagen zu haben, aus denen sich die Diagnose ergibt und in den Krankenunterlagen der Antragsgegnerin zu dem Antragsteller die Erkrankung des Antragstellers dokumentiert ist, wenn auch Untersuchungsunterlagen, aus denen sich die Diagnose ergibt nicht vorhanden sind.
16
Darüber hinaus erfolgte bei der Ermessenserwägung keine Auseinandersetzung mit der medizinischen Indikation und den möglichen Nebenwirkungen – wie vom Bayerischen Obersten Landesgericht in seinem Beschluss vom 16.12.2021 gefordert. Eine Auseinandersetzung mit den weiteren geforderten Ermessenserwägungen, insbesondere die Frage, bis zu welcher Grenze der Wille eines Verwahrten zu beachten ist, ein zugelassenes Medikament, welches nach ärztlicher Einschätzung seine Leiden lindert, trotz möglicher Nebenwirkungen nach entsprechender ärztlicher Aufklärung weiter einzunehmen, erfolgte ebenfalls nicht. Darüber hinaus dürfte eine Auseinandersetzung mit den konkret zu erwartenden Nebenwirkungen des Antragstellers bei der Medikation mit einer Dosis von 15 mg/Tag über einen Zeitraum von nunmehr 9 Jahren und den Nebenwirkungen einer Absetzung bzw. Reduzierung der täglichen Dosis um ein Viertel bzw. die Hälfte der ursprünglichen Dosis angezeigt sein.
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3. Eine Verpflichtung zur dauerhaften Gabe der Medikation von 15 mg/Tag konnte hingegen nicht ausgesprochen werden. Der Antrag ist insoweit unbegründet. Der Antragsteller hat lediglich einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Eine Reduktion des Ermessens auf Null ist angesichts des Umstands, dass die medizinische Diagnose streitig ist und durch eine Einrichtung möglich ist, welche neben der Diagnose einer Schlafstörung auch zur Diagnose, dass diese Schlafstörung genetisch bedingt ist, befähigt und berechtigt ist, nicht gegeben.
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Aufgrund der Entscheidung in der Hauptsache ist eine Entscheidung im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes zur Abänderung der Entscheidung vom 26.07.2022 nicht mehr erforderlich.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 StVollzG. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Vornahme, hier die dauerhafte Gabe von 15 mg/Tag gleichwertig zu der Aufhebung der gegenständlichen Entscheidungen des Anstaltsarztes auf Reduktion der Medikation ist.
20
Die Entscheidung zum Verfahrenswert beruht auf §§ 52, 60 GKG.