Inhalt

ArbG München, Endurteil v. 10.11.2022 – 31 Ca 11764/21
Titel:

Arbeitnehmerstatus – Rückabwicklung eines (vermeintlich) freien Mitarbeiterverhältnisses

Normenkette:
BGB § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, § 819
Leitsätze:
1. Durch die Vereinbarung und Behandlung eines Rechtsverhältnisses als freie Mitarbeit wird beim Mitarbeiter ein entsprechender Vertrauenstatbestand geschaffen. Erweist sich die Zusammenarbeit tatsächlich als Arbeitsverhältnis, ist dieses Vertrauen des Arbeitnehmers - und so auch hier - grundsätzlich schützenswert. Der Arbeitgeber handelt rechtsmissbräuchlich, wenn er versucht, dem Mitarbeiter die erhaltenen Vorteile wieder zu entziehen (Anschluss an BAG BeckRS 2007, 41123 Rn. 37). (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Gleiches gilt, wenn der Arbeitnehmer selbst ein sozialrechtliches Statusfeststellungsverfahren eingeleitet und sich an diesem Verfahren aktiv beteiligt, insbesondere seinen Status als freier Mitarbeiter in Abrede gestellt hat (Anschluss an BAG BeckRS 2019, 25170 Rn. 22). (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Rückabwicklung eines freien Mitarbeiterverhältnisses, freier Mitarbeiter, Arbeitsverhältnis, Status, Vertrauensschutz, Rechtsmissbrauch, Aktivlegitimation
Rechtsmittelinstanzen:
LArbG München, Urteil vom 11.08.2023 – 7 Sa 610/22
BAG Erfurt, Urteil vom 04.12.2024 – 5 AZR 272/23
Fundstelle:
BeckRS 2022, 53185

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Der Streitwert wird auf € 49.161,26 festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagte aus einer von der Klägerin behaupteten fehlerhaften Behandlung eines Arbeitsverhältnisses als freies Dienstverhältnis.
2
Die Beklagte war seit dem Jahr 1998 bei der Praxisgemeinschaft S. (im Folgenden: PG S.) beschäftigt. Das Beschäftigungsverhältnis wurde von den Parteien als freies Mitarbeiterverhältnis behandelt. Schriftliche Vereinbarungen existieren nicht. Streitig ist zwischen den Parteien, ob es sich bei der Klägerin um die Rechtsnachfolgerin der PG S. handelt.
3
Mit Schreiben vom 23.10.2014 bat das MVZ Praxisklinik S. & Kollegen die Beklagte zur Klärung einer etwaig in Betracht kommenden Scheinselbständigkeit um Auskunft (vgl. Bl. 126 d. A.). Die Beklagte antwortete hierauf mit Schreiben vom 30.10.2014 und teilte mit, dass sie keine versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftige und im Jahr 2014 zu ca. 60% für das MVZ tätig sei bzw. sein werde (vgl. Bl. 127 d. A.).
4
Für den Zeitraum vom 01.01.2015 bis 31.12.2018 wurde aufgrund der Prüfung durch das Hauptzollamt M-Stadt eine Überprüfung des sozialversicherungsrechtlichen Status der Beklagten durch die Deutsche Rentenversicherung Bayern Süd bezüglich deren Beschäftigung bei der PG S. durchgeführt. Diese erfolgte aufgrund einer anonymen Anzeige beim Hauptzollamt (vgl. Bl. 202 d. A.). Mit Schreiben vom 18.07.2019 übersandte die Deutsche Rentenversicherung der Beklagten einen auszufüllenden Fragebogen und klärte sie über ihre Mitwirkungspflicht auf (vgl. Bl. 128 f. d. A.). Hierauf reagierte die Beklagte mit Schreiben vom 14.08.2019 und übermittelte insbesondere den ausgefüllten Fragebogen (vgl. Bl. 210 d. A.). Weitere Korrespondenz zwischen der Deutschen Rentenversicherung und der Beklagten wurde mit Schreiben vom 05.08.2019 und 18.09.2019 geführt (vgl. Bl. 131 ff. d. A.). Mit Bescheid vom 04.12.2019 wurde der PG S. mitgeteilt, dass die Tätigkeit der Beklagten als sozialversicherungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis einzuordnen sei sowie sich die sich aus der Prüfung ergebende Nachforderung auf insgesamt € 33.813,52 belaufe (Bl. 27 ff. d. A.). Der Betrag der Nachforderung wurde mit Bescheid vom 14.01.2020 auf € 33.604,75 € geändert (Bl. 15 ff. d. A.). Die Betriebsprüfung der Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd wurde bestandskräftig.
5
Auch gegenüber der Beklagten erging ein Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd vom 20.01.2020. Hiergegen legte die Beklagte unter dem 10.02.2020 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 29.07.2021 (Bl. 97 f. d. A.) zurückgewiesen wurde. Die Zurückweisung des Widerspruchs wurde insbesondere damit begründet, dass eine Beschwer der Beklagten durch die Feststellung ihrer Versicherungspflicht nicht vorliege. Gegen diesen Widerspruchsbescheid reichte die Beklagte Klage beim Sozialgericht M-Stadt ein (Bl. 99 f. d. A.).
6
Die Klägerin ist der Auffassung, dass sie gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückzahlung zu viel ausgezahlten Honorars in Höhe von € 16.744,20 (vgl. im Einzelnen Bl. 4, 9 ff., 123 f. d. A.), ohne Rechtsgrund gezahlter Umsatzsteuer in Höhe von € 15.864,57 (vgl. im Einzelnen Bl. 5, 11 f., 124) sowie Erstattung der durch die Klägerin gezahlten Arbeitnehmerbeiträge in der gesetzlichen Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung in Höhe von € 16.552,49 (vgl. im Einzelnen Bl. 5 f., 12 f., 124) habe. Entsprechend den Ausführungen der Deutschen Rentenversicherung sei die Beklagte für den Zeitraum 2015 bis 2018 als Arbeitnehmerin einzustufen (vgl. im Einzelnen Bl. 6 ff. d. A.).
7
Die Ansprüche seien auch nicht verjährt (vgl. im Einzelnen Bl. 122 f. d. A.).
8
Die Klägerin sei auch aktivlegitimiert. Aus der ursprünglichen PG S. sei im Jahr 2010 das medizinische Versorgungszentrum S. & Kollegen in T-Stadt hervorgegangen. In seiner Sitzung vom 22.10.2010 habe der Zulassungsausschuss für Ärzte M-Stadt Stadt und Land die Zulassung des MVZ S. & Kollegen zur vertragsärztlichen Versorgung ab 23.02.2010 bewilligt (vgl. Bl. 165 ff. d. A.). Mit Vertrag vom 27.08.2018 habe Herr S. sein Einzelunternehmen bestehend aus den drei medizinischen Versorgungszentren Praxisklinik S. & Kollegen in T-Stadt, Wirbelsäulenzentrum M-Stadt/T-Stadt sowie Radiologie und Diagnosticum M-Stadt/T-Stadt in die S. GmbH mit Sitz in T-Stadt eingebracht (Bl. 169 ff. d. A.). Hinsichtlich der eigenen Tätigkeit für die im Jahr 2018 gegründete Klägerin könne sich die Beklagte nicht auf Nichtwissen berufen. Selbst wenn die Beklagte ihre Tätigkeit für die Klägerin nicht als Arbeitsverhältnis wie die Deutsche Rentenversicherung ansehe, habe sie der Vertragsübernahme durch die Klägerin konkludent zugestimmt. Die Beklagte habe ab Oktober 2018 die Tätigkeit unbeanstandet für die neue Vertragspartnerin erbracht und auch die Rechnungen an die Klägerin adressiert (vgl. Bl. 221 ff. d. A.).
9
Zudem seien die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts in Bezug auf einen etwaigen Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben nicht einschlägig. Es sei nicht ersichtlich, dass das Bundesarbeitsgericht den Vertrauenstatbestand nur dann nicht als gegeben ansehe, wenn der vermeintlich freie Mitarbeiter sich selbst als Arbeitnehmer einstufe. Auch vorliegend seien die Besonderheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen, die nach Auffassung der Klägerin dem Vertrauensschutz der Beklagten entgegenstünden. Die Deutsche Rentenversicherung Bayern Süd habe während der gesamten Tätigkeit der Beklagten bei der Klägerin bzw. deren Rechtsvorgängern Betriebsprüfungen durchgeführt, hinsichtlich einer etwaigen Beitragsverpflichtung der Beklagten allerdings keine Feststellungen getroffen. Die Klägerin habe mithin keine Anhaltspunkte dafür gehabt, dass der Fall der Beklagten anders zu beurteilen wäre. Die Beklagte sei auch in die Betriebsprüfung eingebunden worden und habe den ihr übermittelten Fragebogen ausgefüllt. Sie sei über den Verfahrensstand und die rechtliche Bewertung des Vertragsverhältnisses mit der Klägerin bzw. ihrer Rechtsvorgänger als sozialversicherungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis vollständig im Bilde gewesen. Zudem habe der Rechtsvorgänger der Klägerin bereits im Jahr 2014 mit dem Schreiben vom 23.10.2014 zumindest Bedenken gegen eine Beurteilung des Vertragsverhältnisses als freies Dienstverhältnis geäußert und darauf hingewiesen, dass ggf. eine Scheinselbständigkeit in Betracht komme. Die Beklagte habe daraufhin mitgeteilt, dass sie zu etwa 60% für „das Haus“ des Rechtsvorgängers der Klägerin und zu 40% für andere Auftraggeber tätig sei. Der Rechtsvorgänger der Klägerin habe keine Anhaltspunkte dafür gehabt, die Zahlenangaben zu bezweifeln. Sie hätten glaubhaft suggeriert, dass die Beklagte nicht im Wesentlichen und auf Dauer für den Rechtsvorgänger der Klägerin tätig gewesen sei, sondern wesentliche Teile ihrer Umsätze auch über andere Auftraggeber generiert habe. Mit ihrer Auskunft habe die Beklagte beim Rechtsvorgänger der Klägerin vielmehr den Anschein und das Vertrauen bestärkt, dass das Vertragsverhältnis – wie bisher gehandhabt – rechtlich als freies Dienstverhältnis einzuordnen sei. Dafür, dass die Deutsche Rentenversicherung bei der Beurteilung der Sozialversicherungspflichtigkeit mehrerer Auftragsverhältnisse eines vermeintlich Selbständigen jedes Vertragsverhältnis für sich betrachte und vorrangig prüfe, ob der vermeintlich Selbständige in die Betriebsorganisation des Auftraggebers eingegliedert sei, habe es im Jahr 2014 noch keine gesicherte Kenntnis gegeben, die vorliegend Auswirkungen auf etwaigen Vertrauensschutz beidseitig gehabt hätte. Die Beklagte habe jedoch ab dem Zeitpunkt der Anfrage des Rechtsvorgängers der Klägerin Kenntnis darüber gehabt, dass ggf. ein Beschäftigtenverhältnis im Sinne des Sozialversicherungsrechts in Betracht kommen könnte. Sie könne sich daher ab diesem Zeitpunkt nicht auf Vertrauensschutz berufen.
10
Die Klägerin beantragt,
1.
Die Beklagte wird verurteilt, das auf Grundlage des vermeintlich freien Dienstverhältnisses mit der Klägerin überzahlte Honorar für den Zeitraum vom 01.01.2015 bis zum 31.12.2018 i. H. v. 16.744,20 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zurückzuzahlen.
2.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin die zu viel gezahlte Umsatzsteuer für den Zeitraum vom 01.01.2015 bis zum 31.12.2018 in Höhe von 15.864,57 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zurückzuzahlen.
3.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin die durch die Klägerin gezahlten Arbeitnehmerbeiträge in der gesetzlichen Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung i. H. v. 16.552,49 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten.
11
Die Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
12
Darüber hinaus beantragte sie mit Schriftsatz vom 21.01.2022 die Aussetzung des vorliegenden Verfahrens bis zum Abschluss des sozialgerichtlichen Verfahrens gegen den Widerspruchsbescheid der Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd vom 29.07.2021.
13
Dieser Antrag wurde mit rechtskräftigem Beschluss vom 21.07.2022 zurückgewiesen (vgl. Bl. 182 ff. d. A.).
14
Die Beklagte rügt die Aktivlegitimation der Klägerin. Die Beklagte habe nur einen Vertrag mit der PG S. gehabt. Eine Änderung dieses Vertrages sei nie erfolgt. Auch der Bescheid der Deutschen Rentenversicherung sei nicht an die Klägerin gerichtet. Darüber hinaus sei unklar, bei welchem der drei medizinischen Versorgungszentren, die in die S. GmbH eingebracht worden seien, die Beklagte tätig geworden sein solle, so dass der zwischen der Beklagten und der PG S. bestehende Vertrag gerade nicht auf die GmbH übergegangen sei. Hierauf komme es aber letztlich nicht an, weil nach § 8 des Einbringungsvertrages lediglich die Arbeitsverhältnisse, nicht aber das freie Mitarbeiterverhältnis der Beklagten auf die Gesellschaft übergegangen seien.
15
Die Beklagte sei zudem weder bei der Klägerin noch bei der PG S. abhängig beschäftigt gewesen (vgl. im Einzelnen Bl. 94 f., 154 d. A.). Vorsorglich werde die Verjährung gerügt, weil etwaige Ansprüche aus den Jahren 2015 bis 2017 verjährt seien. Selbst wenn jedoch ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis bestanden hätte, bestünden die geltend gemachten Regressansprüche nicht (vgl. im Einzelnen Bl. 95 f. d. A.). Die Beklagte genieße insoweit auch Vertrauensschutz. Denn sie sei von Anfang an über Jahrzehnte hinweg für die Klägerin als freie Mitarbeiterin tätig geworden. Zu keinem Zeitpunkt habe die Klägerin das freie Mitarbeiterverhältnis in ein Angestelltenverhältnis umgestellt.
16
Im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 27.10.2022 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.
17
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Klägerin stehen gegen die Beklagte die geltend gemachten Zahlungsansprüche nicht zu. Selbst wenn die Beklagte bei der Klägerin in den Jahren 2015 bis 2018 als Arbeitnehmerin beschäftigt gewesen sein sollte, steht den geltend gemachten Zahlungsansprüchen der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegen.
18
1. Die Aktivlegitimation der Klägerin für die von ihr im vorliegenden Verfahren geltend gemachten Ansprüche ist gegeben. Aufgrund der von der Klägerin vorgelegten Unterlagen ist davon auszugehen, dass sie aufgrund Einbringungsvertrages vom 27.08.2018 Rechtsnachfolgerin u.a. des MVZ Praxisklinik S. & Kollegen M-Stadt/TStadt ist, das wiederum Rechtsnachfolger der PG S. ist, bei der die Beklagte (ursprünglich) beschäftigt war. Etwaige Ansprüche der PG S. gegen die Beklagte sind daher auf die Klägerin übergegangen. Unerheblich ist jedenfalls in diesem Zusammenhang, ob es sich bei der Tätigkeit der Beklagten um ein freies Mitarbeiterverhältnis oder ein Arbeitsverhältnis handelte. Denn während der Übergang der Arbeitsverhältnisse in § 8 des Einbringungsvertrages geregelt ist, gilt für sonstige Verträge § 6 des Einbringungsvertrages (vgl. Bl. 169 ff. d. A.). Aus den von der Klägerin vorgelegten Rechnungen aus dem Jahr 2018 geht auch hervor, dass die Beklagte ab Oktober 2018 ihre Tätigkeit für die Klägerin erbracht hat.
19
2. Den von der Klägerin geltend gemachten Zahlungsansprüchen gegen die Beklagte steht – unabhängig von ihrer Rechtsgrundlage und der Frage eines zwischen den Parteien in den Jahren 2015 bis 2018 bestehenden Arbeitsverhältnisses – der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegen.
20
a) Durch die Vereinbarung und Behandlung eines Rechtsverhältnisses als freie Mitarbeit wird beim Mitarbeiter ein entsprechender Vertrauenstatbestand geschaffen. Erweist sich die Zusammenarbeit tatsächlich als Arbeitsverhältnis, ist dieses Vertrauen des Arbeitnehmers grundsätzlich schützenswert. Der Arbeitgeber handelt rechtsmissbräuchlich, wenn er versucht, dem Mitarbeiter die erhaltenen Vorteile wieder zu entziehen. Anders liegt es, wenn der Mitarbeiter selbst eine Klage erhebt und für einen bestimmten Zeitraum die Einordnung des Rechtsverhältnisses als Arbeitsverhältnis geltend macht. Damit gibt er zu erkennen, dass er das Rechtsverhältnis nicht nach den Regeln der freien Mitarbeit, sondern nach Arbeitsrecht behandelt wissen will. Wenn der Arbeitgeber entsprechend diesem Anliegen verfährt und das Rechtsverhältnis auch vergütungsrechtlich als Arbeitsverhältnis behandelt, kann der Arbeitnehmer insoweit keinen Vertrauensschutz geltend machen (BAG v. 08.11.2006 – 5 AZR 706/05 Rn. 37). Gleiches gilt, wenn der Arbeitnehmer selbst ein sozialrechtliches Statusfeststellungsverfahren eingeleitet und sich an diesem Verfahren aktiv beteiligt, insbesondere seinen Status als freier Mitarbeiter in Abrede gestellt hat (BAG v. 26.06.2019 – 5 AZR 178/18 Rn. 22).
21
b) Vorliegend wurde das zwischen den Parteien bestehende Beschäftigungsverhältnis, insbesondere auch in den Jahren 2015 bis 2018, durchgehend als freies Mitarbeiterverhältnis gelebt. Durch die Vereinbarung und Behandlung des Rechtsverhältnisses als freie Mitarbeit wurde entsprechend den dargestellten Grundsätzen bei der Beklagten daher grundsätzlich ein entsprechender Vertrauenstatbestand geschaffen. Dieses Vertrauen ist auch schützenswert. So hat die Beklagte zu keinem Zeitpunkt in Abrede gestellt, für die Klägerin bzw. deren Rechtsvorgänger ausschließlich als freie Mitarbeiterin tätig geworden zu sein. Die Beklagte hat weder gerichtlich die Feststellung eines Arbeitnehmerstatus begehrt noch ist die Überprüfung des sozialversicherungsrechtlichen Status der Beklagten auf ihre Initiative zurückzuführen. Letztere beruht vielmehr auch nach dem Vortrag der Klägerin auf einer anonymen Anzeige. In die Betriebsprüfung war die Beklagte zwar eingebunden, sie hat sich jedoch auch nach dem Vortrag der Klägerin zu keinem Zeitpunkt aktiv eingebracht und insbesondere nicht behauptet, bei der Klägerin als Arbeitnehmerin beschäftigt gewesen zu sein. Unerheblich für die Frage des Bestehens eines schutzwürdigen Vertrauens ist insoweit, ob die Beklagte über den Verfahrensstand des Prüfverfahrens der Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd vollständig im Bilde war.
22
Dem schutzwürdigen Vertrauen der Beklagten steht auch nicht entgegen, dass die Rechtsvorgängerin der Klägerin diese mit Schreiben vom 23.10.2014 darauf hingewiesen hat, dass ggf. eine Scheinselbständigkeit in Betracht komme. Entscheidend für den Fortbestand des geschaffenen Vertrauenstatbestandes ist insoweit vielmehr, dass die Klägerin bzw. deren Rechtsvorgängerin nach der in diesem Zusammenhang erfolgten Auskunftserteilung durch die Beklagte das zwischen den Parteien bestehende Rechtsverhältnis weiterhin als freie Mitarbeit behandelt hat. Die Klägerin hat insbesondere nicht behauptet, der Beklagten den Abschluss eines Arbeitsvertrages angeboten zu haben, den diese abgelehnt habe. Anhaltspunkte dafür, dass dieses Verhalten der Klägerin aufgrund einer falschen Auskunftserteilung der Beklagten beruhte, hat auch diese nicht vorgetragen. Vielmehr führt die Klägerin in diesem Zusammenhang aus, dass es im Jahr 2014 noch keine gesicherte Kenntnis dafür gegeben habe, dass die Deutsche Rentenversicherung bei der Beurteilung der Sozialversicherungspflichtigkeit mehrerer Auftragsverhältnisse eines vermeintlich Selbständigen jedes Vertragsverhältnis für sich betrachte und vorrangig prüfe, ob der vermeintlich Selbständige in die Betriebsorganisation des Auftraggebers eingegliedert sei.
23
Unerheblich ist in diesem Zusammenhang auch, ob die Klägerin aufgrund der in der Vergangenheit durchgeführten Betriebsprüfungen keine Anhaltspunkte dafür hatte, dass die Deutsche Rentenversicherung Bayern Süd die Tätigkeit der Beklagten als sozialversicherungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis einstufen würde. Vorliegend geht es nicht um ein etwaig auch auf Seiten der Klägerin bestehendes Vertrauen, sondern lediglich um die Frage, ob auf Seiten der Beklagten ein Vertrauenstatbestand geschaffen wurde, der den von der Klägerin geltend gemachten Ansprüchen entgegensteht.
24
Soweit sich die Klägerin vorliegend auf § 819 BGB beruft, so ist diese Regelung vorliegend nicht einschlägig. Denn die Beklagte hatte vor der Überprüfung ihres sozialversicherungsrechtlichen Status durch die Deutsche Rentenversicherung Bayern Süd gerade keine positive Kenntnis davon, dass sie bei der Klägerin bzw. deren Rechtsvorgängern als sozialversicherungspflichtige Beschäftigte tätig war.
25
Der Beklagten ist daher gegenüber den Zahlungsansprüchen der Klägerin Vertrauensschutz zuzubilligen.
II.
26
1. Als unterlegene Partei hat die Klägerin die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 ZPO.
27
2. Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 ArbGG, 42 Abs. 3 Satz 1 GKG, 3 ff. ZPO. Die Zahlungsanträge werden mit den eingeklagten Beträgen bewertet.