Titel:
Fahreignungsregister, Hauptverhandlung, Verteidigung der Rechtsordnung, Strafzumessung, Kostenentscheidung, Tateinheitliches, Rückzahlungsverpflichtung, Kraftfahrzeugführer, Kraftfahrzeuge, Nötigungshandlung, Notwendige Auslagen, Starkes Abbremsen, Tagessatzhöhe, Rechtswidrigkeit, Unterhaltsverpflichtung, Geldstrafe, Handlungseinheit, Schuldangemessenheit, Zeugeneinvernahme, Bundeszentralregister
Normenkette:
StGB § 240 I, II, § 185, § 194, § 44, § 52
Schlagworte:
Nötigung, Beleidigung, Strafantrag, Tatbestand, Strafzumessung, Geldstrafe, Fahrverbot
Rechtsmittelinstanz:
LG München I, Beschluss vom 27.09.2022 – 23 Ns412 Js 158569/21
Fundstelle:
BeckRS 2022, 53037
Tenor
Der Angeklagte G2. F. ist schuldig der Nötigung in Tateinheit mit Beleidigung.
II. Der Angeklagte wird zur Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 30,-- € verurteilt.
III. Dem Angeklagten wird für die Dauer von 3 Monaten verboten, Kraftfahrzeuge aller Art auf öffentlichen Straßen zu führen.
IV. Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen.
Entscheidungsgründe
1
Der zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung 31 Jahre alte Angeklagte ist ledig und hat keine Unterhaltsverpflichtungen. Sein Nettomonatseinkommen als Kaufmann beträgt derzeit 1.070,- €. Für seine Mietwohnung in Gr. bei M. zahlt der Angeklagte warm monatlich 200,- € an Miete. Es besteht eine monatliche Rückzahlungsverpflichtung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz in Höhe von 128,- €.
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Der Auszug aus dem Bundeszentralregister des Bundesamts für Justiz weist für den Angeklagten derzeit keine Eintragung auf.
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Der Auszug aus dem Fahreignungsregister weist für den Angeklagten eine Eintragung auf:
ZBS V., Entscheidung vom 29.11.2019, rechtskräftig seit 19.12.2019, Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 36 km/h am 02.10.2019 um 22.49 Uhr auf der A 995 bei Unterhaching Richtung AK Süd (A 8), 120 Euro Geldbuße
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Der Angeklagte fuhr am 31.03.2021 gegen 14.37 Uhr mit dem Pkw Audi A5, amtliches Kennz ... seiner Mutter im R.-St.Tunnel in M..
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Hierbei fuhr der Angeklagte auf die vor ihm fahrende Geschädigte ... mit dem Pkw VW Golf, amtliches Kennz ... so dicht auf, dass diese im Rückspiegel das Kennzeichen seines Fahrzeugs nicht mehr ablesen konnte. Der Angeklagte handelte dabei in der rechtswidrigen Absicht, die Geschädigte dazu zu bewegen, die Fahrspur zu wechseln oder zumindest schneller zu fahren, um sein eigenes rasches Fortkommen sicherzustellen.
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Nachdem der Angeklagte die Geschädigte im Anschluss überholt hatte und dicht vor dieser wieder eingeschert war, bremste der Angeklagte ohne verkehrsbezogenen Anlass sein Kraftfahrzeug stark ab, so dass die Geschädigte – wie der Angeklagte rechtswidrig beabsichtigte – ebenfalls gezwungen war, das Kraftfahrzeug stark abzubremsen, um einen Zusammenstoß mit dem Angeklagten zu verhindern.
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Durch das Verhalten des Angeklagten wollte er die Geschädigte für ihr Verhalten im Straßenverkehr maßregeln.
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Anschließend zeigte der Angeklagte der Geschädigten den Mittelfinger, um seine Missachtung zum Ausdruck zu bringen.
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Strafantrag durch ... wurde form- und fristgerecht gestellt.
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Die Tat wurde bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges oder unter der Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen.
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Die Feststellungen unter I. beruhen auf den glaubhaften Angaben des Angeklagten sowie den in der Hauptverhandlung gemäß § 249 Abs. 1 StPO verlesenen Auszügen aus dem Bundeszentralregister sowie dem Fahreignungsregister.
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Der unter II. geschilderte Sachverhalt steht zur Überzeugung des Gerichts fest aufgrund der durchgeführten Hauptverhandlung.
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Der Angeklagte räumte über seinen Verteidiger ein, am 31.03.2021 gegen 14.37 Uhr mit dem Pkw Audi A5, amtliches Kennz ... seiner Mutter im L. Tunnel gefahren zu sein. Er sei von seinem Wohnort ... bei M. auf dem Weg nach M. zu einem Termin für einen PCR-Test um 15 Uhr gewesen. Der Angeklagte sei hierbei nicht zu schnell und ausschließlich auf der rechten Spur gefahren. Bei der Fahrt habe es keine Vorfälle gegeben; es sei auch nichts Außergewöhnliches an diesem Tag passiert. Bestritten wurde jedoch, den R.-Str.-Tunnel befahren zu haben, wo die gegenständlichen Nötigungs- und Beleidigungshandlungen begangen worden sein sollen. Die Abfahrt zur E.straße habe er jedoch befahren, weshalb es gut möglich sein könne, dort von der Geschädigten ... beobachtet worden und fälschlicherweise für eine etwaige Nötigungshandlung eines anderen Verkehrsteilnehmers vorher verantwortlich gemacht worden zu sein.
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Nach Überzeugung des Gerichts steht der unter II. geschilderte Sachverhalt jedoch fest aufgrund der Aussage der genötigten Fahrzeugführerin, der Zeugin ..., sowie der in der Hauptverhandlung in Augenschein genommenen Lichtbilder (Bl. 19 ff. d.A.).
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Die Zeugin ... schilderte ruhig und ohne innere Widersprüche, dass sie am 31.03.2021 gegen 14.30 Uhr mit einer Geschwindigkeit von unter 60 km/h den R.-Str.-Tunnel befahren habe. Als sie sich auf der rechten Spur am Ende des R.-Str.-Tunnel befunden habe, habe ein deutlich schnellerer Pkw von hinten angenähert und ihr so dicht aufgefahren, dass sie nicht einmal mehr das Nummernschild des Pkws erkennen konnte. Der Pkw habe die Zeugin dann auf der linken Fahrspur überholt und sei sehr knapp vor ihr wieder eingeschert. Anschließend habe der nun vor der Zeugin fahrende Pkw ohne ersichtlichen Grund fast bis zum Stillstand abgebremst, weshalb die Zeugin ebenfalls stark abbremsen musste, um einen Auffahrunfall zu verhindern. Mit im Fahrzeug habe sich ihre Tochter auf dem Beifahrersitz sitzend befunden, die durch den Vorfall ebenfalls sehr erschrocken sei. Als der Pkw dann mit hoher Geschwindigkeit auf der rechten Ausfahrtsspur zur E.straße wegfuhr, habe der Fahrer der Zeugin ... noch den ausgestreckten Mittelfinger aus dem offenen Fahrerfenster gezeigt.
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Dass die Zeugin zu Beginn ihrer Vernehmung angab, dass es kurz nach halb 5 nachmittags gewesen sei, als sich der Vorfall ereignete, lässt nach Überzeugung des Gerichts die Aussage der Zeugin ... nicht weniger glaubhaft erscheinen. Die Zeugin hatte in Vorbereitung ihrer Zeugeneinvernahme über den bereits mehr als ein Jahr zurückliegenden Vorfall die Metadaten der von ihrer Tochter gemachten und sich in der Akte befindlichen Handybilder eingesehen. Daraus schloss die Zeugin, dass der Vorfall sich kurz nach halb fünf am Nachmittag ereignet haben musste. Auf Nachfrage des Gerichts und Vorhalts ihrer polizeilichen Zeugenaussage erinnerte sich die Zeugin wieder, dass die Metadaten falsch gewesen sein müssen, sie vielmehr an diesem Tag ihre Mutter zu Besuch gehabt und bereits früher mit dem Pkw unterwegs gewesen sein musste und korrigierte den Tatzeitpunkt nachvollziehbar und glaubhaft auf 14.30 Uhr.
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Insbesondere ist das Gericht auch von der Fahrereigenschaft des Angeklagten überzeugt. Dass es der Angeklagte mit dem Pkw mit dem amtlichen Kennz... war, der die Zeugin im R.-Str.-Tunnell ausbremste und beleidigte, steht zur Überzeugung des Gerichts ebenfalls aufgrund der Aussage der Zeugin ... fest, die ruhig und ohne innere Widersprüche, somit glaubhaft, schilderte, dass sowohl sie, als auch ihre Tochter sich das Kennzeichen des Pkws merkten, als dieser nach dem Ausbremsen wieder wegfuhr. Man habe sich auch noch darüber unterhalten und sich das Kennzeichen gegenseitig vorgesagt zur Erinnerung. Übungen zum Merken von Autokennzeichen betrieben Mutter und Tochter nach Aussage der Frau ... öfters als eine Art Spiel und Gedächtnistraining. Ebenso seien sie am Tattag mit dem Kennzeichen des Angeklagten verfahren. Sie sei sich daher ganz sicher, dass es der Pkw mit dem bei der Polizei benannten Kennzeichen gewesen sei, der sie ausgebremst und beleidigt habe.
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Zu ihrem eigenen Erstaunen habe sie und ihre Tochter genau diesen Pkw zufällig danach an einer Ampel in der E.straße wiedergesehen. Dann habe sie Lichtbilder vom Pkw gefertigt, auf denen das amtliche Kennz... deutlich zu erkennen ist (Bl. 19 f. d.A.). Auf dem Weg zur Ampel habe die Zeugin den Pkw fast durchwegs zumindest im Augenwinkel weiter vor sich fahren gesehen. Nur wenige Sekunden beim Abbiegen aus dem Tunnel habe sie den Pkw aus den Augen verloren.
19
Das von der Tochter der Zeugin ... gefertigte Bild des Fahrers (Bl. 22 d.A.) wurde in Augenschein genommen und zeigt deutliche Ähnlichkeiten zum Angeklagten auf. In der Hauptverhandlung hat die Zeugin ... den Angeklagten als möglichen Fahrer auch wieder erkannt, wobei sie dezidiert auf besondere äusserliche Merkmale des Angeklagten und des ihr von damals im Gedächtnis gebliebenen Fahrers einging und diese verglich. Das Gericht überzeugte dabei insbesondere, dass die Zeugin von Beruf Fotografin ist und ersichtlich über einen besonders gutes Menschengedächtnis verfügt und auf Details besonderes Augenmerk setzt.
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Durch das unter II. geschilderte Verhalten hat sich der Angeklagte schuldig gemacht der Nötigung in Tateinheit mit Beleidigung gemäß §§ 240 Abs. 1, 2, 185, 194, 52 StGB.
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Er hat die Zeugin ... mittels Gewalt, d.h. physisch vermittelten Zwanges zur Überwindung eines geleisteten oder erwarteten Widerstandes zum Fahrspurwechsel oder zumindest zum schneller Fahren sowie im weiteren Verlauf anlasslos zum starken Abbremsen genötigt und damit den objektiven Tatbestand des § 240 Abs. 1 StGB erfüllt. Der Angeklagte handelte vorsätzlich. Die Tat war auch rechtswidrig und das Handeln des Angeklagten ist insbesondere als verwerflich im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB anzusehen. Die aufgrund einer Gesamtwürdigung der Relation von Mittel und Zweck festzustellende Verwerflichkeit ergibt sich hier aus der nicht zu unterschätzenden Gefährdung des Straßenverkehrs in Verbindung mit einer Gesundheitsgefährdung die der Angeklagte die Zeugin ... um eines vergleichsweise geringwertigen Rechtsguts aussetzte.
22
Das Verhalten des Angeklagten erfüllt zudem den Tatbestand des § 185 StGB, da der Angeklagte durch das Zeigen des Mittelfingers seine eigene Missachtung gegenüber der Zeugin ... kundgab.
23
Strafantrag gemäß § 194 StGB wurde form- und fristgerecht gestellt.
24
Es liegt bei natürlicher Betrachtungsweise eine Handlungseinheit zwischen der Nötigung und der Beleidigung vor, sodass diese in Tateinheit stehen (§ 52 StGB).
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Bei der Strafzumessung war der Regelstrafrahmen für die Verwirklichung des Straftatbestandes der Nötigung von 1 Monat bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe von 5 bis 360 Tagessätzen maßgeblich, §§ 240 Abs. 1, 38 Abs. 2, 40 Abs. 1 StGB. Da mehrere Delikte verwirklicht wurden, war gemäß § 52 Abs. 2 StGB vom schwereren Strafrahmen auszugehen.
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Im Rahmen der Strafzumessung hat das Gericht strafmildernd gewertet, dass der Angeklagte nicht vorbestraft ist.
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Strafschärfend wurde berücksichtigt, dass durch die Tat auf der vielbefahrenen 2-spurigen Straße die Zeugin ... sowie deren Tochter einer erheblichen Gefahr ausgesetzt wurden, sich durch das starke Abbremsen zu verletzten bzw auch durch von hinten auffahrende Fahrzeuge zu verunfallen. Weiterhin war zu seinen Lasten zu berücksichtigen, dass er zwei Delikte tateinheitlich verwirklicht hat und damit auch zwei verschiedene Rechtsgüter angriff.
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Unter Berücksichtigung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umständen, insbesondere der oben genannten erscheint die Verhängung einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen für tat- und schuldangemessen, aber auch ausreichend.
29
Die Tagessatzhöhe war entsprechend den Einkommensverhältnissen des Angeklagten auf 30 € festzusetzen.
30
Nachdem die Tat mit einem Kraftfahrzeug begangen wurde, war neben der Geldstrafe als Besinnungsmaßnahme ein dreimonatiges Fahrverbot anzuordnen, um den Angeklagten nachhaltig an seine Pflichten als Kraftfahrer zu gemahnen, § 44 StGB. Es wäre der rechtstreuen Bevölkerung nicht zu vermitteln, wenn bei einem derartigen Fehlverhalten während des Führens eines Kraftfahrzeuges im Straßenverkehr keine verkehrsspezifische Maßnahme verhängt würde, die sogar bei Ordnungswidrigkeiten ab einer bestimmten Schwere Regelfall sind. Zur Einwirkung auf den Angeklagten und auch zur Verteidigung der Rechtsordnung war daher die Verhängung eines Fahrverbotes von 3 Monaten erforderlich, aber auch ausreichend.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 465 Abs. 1 StPO.