Titel:
Beitragsanpassung, Prämienerhöhung, Elektronisches Dokument, Feststellungsantrag, Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Festsetzung des Streitwerts, Elektronischer Rechtsverkehr, Versicherungsverhältnis, Schriftsätze, Rückforderungsansprüche, Versicherungsleistungen, Beitragserhöhung, Herausgabe der Nutzungen, Feststellungsinteresse, Privat Krankenversicherte, Herausgabe von Nutzungen, Wert des Beschwerdegegenstandes, Neufestsetzung, Kostenentscheidung
Schlagworte:
örtliche Zuständigkeit, Feststellungsinteresse, Tariferhöhung, formelle Voraussetzungen, Mitteilung der Gründe, Plausibilitätskontrolle, Streitwert
Fundstelle:
BeckRS 2022, 53035
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Der Streitwert wird auf 4931,40 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Beitragsanpassungen eines bei der Beklagten bestehenden privaten Krankenversicherungsvertrages.
2
Der Kläger ist bei der Beklagten privat krankenversichert. Die monatlich zu zahlenden Beiträge wurden durch die Beklagte im Tarif V333S4 wie folgt angepasst:
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zum 01.01.2020 in Höhe von 35,97 €
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zum 01.01.2021 in Höhe von 41,28 €
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zum 01.01.2022 in Höhe von 57,23 €
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Die Anpassungen wurden dem Kläger unter Übersendung eines Nachtragsversicherungsscheins sowie eines Informationsschreibens zur Beitragsanpassung mitgeteilt.
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In dem beigelegten Informationsschreiben zur Erhöhung im Jahr 2020 heißt es unter anderem:
… Gesetzlich geregelt: jährliche Prüfung
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Jedes Jahr prüfen wir neu, ob die tatsächlichen Ausgaben denen entsprechen, die der Beitragskalkulation zugrunde liegen. Wir gleichen dabei auch ab, ob sich die durchschnittlichen Lebenserwartungen geändert haben.
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Wenn in einem Tarif die Ausgaben für Leistungen von den kalkulierten deutlich abweichen und diese Änderung nicht vorübergehend ist, müssen wir die Beiträge anpassen. Auch die Prüfung der Lebenserwartungen kann zu einer Beitragsänderung führen. Das ist gesetzlich so geregelt. In diesem Jahr ist der maßgebliche Grund für die Beitragsanpassung die Abweichung in den Leistungsausgaben. Ein unabhängiger Treuhänder prüft die Anpassung und genehmigt sie. Zusätzlich legen wir die Änderung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) vor.
Gründe für steigende Kosten
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Die medizinische Versorgung verbessert sich stetig und deswegen steigen auch die Kosten im Gesundheitswesen. Dank neuer Therapiemöglichkeiten können Krankheiten gelindert oder geheilt werden, die früher unheilbar waren. Im Krankheitsfall profitieren wir alle davon.
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Die demographische Entwicklung führt ebenfalls zu steigenden Kosten für die Krankenversicherer. Wir freuen uns über eine höhere Lebenserwartung; gleichzeitig erhöhen sich so die Kosten für Gesundheit.
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… Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage zum Schriftsatz der Beklagtenseite vom 13.07.2022 verwiesen.
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In dem beigelegten Informationsschreiben zur Erhöhung im Jahr 2021 heißt es unter anderem:
… 2021: Aus welchem Grund steigen Ihre Beiträge im kommenden Jahr?
Der maßgebliche Grund für die Neuberechnung Ihrer Beiträge zum 1. Januar 2021 sind höhere Ausgaben für Leistungen.
… Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage zum Schriftsatz der Beklagtenseite vom 13.07.2022 verwiesen.
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In dem beigefügten Informationsschreiben zur Erhöhung im Jahr 2022 heißt es unter anderem:
… Beitragsanpassung zum 1. Januar 2022: Aus welchem Grund ändert sich Ihr Beitrag?
Der maßgebliche Grund für die Neuberechnung Ihrer Beiträge zum 1. Januar 2022 sind höhere Ausgaben für Leistungen. Beim Vergleich der erforderlichen mit den kalkulierten Versicherungsleistungen hat die Abweichung den tariflich festgelegten Prozentsatz überschritten.
… Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage zum Schriftsatz der Beklagtenseite vom 13.07.2022 verwiesen.
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Der Kläger zahlte die monatlichen Beiträge in der von der Beklagten festgesetzten Höhe.
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Mit anwaltlichen Schreiben vom 11.04.2022 machte der Kläger die Unwirksamkeit der Prämienanpassung geltend und forderte die Beklagte unter Setzung einer Frist zur Rückzahlung der zu viel gezahlten Prämienanteile einschließlich der daraus gezogenen Nutzungen auf. Die Beklagte kam der Aufforderung nicht nach. Zurückgefordert wurden insgesamt 1870,17 € ausgehend noch von Erhöhungen ab 01.01.2020 in Höhe von 28,81 €, ab 01.01.2021 in Höhe von 43,04 € und ab 01.01.2022 in Höhe von 60,60 €. In dieser Höhe lautete auch der ursprüngliche Klageantrag. Mit Schriftsatz vom 29.08.2022 wurde die Klage zunächst in Höhe von 229,42 €, 4,58 € und 3,40 € zurückgenommen, bevor sie mit Schriftsatz vom 28.09.2022 im Antrag unter Nr. 1 auf 2031,04 € erweitert und im Antrag unter Nr. 3 um den Passus „… In Höhe von 2031,04 € …“ ergänzt wurde.
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Die Berechnung der Klageforderung setzt sich zuletzt wie folgt zusammen:
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29 monatliche Zahlungen zu 35,97 € (01.01.2020 bis 01.05.2022), mithin insgesamt 1043,13 €
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17 monatliche Zahlungen zu 41,28 € (01.01.2021 bis 01.05.2022), mithin insgesamt 701,76 €
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5 monatliche Zahlungen zu 57,23 € (01.01.2022 bis 01.05.2022), mithin insgesamt 286,15 €.
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Dies ergibt insgesamt einen Rückforderungsanspruch in Höhe von 2031,04 €.
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Der Kläger macht darüber hinaus die Herausgabe von Nutzungen aus rechtsgrundlos geleisteten Beitragszahlungen geltend.
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Der Kläger macht weiterhin die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten aus einem Gegenstandswert in Höhe von 1737,72 € in Höhe einer 1,3 fachen Geschäftsgebühr geltend.
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Der Kläger meint, dass die vorgenommenen Prämienanpassungen nicht den formellen Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG entsprechen würden.
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Der Kläger beantragt zuletzt:
- 1.
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Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei die auf die Erhöhung entfallenden Prämienanteile in Höhe von EUR 2.031,04 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.04.2022 aus dem Versicherungsverhältnis zurückzuzahlen.
- 2.
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Es wird festgestellt, dass die Prämienerhöhungen zum 01.01.2020, 01.01.2021 und 01.01.2022 aus dem mit der Beklagten bestehenden Versicherungsverhältnis unwirksam sind und die Klagepartei nicht zur Tragung des jeweiligen Erhöhungsbetrags verpflichtet ist.
- 3.
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Es wird festgestellt, dass die Beklagte zur Herausgabe der Nutzungen in Höhe von EUR 2.031,04, die sie aus den Zahlungen der Klagepartei auf die Prämienerhöhungen seit dem 01.01.2020 gezogen hat, verpflichtet ist und diese Nutzungen ab dem 01.01.2020 mit dem gesetzlichen Zinssatz zu verzinsen hat.
- 4.
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Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 280,60 nebst Zinsen in Höhe fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.04.2022 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt:
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Die Beklagte meint, die streitigen Prämienerhöhungen seien ausreichend begründet worden.
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Eine Beweisaufnahme war nach Auffassung des Gerichts nicht veranlasst.
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Zur Ergänzung wird verwiesen auf die Schriftsätze der Parteien samt Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 10.10.2022.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist in vollem Umfang unbegründet.
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Die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts München ergibt sich aus § 215 Abs. 1 VVG.
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Ob der Kläger das erforderliche Feststellungsinteresse für den Antrag unter Nr. 1 hat, kann dahingestellt bleiben, da die Klage in vollem Umfang unbegründet ist.
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Die Beklagte hat wirksam die Tarife erhöht (§§ 203 Abs. 2, Abs. 5 VVG).
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Die Prämienerhöhungen genügen den formellen Voraussetzungen des § 203 Abs. 5 VVG.
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Die Mitteilung der maßgeblichen Gründe für die Neufestsetzung der Prämie nach § 203 Abs. 5 VVG erfordert die Angabe der Rechnungsgrundlage, deren nicht nur vorübergehende Veränderung die Neufestsetzung nach § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG veranlasst hat. Nicht erforderlich ist, dass mitgeteilt wird, in welcher Höhe sich die Rechnungsgrundlage verändert hat (BGH, Urteil vom 16.12.2020, Aktenzeichen IV ZR 294/19). Darüber hinaus muss aus der Mitteilung ersichtlich sein, dass ein maßgeblicher Schwellenwert überschritten wurde (BGH, Urteil vom 21.07.2021, Aktenzeichen IV ZR 191/20).
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Die Mitteilung der maßgeblichen Gründe soll nach Auffassung des BGH den Zweck erfüllen, dem Versicherungsnehmer zu verdeutlichen, dass weder sein individuelles Verhalten, noch eine freie Entscheidung des Versicherers Grund für die Beitragserhöhung gewesen sind, sondern dass eine bestimmte Veränderung der Umstände dies aufgrund gesetzlicher Regelungen veranlasst hat. Dagegen sei eine Plausibilitätskontrolle der Prämienanpassung nicht erforderlich. (BGH, Urteil vom 16.12.2020, Aktenzeichen IV ZR 294/19, Rz. 35).
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Diesen Anforderungen genügen die streitigen Prämienerhöhungen.
1. Erhöhung zum 01.01.2020
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In dem Informationsschreiben wird ausdrücklich mitgeteilt, dass der maßgebliche Grund für die Beitragsanpassung die Abweichung in den Leistungsausgaben gewesen ist. Aus der Beschreibung der gesetzlichen Regelung und dem Hinweis im Informationsschreiben, dass die Beiträge angepasst werden müssen, wenn sich bei der jährlichen Prüfung ergibt, dass in einem Tarif die Ausgaben für Leistungen von den kalkulierten deutlich abweichen, ergibt sich darüber hinaus eindeutig, dass eine Beitragserhöhung nur dann stattfindet, wenn ein gewisser Schwellenwert überschritten ist.
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Auch für den Laien ist aus diesen Informationen eindeutig erkennbar, dass weder sein individuelles Verhalten, noch eine freie Entscheidung der Beklagten Grund für die Beitragserhöhung gewesen ist.
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Damit ist nach Auffassung des Gerichts den formellen Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG Genüge getan.
2. Erhöhung zum 01.01.2021
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Auch im Informationsschreiben zur Beitragserhöhung zum 01.01.2021 wird ausdrücklich angegeben, dass der maßgebliche Grund für die Neuberechnung der Beiträge zum 1. Januar 2021 höhere Ausgaben für Leistungen ist. Zuvor war auch in diesem Informationsschreiben das Prozedere der Beitragsanpassungen geschildert worden, so dass sich auch hier aus dem Gesamtkontext für den Laien eindeutig ergab, dass die Überschreitung eines Schwellenwertes zur Anpassung geführt hat.
3. Erhöhung zum 01.01.2022
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Gleiches gilt für die Erhöhung zum 01.01.2022. Hier wird sogar unter den Angaben der Gründe für die konkrete Beitragsanpassung angeführt, dass ein Vergleich der erforderlichen mit den kalkulierten Versicherungsleistungen den tariflich festgelegten Prozentsatz überschritten hat.
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Die streitigen Beitragsanpassungen genügen daher alle den formellen Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG.
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Dem Kläger steht daher kein Rückzahlungsanspruch, kein Anspruch auf Absenkung der Beiträge und kein Anspruch auf Herausgabe von Nutzungen zu. Auch der Feststellungsantrag ist damit unbegründet. Die Klage war daher in vollem Umfang abzuweisen.
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Mangels Hauptforderung besteht auch kein Anspruch auf die als Nebenforderung geltend gemachten Verzugszinsen sowie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Bei der Festsetzung des Streitwerts hat das Gericht für den Feststellungsantrag unter Nr. 2 einen Betrag in Höhe von 2600 € angesetzt. Herbei wurde der Grundgedanke des § 9 ZPO sowie ein Abschlag für den Feststellungsantrag zu Grunde gelegt. Für den Antrag auf Herausgabe der Nutzungen hat das Gericht einen Betrag in Höhe von 300 € angesetzt. Hierbei wurde davon ausgegangen, dass die Nutzungen deutlich unter dem Leistungsantrag liegen dürften. Hierzu wurden der Zahlungsbetrag aus dem Antrag unter Nr. 1 (2.031,04 €) addiert, so dass sich insgesamt ein Streitwert in Höhe von 4931,40 € ergibt.