Titel:
Auskunftsanspruch gegen Flugunternehmen zur Höhe ersparter Aufwendungen
Normenketten:
Fluggastrechte-VO Art. 21 Abs. 1
BGB § 242, § 410 Abs. 1 S. 1, § 648 S. 2
ABGB § 1168
Leitsätze:
1. Ein Leistungsverweigerungsrecht gem. § 410 BGB mangels Vorlage der Originale der Abtretungsvereinbarung besteht nur dann, wenn der Schuldner ein schutzwürdiges Interesse an der Vorlage der Originale hat. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Weist das Flugunternehmen die im Flugpreis enthaltenen Steuern, Gebühren und Zuschläge nicht separat aus, besteht für den Fluggast zur Ermittlung der gem. § 648 S. 2 BGB abzuziehenden ersparten Aufwendungen ein Auskunftsanspruch gegen das Flugunternehmen aus § 242 BGB. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Fluggastrecht, Auskunftsanspruch, Preiskalkulation, ersparte Aufwendungen, Abtretung, Stufenklage, VO (EG) 261/2004
Fundstelle:
BeckRS 2022, 5290
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Auskunft darüber zu erteilen, in welcher Höhe gem. Art. 23 VO 1008/2008/EG als solche auszuweisende Steuern, Gebühren und sonsti¬gen Zuschläge bei den unten aufgeführten Buchungen angefallen sind:
2. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 1.650,00 € vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über Auskunfts- und Zahlungsansprüche aus abgetretenem Recht in Bezug auf nicht angetretene Flüge.
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Die Klägerin macht aus abgetretenem Recht im Wege der Stufenklage einen Anspruch auf Auskunft hinsichtlich der im Flugpreis eingerechneten Steuern, Gebühren und Zuschläge geltend, um nach Auskunftserteilung die Rückerstattung dieser Bestandteile des Flugpreises wegen Nichtantritt des jeweiligen Fluges zu verlangen.
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Streitgegenständlich sind die aus nachfolgender Tabelle ersichtlichen Flugbuchungen, deren Buchender nebst etwaigen Begleitpersonen den Flug nicht angetreten und seine Ansprüche jeweils an die Klägerin abgetreten hat, und deren Abflug- bzw. Zielort jeweils der Flughafen M. war:
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Wegen der Buchungsdetails und der Abtretungsvereinbarung wird ergänzend auf die Anlagen K1-1/1 bis K129-3/1 und AV1 Bezug genommen.
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Die Buchenden haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt überwiegend in der Bundesrepublik Deutschland. Lediglich die Buchenden mit den Nummern 30, 31, 35, 37, 39, 42, 44, 51, 57, 60, 89 und 120 haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Republik Österreich. Dort besteht unstreitig ein Anspruch auf Offenlegung und Rückerstattung ohne Abzug einer Bearbeitungsgebühr.
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Die Klägerin ist der Auffassung, dass ein Anspruch auf Auskunfterteilung aus § 242 BGB bestehe und der Rückerstattungsanspruch auf §§ 648 S. 2, 812 BGB beruhe.
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Die Klägerin beantragt nach teilweiser Klagerücknahme für die Nummern 77, 108 und 129 zuletzt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Auskunft darüber zu erteilen, in welcher Höhe gem. Art. 23 VO 1008/2008/EG als solche auszuweisende Steuern, Gebühren und sonstigen Zuschläge bei den unten aufgeführten Buchungen angefallen sind:

2. Die Beklagte wird erforderlichenfalls verurteilt, die Richtigkeit und Vollständigkeit der Auskünfte nach Ziff. 1 eidesstattlich zu versichern.
3. Die Beklagte wird nach Erledigung von Ziff. 1 und 2 verurteilt, an die Klägerin den sich aus der Auskunft ergebenden noch zu beziffernden Betrag nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf den zuerkannten Betrag seit dem im Folgenden näher bezeichneten Verzugseintritt zu zahlen:
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Die Beklagte beantragt,
die Klage kostenpflichtig abzuweisen.
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Die Beklagte rügt die internationale und örtliche Zuständigkeit. Sie ist ferner der Auffassung, dass der Vorgang nicht nach deutschem, sondern irischem Recht beurteilt werden müsse. So habe sie in ihren wirksam einbezogenen Allgemeinen Beförderungerungsbedingungen sowohl eine Rechtswahl auf das irische Recht als auch eine Gerichtsstandsvereinbarung für Dublin mit den Buchenden vereinbart. Im irischen Recht sei ein Auskunftsanspruch und ein Rückerstattungsanspruch nicht bekannt. Wegen Nichtvorlage der Originalzessionsurkunde stehe ihr ein Leistungsverweigerungsrecht zu. Der Auskunftsanspruch sei darüber hinaus unbegründet, weil Steuern, Gebühren und Zuschläge aufgrund einer unternehmerischen Entscheidung nicht dem Flugpreis hinzugerechnet würden. Gegen etwaige Erstattungsansprüche erklärt die Beklagte zudem die Aufrechnung mit der in den Allgemeinen Beförderungsbedingungen vereinbarten Verwaltungsgebühr von 20,00 €.
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Die am 10.06.2021 vor dem Amtsgericht Memmingen erhobene Klage ist der Beklagten am 31.08.2021 zugestellt worden.
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Mit Beschluss vom 02.09.2021 hat das Amtsgericht Memmingen den Rechtsstreit an das Landgericht Memmingen verwiesen.
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Das Gericht hat mit den Parteien am 10.01.2022 mündlich zur Sache verhandelt.
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Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestands auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 10.01.2022 sowie den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist in der ersten Stufe zulässig und begründet.
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I. Das Landgericht Memmingen ist gem. Art. 5 Abs. 1, 7 Nr. 1 lit. a) und b) VO (EU) Nr. 1215/2012 (Brüssel Ia-VO) international zuständig. Das Gericht schließt sich insoweit der überzeugenden Rechtsansicht des OLG Köln, Beschluss vom 29.01.2021, Az. 9 U 184/20 und des LG Frankfurt a.M., Teilurteil vom 03.07.2020, Az. 2-24 O 100/19 an. Richtig ist zwar, dass im Ergebnis ein auf § 812 BGB begründeter Zahlungsanspruch verfolgt wird. Hierbei handelt es sich jedoch um einen Sekundäranspruch aus dem Luftbeförderungsvertrag und damit um Ansprüche aus einem Vertrag i.S.d. Art. 7 Nr. 1 lit. A) Brüssel Ia-VO. Sämtliche Flüge hatten im Übrigen den Flughafen Memmingen als Abflug- oder Zielort, sodass auch die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Memmingen gem. Art. 7 Nr. 1 lit. b) Brüssel Ia-VO gegeben ist.
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Die von der Beklagten in den Allgemeinen Beförderungsbestimmungen (ABB) verwendete Gerichtsstandsklausel erachtet das Gericht - unabhängig von der strittigen Frage der wirksamen Einbeziehung - in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des OLG Köln, Beschluss vom 29.01.2021, Az. 9 U 184/20, für unwirksam. Der Zuständigkeit des Landgerichts Memmingen steht daher auch keine abweichende Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 25 Brüssel Ia-VO entgegen.
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Die Klage ist im Übrigen als Stufenklage gem. § 254 ZPO unzweifelhaft zulässig.
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II. Der Auskunftsanspruch ist, soweit er noch rechtshängig war, in vollem Umfang begründet.
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1. Die Klägerin ist insoweit auch aktivlegitimiert. Sie hat für sämtliche Buchungen Kopien der Abtretungsvereinbarungen vorgelegt, die letztlich unbestritten geblieben sind.
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Soweit die Beklagte ein Leistungsverweigerungsrecht gem. § 410 BGB mangels Vorlage der Originale der Abtretungsvereinbarungen geltend gemacht hat, kommt dieses vorliegend nicht zum Tragen. Ein solches Leistungsverweigerungsrecht kommt nach der Rechtsprechung des BGH, Urteil vom 23.08.2012 - VII ZR 242/11, nur in Betracht, wenn der Schuldner ein schutzwürdiges Interesse an der Vorlage der Originale hat. Ein solches schutzwürdiges Interesse ist von der Beklagten nicht vorgetragen und auch sonst nicht zu erkennen (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 29.01.2021, Az. 9 U 184/20).
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Soweit die Beklagte die Wirksamkeit der Abtretung an sich bestritten hat, hält das Gericht das Abtretungsverbot aus Art. 15.4 der ABB für unwirksam. Es verstößt gegen § 307 Abs. 1 S. 2 BGB (LG Nürnberg-Fürth NZV 2019, 100; LG Frankfurt a.M., Teilurteil vom 03.07.2020, Az. 2-24 O 100/19).
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2. Auf das Rechtsverhältnis ist das deutsche Recht bzw. in den Fällen Nummer 30, 31, 35, 37, 39, 42, 44, 51, 57, 60, 89 und 120 das österreichische Recht anwendbar.
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Das Gericht erachtet die Rechtswahlklausel in den ABB - unabhängig von der strittigen Frage der wirksamen Einbeziehung - als unwirksam. Sie ist irreführend und intransparent, weil dem Verbraucher nicht verdeutlicht wird, dass die Fluggastrechte-VO dem irischen Recht in der Anwendung vorgeht (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 29.01.2021, Az. 9 U 184/20; LG Frankfurt a.M., Teilurteil vom 03.07.2020, Az. 2-24 O 100/19; LG Baden-Baden, Teilurteil vom 27.10.2020, Az. 2 O 287/19).
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3. Der Auskunftsanspruch folgt aus § 242 BGB, weil die Fluggäste ohne Verschulden über die Art und Höhe der im Flugpreis enthaltenen Steuern, Gebühren oder Zuschläge im Ungewissen sind und die Beklagte unschwer zur Auskunftserteilung in der Lage ist (vgl. BGH NJW 2002, 3771; BGH NJW 2014, 155; LG Frankfurt a.M., Teilurteil vom 03.07.2020, Az. 2-24 O 100/19). Die Beklagte hat bei der jeweiligen Buchung gegen Art. 23 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1008/2008 verstoßen und diese Preisbestandteile nicht gesondert ausgewiesen. Insoweit ist es auch unbehelflich als die Beklagte behauptet, aus einer unternehmerischen Entscheidung heraus auf die Umlage dieser Posten auf den Flugpreis zu verzichten. Die Beklagte muss diese Positionen selbst bezahlen und muss diese daher denklogisch auf sämtliche Fluggäste des jeweiligen Fluges umlegen. Die Klägerin hat insoweit die im Ergebnis zu pauschale Behauptung der Beklagten auch durch Auszüge aus dem Jahresbericht 2020 der Beklagten bestritten. Danach sind die gem. Art. 23 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1008/2008 gesondert auszuweisenden Steuerung, Gebühren und Zuschläge von der Beklagten als Ausgaben verbucht. Um Gewinn zu erwirtschaften, muss die Beklagte diese Positionen daher in ihrer Preiskalkulation berücksichtigen. Letztlich räumt die Beklagte dies in der Klageerwiderung auch ein, indem sie vorträgt, dass die Steuern und Gebühren für einen Flug als Fixkosten einkalkuliert werden, aber nicht für den einzelnen Fluggast ausgerechnet werden. Hinzu kommt, dass sich die Beklagte nach § 648 S. 2 BGB sämtliche ersparten Aufwendungen anrechnen lassen muss. Dem Zweck dieser Vorschrift nach ist daher auch über evtl. nicht in den Flugpreis einkalkulierte Gebühren, Steuern und Zuschläge erfasst. Schließlich muss die Beklagte bei Nichtantritt des Fluges unabhängig von der konkreten Preiskalkulation diese Posten selbst nicht bezahlen.
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Soweit die Fälle Nummer 30, 31, 5, 37, 39, 42, 44, 51, 57, 60, 89 und 120 nach österreichischem Recht zu beurteilen sind, ist festzustellen, dass der Auskunfts- und Erstattungsanspruch nach österreichischem Recht unstreitig geblieben ist. Im Übrigen ergibt sich aus § 1168 ABGB ein dem § 648 S. 2 BGB identischer Erstattungsanspruch nach österreichischem Recht. Insoweit wird auf die klägerseits vorgelegte Entscheidung des Bezirksgerichts Schwechat (Teilurteil vom 30.09.2021, Az. 21 C 174/21, BeckRS 2021, 30023) Bezug genommen.
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III. Die Kostenentscheidung ist wegen des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung der Schlussentscheidung vorzubehalten.
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IV. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO. Maßgeblich ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der überwiegenden Literaturmeinung der voraussichtliche Aufwand an Zeit und Kosten der Auskunftserteilung (vgl. BGH NJW 1995, 664; BGH BeckRS 2018, 5740 mwN). Dieser Aufwand muss vorliegend geschätzt werden, weil keine der Parteien nähere Angaben hierzu gemacht hat. Nachdem 126 einzelne Vorgänge, teilweise mit mehreren Fluggästen, von der Beklagten zu prüfen sind und das Ergebnis der Prüfung dann zur begehrten Auskunft in ein Schriftstück zu überführen ist, geht das Gericht von einem erheblichen Zeit- und Personalaufwand bei der Beklagten aus. Selbst bei zurückhaltender Schätzung von nur 15 Minuten für einen einzelnen Prüfvorgang ergibt sich allein hierfür ein Zeitaufwand von 31,5 Stunden. Hinzu kommt die Zusammenfassung der Prüfungsergebnisse und Erstellung des die Auskunft beinhaltenden Schriftstücks nebst etwaiger Abstimmung mit den Prozessbevollmächtigten etc., sodass ein Zeitaufwand von mindestens 50 Stunden nicht unwahrscheinlich ist. Multipliziert mit einem geschätzten Kostenfaktor von mindestens 30,00 € / Stunde ergibt sich ein Betrag von 1.500,00 €. Diesen Betrag hat das Gericht noch um einen Sicherheitspuffer von 10% erhöht, sodass sich die Sicherheitsleistung von 1.650,00 € ergibt.