Titel:
Sittenwidrigkeit, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Abschalteinrichtung, verfassungsmäßig berufener Vertreter, Schlussanträge des Generalanwaltes, Arglistige Täuschung, Sekundäre Darlegungslast, Gerichtshof der Europäischen Union, Kosten des Berufungsverfahrens, Greifbare Anhaltspunkte, Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Hinweisbeschluss, Verfahrensaussetzung, Selbstbestimmungsrecht, Kostenentscheidung, Sicherheitsleistung, Zug-um-Zug, Europäischer Gerichtshof, Aufklärungspflicht, Außergerichtliche Rechtsverfolgung
Schlagworte:
Schadensersatz, Abschalteinrichtung, Sittenwidrigkeit, Beweislast, Urkundenvorlage, Schaden im Rechtssinne, Kostenentscheidung
Vorinstanzen:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 08.04.2022 – 27 U 872/22
LG Augsburg vom 01.02.2022 – 31 O 2410/21
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 20.11.2023 – VIa ZR 988/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 52796
Tenor
1. Der Antrag der Klägerin, das Verfahren gemäß § 148 ZPO bis zur Entscheidung des Rechtsstreits vor dem Europäischen Gerichtshof im Verfahren ... auszusetzen, wird zurückgewiesen.
2. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 01.02.2022, Aktenzeichen 031 O 2410/21, wird zurückgewiesen.
3. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
4. Das in Ziffer 2 genannte Urteil des Landgerichts Augsburg und dieser Beschluss sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 40.000,00 € festgesetzt.
Gründe
1
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Diesel-Pkws.
2
Die Klägerin erwarb mit Kaufvertrag vom 16.06.2015 bei der ...einen Gebrauchtwagen BMW X 3, Fahrzeug-Identifizierungsnummer (FIN): …, Erstzulassung: 12.03.2015, Kilometerstand bei Erwerb: 4.432 km, ausgestattet mit einem Dieselmotor Typ B47, eingestuft in die AbgasnormEU 6, zum Preis von 47.500,00 € brutto. Das Fahrzeug ist mit einem Abgasrückführungssystem ausgestattet, bei dem zur Reduzierung umweltschädlicher Stickoxid-(NOx-)Emissionen ein Teil der beim Verbrennungsvorgang entstehende Gase zur erneuten Verbrennung in das Ansaugsystem des Motors zurückgeleitet wird.
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Im Übrigen wird hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes und der Anträge erster Instanz auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts Augsburg vom 01.02.2022, Az. 031 O 2410/21, Bezug genommen.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
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Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass es auf Basis des klägerischen Vortrags mangels greifbarer Anhaltspunkte für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht darauf zu schließen vermocht habe, dass die Beklagte vorsätzlich sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB gehandelt habe.
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Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin, die in der Berufungsinstanz beantragt, unter Abänderung des am 10.02.2022 verkündeten Urteils:
I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei Euro 37.213,99 nebst Zinsen aus Euro 37.213,99 hieraus in Höhe von 5% Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 06.05.2021 zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen die Übereignung und Herausgabe des PKW Typs BMW X3, FIN: ….
II. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei Euro 11.202,19 Deliktszinsen zu bezahlen, Zug um Zug gegen die Übereignung und Herausgabe des Pkw Typs BMW X3, FIN: ….
III. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des in Antrag I genannten Fahrzeugs seit dem 06.05.2021 in Verzug befindet.
IV. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von Euro 2.017,65 vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten freizustellen.
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Zur Begründung ihres Rechtsmittels führt die Klägerin im Wesentlichen aus, das Landgericht habe rechtsfehlerhaft die Klage abgewiesen und einen Anspruch der Klägerin aus § 826 BGB zu Unrecht verneint.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvortrags wird auf die Berufungsbegründung vom 04.04.2022 Bezug genommen.
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Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 01.02.2022, Aktenzeichen 031 O 2410/21, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
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Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen. Der Senat bleibt bei seiner im Hinweis vom 08.04.2022 ausführlich dargelegten Rechtsauffassung, auf die gemäß § 522 Abs. 2 S. 3 ZPO Bezug genommen wird.
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Die Anträge der Klägerin haben keinen Erfolg. Die fristgerechte Stellungnahme der Klägerin vom 13.06.2022 enthält keine neuen Gesichtspunkte, die eine andere Entscheidung rechtfertigen könnten. Der Senat hat das Vorbringen der Klägerin zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen (vgl. BVerfG, NJW 2021, 3525 Rn. 13; BayObLG, Beschluss vom 16.02.2022 – 101 Sch 60/21, BeckRS 2022, 2046 Rn. 50). Er hat die Angriffe der Berufung in vollem Umfang geprüft, aber die Beanstandungen sämtlich für nicht durchgreifend erachtet. Soweit die Klägerin der rechtlichen Einschätzung des Senats im Hinweisbeschluss vom 08.04.2022 mit rechtlichen Ausführungen entgegentreten ist (vgl. BGH, ZfBR 2022, 356 Rn. 7 ff.; BGH, NJW-RR 2021, 1507 Rn. 12 ff.; BGH, NJW 2020, 1740 Rn. 16), ist unter Berücksichtigung des Umstands, dass es nicht erforderlich ist, alle Einzelpunkte des Parteivortrags in den Gründen einer Entscheidung auch ausdrücklich zu bescheiden (vgl. BVerfG, NJW 1997, 2310, 2312; BGH, Beschluss vom 20.09.2021 – IX ZR 46/19, BeckRS 2021, 31643 Rn. 1), deshalb lediglich ergänzend auszuführen wie folgt:
„1. Einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union bzw. einer Aussetzung (§ 148 ZPO analog) des Rechtsstreits bis zum Vorliegen einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über anderweitige Vorlagen nach Art. 267 Abs. 3 AEUV bedarf es nicht. Der Senat ist nicht verpflichtet ist, bei Vorlagen nach Art. 267 Abs. 1 – 3 AEUV die Antwort abzuwarten und das rechtshängige Verfahren analog § 148 ZPO auszusetzen (vgl. BGH, NVwZ-RR 2020, 436 Rn. 51) .“
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Auch mit Blick auf die Stellungnahme der Europäischen Kommission vom 19.12.2019 in der beim Gerichtshof der Europäischen Union anhängigen Rechtssache Az. C-663/19 und die Schlussanträge des Generalanwalts am Europäischen Gerichtshof vom 23.09.2021 in den Rechtssachen EuGH Az. C-128/20, EuGH Az. C-134/20 und EuGH Az. C-145/20 besteht kein vernünftiger Zweifel, dass die durch § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV umgesetzten Vorschriften der RL 2007/46/EG und die Vorschrift des Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 nicht den Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts und damit den Schutz des Käufers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrags bezwecken (vgl. BGH, Beschluss vom 14.02.2022 – VIa ZR 204/21, BeckRS 2022, 3564 m. w. N.). Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Gesetz- und Verordnungsgeber mit § 6 Abs. 1 EG-FGV, § 27 Abs. 1 EG-FGV (auch) einen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts der einzelnen Käufer bezweckte und an die (auch fahrlässige) Erteilung einer inhaltlich unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung einen gegen den Hersteller gerichteten Anspruch auf (Rück-)Abwicklung eines mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrags hätte knüpfen wollen (vgl. BGH, Beschluss vom 13.10.2021 – VII ZR 545/21, BeckRS 2021, 34454 Rn. 3).
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Hinsichtlich der vorgenannten Schlussanträge des Generalanwalts vom 23.09.2021 und bezüglich der von der Klägerin angesprochenen Schlussanträge des Generalanwalts vom 02.06.2022 ist ergänzend anzumerken, dass nach Art. 252 Abs. 2 AEUV der Generalanwalt öffentlich in völliger Unparteilichkeit und Unabhängigkeit begründete Schlussanträge zu den Rechtssachen, in denen nach der Satzung des Europäischen Gerichtshofs seine Mitwirkung erforderlich ist, stellt. Der Europäischen Gerichtshof ist weder an diese Schlussanträge noch an ihre Begründung durch den Generalanwalt gebunden (vgl. EuGH, NJW 2020, 667 Rn. 49), sodass kein Anlass besteht, im Hinblick auf die von der Klägerin im Schriftsatz vom 13.06.2022 in Bezug genommenen Schlussanträge des Generalanwalts in der Rechtssache C-100/21 im vorliegenden Berufungsverfahren ein Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union in der vorgenannten Rechtssache abzuwarten.
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2. Ein sittenwidriges Vorgehen der Beklagten kommt in Betracht, wenn deren verfassungsmäßig berufene Vertreter zumindest wussten, dass die Motoren des streitgegenständlichen Typs mit einer auf arglistige Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts abzielenden Prüfstanderkennungssoftware ausgestattet waren, und die von der Beklagten hergestellten Fahrzeuge in Kenntnis dieses Umstandes mit diesem Motor versahen und in den Verkehr brachten (vgl. BGH, Urteil vom 21.12.2021 – VI ZR 875/20, BeckRS 2021, 44363 Rn. 11). Zwar kann bei Vorliegen weiterer Umstände auch die Funktionsweise einer Abschalteinrichtung, wenn sie nicht prüfstandsbezogen ist, Rückschlüsse auf eine als sittenwidrig zu bewertende Täuschungsabsicht der Beklagten zulassen (vgl. BGH, Beschluss vom 29.09.2021 – VII ZR 126/21, BeckRS 2021, 33038 Rn. 19). Umstände, die auf eine sittenwidrige Bewusstseinslage der Beklagten schließen ließen, werden vorliegend aber von der Klagepartei weder dargelegt noch sind diese ersichtlich.
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a) Der Hinweis der Klägerin auf Diskrepanzen zwischen Stickoxidemissionen unter Prüfstandbedingungen, die nach damaliger Rechtslage (Euro-6-Norm) zur Erlangung der EG-Typgenehmigung allein maßgeblich waren, und unter normalen Betriebsbedingungen auf der Straße genügt als greifbarer Anhaltspunkt für die Verwendung einer unzulässigen Steuerungsstrategie seitens der Beklagten nicht (vgl. BGH, NZV 2021, 525 Rn. 23). Soweit die Klägerin sich in diesem Zusammenhang auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 25.11.2021, Az. III ZR 202/20, BeckRS 2021, 41003 beruft, dringt sie damit nicht durch. Denn der dortige Kläger hatte – anders als vorliegend die Klagepartei – greifbare Anhaltspunkte vorgetragen, die den Verdacht begründeten, das Fahrzeug weise eine unzulässige Abschalteinrichtung auf. Nach den bindenden tatbestandlichen Feststellungen des Berufungsgerichts hatte die Beklagte im vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall nicht in Abrede gestellt, dass die Motorsteuerungssoftware erkennen könne, ob nur die Antriebsachse rotiert, der Lenkradeinschlag nicht mehr als 15 Grad beträgt und Radio sowie Multimedia-Einheit ausgeschaltet sind (vgl. BGH, Beschluss vom 25.11.2021 – III ZR 202/20, BeckRS 2021, 41003 Rn. 17). Im Übrigen sprechen höhere Abgaswerte im Realbetrieb im Vergleich zu den Werten im Rahmen des NEFZ nicht per se für das Vorliegen einer Abschalteinrichtung. Die Abweichung der Messwerte im Realbetrieb von den Messwerten nach NEFZ ist als Indiz für eine Abschalteinrichtung, und noch dazu für eine Manipulationssoftware, die die Voraussetzungen des § 826 BGB erfüllen könnte, angesichts der gravierenden Unterschiede der Bedingungen, unter denen die Messung erfolgt, ungeeignet (vgl. BGH, Hinweisbeschluss vom 15.09.2021 – VII ZR 2/21, BeckRS 2021, 37995 Rn. 30). Es ist außerdem allgemein bekannt – und in der VO 715/2007/EG auch ersichtlich –, dass die auf dem Rollenprüfstand bei genau spezifizierten Bedingungen ermittelten Werte für Kraftstoffverbrauch und Emissionen nicht immer und bedingungslos auch denjenigen entsprechen – und auch bis jetzt nicht entsprechen mussten –, die im realen Betrieb in verschiedenen Verkehrssituationen und bei unterschiedlichen Witterungsbedingungen und Fahrweisen anfallen (vgl. LG Stuttgart, Urteil vom 29.10.2021 – 19 O 20/21, BeckRS 2021, 34446 Rn. 65 ff.).
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Anders als die Berufung meint, ist der Vortrag der Klägerin von der Beklagten auch wirksam bestritten. Die Last, sich auf die Behauptungen des Gegners zu erklären, setzt entsprechend schlüssige Behauptungen voraus (vgl. Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 19. Auflage 2022, § 138 Rn. 10; Zöller/Greger, ZPO, 34. Auflage 2022, § 138 Rn. 9). Sachvortrag ist schlüssig oder erheblich, wenn Tatsachen vorgetragen werden, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte (Gegen-)Recht zu begründen (vgl. BGH, NJ 2019, 346, 347). Da von vornherein unschlüssiger Vortrag gerade nicht den Schluss auf die geltend gemachte Rechtsfolge zulässt, muss er im Grunde nicht bestritten werde, um die Folge nach § 138 Abs. 3 ZPO auszuschließen (vgl. MüKoZPO/Fritsche, 6. Auflage 2020, ZPO § 138 Rn. 18). Ungeachtet dessen hat die Beklagte bereits in der Klageerwiderung dargelegt, das aus ihrer Sicht die Klägerin unsubstantiiert ins Blaue hinein vorgetragen habe. Unter diesen Umständen kann nicht geschlossen werden, dass die Beklagte Vortrag der Klägerin unstreitig stellen wollte.
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b) Allein aus einer objektiven Unzulässigkeit der von der Klägerin unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des Sachverständigen Dr. M. H. vom 09.12.2021 behaupteten Abschalteinrichtung in Gestalt der Funktion „Kaltstartheizen“ folgt kein Vorsatz hinsichtlich der Schädigung der Fahrzeugkäufer (vgl. BGH, Beschluss vom 10.11.2021 – VII ZR 415/21, BeckRS 2021, 45434 Rn. 37). Bei den von der Klägerin bezüglich der Funktion des Kaltstartheizens benannten Zeugen bleibt unklar, inwieweit sie ohne einen nicht vorgetragenen konkreten Bezug zum streitgegenständlichen Fahrzeug mit dem Motortyp B47 Angaben zu einer möglichen strategischen Entscheidung des Vorstands der Beklagten geben können. Der Beweisantritt der Klägerin dient der Ausforschung von Tatsachen, die es ihr erst ermöglichen könnten, die behauptete Kenntnis bzw. Billigung/Veranlassung der Verwendung der (nach Auffassung der Klägerin unzulässigen) Funktion des Kaltstartheizens substantiiert vorzutragen. Bezüglich der sekundären Darlegungslast der Beklagten geben die Ausführungen der Klägerin im Schriftsatz vom 13.06.2022 keinen Anlass, die vom Senat hierzu vertretene Rechtsauffassung zu ändern.
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c) Eine sekundäre Darlegungslast begründet keine prozessuale Verpflichtung, Urkunden vorzulegen. Eine Pflicht zur Vorlage von Urkunden der nicht beweisbelasteten Partei folgt nur aus den speziellen Vorschriften der §§ 422, 423 ZPO oder aus einer Anordnung des Gerichts nach § 142 Abs. 1 ZPO (vgl. BGH, Beschluss vom 23.02.2022 – VII ZR 252/20, BeckRS 2022, 9437 Rn. 13).
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Für eine Anordnung des Senats gemäß §§ 273 Abs. 2 Nr. 5, 142 Abs. 1 ZPO gegenüber der Beklagten des Inhalts, dass dieser aufgegeben wird, Entscheidungs- und Ergebnisunterlagen zur Entscheidung der Verwendung von Abschalteinrichtungen im Zusammenhang mit der Beantragung der Typgenehmigung für das streitgegenständliche Fahrzeug offenzulegen und diese zur Akte zu reichen, besteht unter Berücksichtigung insbesondere der DIN EN ISO 9001 als Norm im Qualitätsmanagement sowie des möglichen Erkenntniswertes und der Verhältnismäßigkeit einer Anordnung, des Umstandes, dass die gesamte Softwareausstattung des streitgegenständlichen Fahrzeugs der Klägerin nicht zugänglich ist, und unter Beachtung berechtigte Belange des Geheimnis- und Persönlichkeitsschutzes der Beklagten kein Anlass. Die pauschale Aufforderung zur Vorlage ganzer Urkundensammlungen ist nach § 142 ZPO unzulässig (BGH, NJW 2014, 3312 Rn. 28; Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, 43. Auflage 2022, § 142 Rn. 1). Die Urkunde ist – was hier nicht der Fall ist – dann konkret benannt, wenn der Antragsteller sie nach Art, Datum und Inhalt zu beschreiben vermag (vgl. Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 142 Rn. 1). Bezeichnet eine Prozesspartei die von ihr zur Vorlegung begehrte Urkunde so genau, so liegt darin keine prozessordnungswidrige Ausforschung. Allerdings befreit auch die Vorschrift des § 142 ZPO die Partei, die sich auf eine Urkunde bezieht, nicht von ihrer Darlegungs- und Substanziierungslast (vgl. BGH, NJW 2014, 3312 Rn. 29). Dementsprechend darf das Gericht die Urkundenvorlegung nicht zum Zwecke bloßer Informationsgewinnung, sondern nur bei Vorliegen eines schlüssigen, auf konkrete Tatsachen bezogenen Vortrags anordnen (vgl. BGH, NJW 2014, 3312 Rn. 29). Dieses ist hier nicht der Fall. Eine allgemeine prozessuale Aufklärungspflicht der nicht darlegungs- und beweispflichtigen Partei besteht nicht (vgl. BGH, NJW 2007, 155 Rn. 7).
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Vorliegend kann das Verhalten der Beklagten – unabhängig von der Frage der Tatbestandswirkung der EG-Typgenehmigung – bei der gebotenen Gesamtbetrachtung mangels eines objektiv sittenwidrigen Handelns mit dem Ziel der Kostensenkung und Gewinnmaximierung nicht einer arglistigen Täuschung der Typgenehmigungsbehörde bzw. der Klägerin als Fahrzeugerwerberin gleichgesetzt werden. Es ist weder ein objektiv sittenwidriges noch ein vorsätzliches Handeln der Beklagten dargetan. Allein aus einer objektiven Unzulässigkeit der von der Klägerin behaupteten Abschalteinrichtungen folgt kein Vorsatz hinsichtlich der Schädigung der Fahrzeugkäufer (vgl. BGH, Beschluss vom 10.11.2021 – VII ZR 415/21, BeckRS 2021, 45434 Rn. 37). Die Darlegungen der Klägerin in ihrer Gegenerklärung gebieten keine andere rechtliche Beurteilung.
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3. Schließlich hat der Senat in seinem Hinweisbeschluss vom 08.04.2022 umfangreich dargelegt, dass und weshalb (in voller Übereinstimmung mit dem landgerichtlichen Urteil) nach wie vor nicht ersichtlich ist, inwieweit der Klägerin durch den Erwerb des streitgegenständlichen Fahrzeugs ein Schaden im Rechtssinne entstanden sein soll. In diesem Zusammenhang wurde auch beanstandet, dass die Berufungsbegründung hierzu außer allgemeinen Überlegungen keine konkreten Angriffe führt.
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Gleichwohl verhält sich die Gegenerklärung der Klägerin hierzu nicht. Stattdessen werden auf 10 Seiten der Stellungnahme der Klägerin „Beweisbeschlüsse in Parallelverfahren“ referiert, die von bundesdeutschen Gerichten zu unterschiedlichsten, von der Beklagten hergestellten Motoren erlassen worden seien. Dies kann nicht zum Ziel führen.
23
Die Berufung der Klägerin erweist sich damit nach wie vor als offensichtlich unbegründet.
24
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
25
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.