Inhalt

OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss v. 01.02.2022 – 1 U 4358/21
Titel:

verfassungsmäßig berufener Vertreter, Sittenwidrige Schädigung, Feststellungen des Berufungsgerichts, Berufungsrücknahme, Darlegungs- und Beweislast, Substantiierung des Sachvortrags, Sekundäre Darlegungslast, Rücknahme der Berufung, Gelegenheit zur Stellungnahme, Gerichtsgebühren, Sittenwidrigkeit, Kostenverzeichnis, Übereinstimmungsbescheinigung, Selbstbestimmungsrecht, Rückabwicklung, Persönlicher Schutzbereich, Subjektive Voraussetzungen, VW-Abgasskandal, Schutzbereich der Norm, Manipulations-Software

Schlagworte:
Kaufvertrag, Abgasreinigung, Abschalteinrichtungen, Thermofenster, Rückruf, Beweislast, Schutzgesetz, Sittenwidrigkeit, Abschalteinrichtung, Schädigungsvorsatz, Kenntnis der verantwortlichen Personen, Typengenehmigung, Fahrlässige Aufsichtspflichtverletzung, Emissionskontrollsystem, Kaltlaufheizen, Prüfstandbezogenheit, Gewinnerzielungsabsicht, Bewusstsein, Sekundäre Darlegungslast, Manipulationssoftware, Abgasrückführung, Typengenehmigungsverfahren, Haftung, Anspruch, Substantiierungspflicht, Kenntnis von Organen, sekundäre Darlegungslast, unzulässige Abschalteinrichtung, Schlagworte: Schadensersatzanspruch, Aufgabenbereich von Normen, Berufungsrücknahme., Stickoxidemissionen, Verschleierungsvorsatz, Bewusstsein der handelnden Personen
Vorinstanz:
LG Regensburg, Urteil vom 03.11.2021 – 31 O 1846/19
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Nürnberg, Beschluss vom 09.03.2022 – 1 U 4358/21
BGH Karlsruhe, Urteil vom 23.10.2023 – VIa ZR 476/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 52436

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 03.11.2021, Az. 31 O 1846/19, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

Entscheidungsgründe

I.
1
1. Die Klagepartei erwarb am 10.04.2013 von einer Privatperson ein gebrauchtes Fahrzeug der Modellreihe ... X3 zu einem Preis von 42.000,00 €. Herstellerin dieses Fahrzeugs ist die Beklagte. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor der Baureihe N47 (mit der internen Bezeichnung ...) ausgestattet. Die Abgasreduktion erfolgt im streitgegenständlichen Fahrzeug ferner über die Abgasrückführung. Dabei wird ein Teil der Abgase wieder der Verbrennung im Motor zugeführt, was zu einer Verringerung der Stickoxidemissionen führt. Bei niedrigen und hohen Außentemperaturen wird die Abgasrückführungsrate reduziert und schließlich ganz abgeschaltet.
2
Für den Fahrzeugtyp wurde eine Typengenehmigung mit der Schadstoffklasse „Euro 5“ erteilt. Das Fahrzeug unterliegt keinem offiziellen Rückruf des Kraftfahrtbundesamts wegen des Einsatzes einer unzulässigen Abschalteinrichtung.
3
Der Kläger ist der Auffassung, dass die Beklagte in dem von ihm erworbenen Fahrzeug Mechanismen zur illegalen Reduzierung der Abgasreinigung verbaut hat. Auf dem Prüfstand (NEFZ) würde die Abgasrückführung voll eingesetzt, sodass die Grenzwerte eingehalten werden könnten. Im normalen Straßenverkehr hingegen werde die Abgasrückführung durch Abschaltvorrichtungen heruntergefahren bzw. ausgeschaltet. Dies führe dazu, dass die Werte des streitgegenständlichen Fahrzeugs im Realbetrieb stark von denen im Prüfstandbetrieb abweichen würden. Der Kläger bezieht sich insoweit auf verschiedene Messungen u. a. des Bundesumweltamtes (gemeinsam mit der TU Graz), der Deutschen Umwelthilfe, er Untersuchungskommission Volkswagen und unveröffentlicht Messungen des Kraftfahrtbundesamtes.
4
In dem Fahrzeug sei ein sogenanntes „Thermofenster“ eingebaut, welches dazu führe, dass in einem Temperaturbereich zwischen 20 und 30 Grad Celsius eine optimale Abgasrückführung stattfinde. In anderen Temperaturbereichen werde die Abgasrückführung hingegen reduziert und schließlich (bei über 33 oder unter 17 Grad Celsius) ganz abgeschaltet. Ab einer Drehzahl von 2.900 U/Min. werde die Abgasrückführung reduziert und ab 3.300 U/Min. ganz abgeschaltet Darüber hinaus würden weitere Faktoren, welche der Kläger als „hard cycle beating“ bezeichnet und näher präzisiert (Bl. Seite 79 bis 82 der Berufungsbegründung noch einmal zusammenfassend), dafür sorgen, dass die Emissionsstrategie nur auf dem Prüfstand optimal sei. Die Beklagte habe eine unternehmerische Entscheidung dahingehend getroffen, zur Vermeidung von Kosten die Fahrzeuge so zu konstruieren, dass sie nur auf dem NEFZ-Prüfstand die Abgasreinigung optimal vornehmen würden. Ab einer Gesamtleistung von 60.000 km würde die Abgasrückführung völlig abgeschaltet. Es handle sich insoweit um eine „flottenübergreifende Entscheidung für die Beklagte“; allen Beteiligten sei bewusst gewesen, dass ein Verstoß gegen die einschlägigen Normen, insbesondere der Verordnung 715/2007 (EG) vorliege. Darüber hinaus sei auch das Onboard-Diagnosesystem (OBD) manipuliert worden.
5
Die Beklagte habe auch im Typengenehmigungsverfahren gegenüber dem Kraftfahrtbundesamt nicht alle relevanten Angaben im Hinblick auf die Abschalteinrichtungen gemacht. Sie trage daher eine sekundäre Darlegungslast und müsse nachweisen, dass sie alle relevanten Fakten dem Kraftfahrtbundesamt zur Kenntnis gebracht habe.
6
Mit Schriftsatz vom 21.07.2021 (zu Bl. 406 d. A.) trägt die Klagepartei erstmals zu einer weiteren aus ihrer Sicht eingebauten Abschalteinrichtung, dem sogenannten „Kaltlaufheizen“.
7
Die Beklagte hat den Einbau illegaler Abschalteinrichtung bestritten. Die Untersuchungskommission Volkswagen habe den klägerischen Vorwurf widerlegt und unter anderem auch einen vergleichbaren Motor überprüft. Dabei sei festgestellt worden, dass die Messwerte des Fahrzeuges in „unauffälliger Höhe“ liegen würden. Die Beklagte legt ferner amtliche Auskünfte des Kraftfahrtbundesamtes vor, aus welchen sich ergebe, dass das Kraftfahrtbundesamt den identischen Motor überprüft und festgestellt habe, dass darin keine unzulässigen Abschalteinrichtungen verbaut seien. Dabei habe das Kraftfahrtbundesamt Kenntnis von der Funktionsweise des Motors und auch der Verwendung eines Thermofensters gehabt. Die Beklagte legt ferner dar, dass das streitgegenständliche Fahrzeug nicht von einem Rückruf betroffen ist und verweist drauf, dass ein gegen die Beklagte geführtes Ermittlungsverfahren laut Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft M. I vom 25.02.2019 eingestellt worden sei. Amtliche Auskünfte des Kraftfahrbundesamtes (Anlage B 10) würden belegen, dass in dem streitgegenständlichen Motortyp keine unzulässigen Abschalteinrichtungen eingebaut seien.
8
Der Kläger hat in erster Instanz einen Anspruch auf Zahlung von zuletzt 42.000,00 € nebst Zinsen verlangt. Darüber hinaus hat er die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.965,88 € geltend gemacht.
9
2. Das Landgericht Regensburg hat die Klage mit Urteil vom 03.11.2021 (Bl. 427ff d. A.) abgewiesen. Auf die Urteilsgründe wird Bezug genommen.
10
3. Hiergegen richtet sich die Berufung der Klagepartei. Der Kläger führt zunächst aus, dass er gemessen an den Maßstäben des Bundesgerichtshofs hinreichend substantiiert vorgetragen habe. Der Vortrag zum Kaltlaufheizen wird in der Berufungsbegründung wiederholt und vertieft (Seite 6 bis 18 der Berufungsbegründung). Der Kläger rügt, dass das Landgericht Regensburg die angebotenen Beweise zu Unrecht nicht erhoben habe. Er bezieht sich ferner auf ein Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 31.03.2020, aus welchem er wörtlich zitiert und welches er sich inhaltlich zu eigen macht. Darüber hinaus würden Beweisbeschlüsse in anderen Verfahren zeigen, dass der Kläger hinreichend substantiiert vorgetragen habe.
11
Der Kläger legt ein Gutachten des vor, welches dieser für das Landgericht Frankfurt erstellt hat. Daraus würde sich ergeben, dass die Beklagte unzulässige Abschalteinrichtungen eingebaut habe. Der Kläger rügt ferner, dass das Landgericht Regensburg die Beweislast im Hinblick auf das Thermofenster verkannt habe. Rechtlich hält er an seiner Auffassung fest, dass es sich bei der EG-FGV um ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB handeln würde.
12
Mit Schriftsatz vom 31.01.2022 (Bl. 614 d. A.) verteidigt die Beklagte das erstinstanzliche Urteil.
II.
13
Die Berufung des Klägers hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Das Erstgericht hat ohne Rechtsverletzung (§ 513 Abs. 1, § 546 ZPO) angenommen, dass der Klagepartei die geltend gemachten Ansprüche unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zustehen.
A.
14
Vertragliche Ansprüche bestehen zunächst nicht, da Vertragspartner des Kaufvertrages nicht die Beklagte ist.
15
Auch eine Haftung nach § 311 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 BGB wegen der Verletzung vorvertraglicher Pflichten kommt nicht in Betracht. Nach den Grundsätzen für eine Haftung aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen (cic) soll ein Schadensersatzanspruch eines nicht an einem Vertrag beteiligten Dritten auch dann möglich sein, wenn der Dritte in besonderem Maße persönliches Vertrauen für sich in Anspruch nimmt und dadurch die Vertragsverhandlungen oder den Vertragsschluss wesentlich beeinflusst (vgl. Palandt/Grüneberg, 80. Aufl., BGB § 311 Rn. 60 m.w.N.). Ferner wird eine Eigenhaftung eines Dritten wegen besonderer Umstände, etwa wegen eines besonderen wirtschaftlichen Eigeninteresses, als möglich angesehen. Voraussetzung ist, dass der selbst nicht am Vertrag beteiligte Dritte wirtschaftlich gleichsam in eigener Sache handelnd erscheint (vgl. BGH, Urteil vom 13.06.2002 – VII ZR 30/01-, beck online mit weiteren Nachweisen), oder wenn der Dritte im Vorfeld der Vertragsverhandlungen Erklärungen abgegeben hat, die sich zumindest im Bereich einer Garantie bewegen. Die Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens setzt weiter voraus, dass der Dritte entweder an den Vertragsverhandlungen selbst beteiligt ist oder im Rahmen der Vertragsverhandlungen mit einem Anspruch auf Vertrauen hervortritt (BGH, NJW-RR 2005, 23, beck-online).
16
Diese Voraussetzungen liegen erkennbar nicht vor. Die Beklagte war an dem Abschluss des Kaufvertrages zwischen dem Kläger und der verkaufenden Firma weder mittelbar noch unmittelbar beteiligt. Insoweit hat sie auch keine Erklärungen abgegeben, mit der sie das konkrete Vertragsverhältnis beeinflusst haben könnte. Die Ausstellung der EU-Übereinstimmungsbescheinigung durch die Beklagte als Herstellerin des Fahrzeugs erfolgte längere Zeit vor dem Kauf des Fahrzeugs durch den Kläger und ist nicht mit der Abgabe einer persönlichen Erklärung einer Person, die ein besonderes Vertrauen genießt und auf den potentiellen Käufer einwirkt, gleichzusetzen.
B.
17
1. Dem Kläger stehen keine Ansprüche aus §§ 826, 31 BGB gegen die Beklagte zu.
18
Um Ansprüche nach den §§ 826, 31 BGB im Zusammenhang mit der Verwendung einer etwaigen Manipulationssoftware geltend machen zu können, müsste der Kläger sowohl zu den objektiven als auch zu den subjektiven Voraussetzungen einer Haftung und insbesondere zur Kenntnis der für die Beklagte handelnden Organe substantiiert vortragen. § 826 BGB setzt voraus, dass „in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich ein Schaden zugefügt wurde“. Dabei sind tatbestandlich vier Voraussetzungen zu erfüllen, um einen Anspruch zu begründen: Eintritt eines Schadens, Verursachung des Schadens durch den Täter, Sittenwidrigkeit des ursächlichen Verhaltens des Täters und vorsätzliches Handeln (vgl. etwa MüKo, 8. Auflage 2020, Rdn. 8 zu § 826 BGB). Grundsätzlich trägt die Klagepartei die Darlegungs- und Beweislast sowohl für die sittenwidrige Schädigung als auch für den Vorsatz. Eine etwaige sekundäre Darlegungslast der Gegenseite kommt nur ganz ausnahmsweise und unter ganz besonderen tatsächlichen Umständen zum Tragen, setzt aber ebenfalls zunächst voraus, dass der Anspruchsteller zumindest hinreichend greifbare Anhaltspunkte für die Verwendung einer Manipulationssoftware und das Vorliegen eines Schädigungsvorsatzes dargelegt hat (OLG München, Beschluss vom 29.08.2019, Az. 8 U 1449/19, Rdn. 74 zitiert nach juris). Dies hat der Kläger nicht getan.
19
a) Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 28.01.2020, Az. VIII ZR 57/19, zu den Substantiierungsanforderungen an die Darlegung des Vorhandenseins eines Sachmangels wegen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einen Dieselmotor zwar entschieden, dass die Anforderungen an die Substantiierungspflicht nicht überspannt werden dürften. Gemessen an den vom Bundesgerichtshof aufgestellten Grundsätzen genügt der Sachvortrag des Klägers jedoch nicht. Der Bundesgerichtshof hat in dem Beschluss vom 28.01.2020, Az. VIII ZR 57/19, ausgeführt, dass ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs bereits dann schlüssig und erheblich sei, wenn die Partei Tatsachen vortrage, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich seien, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Es sei einer Partei grundsätzlich nicht verwehrt, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Umstände zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitze und nicht erlangen könne, die sie aber nach Lage der Verhältnisse für wahrscheinlich oder für möglich halte. Dies gelte insbesondere dann, wenn sich die Partei auf nur vermutete Tatsachen stütze, weil sie mangels Sachkunde und Einblick in die Produktion des von der Gegenseite hergestellten und verwendeten Fahrzeugmotors einschließlich des Systems der Abgasrückführung oder -verminderung keine sichere Kenntnis von einzelnen Tatsachen haben könne.
20
Eine Behauptung sei erst dann unbeachtlich, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte über das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs gerade Wohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufgestellt worden sei (BGH Beschluss vom 28.01.2020, Az. VIII ZR 57/19, Rdn. 8 zitiert nach juris). Bei der Annahme von Willkür sei Zurückhaltung geboten. In der Regel werde sie nur beim Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte gerechtfertigt sein. Der Bundesgerichtshof ergänzt, dass vom Kläger lediglich zu fordern sei, dass er greifbare Umstände anführe, auf die er den Verdacht begründet, sein Fahrzeug weise eine oder mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen auf. In der Folge legt der Bundesgerichtshof dar, warum aus seiner Sicht der Kläger in dem dort zu entscheidenden Fall solche greifbaren Umstände angeführt hatte. Dieser habe unter anderem auf ein von der Staatsanwaltschaft Stuttgart eingeleitetes Ermittlungsverfahren hingewiesen. Zudem habe er auf eine Liste Bezug genommen, aus der sich ergebe, dass bereits im Jahr 2015 mehrere Fahrzeugtypen der dortigen Beklagten von einer Rückrufaktion betroffen waren. Schließlich habe ein Sachverhalt vorgelegen, bei welchem die Zulassungsbehörde eventuell Betriebsuntersagungen oder -beschränkungen vornehmen könnte.
21
Im Urteil vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, hat sich der Bundesgerichtshof grundsätzlich zur Darlegungslastverteilung im Hinblick auf die Kenntnis von Organen eines Konzerns verhalten. Das Urteil beschäftigt sich mit der Frage einer Haftung des VW-Konzerns aus § 826 BGB und in diesem Zusammenhang auch mit der Frage, in welchem Umfang eine sekundäre Darlegungslast für die Beklagte im Hinblick auf die Kenntnis der für sie handelnden Organe besteht. Dabei ist im Rahmen der Einordnung der Entscheidung des Bundesgerichtshofs davon auszugehen, dass dem Urteil die Feststellung des Berufungsgerichts zugrunde lag, wonach die dortige Beklagte eine für ihren Konzern grundlegende strategische Entscheidung bei der Motorentwicklung im eigenen Kosten- und damit auch Gewinninteresse, systematisch, langjährig und in Bezug auf den Dieselmotor der Baureihe EA189 in siebenstelligen Stückzahlen getroffen hatte und dabei eine Motorsteuersoftware bewusst und gewollt so programmiert hatte, dass die gesetzlichen Abgaswerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden, um das Kraftfahrtbundesamt bei der Erlangung der Typengenehmigung zu täuschen (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, Rdn. 16 zitiert nach juris).
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Ferner lag der Entscheidung des Bundesgerichtshofs die Feststellung zugrunde, dass die Abschalteinrichtung auf der Grundlage einer strategischen unternehmerischen Entscheidung über Jahre hinweg nicht nur im Unternehmen der dortigen Beklagten selbst, sondern auch bei mehreren Tochterunternehmen in verschiedenen Fahrzeugmodellen durch aktive, im Hinblick auf dieses Ergebnis gewollte, präzise Programmierung der Motorsteuersoftware zur Beeinträchtigung der Abgasrückführung in die Motorsteuerung eingebaut worden war, wobei bei einer Entdeckung der verwendeten Software eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung hätte erfolgen können (vgl. BGH a.a.O., Rdn. 19 zitiert nach juris).
23
Der Bundesgerichtshof führt in der Entscheidung aus, dass nach allgemeinen Grundsätzen derjenige, der einen Anspruch aus § 826 BGB geltend mache, die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen, das heißt sowohl für die Umstände, die die Schädigung und deren Sittenwidrigkeit in objektiver Hinsicht begründen, als auch für den zumindest bedingten Vorsatz des Schädigers hinsichtlich des Vorliegens dieser Umstände, trage (vgl. BGH a.a.O., Rdn. 35 zitiert nach juris).
24
In bestimmten Fällen sei es Sache der Gegenpartei, sich im Rahmen der ihr nach § 138 Abs. 2 ZPO obliegenden Erklärungspflicht zu den Behauptungen der beweispflichtigen Partei substantiiert zu äußern. Die Anforderungen an die Substantiierungslast des Bestreitenden hänge dabei davon ab, wie substantiiert der darlegungspflichtige Gegner vorgetragen habe. In der Regel genüge gegenüber einer Tatsachenbehauptung des darlegungspflichtigen Klägers das einfache Bestreiten des Beklagten. Ob und inwieweit die nicht darlegungsbelastete Partei ihren Sachvortrag substantiieren muss, lasse sich nur aus dem Wechselspiel von Vortrag und Gegenvortrag bestimmen, wobei die Ergänzung und Aufgliederung des Sachvortrags bei hinreichendem Gegenvortrag immer zunächst Sache der darlegungs- und beweispflichtigen Partei sei (vgl. BGH a.a.O., Rdn. 36). Der Bundesgerichtshof führt sodann aus, dass im Fall der Verwendung einer Manipulationssoftware durch den VW-Konzern die Beklagte dann eine sekundäre Darlegungslast treffe, wenn der Kläger hinreichende Anhaltspunkte für eine Kenntnis des Vorstands von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung vorgetragen habe. Dabei spreche die grundlegende Strategieentscheidung des Konzerns, weltweit alle Fahrzeuge mit Motoren der Serie EA189 mit einer Manipulationssoftware auszustatten, für eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten.
25
Der Bundesgerichtshof hat sich nunmehr im Beschluss vom 19.01.2021, Az. VI ZR 433/19, erstmals mit der Frage einer Haftung aus Deliktsrecht wegen des Einbaus eines Thermofensters befasst und dabei ausgeführt, dass die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) nicht bereits deshalb gegeben seien, weil die dortige Beklagte den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) ausgestattet und in den Verkehr gebracht habe. Dieses Verhalten sei für sich genommen nicht als sittenwidrig zu qualifizieren. Dies gelte auch dann, wenn die dortige Beklagte mit der Entwicklung und dem Einsatz dieser Steuerung eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinn erstrebt habe (vgl. BGH, Beschluss vom 19.01.2021, Rdn. 13 zitiert nach juris). Der Bundesgerichtshof geht dabei zugunsten des Klägers davon aus, dass es sich bei einer temperaturbeeinflussten Steuerung der Abgasrückführung um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 S. 1 der Verordnung 715/2007 (EG) handelt (vgl. BGH, a. a. O., Rdn. 16 zitiert nach juris).
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Der Fall des Einbaus eines „Thermofensters“ unterscheide sich von dem durch den Bundesgerichtshof mit Urteil vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, entschiedenen Fall, in welchem ein Automobilhersteller im eigenen Kosten- und Gewinninteresse die grundsätzliche unternehmerische Entscheidung getroffen hatte, dem Kraftfahrtbundesamt zwecks Erlangung der Typengenehmigung mittels einer eigens zu diesem Zweck entwickelten Motorsteuerungssoftware wahrheitswidrig vorzuspiegeln, dass die von ihm hergestellten Dieselfahrzeuge die neu festgelegten Grenzwerte einhalten würden (vgl. BGH a. a. O., Rdn. 17 zitiert nach juris). Bei dem Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems fehle es an einem derartigen arglistigen Vorgehen des beklagten Automobilherstellers, welches die Qualifikation seines Verhaltens als objektiv sittenwidrig rechtfertigen würde. Es handle sich insoweit nicht um eine Funktion, die bei erkanntem Prüfstandbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviere und den Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziere (vgl. BGH, a. a. O., Rdn. 18 zitiert nach juris). Der Vorwurf der Sittenwidrigkeit sei nur dann gerechtfertigt, wenn zu dem vom Bundesgerichtshof unterstellten Verstoß gegen die Verordnung 715/2007 (EG) weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Für diese Umstände trage der Kläger die Darlegungs- und Beweislast. Diese Entscheidung hat der Bundesgerichtshof mittlerweile in weiteren Entscheidungen – zuletzt in vier Entscheidungen am 16.09.2021 (vgl. Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 16.09.2021) und in einer Entscheidung vom 29.09.2021, Az. VII ZR 126/21, – bestätigt.
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Im Beschluss vom 29.09.2021, Az. VII ZR 126/21, hat der Bundesgerichtshof sich auch zur Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR) bei Daimler verhalten. Der Kläger trägt selbst vor, dass diese dem „Kaltlaufheizen“ vergleichbar sei. Der Bundesgerichtshof führt hier aus (BGH a. a. O., Rdn. 17 bei BeckRS 2021, 33038), dass selbst dann, wenn die KSR sich nur innerhalb eines kurzen Zeitraums auswirke das Berufungsgericht in vertretbarer und revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Würdigung des Sachvortrags eine Prüfstandbezogenheit der unzulässigen Abschalteinrichtung verneint hat. Das Kriterium der Prüfstandbezogenheit sei „grundsätzlich geeignet, um zwischen nur unzulässigen Abschalteinrichtungen und solche, deren Implementierung die Kriterien einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung erfüllen können, zu unterscheiden (BGH a.a.O., Rdn. 18).
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Der Bundesgerichtshof führt in diesem Beschluss auch zur Frage der Relevanz der Angaben im Typengenehmigungsverfahren aus, dass diese auch auf ein „heimliches und manipulatives Vorgehen oder eine Überlistung des KBA und damit auf einen bewussten Gesetzesverstoß hindeuten müssten (BGH, a.a.O., Rdn. 20).
29
Vor dem Hintergrund dieser Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zu den Anforderungen an die Substantiierung des Sachvortrages, zum Bestehen einer sekundären Darlegungslast; zum „Thermofenster“, zur Kühlmittelsolltemperatur und zur Relevanz der Angaben im Typengenehmigungsverfahren kommt der Senat im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis, dass der Kläger weder hinreichend substantiiert zur Verwendung einer Manipulationssoftware in dem streitgegenständlichen Fahrzeug noch substantiiert zu einem Vorsatz der Beklagten vorgetragen hat und dass darüber hinaus die Beklagte gemessen am Vortrag des Klägers keine sekundäre Darlegungslast trifft.
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b) Die Klagepartei hat die nach den dargestellten Rechtsprechungsmaßstäben des Bundesgerichtshofs erforderlichen, greifbaren Anhaltspunkte für ein objektiv sittenwidriges Verhalten der für die Beklagten handelnden Personen bezogen auf das streitgegenständliche Kraftfahrzeug der Modellreihe ... X3 nicht aufgezeigt.
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(1) Es ist zwar als unstreitig anzusehen, dass die Abgasrückführung im streitgegenständlichen Kraftfahrzeug der Klagepartei bei kühleren und sehr hohen Außentemperaturen reduziert und schließlich ganz abgeschaltet wird (sog. „Thermofenster“). Dies reicht aber nach den vorgenannten Rechtsprechungsgrundsätzen des Bundesgerichtshofs für sich genommen nicht aus, um das Verhalten der für die Beklagten handelnden Personen als sittenwidrig zu qualifizieren. Es kann dabei zugunsten der Klagepartei in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellt werden, dass die behauptete temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Artikel 5 Abs. 2 Satz 1 der VO (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren ist. Auch unter Berücksichtigung einer damit einhergehenden Gewinnerzielungsabsicht der Beklagten wäre der darin liegende Gesetzesverstoß für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz der Steuerungssoftware durch die für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen, hierfür bedürfte es weiterer Umstände (vgl. BGH, NJW 2021, 921, 923, Rn. 16).
32
(2) Soweit die Klagepartei darüber hinaus behauptet, dass die Abgasrückführung u.a. bei bestimmten Drehzahlen, Umgebungsdruckbedingungen, Geschwindigkeiten sowie Drehmomentzahlen reduziert und schließlich ganz deaktiviert werde, würde es sich wertungsmäßig um eine einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems vergleichbare Steuerung handeln. Auch eine solche Regelung der Motorsteuerungssoftware unterscheidet in ihrer Wirkungsweise nicht – wie bei dem VW-Motor des Typs ... – zwischen dem Betrieb auf dem Prüfstand und dem normalen Straßenbetrieb. Der Einbau dieser Regelung reicht daher zur Qualifizierung des Verhaltens der für die Beklagten handelnden Personen als sittenwidrig allein ebenso wie eine temperaturabhängige Abschalteinrichtung nicht aus.
33
(3) Soweit die Klagepartei weiter pauschal behauptet, dass die Emissionsstrategie ferner von der Lenkradstellung und dem Betrieb von Nebenverbrauchern beeinflusst werde, und dass die Abgasrückführung ab einer Laufleistung von 60.000 km schlichtweg ausgeschaltet werde, zeigt diese keinerlei Anhaltspunkte auf, worauf sie die Behauptung stützt. Der Vortrag ist „ins Blaue hinein“ aufgestellt und daher prozessual unbeachtlich.
34
(4) Die behauptete Funktion des „Kaltlaufheizens stellt ebenfalls keine prüfstandbezogene Abschalteinrichtung dar. Selbst wenn im streitgegenständlichen Fahrzeug die behauptete Softwarefunktion des „Kaltstartheizens“ aktiv wäre, was die Beklagte bestritten hat, wäre dies kein geeigneter Anknüpfungspunkt für die Annahme eines sittenwidrigen Verhaltens der für die Beklagte handelnden Personen.
35
aa) Die Klagepartei hat zur Funktionsweise der behaupteten Abschalteinrichtung vorgetragen, dass die vom Sachverständigen Dr. M1. H. festgestellte Funktion des Kaltstartheizens dazu führe, dass Kraftstoff den Motor unverbrannt verlasse und erst später, im Abgasstrang, verbrannt werde. Hintergrund sei, dass der im streitgegenständlichen Fahrzeug verbaute NOx-Speicherkatalysator zunächst eine sehr hohe Temperatur erreichen müsse (zwischen 250°C und 500°C), um Stickoxid wirksam zu filtern. Bleibe der Katalysator kalt, könne Stickoxid nicht wirksam reduziert werden. Die notwendigen Temperaturen könne der Speicherkatalysator auf dem NEFZ mit geringer Last, Drehzahl und Geschwindigkeit in der vorgegebenen Zeit des NEFZ praktisch nicht oder erst kurz vor Ende des NEFZ erreichen. Daher habe die Beklagte das „Kaltaufheizen“ entwickelt, das unter sehr engen Bedingungen nach Motorstart die Verbrennung so regle, dass Kraftstoff unverbrannt den Motor verlassen könne und erst im Abgasstrang verbrannt werde, um diesen sehr schnell auf Temperatur zu bekommen. Dieses Aufheizen sei jedoch, werde es häufig angewandt, schädlich für den Abgasstrang und würde zu häufigeren Wartungsintervallen und höherem Verschleiß führen. Daher habe die Beklagte entschieden, die Strategie des „Kaltaufheizens“ nur dann einzusetzen, wenn diese wirklich nötig sei, nämlich bei entsprechenden Prüfungen des Fahrzeugs. Damit die Funktion des „Kaltaufheizens“ gestartet werde, müssten folgende drei Bedingungen bei Motorstart kumulativ vorliegen:
- Die Außentemperatur liegt im Temperaturbereich zwischen 15°C und 35,5°C und
- die Motorkühlmitteltemperatur liegt unter 15°C und
- der gemessene Luftdruck liegt unter einem Wert, der einer Höhe über Null von 900m entspricht.
36
Die Klagepartei trägt weiter vor, dass die Funktion aufgrund der gewählten Parameter im NEFZ immer, im normalen Gebrauch hingegen sehr selten bis gar nicht aktiviert werde. Es handle sich somit um eine unzulässige Abschalteinrichtung.
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bb) Selbst wenn die behauptete Funktion im streitgegenständlichen Motor des Typs ..., den der Sachverständige gar nicht untersucht hat, in der Motorsteuerungssoftware vorhanden und aktiviert wäre, würde sich hieraus kein Anhaltspunkt für ein Bewusstsein der für die Beklagte handelnden Personen ergeben, eine unterstellt unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf zu nehmen:
38
Bei der vorgetragenen Funktion des Kaltaufheizens handelt es sich jedenfalls um keine prüfstandbezogene Abschalteinrichtung, weil sie nicht nur im Prüfstand, sondern auch im Realbetrieb im gleichen Temperaturbereich, beim gleichen Luftdruck und im gleichen Temperaturbereich des Motorkühlmittels gleichermaßen funktioniert. Für die Beurteilung, ob die für den Automobilhersteller handelnden Personen arglistig und damit objektiv sittenwidrig gehandelt haben, kommt es aber nach der überzeugenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entscheidend darauf an, dass die Rate der Abgasrückführung unter den für den Prüfzyklus maßgeblichen Bedingungen (Umgebungstemperatur, Luftfeuchtigkeit, …) im normalen Fahrbetrieb derjenigen auf dem Prüfstand entspricht. Das ist aber auch bei dem von der Klagepartei behaupteten Funktion des „Kaltaufheizens“ der Fall.
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Hinzukommt, dass der von der Klagepartei behauptete Temperaturbereich, in dem das „Kaltaufheizen“ aktiviert ist, über die im NEFZ vorgeschriebenen Temperaturen von 20°C bis 30°C im unteren und oberen Bereich hinausgeht, was indiziell für den Einsatz der Temperatursteuerung zum Motorschutz spricht. Zudem wird aufgrund des im NEFZ vorgeschriebenen Temperaturbereich von 20°C bis 30°C die Motorkühlmitteltemperatur nicht unter 15°C liegen können, so dass das Kaltaufheizen im NEFZ praktisch nicht zur Anwendung gelangen würde. Auch dies spricht gegen ein arglistiges Vorgehen der für die Beklagten handelnden Personen.
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Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 29.09.2021, Az. VII ZR 126/21, zur Frage der Kühlmittelsolltemperaturregelung entschieden, dass insoweit keine prüfstandbezogene Abschalteinrichtung vorliegt. Die Prüfstandbezogenheit sei aber ein geeignetes Kriterium, um zwischen einer nur unzulässigen Abschalteinrichtung und solchen, deren Implementierung die Kriterien einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung erfüllen, zu unterscheiden (BGH, Beschluss vom 29.09.2021, Az. VII ZR 126/21, BeckRS 2021, 33038, Rdn. 18).Gleiches gilt für das hier behauptete „Kaltlaufheizen“.
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(5) Zur Darlegung einer objektiv sittenwidrigen Schädigung war es daher erforderlich, dass die Klagepartei weitere Umstände vorträgt, welche den Einsatz einer (unterstellt) unzulässige Abschalteinrichtung ein sittenwidriges Gepräge geben. Solche zusätzlichen Umstände hat die Klagepartei jedoch nicht dargelegt:
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aa) Aus behördlichen Ermittlungen oder Verlautbarungen ergeben sich bezogen auf das streitgegenständliche Fahrzeugmodell ... X3 keine Anhaltspunkte für die Verwendung einer prüfstandbezogenen Abschalteinrichtung oder ein Bewusstsein der für die Beklagten handelnden Personen, eine unterstellt unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden.
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Die Staatsanwaltschaft M. I hat zwar Anfang 2018 ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannte Mitarbeiter der Beklagten wegen des Verdachts der Verwendung prüfstandbezogener Abschalteinrichtungen geführt. Das Verfahren betraf aber weder dasselbe Fahrzeug wie im Streitfall noch zumindest denselben Motor. Es wurde wegen der – hier nicht streitgegenständlichen – Modellreihen ... xDrive und ... xDrive geführt. Die Ermittlungen betrafen auch nicht denselben Motor. Zwar ist in den ermittlungsgegenständlichen Modellen ein Motor verbaut, der auf dem 3,0-Liter-Reihensechszylindermotor des Typs ...– wie er im streitgegenständlichen Fahrzeug verbaut ist – basiert, allerdings in der Hochleistungsausführung N57D30S1, die statt zwei über gleich drei Turbolader verfügt und statt einer Leistung von 190 kW eine Leistung von 280 kW sowie ein höheres Drehmoment aufweist (vgl. Wikipedia, Stichwort „... N57“). Die beiden Motorausführungen unterscheiden sich somit in wesentlichen Merkmalen, die für den Stickoxidanfall und die Abgasreinigung und -rückführung ersichtlich bedeutsam sind. Hierfür spricht zudem, dass das Kraftfahrbundesamt nur Fahrzeuge der Modellreihen M550d xDrive und 750d, nicht aber auch Fahrzeuge der streitgegenständlichen Modellreihe ... X3 zurückgerufen hat.
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Die geführten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen lassen somit keine Rückschlüsse auf die Funktionsweise der Motorsteuerungssoftware und die Regelung der Abgasrückführung im streitgegenständlichen Fahrzeug des Typs ... X3 zu.
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Aber selbst wenn man solche Rückschlüsse ziehen könnte, ergäben sich aus den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft M. I weder Anhaltspunkte für die Verwendung prüfstandbezogener Abschalteinrichtungen noch für ein Bewusstsein der für die Beklagten handelnden Personen, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten und der Pressemittelung der Staatsanwaltschaft M. I vom 25. Februar 2019 haben die umfangreichen Ermittlungen, die in enger Zusammenarbeit mit dem Kraftfahrtbundesamt erfolgten, weder Nachweise dafür ergeben, dass bei den ermittlungsgegenständlichen Modellreihen des Typs ... xDrive und ... xDrive tatsächlich prüfstandbezogene Abschalteinrichtungen verbaut wurden, noch dass Mitarbeiter der ... AG vorsätzlich gehandelt hätten. Die Ermittlungen haben nach der staatsanwaltschaftlichen Pressemitteilung zwar ergeben, dass auf Grund einer fehlerhaften Bedatung des für die Abgasreinigung zuständigen Bereichs der Motorsteuerungssoftware ab dem Erreichen einer gewissen Wärmemenge die Regeneration des NOx-Speicherkatalysators bis zum nächsten Zündwechsel unterblieb, was zu einem Anstieg der Stickoxidemissionen bis zum nächsten Zündwechsel führte, wenn und sobald die Kapazität des NOx-Speicherkatalysators erreicht war. Von diesem Fehler seien weltweit 7.965 Fahrzeuge betroffen. Die Staatsanwaltschaft M. I legte der Beklagten insofern aber kein vorsätzliches Verhalten zur Last, sondern eine fahrlässige Aufsichtspflichtverletzung des Unternehmens nach § 130 Abs. 1 OWiG.
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bb) Die von der Klagepartei vorgelegten Abgasmessungen und Gutachten lassen ebenfalls keine weiteren Schlüsse auf die Verwendung einer prüfstandbezogenen Abschalteinrichtung zu.
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Da das Vorhandensein einer temperatur-, druck-, und geschwindigkeitsabhängigen Abschalteinrichtung ohnehin als wahr unterstellt werden kann und in Folge hiervon auch eine – je nach Außentemperatur und Fahrsituation – unter Umständen drastische Überschreitung der zulässigen Emissionen im Realbetrieb oder bei einem realitätsnäheren Testzyklus zu erwarten wäre (vgl. Bericht des Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestags vom 22. Juni 2017, BT-Drs. 18/12900, S. 154 zu den Feststellungen des Sachverständigen Dr. P. M2. bei Verlassen des Temperaturbereichs beim Thermofenster), ergibt sich selbst aus einer massiven Überschreitung der Stickoxidwerte im realen Fahrbetrieb oder im CADC-Zyklus kein zusätzliches Indiz für die Verwendung einer prüfstandbezogenen Abschalteinrichtung oder ein Bewusstsein der für die Beklagte handelnden Personen ergeben würde, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden.
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cc) Soweit die Klagepartei behauptet, dass die Beklagte die verwendeten Abschalteinrichtungen bei der Beantragung der Typengenehmigung gegenüber dem Kraftfahrtbundesamt und der National Standards Authority of Ireland (NSAI) nicht angegeben habe, ist dies kein weiterer Umstand, der die Annahme rechtfertigt, dass die für die Beklagte handelnden Personen im Bewusstsein gehandelt haben, eine – unterstellt – unzulässige Abschalteinrichtung eingebaut zu haben.
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Zwar hat der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19 (NJW 2021, 921) den vom Berufungsgericht nicht berücksichtigten Vortrag des dortigen Klägers, die Beklagte habe im Typengenehmigungsverfahren in Bezug auf die Abgasrückführung lediglich angegeben, diese sei „kennfeldgesteuert“, als möglicherweise entscheidungserheblich angesehen, weil sich hieraus gegebenenfalls Anhaltspunkte für ein Bewusstsein der für die Beklagten handelnden Personen ergeben „könnten“, eine unterstellt unzulässige Abschalteinrichtung verwendet zu haben.
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Im Streitfall lässt die hier behauptete, unterbliebene Angabe der Abhängigkeit der AGR-Rate von der Außentemperatur solche Schlüsse nicht zu. Im amtlichen Muster des Beschreibungsbogens (Anhang 3 zur VO (EG) Nr. 692/2008) wird unter Nr. 3.2.12.2.4.1 lediglich grob und stichwortartig nach „Kennwerte (Durchflussmenge usw.)“ gefragt. Aufgrund der fehlenden Bestimmtheit in Bezug auf den Umfang dieser Frage, ließe sich aus der unterlassenen Offenlegung der temperaturabhängigen Steuerung der AGR-Rate, jedenfalls keine vorsätzliche Falschbeantwortung der für die Beklagte handelnden Personen und damit kein Verschleierungsvorsatz ableiten, welcher nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein Indiz für ein Bewusstsein der für die Beklagten handelnden Personen sein könnte, eine unterstellt unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden.
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Eine fehlende Verschleierungsabsicht der für die Beklagten handelnden Personen wird durch das eigene Vorbringen der Klagepartei im Schriftsatz vom 05.03.2021 (dort Seite 4) untermauert. Die Klagepartei trägt darin vor, dass die Angaben in den vorgelegten Unterlagen bewusst schwammig gehalten seien und die Genehmigungsbehörden nicht in die Lage versetzt hätten, die Abschalteinrichtung als solche zu erkennen, so heiße es z.B. in Bezug auf die temperaturgesteuerte Abschalteinrichtung, dass die Abgasrückführung von folgenden Parametern gesteuert werde: (viele geschwärzte Zeilen) „Temperatur“ (vgl. Schriftsatz, a.a.O., S. 16). Die Beklagte hätte mit der Angabe „Temperatur“ einen zwar knappen, aber gleichwohl klaren Hinweis auf eine temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung gegeben. Hätte das Kraftfahrtbundesamt diesen für unzureichend gehalten, hätte es weitere Angaben verlangen können und auch müssen (vgl. zu ähnlicher Fallgestaltung auch OLG Nürnberg, Urteil vom 4.2.2020 – 5 U 5765/19, BeckRS 2020, 8420, Rn. 14). Eine Verschleierungs- oder eine Täuschungsabsicht der für die Beklagten Handelnden zur Erlangung der EG-Typengenehmigung kann daher nicht festgestellt werden. Der Kläger Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass die Beklagte wissentlich bestimmte Angaben nicht oder falsch gegenüber dem Kraftfahrtbundesamt gemacht hat. Diese müssten auch auf ein „heimliches und manipulatives Vorgehen oder eine Überlistung des KBA und damit auf einen bewussten Gesetzesverstoß“ hindeuten (BGH, Beschluss vom 29.09.2021, Az. VII ZR 126/21, BeckRS 2021, 33038).
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dd) Mit dem Vortrag der Klagepartei, die Beklagte habe das Onboard-Diagnosesystem (OBD) dahingehend manipuliert, dass dieses keine Fehler der Abgasreinigung feststelle, obwohl objektiv gesehen die Werte der NOx-Sonden einen deutlich zu hohen Wert ausgeben, der bei einem zulässig konstruierten Fahrzeug nur durch einen Fehler der Abgasreinigung zu erklären wäre, hat diese greifbare Anhaltspunkte für die Verwendung einer prüfstandbezogenen Abschalteinrichtung nicht aufgezeigt.
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Der Umstand, dass im Realbetrieb die in der VO (EG) 715/2007 festgelegten Emissionsgrenzwerte überschritten werden können, ist aufgrund der vom definierten Prüfungszyklus abweichenden Umgebungs- und Fahrbedingungen – wie ausgeführt – zu erwarten. Es ist daher kein Indiz für eine Manipulation des OBD-Systems, dass dieses das Überschreiten der gesetzlichen Stickoxidwerte im realen Fahrbetrieb nicht als Fehler wertet und festhält.
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ee) Auch aus dem vorgelegten (Teil-)Gutachten des vom Oberlandesgericht Frankfurt a.M. in einem anderen Verfahren bestellten Sachverständigen vom 3. Februar 2020 ergeben sich keine Indizien, die darauf hindeuten, dass die Beklagte im streitgegenständlichen Kraftfahrzeug der Modellreihe ... X3, Euro 5, eine prüfstandbezogene Abschalteinrichtung verbaut hat, sondern dieses belegt lediglich das vom Senat ohnehin zu Gunsten der Klagepartei unterstellte Vorbringen, dass es aufgrund des Vorhandenseins eines Thermofensters zu teils erheblichen Abweichungen der Werte im Realbetrieb kommen kann.
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Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass die Klagepartei keine greifbaren Umstände aufgezeigt hat, die das Verhalten der für die Beklagten handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen. Sie hat insbesondere keine Umstände vorgetragen, aus denen sich unmittelbare oder zumindest mittelbare Anhaltspunkte dafür ergeben würden, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug des Typs ... X3 eine Abschalteinrichtung verbaut ist, die so programmiert ist, dass die gesetzlichen Grenzwerte nur auf dem Prüfstand eingehalten, im normalen Fahrbetrieb dagegen überschritten werden. Die Verwendung einer – evident – unzulässigen Abschalteinrichtung, die unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typengenehmigungsbehörde zielte, hat die Klagepartei somit nicht aufgezeigt. Es ist daher bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit im Sinne von § 826 BGB nicht gegeben.
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(6) Die Rüge der Klagepartei, das Erstgericht habe es verfahrensfehlerhaft unterlassen, den zur Funktionsweise der illegalen Abschalteinrichtung angebotenen Zeugen- und Sachverständigenbeweis zu erheben, ist nicht begründet. Es kann – wie ausgeführt – in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht als wahr unterstellt werden, dass das streitgegenständliche Fahrzeug mit einer temperaturabhängigen und von anderen – nicht prüfstandbezogenen – Parametern abhängigen Emissionssteuerung ausgestattet ist, die als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Artikel 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 715/2007 anzusehen ist, so dass die hierauf bezogenen Tatsachenbehauptungen nach allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen nicht beweisbedürftig sind. Darüber hinaus hat die Klagepartei – wie ausgeführt – insbesondere keine greifbaren Anhaltspunkte für die Verwendung einer prüfstandsbezogenen und damit einer evident unzulässigen Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Kraftfahrzeug vorgetragen.
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(7) Ebenso unbegründet ist die Rüge der Klagepartei, das Erstgericht habe verkannt, dass die Beklagte dafür darlegungs- und beweisbelastet sei, dass eine Ausnahmevoraussetzung des Artikels 5 Abs. 2 Satz 2 Buchstabe a) VO (EG) Nr. 715/2007 vorliege. Wie bereits ausgeführt, kann zugunsten der Klagepartei als wahr unterstellt werden, dass die verbaute temperaturabhängige Abschalteinrichtung unzulässig ist. Die Frage, ob die Beklagte hinsichtlich des Ausnahmetatbestands des Artikels 5 Abs. 2 Satz 2 Buchstabe a VO (EG) Nr. 715/2007 darlegungs- und beweispflichtig ist, ist daher nicht entscheidungserheblich.
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c) Es fehlt bereits am Vortrag greifbarere Umstände für eine objektiv sittenwidrige schädigende Handlung. Zudem hat der Kläger die subjektiven Voraussetzungen unzureichend dargelegt. Der Kläger führt dazu lediglich allgemein aus, die Beklagte habe sich die Kenntnis ihrer verfassungsmäßig berufenen Vertreter im Sinne von § 31 BGB hinsichtlich der subjektiven und objektiven Voraussetzung des § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB zurechnen zu lassen. Die Manipulationen seien nur dadurch zu erklären, dass die Beklagte nicht bereit gewesen sei, die hohen Kosten für eine den gesetzlichen Vorgaben entsprechende Abgasreinigung aufzuwenden.
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Die allgemein gehaltenen Darlegungen zu den subjektiven Voraussetzungen reichen nicht aus. Auch hier müsste der Kläger darlegen, weshalb vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft M. I lediglich von einer fahrlässigen Aufsichtspflichtverletzung und gerade nicht von einem Betrug bei der Beklagten ausgeht, die Organe der Beklagten dennoch von einer manipulierten Software gewusst haben sollen. Die Staatsanwaltschaft hatte keinen hinreichenden Tatverdacht für ein vorsätzliches Handeln. Vor diesem Hintergrund genügt eine pauschale Behauptung, wonach der Vorstand Kenntnis gehabt habe, nicht. Es ist Sache des Klägers jedenfalls zunächst darzulegen, welche konkreten Anhaltspunkte er für ein betrügerisches Handeln der Beklagten und für eine Kenntnis der verantwortlichen Personen hat.
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Soweit die Klagepartei zum Vorsatz der Beklagten und einer etwaigen Zurechnung des Verhaltens ihrer Organe und Mitarbeiter vorgetragen hat, ist dies lediglich pauschal und undifferenziert erfolgt. Erforderlich wäre ein konkreter Vortrag der Klagepartei, welches verfassungsmäßige Organ bzw. Repräsentant zu welchem Zeitpunkt Kenntnis von welchen Tatsachen hatte und die Klagepartei habe schädigen wollen. Dieser Vortrag muss sich gerade auf den streitgegenständlichen Motortyp und die konkret gerügten, die Sittenwidrigkeit begründenden, Umstände beziehen (vgl. OLG München, Beschluss vom 29.08.2019, Az. 8 U 144/19, Rdn. 143 zitiert nach juris).
61
Auch im Hinblick auf den Einbau eines Thermofensters hat der Kläger nicht vorgetragen, dass im allein relevanten Zeitpunkt des „In-Verkehr-Bringens“ die Organe der Beklagten die erforderliche Kenntnis hatten, dass es sich dabei um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt und in diesem Wissen die Typengenehmigung erschlichen haben. Gerade vor dem Hintergrund der schwierigen Auslegung des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung 715/2007 (EG) müsste der Kläger darlegen, dass und warum die verantwortlichen Organe der Beklagten andere Kenntnisse hatten und trotz dieser Kenntnisse gegenüber dem Kraftfahrtbundesamt falsche oder bewusst unvollständige Angaben gemacht haben.
62
Wie bereits ausgeführt, ergibt sich etwas anders auch nicht aus dem Vortrag zum Verhalten der Beklagten bei Beantragung der Typengenehmigung.
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In der Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 16.09.2021 heißt es zum Schädigungsvorsatz: „Allein aus der – unterstellten – objektiven Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung in Form des Thermofensters folgt kein Vorsatz hinsichtlich der Schädigung der Fahrzeugkäufer. Im Hinblick auf die unsichere Rechtslage – hinsichtlich des unstreitig in den Fahrzeugen der Kläger verbauten Thermofenster fehlt es bis heute an einer behördlichen Stilllegung oder einem Zwang zu Umrüstungsmaßnahmen – war nicht dargetan, dass sich den für die Beklagte tätigen Personen die Gefahr einer Schädigung des Klägers hätte aufdrängen müssen (vgl. Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 16.09.2021).
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d) Die Beklagte trifft im vorliegenden Fall gerade keine sekundäre Darlegungslast. Würde man ihr eine solche Darlegungslast für die Unkenntnis auferlegen, müsste sie faktisch die gesamte Kommunikation innerhalb des Unternehmens über einen mehrere Jahre dauernden Zeitraum offenlegen. Dies ist ihr praktisch nicht möglich und grundsätzlich unzumutbar (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019, Az. 10 U 134/19, Rdn. 98 zitiert nach juris).
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Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, könnte etwas anderes nur dann gelten, wenn das Verwenden einer Manipulationssoftware im Rahmen einer strategischen Unternehmensentscheidung erfolgt wäre und sozusagen zum Geschäftsmodell geworden ist. Auch dies hat die Klagepartei nicht hinreichend substantiiert dargelegt; der allgemeine Vortrag, dass Vorstandsmitglieder bzw. sonstige Repräsentanten Kenntnis von „Manipulationen“ hatten, reicht hier keinesfalls aus, weil der Kläger keine greifbaren Umstände für ein vorsätzliches Handeln vorgetragen hat. Solche sind auch – anders als im VW-Abgasskandal – nicht aus anderen Umständen, wie etwa dem Ergebnis staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen, ersichtlich.
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Im Beschluss vom 19.01.2021, Az. VI ZR 433/19, hat der Bundesgerichtshof auch keine sekundäre Darlegungslast der dortigen Beklagten im Hinblick auf die Angaben gegenüber dem Kraftfahrtbundesamt im Typengenehmigungsverfahren postuliert.
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2. Der Klagepartei steht gegen die Beklagte auch kein Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. 263 StGB zu.
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Die Beklagte selbst kann als juristische Person zunächst gemäß § 14 StGB keine Straftaten begehen. Zwar sind ihr über § 31 BGB zivilrechtlich Handlungen verfassungsmäßig berufener Vertreter zurechenbar. Eine Haftung besteht jedoch nicht, wenn es – wie vorliegend – an der gebotenen Darlegung der Verwirklichung sämtlicher Tatbestandsmerkmale des § 263 StGB durch die entsprechenden Personen seitens der Klagepartei fehlt (vgl. OLG Braunschweig, Urteil vom 19. Februar 2019, Az. 7 U 134/17, Rdn. 162 ff. zitiert nach juris; OLG München, Beschluss vom 09.05.2019, Az. 32 U 1304/19, Rdn. 4 f. zitiert nach juris). So ist es im vorliegenden Fall: Es fehlt an substantiiertem Vortrag dazu, welche Personen bei der Beklagten wann welche Kenntnisse hatten und wie sie im Hinblick auf diese Kenntnisse gehandelt haben (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 04.07.2019, Az. 3 U 148/18, Rdn. 6 zitiert nach juris; OLG Stuttgart, Urteil vom 30.7.2019, Az. 10 U 134/19, Rdn. 104 zitiert nach juris). Dies gilt sowohl für die behauptete Verwendung einer Manipulationssoftware und – vor dem Hintergrund der geführten wissenschaftlichen Diskussionen – erst Recht für die Verwendung eines Thermofensters, wobei immer auf den Zeitpunkt des In-Verkehr-Bringens abzustellen ist.
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3. Auch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV steht dem Kläger keinAnspruch zu.
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Der Bundesgerichtshof hat sich im Urteil vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, auch mit der Frage der drittschützenden Wirkung von §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV befasst. Der Bundesgerichtshof führt dabei aus, dass eine Rechtsnorm dann ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB sei, wenn sie zumindest auch dazu dienen solle, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts zu schützen. Dafür komme es nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt und Zweck des Gesetzes sowie darauf an, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zugunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt, oder doch mitgewollt habe. Nicht ausreichend sei es, dass der Individualschutz durch Befolgung der Norm nur als ihr Reflex objektiv erreicht werde; er müsse vielmehr im Aufgabenbereich der Norm liegen. Die Schaffung eines individuellen Schadensersatzanspruches müsse sinnvoll und im Lichte des haftungsrechtlichen Gesamtsystems tragbar erscheinen, wobei in umfassender Würdigung des gesamten Regelungszusammenhangs, in welchen die Norm gestellt sei, zu prüfen sei, ob es in der Tendenz des Gesetzgebers liegen konnte, an die Verletzung des geschützten Interesses die deliktische Einstandspflicht des dagegen Verstoßenden mit allen damit zugunsten des Geschädigten gegebenen Haftungs- und Beweiserleichterungen zu knüpfen. Dies sei ständige Rechtsprechung (Bundesgerichtshof, Urteil vom 25.05.2020, Rdn. 73 – zitiert nach juris).
71
Der eingetretene Schaden müsse in den sachlichen Schutzbereich der Norm fallen. Der konkret Geschädigte müsse von dem persönlichen Schutzbereich der verletzten Norm erfasst sein und zum Kreis derjenigen Person gehören, deren Schutz die verletzte Norm bezwecke (vgl. BGH ebd.). Diese Voraussetzungen lägen im Hinblick auf den vom Bundesgerichtshof zu entscheidenden Fall eines Schadensersatzanspruches wegen eines Verstoßes gegen § 6 Abs. 1 EG-FGV nicht vor. Inhalt des Vorwurfs des dortigen Klägers sei es gewesen, dass er von der dortigen Beklagten zur Übernahme einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst worden sei. Vor diesem Hintergrund verlange er die Erstattung des von ihm an den Käufer entrichteten Kaufpreises. Aus diesem Vorwurf könne der Kläger aber in Bezug auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 2 EG-FGV nichts für sich herleiten. Das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liege nicht im Aufgabenbereich der Norm.
72
Die Revision des dortigen Klägers zeige keine Anhaltspunkte dafür auf, dass der Gesetz- und Verordnungsgeber mit den genannten Vorschriften (auch) einen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts der einzelnen Käufer bezweckte und an die (auch fahrlässige) Erteilung einer inhaltlich unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung einen gegen den Hersteller gerichteten Anspruch auf (Rück-)Abwicklung eines mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrags hätte knüpfen wollen; solche seien auch nicht ersichtlich (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, Rdn. 76 – zitiert nach juris). Auch im vorliegenden Fall, welcher – wie dargelegt – dem VW-Abgasskandal noch dazu nicht vergleichbar ist, hat der Kläger keine solchen Anhaltspunkte aufgezeigt.
III.
73
Der Senat regt daher zur Kostenersparnis die Rücknahme der Berufung an. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG). Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Hinweises.