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OLG Bamberg, Urteil v. 08.02.2022 – 5 U 112/21
Titel:

Kein Schadensersatzanspruch für Erwerber eines Diesel-Fahrzeugs mit Thermofenster

Normenketten:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Fahrzeugemissionen-VO Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2
Leitsatz:
Selbst bei Unterstellung, dass eine temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung iSv Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung 715/2007/EG zu qualifizieren ist, bedarf es für die Annahme von Sittenwidrigkeit weiterer Umstände, die das Verhalten der für die beklagte Fahrzeugherstellerin handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen (hier verneint). (Rn. 18 – 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatz, sittenwidrige Schädigung, Schutzgesetz, Dieselskandal, unzulässige Abschalteinrichtung, N 47, Thermofenster
Vorinstanz:
LG Würzburg, Endurteil vom 09.03.2021 – 72 O 1571/20
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 16.10.2023 – VIa ZR 374/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 52435

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 09.03.2021, Az. 72 O 1571/20, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
1.
3. Dieses Urteil und das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Würzburg sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

A.
1
Die Klägerin verlangt Schadensersatz nach dem Erwerb eines Pkws mit Dieselantrieb.
2
Die Klägerin erwarb am xx.xx.2013 von einer Händlerin den von der Beklagten hergestellten Pkw BMW X1 zum Preis von 26.300,00 € als Gebrauchtwagen mit 33.460 km. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor des Typs N47 ausgestattet und unterfällt der Abgasnorm EU 5. Es unterliegt in Bezug auf das Emissionsverhalten keinem amtlichen Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt (KBA). Das Fahrzeug verfügt über keinen NOx-Speicherkatalysator.
3
Die Klägerin behauptet, der Motor des Fahrzeugs sei mit unzulässigen Abschalteinrichtungen versehen. Solche bestünden in Form eines Thermofensters, der Funktion des Hard cycle beating, der Erkennung der Konditionierung, einer Fahrzykluserkennung, einer Funktion 14/15-V und dem Zusammenspiel von verschiedenen Fahrzyklus- bzw. Umgebungserkennungen. Zudem sei das On-Board-Diagnose-System manipuliert. Die Abschalteinrichtungen würden dauerhaft arbeiten, auch wenn die Bedingungen des NEFZ nicht eingehalten werden.
4
Die Klägerin hat erstinstanzlich die Rückzahlung des Kaufpreises nebst Zinsen und Deliktszinsen Zug um Zug gegen Rückübereignung des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs sowie Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten begehrt.
5
Die Beklagte trägt vor, dass in dem Fahrzeug keine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut sei.
6
Bezüglich des Sach- und Streitstands im Übrigen und der Anträge der Parteien in erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils vom 09.03.2021, mit dem das Landgericht die Klage abgewiesen hat, sowie die Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.
7
Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass ein Anspruch aus § 826 BGB nicht gegeben sei, da ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten nicht vorliege bzw. die Behauptungen der Klägerin zum Vorliegen von unzulässigen Abschalteinrichtungen ins Blaue hinein erfolgt seien.
8
Mit ihrer Berufung wiederholt und vertieft die Klägerin ihren Vortrag aus dem Verfahren erster Instanz und vertritt die Ansicht, das Landgericht überspanne die Substantiierungsanforderungen hinsichtlich der Behauptung der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen und verletze daher den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Überdies sei das Fahrzeug mit einer weiteren unzulässigen Abschalteinrichtung, dem sog. „Kaltstartheizen“, ausgestattet. Wegen der Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründung vom 05.05.2021 (Bl. 315 ff. d. A.) Bezug genommen.
9
Die Klägerin beantragt,
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei Euro 21.312,96 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 18.08.2020 zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen die Übereignung und Herausgabe des PKW BMW X1, FIN: ….
2.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei Euro 7.761,74 Deliktszinsen zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen die Übereignung und Herausgabe des PKW BMW X1, FIN: ….
3.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des im Antrag zu 1. genannten Fahrzeugs seit dem 18.08.2020 in Verzug befindet.
4.
Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von Euro 1.348,27 freizustellen.
10
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
11
Sie verteidigt das Ersturteil. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Berufungserwiderung vom 27.05.2021 (Bl. 468 ff. d. A.) verwiesen.
12
Wegen der Einzelheiten des Vortrags der Parteien nimmt der Senat Bezug auf die Schriftsätze der Parteivertreter nebst Anlagen.
B.
13
Die zulässige Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.
I.
14
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Schadenersatz gemäß §§ 826, 31 BGB.
15
1. Die Tatbestandsvoraussetzungen eines Anspruchs nach § 826 BGB sind nicht gegeben bzw. sind nicht hinreichend vorgetragen.
16
a) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH, Urt. v. 25.05.2020 – VI ZR 252/19, Rn. 15; Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, Rn. 14; Urt. v. 13.07.2021 – VI ZR 128/20, Rn. 11).
17
b) Nach diesen Maßstäben liegt ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten nicht deshalb vor, weil sie den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (sog. Thermofenster) ausgestattet hat.
18
Bei einer auf dem Prüfstand wie auch im Realbetrieb – wie hier – gleichsam arbeitenden Abschalteinrichtung reicht deren Vorhandensein für sich genommen nicht aus, um eine objektive Sittenwidrigkeit des Verhaltens der Beklagten zu begründen, und zwar auch dann nicht, wenn – wie die Klägerin behauptet – die Abgasrückführung außerhalb eines bestimmten Temperaturkorridors reduziert wird (BGH, Urt. v. 13.07.2021 aaO, Rn. 13 m. w. N.). Dabei kann zugunsten der Klägerin in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellt werden, dass eine derartige temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung 715/2007/EG zu qualifizieren ist (BGH aaO).
19
aa) Für die Annahme von Sittenwidrigkeit bedarf es vielmehr weiterer Umstände, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen. Dabei trägt die Darlegungs- und Beweislast für diese Voraussetzung nach allgemeinen Grundsätzen die Klägerseite als Anspruchsteller (vgl. BGH, Beschluss vom 19.01.2021 aaO, Rn. 19; Urt. v. 13.07.2021 aaO, Rn. 13). Die Annahme von Sittenwidrigkeit setzt jedenfalls voraus, dass die für die Beklagte handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt (BGH, Urt. v. 13.07.2021 aaO, Rn. 13; BGH Urt. v. 16.9.2021 – VII ZR 321/20, Rn. 16).
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bb) Die Klägerin hat derartige Umstände nicht hinreichend vorgetragen. Soweit sie geltend macht, die Beklagte habe im Rahmen des Typengenehmigungsverfahrens keine ausreichenden Angaben gegenüber dem Kraftfahrtbundesamt zum Thermofenster gemacht, ist die Beklagte dem unter Verweis auf die zum damaligen Zeitpunkt des Typengenehmigungsverfahrens geltende Rechtslage und die erst mit Verordnung (EU) 2016/646 nach Erteilung der Typengenehmigung für das vorliegende Fahrzeug eingeführte Verpflichtung zu weitergehenden Angaben entgegengetreten. Die Klägerin hat sich hierzu nicht weiter geäußert, so dass ein substantiierter Klägervortrag nicht gegeben ist.
21
Zudem bestehen nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch Zweifel, ob dieser Vortrag einer unterlassenen Offenlegung überhaupt im Ansatz geeignet ist, das Bewusstsein über die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung zu begründen (BGH, Urt. v. 13.07.2021 aaO, Rn. 17). Im Übrigen ergeben sich aus einer etwaigen unterbliebenen Offenlegung der genauen Wirkungsweise des Thermofensters keine Anhaltspunkte dafür, dass für die Beklagte tätige Personen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Selbst wenn die Beklagte im Typengenehmigungsverfahren – erforderliche – Angaben zu den Einzelheiten der Abgasrückführung unterlassen haben sollte, wäre die Typgenehmigungsbehörde nach dem Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG gehalten gewesen, diese zu erfragen, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung zu prüfen (BGH Beschluss vom 29.9.2021 – VII ZR 126/21, Rn. BeckRS 2021, 33038 Rn. 20).
22
cc) Eine Haftung der Beklagten nach § 826 BGB wegen der Verwendung eines Thermofensters kommt auch deshalb nicht in Betracht, weil ein besonders verwerfliches Verhalten der Beklagten vor dem Hintergrund der (zum Genehmigungszeitpunkt) unsicheren Rechtslage bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Thermofensters nicht vorgelegen hat. Eine möglicherweise nur fahrlässige Verkennung der Rechtslage genügt für die Feststellung der besonderen Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten nicht (vgl. BGH Urt. v. 16.9.2021 aaO, Rn. 31). Bereits aus der Entscheidung des EuGH (EuGH, Urteil vom 17.12.2020 – C-693/18) in Bezug auf die Unzulässigkeit eines Thermofensters lässt sich entnehmen, dass bis zu diesem Zeitpunkt eine breit geführte Diskussion um die Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit einer Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters geführt wurde. Auch ein Schädigungsvorsatz der Beklagten kann nicht festgestellt werden, denn allein aus der hier zu unterstellenden objektiven Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung in Form des Thermofensters folgt kein Vorsatz hinsichtlich der Schädigung der Fahrzeugkäufer (vgl. BGH aaO, Rn. 32).
23
Weitergehende greifbare Anhaltspunkte, die den Schluss auf das Bewusstsein von der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters bei der Beklagten erlauben könnten, sind nicht vorgetragen oder ersichtlich.
24
c) Vorstehendes gilt sinngemäß auch für die behaupteten Abschalteinrichtungen des „hard cycle beating“, der Erkennung der Konditionierung, der Fahrzykluserkennung, der schon nicht näher erläuterten Funktion 14/15-V und dem Zusammenspiel von verschiedenen Fahrzyklus- bzw. Umgebungserkennungen. Nachdem die Klägerin ausdrücklich vorträgt, dass sämtliche Abschalteinrichtungen dauerhaft, d. h. auch wenn die Bedingungen des NEFZ nicht gegeben sind, arbeiten würden, ergibt sich bereits aus dem eigenen Vortrag der Klägerin, dass die von ihr behaupteten Abschalteinrichtungen auf dem Prüfstand und im Realbetrieb in gleicher Weise arbeiten. Da sie auch hinsichtlich dieser behaupteten Abschalteinrichtungen greifbare Anhaltspunkte, die den Schluss auf das Bewusstsein von der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung bei der Beklagten erlauben könnten, nicht vorträgt und solche auch nicht sonst ersichtlich sind, ist schon ein hinreichender substantiierter Vortrag nicht gegeben.
25
d) Im Übrigen fehlt es für das Vorhandensein der behaupteten unzulässigen Abschalteinrichtungen, insbesondere des sog. „hard cycle beating“, an greifbaren Anhaltspunkten.
26
aa) Der Senat verkennt dabei nicht, dass eine unter Beweis gestellte Behauptung erst dann unbeachtlich ist, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhaltes willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufgestellt worden ist. Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist Zurückhaltung geboten; in der Regel wird sie nur bei Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte gerechtfertigt werden können. Es ist einer Partei grundsätzlich nicht verwehrt, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Umstände zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann, die sie aber nach Lage der Verhältnisse für wahrscheinlich oder möglich hält. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie sich nur auf vermutete Tatsachen stützen kann, weil sie mangels Sachkunde und Einblick in die Produktion des von der Gegenseite hergestellten und verwendeten Fahrzeugmotors einschließlich des Systems der Abgasrückführung oder -verminderung keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen haben kann (BGH, Beschluss vom 28.01.2020 – VIII ZR 57/19, Rn. 7 f.; Urt. v. 13.07.2021 aaO, Rn. 20 ff.).
27
bb) Jedoch ist auch nach diesen Maßstäben der Sachvortrag der Klägerin im vorliegenden Fall nicht hinreichend substantiiert.
28
(1) Das KBA hat für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp unstreitig weder einen Rückruf noch ein verpflichtendes Softwareupdate angeordnet. Im Gegenteil hat das KBA ausweislich der von der Beklagten vorgelegten, von der Klägerin inhaltlich nicht bestrittenen Auskünfte den streitgegenständlichen Motor N47 mit identischer Schadstoffklasse verbaut in den Fahrzeugen BMW 320 und BMW 520 überprüft, wobei es sich nach dem Vortrag der Klägerin um Motoren handelt, die zu dem im Klägerfahrzeug verbauten Motor identisch sind. Hierbei hat das KBA keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt (vgl. vgl. BB1a, BB1b, B1a, B13). Auch der „Bericht der Untersuchungskommission Volkswagen“ (vgl. K C3) spricht keine Beanstandungen hinsichtlich des klägerischen bzw. vergleichbarer Fahrzeuge mit N47-Motoren aus.
29
(2) Vor dem Hintergrund der Untersuchungen des KBA als zuständiger Fachbehörde sowie der „Untersuchungskommission Volkswagen“ reichen die von der Klägerin vorgetragenen Umstände für die substantiierte Darlegung einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht aus: Die Behauptungen der Klägerin zum Vorliegen von unzulässigen Abschalteinrichtungen erfolgen lediglich pauschal und ohne Bezug zum streitgegenständlichen Motor und damit ersichtlich ins Blaue hinein.
30
Die für das NEFZ-Verfahren maßgeblichen Werte bei Fahrzeugen der Schadstoffklasse EU5 sind nicht mit den im Realbetrieb auf der Straße gemessenen Werten vergleichbar, weshalb die klägerseits vorgetragenen Messwerte verschiedenster Institute aus dem Realbetrieb nicht als Anhaltspunkt für die Richtigkeit der klägerischen Behauptungen herangezogen werden können. Sie besitzen vielmehr keinerlei Aussagekraft. Gleiches gilt für die von der Klägerin zitierten bzw. vorgelegten Sachverständigengutachten, welche im Ergebnis lediglich auf das Auseinanderfallen zwischen den unter den Bedingungen des NEFZ und den im Realbetrieb gewonnenen Messwerten abstellen und sich im Übrigen in Mutmaßungen erschöpfen, welche einer greifbaren Tatsachengrundlage entbehren.
31
e) Die Behauptung der Klägerin, das Fahrzeug sei mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form des sog. „Kaltstartaufheizens“ versehen, kann der Klage ebenfalls nicht zum Erfolg verhelfen. Bereits nach dem eigenen Vortrag der Klägerin bezieht sich diese Funktion auf Fahrzeuge mit einem NOx-Speicherkatalysator. Um ein solches handelt es sich vorliegend unstreitig nicht. Zudem erweist sich, worauf die Klägerin in der mündlichen Verhandlung hingewiesen wurde, der diesbezügliche erstmalig im Berufungsverfahren vorgebrachte Vortrag als präkludiert i.S.d. § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO, weil die Beklagte das Vorliegen dieser Funktion beim Klägerfahrzeug bestritten hat und Zulassungsgründe weder vorgetragen noch sonst ersichtlich sind.
32
f) Bei dem Vortrag bezüglich des OBD-Systems handelt es sich schon nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin nicht um ein System, das den Motor steuert bzw. in dessen Systeme eingreift, sondern lediglich um ein Überwachungssystem. Im Übrigen spricht der Umstand, dass das OBD-System keine Fehlermeldung erzeugt, wenn bestimmte Abgasgrenzwerte überschritten werden, nicht zwingend für ein objektiv sittenwidriges Verhalten. Entscheidend ist, dass sämtliche behauptete Abschalteinrichtungen bereits nach dem eigenen Vortrag der Klägerin auf dem Prüfstand und im normalen Fahrbetrieb im Grundsatz in gleicher Weise arbeiten, weshalb deren Verwendung nicht von vornherein von Arglist geprägt ist und der behaupteten Art und Weise der Verwendung des OBD-Systems kein Indizwert beigemessen werden kann (BGH, Urt. v. 28.10.2021 – III ZR 261/20, Tz. 27; Urt. v. 23.11.2021 – VI ZR 839/20, Tz. 20).
II.
33
Auch sonstige Schadensersatzansprüche stehen der Klägerin nicht zu.
34
1. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 263 StGB, 31 BGB scheitert bereits an einer Täuschungshandlung durch verfassungsmäßig berufene Vertreter der Beklagten und jedenfalls an fehlender Bereicherungsabsicht und der in diesem Zusammenhang erforderlichen Stoffgleichheit des erstrebten rechtswidrigen Vermögensvorteils mit einem etwaigen Vermögensschaden (BGH, Urt. v. 30.07.2020 – VI ZR 5/20, Rn. 18 ff.).
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2. Der Klägerin steht auch kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, Art. 5 VO 715/2007/EG oder Art. 12,18 RL Nr. 2007/46/EG zu. Diese Verordnungen bzw. diese Richtlinie stellen keine Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB dar, da das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht im Aufgabenbereich dieser Normen liegt (BGH, Urt. v. 30.07.2020 aaO, Rn. 10 ff.; Beschluss vom 07.07.2021 – VII ZR 218/21, Rn. 1 ff.).
B.
36
1. Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 1 die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
37
2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
38
3. Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 ZPO nicht vorliegen. Die streitgegenständlichen Rechtsprobleme im Zusammenhang mit dem sogenannten „Dieselskandal“ sind zwischenzeitlich durch den BGH rechtskräftig entschieden. Insoweit wird auf die oben genannten Urteile hingewiesen.
Verkündet am 08.02.2022