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LG Bayreuth, Endurteil v. 21.11.2022 – 23 O 868/20
Titel:

Duldungspflicht des Grundstückeigentümers hinsichtlich eines Oberflächenentwässerungskanals

Normenkette:
BGB § 905 S. 1, S. 2, § 1004 Abs. 2
Leitsatz:
Gemäß § 905 S. 1 BGB erstreckt sich zwar das Recht des Eigentümer auch auf den Erdkörper unter der Oberfläche, nach § 905 S. 2 BGB kann der Eigentümer jedoch Einwirkungen nicht verbieten, die in solcher Höhe oder Tiefe vorgenommen werden, dass er an der Ausschließung kein Interesse hat. Bei welcher Tiefe (oder Höhe) das Interesse des Grundstückseigentümers an der Ausschließung einer Einwirkung – hier durch einen Kanal – entfällt, lässt sich nicht allgemein festlegen. Entscheidend sind die konkreten Verhältnisse (hier Ausschließungsinteresse verneint). (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Grundstückseigentum, Einwirkungen, Beseitigung, Oberflächenentwässerungskanal, Ausschließungsinteresse, Duldungspflicht
Rechtsmittelinstanz:
OLG Bamberg, Urteil vom 18.10.2023 – 3 U 305/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 52417

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden
Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um einen Oberflächenentwässerungskanal im Anliegerweg Flur-Nr. ... in K1.
2
Die Kläger sind Eigentümer zu je 1/2 des Grundstücks Flur-Nr. ... (I.steig 25a) im Gemeindegebiet der Beklagten (K 1). Zudem ist die Klägerin Alleineigentümerin der Grundstücke Flur-Nr. ... (I.steig 25) und Flur-Nr. ... (P.) im Gemeindegebiet der Beklagten. Im Bestandsverzeichnis des Grundbuchs der vorgenannten Grundstücke ist jeweils vermerkt: „hierzu die zum Weg Flur-Nr. ... gezogene Teilfläche“. Alle drei Grundstücke grenzen an den Anliegerweg Flur-Nr. ... (K 8).
3
Der nicht ausgebaute Weg war im August 1988 von der Beklagten in das Bestandsverzeichnis der öffentlichen Feld- und Waldwege für das Gebiet der Stadt K1. eingetragen worden. Straßenbaulastträger sind die Eigentümer der anliegenden Grundstücke (B 1, B 2, B 3).
4
Oberhalb der klägerischen Grundstücke befindet sich das von der Beklagten neu ausgewiesene Baugebiet „Sch. III“ (Plan bei K 5, Flur-Nr. ...).
5
Mit Schreiben vom 21.10.2019 (K 9) informierte die Beklagte die Kläger erstmals über ihr Vorhaben, im Anliegerweg Flur-Nr. ... einen Oberflächenwasserkanal zu verlegen und erklärte, dass sie dafür das Einverständnis der Kläger benötige. Sie lud zu einem Informationsgespräch am 24.10.2019 ein. Daran nahmen unter anderem die Kläger, der 2. Bürgermeister der Beklagten We. St. und der Ingenieur Ma. Ot. teil. Die Kläger unterzeichneten eine Gesprächsnotiz des 2. Bürgermeisters We. St. (B 5).
6
In der Folge widersprachen die Kläger der Verlegung des Kanals mit Schreiben vom 20.11.2019 (K 10), zudem mit Schreiben vom 28.11.2019 (K 11).
7
Dennoch verlegte die Beklagte ab 25.11.2019 den angekündigten Oberflächenwasserkanal mit einer Dimensionierung von DN 300 und einer Länge von etwa 210 laufenden Metern im Anliegerweg Flur-Nr. ...
8
Der Bitte der Beklagten auf Bestellung einer Grunddienstbarkeit (Abwasserkanalrecht – Oberflächenwasserkanal für das Baugebiet „Sch. III“, vgl. Notarentwurf K 5, K 6) kamen die Kläger nicht nach.
9
Die Klägervertreter forderten die Beklagtenvertreter mit Schriftsatz vom 26.06.2020 bis 10.07.2020 erfolglos zur Beseitigung des Oberflächenwasserkanals und fachgerechten Wiederherstellung auf (K 7).
10
Die Kläger sind der Ansicht, dass durch die Kanalverlegung ein Eingriff in ihr nach Artikel 14 GG geschütztes Eigentumsrecht erfolgte, ohne dass ein Rechtsgrund vorlag, so dass der Eingriff rechtswidrig sei. Die von der Beklagten als Anlage B 5 vorgelegte Aktennotiz enthalte keine Zustimmung der Kläger zur Duldung. Die Unterschriftsleistung bestätigte lediglich den Erhalt der Aktennotiz. Die Beklagte hätten ihnen zugesichert, dass alle ihre Fragen (Regelung betreffend die Haftung, Unterhalt, Durchfahrtsbeschränkung) geregelt würden und hierfür eine entsprechende notarielle Regelung getroffen werde. Nachdem dies nicht erfolgt war, hätten sie ihre Meinung geändert und verlangten die Beseitigung des Kanals.
11
Die Kläger bestreiten, dass sie von dem Oberflächenwasserkanal profitierten, das Gegenteil sei der Fall. Die von der Beklagten durchgeführte Oberflächenentwässerung sei weder fachgerecht noch funktionsfähig (K 12).
12
Der beschrittene Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten wurde vorab durch Beschluss des Landgerichts Bayreuth vom 15.10.2021 für zulässig erklärt, § 17 a Abs. 3 GVG (vgl. Bl. 114 d.A.). Hiergegen wurde kein Rechtsmittel eingelegt.
13
Die Kläger beantragen,
1. die Beklagte zu verurteilen, ihren Oberflächenentwässerungskanal, der sich im Grundbuch der Kläger mit der Flur-Nr. ..., I.steig 25a, 9... K1., hierzu die zum Weg Flur-Nr. ... K1. gezogene Teilfläche (Amtsgericht Kulmbach, Grundbuch von K1. Blatt ...) befindet, vollständig und ordnungsgemäß zu beseitigen sowie das Grundstück der Kläger mit der Flur-Nr. ..., I.steig 25a, 9... K1., hierzu die zum Weg Flur-Nr. ... K1. gezogene Teilfläche, fachgerecht wiederherzustellen.
2. die Beklagte zu verurteilen, ihren Oberflächenentwässerungskanal, der sich im Grundstück der Klägerin zu 1) mit der Flur-Nr. ..., hierzu die zum Weg Flur-Nr. ... K1. gezogene Teilfläche (Amtsgericht Kulmbach, Grundbuch von K1. Blatt ...), und im Grundstück der Klägerin zu 1) mit der Flur-Nr. ..., hierzu die zum Weg Flur-Nr. ... K1. gezogene Teilfläche (Amtsgericht Kulmbach, Grundbuch von K1. Blatt ...), befindet, vollständig und ordnungsgemäß zu beseitigen sowie die vorgenannten Grundstücke der Klägerin fachgerecht wiederherzustellen.
3. die Beklagte zu verurteilen, die außergsrichtlichen Anwaltskosten der Kläger in Höhe von 1.485,73 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
14
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
15
Die Beklagte ist der Ansicht, dass keine Beeinträchtigung der Klägerseite vorliege, da es sich bei dem betroffenen Grundstück um einen öffentlich gewidmeten Feld- und Waldweg handele. Der Kanal sei für die Kläger nicht spürbar. Es handele sich allenfalls um einen unerheblichen Eingriff. Auf jeden Fall sei der Eingriff wegen des Einverständnisses der Kläger vor Baubeginn und wegen Art. 6 Abs. 5 BayStrWG zu dulden. Der Kanal diene der Entwässerung einer Fläche im Außenbereich von ca. 11.100 qm (Flur-Nr. ...) oberhalb des von ihr neu geschaffenen Baugebiets „Sch. III“ (B 4). Die Abflussleistung der Oberflächenentwässerungsleitung liege bei ca. 430 l/s und die Auslastung mit Q = 18 l/s nur bei ca. 4 % (B 4). Ohne die Verlegung des Oberflächenentwässerungskanals im Anliegerweg Flur-Nr. ... sei zu befürchten, dass sowohl das Baugebiet „Sch. III“, aber auch die darunter liegenden Grundstücke der Kläger bei Starkregenereignissen durch Oberflächenwasser vom Grundstück Flur-Nr. ...beeinträchtigt werden. Die Verlegung des Kanals erfolgte somit im öffentlichen Interesse. Es handele sich um eine Sondernutzung für öffentliche Zwecke nach Art. 22 Abs. 2 BayStrWG, die von den Klägern nach Art. 6 Abs. 5 BayStrWG zu dulden sei.
16
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf deren Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
17
Eine mündliche Verhandlung hat am 05.05.2022 und am 17.10.2022 stattgefunden. Auf die Sitzungsprotokolle wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.
18
Der beschrittene Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist zulässig (vgl. Bl. 114 d.A.).
II.
19
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
20
1. Den Klägern steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Beseitigung des Kanals aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB zu.
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1.1 Voraussetzung ist eine Eigentumsbeeinträchtigung der Kläger, die hier bereits in Zweifel zu ziehen ist. Der streitgegenständliche Kanal wurde unstreitig im Eigentum der Kläger verlegt, da die Wegeteilflächen des Anliegerwegs Flur-Nr. ... eigentumsrechtlich unselbständige Bestandteile der angrenzenden Grundstücke sind (BayObLG Rpfleger 1977, 103/104; Haegele/Schöner/Stöber Grundbuchrecht 9. Aufl. Rn. 563), wobei jeder Grundstückseigentümer – also auch die Kläger – Alleineigentümer der vor ihren Grundstücken liegenden Wegeteilflächen bis zur Mitte des Weges sind. Der Kanal beeinträchtigt das Miteigentum der Kläger an den Wegteilflächen nicht in anderer Weise als durch Entziehung.
22
Gemäß § 905 S. 1 BGB erstreckt sich zwar das Recht des Eigentümer auch auf den Erdkörper unter der Oberfläche, nach § 905 S. 2 BGB kann der Eigentümer jedoch Einwirkungen nicht verbieten, die in solcher Höhe oder Tiefe vorgenommen werden, dass er an der Ausschließung kein Interesse hat. Bei welcher Tiefe (oder Höhe) das Interesse des Grundstückseigentümers an der Ausschließung einer Einwirkung – hier des Kanals – entfällt, lässt sich nicht allgemein festlegen. Entscheidend sind die konkreten Verhältnisse (vgl. BGH, NJW 1957, 1396, 1397; MDR 1981 566, 567; NJW-RR 2019, 463 Tz. 5). Dabei ist auch ein sich etwa erst in der Zukunft ergebendes Ausschließungsinteresse eines Grundstückseigentümers in Betracht zu ziehen (vgl. BGH, NJW-RR 2019, 463 Tz. 5).
23
Die Kläger haben hier kein konkretes Ausschließungsinteresse vorgetragen, sondern sich pauschal auf ihr Eigentumsrecht aus Art. 14 GG berufen. Wegen der bestehenden öffentlichen Nutzung des Weges war und ist die Nutzbarkeit der Anliegerwegflächen für die Kläger ohnehin stark eingeschränkt, weswegen sich für die Einzelrichterin auch kein Ausschließungsinteresse der Kläger an der mindestens 50 cm unter der Erdoberfläche liegenden Leitung aufdrängt.
24
1.2 Schuldnerin des Anspruchs ist die Beklagte als Handlungsstörerin, da sie durch die Verlegung des Kanals die Beeinträchtigung adäquat verursacht hat (vgl. BGH NJW-RR 2001, 232 = NZM 2001, 396; NJW 2005, 1366 [1368] = NZM 2005, 315 m.w.Nachw.). Unschädlich ist dabei, dass es sich bei der Beklagten um eine Stadt und damit eine Körperschaft des öffentlichen Rechts handelt.
25
1.3. Ein Anspruch ist zudem ausgeschlossen, da die Kläger aus § 1004 Abs. 2 BGB zur Duldung verpflichtet sind.
26
1.3.1 Eine Duldungspflicht besteht jedoch nicht auf Grund einer Einwilligung der Kläger. Die von der Beklagten in Bezug genommene Unterschriften der Kläger auf der Aktennotiz vom 24.10.2019 (B 5) sind bei Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont nicht als Willenserklärungen zu verstehen, §§ 133, 157 BGB. Bereits der Wortlaut der Aktennotiz („prinzipiell mit der Maßnahme unter folgenden Voraussetzungen“) und die Umstände der Unterschriften am Ende eines ersten Informationstreffens vor Ort sprechen gegen einen Rechtsbindungswillen der Kläger.
27
Zudem wäre die Zustimmung widerruflich und durch den Widerspruch der Kläger vom 20.11.2019 entfallen (K 10).
28
1.3.2 Die Kläger sind aber zur Duldung verpflichtet, da der Kanal dem Schutz des Baugebiets „Sch. III“ und damit einer öffentlich-rechtlichen Versorgungsaufgabe dient (vgl. Art. 22 Abs. 2 BayStrWG). Die Bauleitplanung gehört zum Aufgabenkreis der Beklagten, § 1 BauGB. Die Beklagte hätte auch eine rechtmäßige Duldungsanordnung gegen die Kläger in einem Duldungsbescheid erlassen können (Zeitler, 31. ErgL 2021, § 22 BayStrWG, Rn. 5).
29
Der bestrittene Vortrag der Klägerseite, dass die Entwässerung nicht fachgerecht und unterdimensioniert sei, kann dahinstehen, da dies der Zweckbestimmung des Kanals (Schutz der Grundstücke im Baugebiet Sch. III) nicht widerspricht.
30
Zudem sind die Kläger auch aus § 242 BGB zur Duldung verpflichtet. Der Kanal wurde in einem öffentlichen Feld- und Waldweg verlegt. Daher ist bei einer Interessenabwägung das öffentliche Interesse der Beklagten an der Nutzung derselben zur Entwässerung durch einen unter der Erde gelegenen Kanal stärker zu gewichten als das Interesse der Kläger an der Beseitigung des Kanals.
31
2. Den Klägern steht gegen die Beklagte folgerichtig auch kein Anspruch auf Wiederherstellung des früheren Zustands des Anliegerweges aus §§ 1004 Abs. 1 i.V.m. 823 BGB zu. Es fehlt an einer rechtswidrigen Eigentumsverletzung durch die Beklagte; die Kläger sind zur Duldung verpflichtet.
32
3. Die Nebenforderungen folgen dem Schicksal der Hauptforderungen.
33
4. Es bedarf keiner Entscheidung, ob die Kläger den Kanal und dessen weitere Nutzung durch die Beklagte ohne Entschädigung dulden müssen. Denn die Kläger haben einen solchen Anspruch nicht beantragt.
III.
34
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit basiert auf § 709 S. 1, S. 2 ZPO.