Inhalt

OLG Nürnberg, Beschluss v. 25.04.2022 – 3 U 4206/21
Titel:

Hinweisbeschluss, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Gegenerklärung, Abschalteinrichtung, Klagepartei, Kosten des Berufungsverfahrens, Sittenwidrige Schädigung, substantiierter Sachvortrag, Kostenentscheidung, Sicherheitsleistung, Streitwert, Berufungsbeklagter, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, Greifbare Anhaltspunkte, Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung, BGH-Rechtsprechung, Beweisangebote, Berufungszurückweisung, Zwangsvollstreckung, Zug-um-Zug

Schlagworte:
Berufung, unzulässige Abschalteinrichtung, Stickoxid-Emissionen, Prüfstandsbetrieb, Sittenwidrige Schädigung, Betrug, Kostenentscheidung
Vorinstanz:
LG Nürnberg-Fürth vom 05.11.2021 – 18 O 3129/21
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 06.11.2023 – VIa ZR 667/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 52401

Tenor

I. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 5. November 2021, Aktenzeichen 18 O 3129/21, wird zurückgewiesen.
II. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Das in Ziffer I. genannte Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klagepartei kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die beklagte Partei Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
IV. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 33.508,86 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 5. November 2021 und die Sachdarstellung im Hinweisbeschluss des Senats vom 9. März 2022 Bezug genommen.
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Im Berufungsverfahren hat der Kläger und Berufungsführer beantragt,
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei Euro 33.508,86 nebst Zinsen aus Euro 33.508,86 hieraus in Höhe von 5% Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 07.05.2021 zu bezahlen, Zug-und-Zug gegenüber Eignung und Herausgabe des PKW Typs Volvo XC60, FIN: ….
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei Euro 4815,15 Deliktszinsen zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des PKW Typs Volvo XC60, FIN: …
3. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des in Antrag 1 genannten Fahrzeug seit dem 07.05.2021 in Verzug befindet.
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Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
II.
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Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 5. November 2021, 18 O 3129/21, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
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Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats vom 9. März Bezug genommen.
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Auch die Ausführungen in der Gegenerklärung vom 7. April 2022 geben zu einer Änderung keinen Anlass. Der Senat bleibt bei seiner Auffassung, dass auch unter Berücksichtigung der in der Entscheidung des BGH vom 25. November 2021 (III ZR 202/20) dargestellten Grundsätze die erforderlichen Anhaltspunkte für das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung in dem vom Kläger erworbenen Fahrzeug nicht gegeben sind.
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1. Die Testergebnisse des Emissionskontrollinstituts der Deutschen Umwelthilfe (DUH) gemäß Anlage K C 2, Stand 1. Juli 2019, betreffen zwar einen Volvo XC 60 mit einem Hubraum von 1.969 ccm, 140 kW, Baujahr 2016, und damit offensichtlich ein Fahrzeug mit einem Motor der Art, die auch im Fahrzeug des Klägers verbaut ist. Die im realen Fahrbetrieb ermittelten Messwerte überschritten danach den zulässigen Grenzwert für Stickoxide um das 5,2-fache.
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Die in der Gegenerklärung im Einzelnen dargestellten Messwerte aus der Versuchsreihe vom 22. September 2020 entsprechend der Anlage K G 1 wurden demgegenüber, wie die Klagepartei selbst ausführen lässt, bei einem Fahrzeug ermittelt, das mit einem anderen Motor (Hubraum 2.400 ccm) ausgestattet war. Näheres dazu, inwieweit die beiden Motoren und Abgasreinigungssysteme Übereinstimmungen aufweisen, trägt die Klagepartei nicht vor, nicht einmal, zu welchem Zeitpunkt der Motor erstmals auf den Markt gebracht wurde. Damit kommt diesen Ergebnissen von vornherein keine unmittelbare Bedeutung und Aussagekraft für die im vorliegenden Verfahren relevanten Fragen zu.
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Auch bei diesem leistungsstärkeren Motor belief sich allerdings die Abweichung bei Normalbedingungen in derselben Größenordnung (5,3-facher Grenzwert). Die Abweichung um das 13,4-fache ergab sich lediglich bei einer zusätzlichen Herabkühlung des im linken Außenspiegel verbauten Temperatursensors mittels Eiswürfeln auf 2-4 °C.
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2. Eine Kopplung der Tätigkeit des Abgasreinigungssystems an die Außentemperatur, wie sie durch das mit dem 2.400 ccm-Motor durchgeführte Experiment belegt (und auch beklagtenseits eingeräumt) ist, begründet für sich genommen nicht die Voraussetzungen einer unzulässigen Abschalteinrichtung und damit einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung (§ 826 BGB) oder eines Betrugs (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB). Auf die nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gebotene Differenzierung, die der Senat im Hinweisbeschluss eingehend dargestellt hat, wird Bezug genommen (vgl. Hinweisbeschluss S. 6 ff.). In diesem Zusammenhang ist auch nicht entscheidend, ob eine Reduzierung oder Abschaltung über bzw. unterhalb bestimmter Temperaturen mit den maßgeblichen Vorgaben des EU-Rechts vereinbar ist oder nicht. Der abermalige Hinweis in der Gegenerklärung, dass in den Wintermonaten die Außentemperaturen selten über 7 °C liegen und daher in dieser Zeit eine Abgasreinigung allenfalls teilweise erfolgt, ändert daher nichts entscheidend zugunsten der Klagepartei.
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Dafür, dass das Temperaturfenster so eng gewählt worden wäre, dass eine weitgehende Abgasreinigung letztlich nur bei Prüfstandsbedingungen erfolgt, was nicht mit dem Ziel des Motorschutzes erklärt werden könnte, hat die Klagepartei weiterhin nichts aufgezeigt.
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3. Der Umstand, dass der Kläger keine Erklärung dafür hat, dass sich bei Abkühlung des Temperatursensors die Stickoxid-Emissionen mehr als verdoppelten, während die Kohlendioxid-Emissionen nur geringfügig wuchsen, stellt keinen substantiierten Sachvortrag der insoweit darlegungsbelasteten Klagepartei dar. Die Beobachtung stellt auch nicht für sich genommen das Vorbringen der Beklagten infrage, dass der Stickoxidausstoß, die Motorsteuerung und die gebotene Abgasnachbehandlung von den Außentemperaturen abhängen. Kohlendioxid als eigentliches Verbrennungsprodukt entsteht stets in Abhängigkeit davon, wie viel Kraftstoff umgesetzt wird (wenn es nicht zu einer unvollständigen Verbrennung und damit zur Bildung von Kohlenmonoxid kommt). Selbst bei identischem Fahrverhalten mag es daher durchaus so sein, dass dieselbe Kraftstoffmenge verbraucht und zu Kohlendioxid umgesetzt wird, die unerwünschten Nebenprodukte, zu denen die Stickoxide gehören, jedoch in anderen Mengen anfallen, weil die Prozesse im Motor bei anderen Verhältnissen hinsichtlich Druck, Temperatur etc. stattfinden. Wie der Senat bereits unter Hinweis auf die gefestigte BGH-Rechtsprechung ausgeführt hat, liegt keine sittenwidrige Schädigung darin, wenn Motoren und Abgasreinigungssysteme so optimiert sind, dass sie ihre volle Wirksamkeit nur in bestimmten Temperaturbereichen erreichen und diese u.a. die Prüfstandsbedingungen abdecken.
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Auf die Frage, ob davon auszugehen wäre, dass die verantwortlichen Organe und leitenden Mitarbeiter der Beklagten Kenntnis vom Einbau unzulässiger Abschalteinrichtungen hätten, kommt es mithin weiterhin nicht entscheidend an.
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4. Soweit die Gegenerklärung die Ausführungen des Gerichts unter II. 1a als schlichtweg falsch bezeichnet, kann der Senat dies nicht nachvollziehen, weil sich eine entsprechende Gliederungsziffer im Hinweisbeschluss nicht findet.
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5. Die Gegenerklärung geht schließlich nicht auf die Überlegungen des Senats dazu ein, dass von der technischen Möglichkeit, mittels der in dem Fahrzeug verbauten Sensoren einen Prüfstandsbetrieb zu erkennen (Einschlag der Lenkachse, Abschaltung des Radios usw.), oder dem Umstand, dass ein Prüfstandsmodus vorgesehen ist und aktiviert werden muss, nicht darauf geschlossen werden kann, dass dadurch auch die Abgasreinigung beeinflusst wird. Es bleibt dabei, dass allein die technische Möglichkeit regelmäßig nicht das Ausnutzen entsprechender Manipulationsmöglichkeiten bedeutet.
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6. In der Summe bedeutet dies, dass hinreichend aussagekräftige (“greifbare“) Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte in dem vom Kläger erworbenen Fahrzeug eine unzulässige Einrichtung verbaut hat, weiter nicht vorliegen. Dies führt dazu, dass dem Beweisangebot des Klägers nicht nachzugehen ist.
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a) Die Diskrepanzen der Messwerte sind jedenfalls nicht so groß, dass sie nicht anderweitig erklärt werden könnten. Insbesondere stellt eine Erhöhung der Stickoxid-Emissionen um das Fünffache im realen Straßenbetrieb gegenüber den Prüfstandsmesswerten nach den gewissermaßen „künstlichen“ Bedingungen des NEFZ für den Senat weiterhin keinen aussagekräftigen Hinweis dafür dar, dass das Fahrzeug des Klägers eine prüfstandsbezogene oder prüfstandsspezifische Erkennungs- und Abfalleinrichtung besitzen muss (ebenso BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 – VI ZR 128/20, NZV 2021, 525; Rn. 23; BGH, Hinweisbeschluss vom 15. September 2021 – VII ZR 2/21, BeckRS 2021, 37995, Rn. 30). Solche Abweichungen können ohne weiteres damit erklärt werden, dass bei Messungen im Straßenfahrbetrieb eine höhere Leistung abgerufen wird als auf dem Prüfstand, bei dem lediglich Rollen in Bewegung gesetzt werden, aber weder das Fahrzeug selbst noch Personen oder Messeinrichtungen bewegt werden müssen noch dem Luftwiderstand entgegengewirkt werden muss.
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Diese Einschätzung des Senats deckt sich dabei mit der der Untersuchungskommission „Volkswagen“, die bei entsprechenden Abweichungen, die sich in dieser Form quasi durchwegs bei allen Modellen und Herstellern gezeigt haben, ebenfalls noch keine Vermutung für unzulässige Abschalteinrichtungen begründet sah (vgl. Hinweisbeschluss S. 19/20).
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b) Von den beim 2.400-ccm-Motor ermittelten Messwerten kann in der vorliegenden Konstellation auf den im Klägerfahrzeug verbauten 1.969-ccm-Motor ohnehin nicht geschlossen werden.
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Ein greifbarer Anhaltspunkt für eine unzulässige Abschalteinrichtung, der sich nicht unmittelbar aus einem Bezug auf das streitgegenständliche Fahrzeug (wie z.B. dessen Rückruf) ergeben soll, setzt regelmäßig jedenfalls voraus, dass sich die betreffende Tatsache auf ein vergleichbares Fahrzeug bezieht, namentlich ein solches, das über denselben Motortyp verfügt und in dieselbe Schadstoffklasse fällt (ebenso OLG Stuttgart Urteil vom 23. März 2022 – 23 U 458/21, BeckRS 2022, 5618, Rn. 39; OLG Hamm, Hinweisbeschluss vom 28. Dezember 2021 – I-7 U 64/21, BeckRS 2021, 44474, Rn. 12).
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Anders ergibt sich auch nicht aus der (nicht amtlich veröffentlichten) Entscheidung des BGH vom 25. November 2021, III ZR 202/20. Diese betraf die Sondersituation, dass sowohl der getestete Motor als auch der dort verfahrensgegenständliche Motor der Motorenreihe EA 897 desselben Herstellers (bei dem überdies Manipulationen vorgekommen sind) angehörten und denselben Hubraum aufwiesen, und sich dabei im Übrigen nur geringfügig unterschieden. Eine derartige bauliche Gemeinsamkeit und Vergleichbarkeit der Motoren ist vorliegend nicht aufgezeigt oder sonst ersichtlich.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
23
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10 i.V.m. § 713 ZPO.
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Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.