Titel:
Abschalteinrichtung, Hinweisbeschluss, Sittenwidrigkeit, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Nutzungsentschädigung, Klagepartei, Kosten des Berufungsverfahrens, Substantiierungspflicht, Kostenentscheidung, Sicherheitsleistung, Zug-um-Zug, Abänderung, Darlegungs- und Beweislast, Ausforschungsbeweis, Streitwert, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, Deliktsrecht, Darlegungslast, Gesetzesverstoß, Außergerichtliche Rechtsanwaltskosten
Schlagworte:
Rückzahlung des Kaufpreises, Deliktsrecht, Illegale Abschalteinrichtung, Substantiierungspflicht, Unzulässige Abschalteinrichtungen, Schadensersatzanspruch, Unrechtsbewusstsein
Vorinstanz:
LG Landshut, Endurteil vom 29.06.2021 – 24 O 422/21
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 16.10.2023 – VIa ZR 356/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 52375
Tenor
1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 29.06.2021, Aktenzeichen 24 O 422/21, wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Landshut ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klagepartei kann die Vollstreckung der Beklagten abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 22.032,65 € festgesetzt.
Gründe
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Die Klägerin begehrt Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 26.990,00 nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung ihres Pkws ... GLK 350 CDI 4-Matic Diesel, Abgasnorm EU 5 abzüglich einer Nutzungsentschädigung. Das Fahrzeug hatte die Klägerin im gebrauchten Zustand mit Kaufvertrag vom 27.05.2017 für 26.990,00 € und mit einem Kilometerstand von 105.000 Kilometern von einem Händler erworben. In das Fahrzeug eingebaut ist ein Motor des Typs OM 642, der über eine sog. Illegale Abschalteinrichtung verfügen soll. Den Anspruch stützt die Klägerin ausschließlich auf Deliktsrecht, nicht auf Kaufvertragsrecht.
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Das Landgericht Landshut hat die Klage im vollen Umfang abgewiesen. Tragend hat es darauf abgestellt, dass kein deliktischer Anspruch aus § 826 BGB besteht. Eine illegale Abschalteinrichtung sei nicht ersichtlich. Die Implementierung eines Thermofensters stelle jedenfalls keine sittenwidrige Handlung dar und sei nicht mit der Umschaltlogik in Motoren des Typs EA189 von VW vergleichbar. Es fehlten konkrete Anhaltspunkte für weitere neben dem Thermofenster geltend gemachte Abschalteinrichtungen: Insoweit handle es sich um bloße Behauptungen „ins Blaue“ hinein.
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Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts Landshut vom 29.06.2021, Aktenzeichen 24 O 422/21 Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.
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Die Berufung macht geltend, das Landgericht habe überspannte Anforderungen an die Substantiierungspflicht gestellt und die neueste aktuelle Rechtsprechung des BGH hierzu verkannt. Außerdem seien Beweisangebote der Klagepartei auf Vernehmung von Zeugen der Beklagten und der Firma …, die mit der Entwicklung oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems befasst waren, nicht beachtet worden. Der streitgegenständliche Motor OM 642 der Beklagten enthalte eine als „Thermofenster“ bezeichnete temperaturbasierte Abschalteinrichtung sowie neben der Kühlmittel-Sollwert-Temperaturregelung, der erhöhten Einspritzung von AdBlue, der SCR-Abschalteinrichtung weitere unzulässige Abschalteinrichtungen, die nach Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 nicht zulässig seien. Zur Untermauerung stützt sich die Klagepartei auf einen Spiegelartikel sowie auf ein als Anlage vorgelegtes Gutachten des Dipl.-Ing. (FH) … vom 28.09.2020, das belege, dass 8 illegale Abschalteinrichtungen verbaut seien.
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Im Berufungsverfahren beantragt die Klagepartei:
I. Unter Abänderung des am 29.06.2021 verkündeten Urteils des LG Landshut, Az.: 24 O 422/21 die Beklagte zu verurteilen, Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges ... GLK350 CDI mit der Fahrgestellnummer …81 an die Klagepartei 26.990,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit 26.02.2020 abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 4.957,35 Euro zu zahlen.
II. Unter Abänderung des am 29.06.2021 verkündeten Urteils des LG Landshut, Az.: 24 O 422/21 die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten seines Rechtsanwaltes M. H. in Höhe von 1.711,70 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.
III. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
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Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Der Senat hat mit Beschluss vom 14.12.2021 (Bd. II, Bl. 50/56 d.A.) darauf hingewiesen, dass er beabsichtigt, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
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Hierauf hat die Klagepartei mit Schriftsatz vom 07.02.2022 (Bd. II, Bl. 60/63 d.A.) erwidert.
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Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 29.06.2021, Aktenzeichen 24 O 422/21, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
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Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats vom 14.12.2021 (Bd. II, Bl. 50/56 d.A.) Bezug genommen.
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Auch die Ausführungen in der Gegenerklärung vom 07.02.2022 (Bd. II, Bl. 60/63 d.A.) geben zu einer Änderung keinen Anlass.
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Es kann dahingestellt bleiben, ob das streitgegenständliche Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschaltvorrichtung versehen ist, weil jedenfalls ein vorsätzliches Handeln der Beklagten nicht nachweisbar ist. Die angebotenen Zeugenbeweise stellen einen unzulässigen Ausforschungsbeweis dar.
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1. Der BGH hat mit Beschluss vom 29.09.2021, Az. VII ZR 126/21, Rz. 14 (Anlage BB 01) explizit hervorgehoben, dass eine Verurteilung der Beklagten wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung selbst dann nicht gerechtfertigt ist, wenn ein Fahrzeug von einem Rückruf des KBA betroffen ist. Erst recht muss dies gelten, wenn – wie hier für den streitgegenständlichen Motor OM 642 – kein verpflichtender Rückruf des KBA, auch nicht im Hinblick auf die Funktion des geregelten Kühlmittelthermostats besteht und auch sonst greifbare Anhaltspunkte für unzulässige Abschalteinrichtungen im streitgegenständlichen Motor fehlen.
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2. Entgegen der Auffassung der Klagepartei wird das Vorliegen unzulässiger Abschalteinrichtungen für das streitgegenständliche Fahrzeug nicht durch das als Anlage vorgelegte Gutachten des Dipl.-Ing. (FH) … vom 28.09.2020 belegt. Denn dabei wurden keine spezifischen Tests auf dem Rollenprüfstand durchgeführt und gerade nicht nachgewiesen, dass auf dem Prüfstand eine Umschaltlogik aktiviert wird, die sicherstellt, dass nur bei Durchfahren des NEFZ die Abgasreinigung verstärkt aktiviert wird. Vielmehr belegt das Gutachten, dass die Abschalteinrichtungen, deren Unzulässigkeit zugunsten des Klägers gedanklich unterstellt werden kann, auf dem Prüfstand und im Normalbetrieb im Grundsatz in gleicher Weise arbeiten und dass alle illegalen Abschalteinrichtungen, die identifiziert wurden, in der aktuellen Software entfernt sind. Hinzukommt, dass eine Übertragbarkeit auf das streitgegenständliche Fahrzeug nicht gegeben ist, da „die Messdaten an einem modernen (2015, Euro-6-Abgasnorm ...-Pkw) erhoben“ (S. 3) wurden. Vorliegend handelt es sich aber um ein älteres der Euro-5-Abgasnorm unterfallendes Fahrzeug. Zudem wird lediglich vermutet, „dass andere ...-Fahrzeuge mit vergleichbaren Motoren und Technologien vergleichbare illegale Abschalteinrichtungen enthalten dürften“ (S. 4). Dabei handelt es sich aber lediglich um eine unbewiesene Behauptung. Eine Übertragbarkeit der Messergebnisse auf andere Fahrzeuge erscheint nicht plausibel.
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3. Sofern in der ursprünglichen Software die Parameter anders gesetzt waren und insoweit unzulässige Abschalteinrichtungen aktiv waren, führt dies immer noch nicht zu einem Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB. Dieser kommt erst in Betracht, wenn die für die Beklagten handelnden Personen in dem Bewusstsein handelten, eine ebensolche zu verwenden und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (Unrechtsbewusstsein), (vgl. BGH, Urteil vom 13.07.2021, VI ZR 128/20, BeckRS 2021, 21371, Rn. 13; Urteil vom 20.07.2021, VI ZR 1154/20, BeckRS 2021, 30885, Rn. 13; Beschluss vom 19.01.2021, VI ZR 433/19, BeckRS 2021, 847, Rn. 19; Urteile vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, BeckRS 2021, 30607, Rn. 16; VII ZR 286/20, BeckRS 2021, 30338, Rn. 16; VII ZR 321/20, BeckRS 2021, 30608, Rn. 16; VII. ZR 322/20, BeckRS 2021, 31797, Rn. 16; Hinweisbeschluss vom 15.09.2021, VII ZR 3/21, Rn. 12; Hinweisbeschluss vom 29.09.2021, VII ZR 223/20, Rn. 12; Hinweisbeschluss vom 29.09.2021, VII ZR 45/21; Rn. 12; Hinweisbeschluss vom 29.09.2021, VII ZR 72/21, Rn. 18; Hinweisbeschluss vom 29.09.2021, VII ZR 126/21, Rn. 12; Hinweisbeschluss vom 13.10.2021, VII ZR 99/21, Rn. 13; Hinweisbeschluss vom 13.10.2021, VII ZR 179/21, Rn. 13.)
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4. Selbst ein Verstoß gegen einfache gesetzliche Regelungen allein wäre nicht geeignet, die für die objektive Sittenwidrigkeit erforderliche besondere Verwerflichkeit zu begründen. Zudem muss die unsichere Rechtslage im Zusammenhang mit der Regulierung von Abschalteinrichtungen berücksichtigt werden. Denn der Einschätzung im Hinblick auf das Thermofenster könne auch eine möglicherweise falsche, aber dennoch vertretbare Gesetzesauslegung zugrunde liegen, dass es sich um eine zulässige Abschalteinrichtung handele (OLG Stuttgart, Entscheidung vom 30.07.2019 zum Az. 10 U 134/19 Rn. 81 ff.). Dieser Sichtweise hat sich auch das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht in seinem Beschluss vom 19.12.2019 zum Az. 3 U 13/19 angeschlossen. Auch das Oberlandesgericht Köln vertritt in einem Beschluss vom 04.07.2019 zum Az. 3 U 148/18 die Auffassung, dass in einem solchen Fall der erforderliche Schädigungsvorsatz nicht festzustellen sei. Dies gilt auch für den 8. Senat des OLG München (Beschluss v. 29.08.2019, 8 U 1449/19), der insbesondere darauf verweist, dass das KBA und andere das Thermofenster nicht als unzulässige Abschalteinrichtung sehen und gesehen haben (aaO, BeckRS 2019, 19592, etwa Rn.107-109). Ohnehin ist nicht der heutige Erkenntnisstand maßgeblich, sondern der Zeitpunkt des der Beklagten vorgeworfenen Handelns.
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5. Für das Vorliegen eines Unrechtsbewusstseins stellt der BGH hohe Hürden auf und verlangt beispielsweise bei den Angaben in Typgenehmigungsverfahren, das das KBA nicht nur wissentlich nicht oder falsch informiert wurde, sondern dies auch zusätzlich „auf ein heimliches und manipulatives Vorgehen oder eine Überlistung des KBA“ hindeutet (BGH, Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, BeckRS 2021, 30607, Rn. 26). Der BGH verlangt also ein eindeutig rechtswidriges Verhalten, dessen Rechtswidrigkeit sich geradezu aufdrängen musste. Der BGH hat zudem ausdrücklich bestätigt, dass die volle Darlegungs- und Beweislast für den objektiven Tatbestand der Sittenwidrigkeit – auch für das Handeln im Bewusstsein der Rechtswidrigkeit und eine billigende Inkaufnahme eines etwaigen Gesetzesverstoßes – beim Kläger liegt. Dieser Darlegungslast genügt die Klagepartei nicht, zumal durch Auskünfte des KBA vom 18.03.2021 (Anlage BB 02) und vom 20.08.2020 (Anlage BB 03) feststeht, dass eine Offenlegung oder gar nähere Beschreibung von Emissionsstrategien oder Abschalteinrichtungen (sog. AES/BES-Dokumentation) gesetzlich nicht vorgesehen war, und auch nicht die Darstellung der beanstandeten Funktionen des SCR-Systems im Typgenehmigungsverfahren gefordert war. Dies wurde erst ab 16.05.2016 mit der Verordnung (EU) 2016/646 eingeführt, also deutlich nach der Erteilung der Typgenehmigung für das in Rede stehende Fahrzeug.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.