Titel:
Sekundäre Darlegungslast, Klagepartei, Abschalteinrichtung, Streitwertfestsetzung, Vollstreckbarerklärung, Sittenwidrige Schädigung, Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Kostenentscheidung, Zwangsvollstreckung, Zug-um-Zug, Außergerichtliche Rechtsverfolgung, Kosten des Berufungsverfahrens, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, Wissenszurechnung, Greifbare Anhaltspunkte, Beweisbeschlüsse, Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung, Übereignung, Bundesgerichtshofs
Schlagworte:
Sekundäre Darlegungslast, Schadensersatzanspruch, Manipulierte Software, Rückruf, Stickoxidausstoß, Kostenentscheidung, Streitwertfestsetzung
Vorinstanzen:
OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss vom 01.02.2022 – 1 U 4358/21
LG Regensburg, Urteil vom 03.11.2021 – 31 O 1846/19
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 23.10.2023 – VIa ZR 476/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 52373
Tenor
1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 03.11.2021, Aktenzeichen 31 O 1846/19, wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Regensburg und dieser Beschluss sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 32.293,12 € festgesetzt.
Gründe
1
Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angegriffenen Urteil des Landgerichts Regensburg vom 03.11.2021 (Bl. 427 ff d.A.) Bezug genommen (§ 522 Abs. 2 S. 4 ZPO).
2
Im Berufungsverfahren beantragt der Kläger:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei Euro 32.293,12 nebst Zinsen aus Euro 32.293,12 hieraus in Höhe von 5% Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 29.03.2019 zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen die Übereignung und Herausgabe des PKW Typs BMW X3, FIN: …03.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei Euro 10.033,97 Deliktszinsen zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen die Übereignung und Herausgabe des PKW Typs BMW X3, FIN: …03.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des in Antrag I genannten Fahrzeugs seit dem 29.03.2019 in Verzug befindet.
Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von Euro 1.965,88 vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten freizustellen.
3
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
4
Die Berufung ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen, weil sie offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung besitzt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist. Zur Begründung und zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat Bezug auf die Gründe in dem Hinweis vom 03.02.2022 (Bl. 657ff d.A.). Die hierzu abgegebenen Stellungnahme der Klagepartei in dem Schriftsatz vom 04.03.2022 (Bl. 686ff d.A.) rechtfertigt keine andere Bewertung.
5
1. Aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 ergibt sich nicht, wie die Klagepartei meint, dass die Beklagte – ohne Vortrag konkreter Anhaltspunkte für ein Bewusstsein der für sie handelnden Personen, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf zu nehmen – eine sekundäre Darlegungslast trifft. Im Gegenteil: Auch in dieser Entscheidung führt der Bundesgerichtshof zur Begründung, dass die dortige beklagte Fahrzeugherstellerin eine sekundäre Darlegungslast trifft, aus, die Klägerin habe „hinreichende Anhaltspunkte“ für eine Kenntnis von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung vorgetragen. Im Streitfall hat die Klagepartei aber – wie im erteilten Hinweis ebenfalls dargelegt – schon keine greifbaren Anzeichen dafür vorgetragen, dass die für die Beklagte handelnden Personen in dem Bewusstsein gehandelt haben, eine unterstellt unzulässige Abschalteinrichtung in Verkehr zu bringen. Auf eine Wissenszurechnung gemäß § 31 BGB kommt es vorliegend deswegen nicht an.
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2. Die zitierten Beweisbeschlüsse hat der Senat zur Kenntnis genommen. Der Senat hat sich jedoch mit dem Vorbringen des Klägers im hier zu entscheidenden Fall auseinandergesetzt und dieses in seinem Hinweis umfassend gewürdigt und bewertet.
7
3. Zu der Problematik des Kaltstartheizens hat der Senat im Hinweis vom 03.02.2022 bereits Stellung genommen. Soweit die Klagepartei im Hinblick auf die sekundäre Darlegungslast eine andere Meinung vertritt, bewertet der Senat, wie in dem oben zitierten Hinweis ausführlich dargelegt, die Situation rechtlich anders und geht insbesondere nicht von einer sekundären Darlegungslast der Beklagten aus. Der Kläger zeigt hier auch keine greifbaren Umstände auf, welche zur Annahme einer sekundären Darlegungslast führen könnten, zumal der streitgegenständliche Motortyp gar nicht Gegenstand der Untersuchungen des Sachverständigen xxx war.
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4. Die von der Klagepartei zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25.11.2021, Az.: III ZR 202/20 führt zu keiner anderen Bewertung der Rechtslage. Zunächst bestätigt der Bundesgerichtshof in dieser Entscheidung nochmals, dass alleine die Entscheidung, ein Fahrzeug mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) auszustatten und in Verkehr zu bringen, nicht ausreicht, um die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gem. § 826 BGB zu erfüllen (BGH, Beschluss vom 25.11.2021, Az.: III ZR 202/20, Randnote 13, zitiert nach juris).
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Der Senat hat sich in seinem Hinweisbeschluss bereits umfassend damit auseinandergesetzt, dass die Klagepartei keine weiteren Umstände vorgetragen hat, welche den Einsatz eines Thermofensters durch die für die Beklagte handelnden Person als besonders verwerflich erscheinen lassen.
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Die Berufungsbegründung und der gesamte Sachvortrag der Klagepartei zeigen keine greifbaren Anhaltspunkte dafür auf, dass die für die Beklagte handelnden Personen vor dem Hintergrund der unklaren Rechtslage im Hinblick auf die Auslegung der Ausnahmevorschrift des Artikel 5 Abs. 2 S. 2 Buchstabe a der Verordnung Nr. 715/2017 EG gewusst haben, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung eingebaut wird.
11
Soweit der Bundesgerichtshof (BGH, a. a. O., Randnote 17, zitiert nach juris) den Vortrag der dortigen Klagepartei als hinreichend substantiiert ansieht, um die angebotenen Beweise zu erheben, führt dies im hier zu entscheidenden Fall nicht zu einer anderen Bewertung. Der Senat hat sich mit dem Vortrag der Klagepartei bereits in seinem Hinweis umfassend auseinandergesetzt und diesen als nicht ausreichend substantiiert erachtet. Der Bundesgerichtshof ging in seiner Entscheidung davon aus, dass die dortige Beklagte in dem von ihm zu entscheidenden Fall nicht in Abrede gestellt habe, dass die Motorsteuerungssoftware erkennen könne, ob nur die Antriebsachse rotiert, der Lenkradeinschlag nicht mehr als 15 Grad beträgt und Radio sowie Multimediaeinheit ausgeschaltet sind (vgl. BGH, a. a. O., Randnote 17, zitiert nach juris). Die Klagepartei stützt ihre Ansprüche auf § 826 BGB und muss daher die Voraussetzung einer objektiv sittenwidrigen Schädigung darlegen. Es kommt entscheidend darauf an, ob greifbare Umstände dafür vorgetragen werden, dass eine den Prüfstand erkennende Abschalteinrichtung in den Fahrzeugen der Beklagten verbaut ist. Der Vortrag der hiesigen Klagepartei zum sogenannten „hard cycle beating“ erfüllt diese Voraussetzungen – unabhängig davon, ob die Beklagte diesen hinreichend bestritten hat oder nicht – nicht. Die Klagepartei trägt u. a. vor, dass die „Funktionsweise der Emissionsstrategie so optimiert werde, dass sie unter den Umständen des NEFZ optimal funktioniere und eine optimale Reinigungswirkung erziele“. Sie trägt nicht vor, dass diese Faktoren ausschließlich auf dem Prüfstand funktionieren und im Übrigen nicht. Der Vortrag der Klagepartei zeigt somit keine greifbaren Umstände dafür auf, dass die Beklagte bewusst eine den Prüfstand erkennende Abschalteinrichtung eingebaut hat, sondern vielmehr nur, dass bestimmte Faktoren im Realbetrieb dazu führen, dass der Stickoxidausstoß höher ist. Nichts anderes belegen auch die Messwerte, wobei die von der Klagepartei aufgezeigten Messwerte, welche sich der Senat im Einzelnen angesehen hat, teilweise andere Fahrzeugtypen und Motoren betreffen. Hinzu kommt, dass die Überschreitung der Messwerte in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall deutlich höher ist.
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Hinsichtlich der Motoren der Beklagten gibt es keinen einzigen Rückruf des Kraftfahrbundesamtes wegen einer manipulierten Software im Hinblick auf den Prüfzyklus, geschweige denn wegen einer Lenkradeinschlagserkennungssoftware. Die Staatsanwaltschaft München I hat zudem das Ermittlungsverfahren gegen die Verantwortlichen der Beklagten wegen Betruges eingestellt und dies damit begründet, dass bei den Verantwortlichen der Beklagten kein Vorsatz im Hinblick auf den Einbau einer bewusst den Prüfstand manipulierenden Abschalteinrichtung vorlag. Die von der Klagepartei zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25.11.2021 betrifft einen Pkw Audi. Für jedenfalls zwei Audi-Modelle hat das Kraftfahrtbundesamt (vgl. Bericht der Frankfurter Allgemeinen vom 15.06.2017, abrufbar unter: Schummelei mit Lenkwinkel: Kraftfahrtbundesamt verordnet Audi Pflicht-Rückruf – Wirtschaft – FAZ) – anders als für die Motoren der hier beklagten Automobilherstellerin – einen Rückruf wegen einer Erkennung des Prüfstandbetriebes aufgrund des Lenkwinkels angeordnet. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu Audi-Fahrzeugen hat deswegen keine Relevanz im Hinblick auf die Fahrzeuge der Beklagten. Für diese gibt es schlicht keine greifbaren Anhaltspunkte für den Einsatz einer „Schummelsoftware“ und die Klagepartei hat solche auch nicht vorgetragen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die Vollstreckbarkeitserklärung folgt aus § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 3 ZPO, § 47 GKG.