Titel:
Darlegungslast in Dieselfall zu Kenntnis und Verantwortlichkeit der für die Konzerntochter handelnden Personen
Normenketten:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826
EG-FGV Art. 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Leitsatz:
Ist die Beklagte nicht Herstellerin des Motors EA189, ergibt sich eine deliktische Haftung alleine aufgrund des Umstandes, dass sie Konzerntochter der V. AG ist, nicht. Die Klagepartei muss daher substantiiert vortragen, woraus sich eine Kenntnis und Verantwortlichkeit von Personen ergibt, die bei der Beklagten über die Verwendung eines Motors mit unzulässiger Abschalteinrichtung entschieden haben. Derartiger Vortrag ist auch möglich und zumutbar, wie dem Senat aufgrund der ständigen Befassung mit sogenannten Diesel-Klagen aus Parallelverfahren bekannt ist. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatz, sittenwidrige Schädigung, Schutzgesetz, Kfz-Motorhersteller, Konzerntochter, Dieselskandal, unzulässige Abschalteinrichtung, EA 189, Kenntnis der verantwortlichen, Darlegungslast
Vorinstanz:
LG Ingolstadt, Urteil vom 16.09.2022 – 81 O 560/21 Die
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 17.01.2023 – 35 U 6090/22
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 16.10.2023 – VIa ZR 179/23
Fundstelle:
BeckRS 2022, 52363
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 16.09.2022, Az. 81 O 560/21 Die, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen 2 Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.
3. Innerhalb derselben Frist kann zur Streitwertfestsetzung Stellung genommen werden.
Entscheidungsgründe
1
Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg. Weder weist der Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung auf noch erscheint eine Entscheidung des Berufungsgerichts aufgrund mündlicher Verhandlung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung 35 U 6090/22 – Seite 2 – erforderlich. Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten.
2
Die Würdigung durch das Landgericht ist frei von Rechtsfehlern (§§ 513 Abs. 1, 546 ZPO). Unter zutreffender Würdigung des Parteivortrags, der Gesamtumstände sowie der vorgelegten Unterlagen hat das Gericht in 1. Instanz zu Recht die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen.
3
Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass hinreichende Darlegungen der Klagepartei zur deliktischen Verantwortlichkeit von Personen, die für die Beklagte handelten, fehlen.
4
Unstreitig ist die Beklagte nicht Herstellerin des Motors EA189. Eine deliktische Haftung alleine aufgrund des Umstandes, dass die Beklagte Konzerntochter der V. AG ist, ergibt sich nicht. Die Klagepartei hätte daher substantiiert vortragen müssen, woraus sich eine Kenntnis und Verantwortlichkeit von Personen ergibt, die bei der Beklagten über die Verwendung eines Motors mit unzulässiger Abschalteinrichtung entschieden haben. Einen entsprechenden klaren und ausreichenden Hinweis hat das Landgericht erteilt (Beschluss vom 12.03.2021 Bl. 61 d.A.) Derartiger Vortrag ist auch möglich und zumutbar, wie dem Senat, aufgrund der ständigen Befassung mit sogenannten Diesel-Klagen gegen verschiedene Hersteller von Motoren und Fahrzeugen aus Parallelverfahren bekannt ist Der bloße Verweis der Klagepartei auf anderweitige Gerichtsentscheidungen einschließlich des Einkopierens von Fragmenten aus den Entscheidungsgründen, die im Wesentlichen Rechtsausführungen enthalten, ersetzt solchen Tatsachenvortrag nicht, auch wenn in den vorliegenden Fallkonstellationen mangelnden Einblicks in die konzerninternen Abläufe die Anforderungen an den klägerischen Vortrag nicht hoch sind. Die bloße Behauptung, die V. AG sei Repräsentantin aufgrund der Überlassung der Motorenentwicklung oder es habe Kenntnis des Vorstandes vorgelegen, genügt hierfür ebenfalls nicht, ebenso wenig kann sich eine Haftung aus vorsätzlicher Handlung ergeben, wenn Umstände „hätte(n) bekannt sein müssen“ (S. 5 Schriftsatz v. 29.04.2021), denn dies begründet allenfalls Fahrlässigkeit.
5
Insbesondere ist die klägerseits herangezogene Entscheidung des OLG Oldenburg vom 16.10.2020 nicht einschlägig, dort ging es um den umgekehrten Fall einer Einstandspflicht der V. AG für Motoren, die von der Beklagten als Tochtergesellschaft entwickelt wurden; hier hat das OLG Oldenburg tragend ausgeführt:
„Die Beklagte trifft als Muttergesellschaft in Bezug auf Entwicklung und Verwendung von Motoren und deren Software die grundlegenden strategischen Entscheidungen bzw. segnet die Entscheidungen der Tochtergesellschaften ab.“
6
Ein solcher Fall ist hier aber nicht gegeben.
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Selbst wenn ein solcher ausreichender Sachvortrag gegeben wäre – wie nicht – ist die Beklagte einer ihr obliegenden sekundären Darlegungslast (die die Klagepartei erkannt hat, s. S. 6 Schriftsatz vom 29-04.2021) nachgekommen. Sie hat umfassend dazu vorgetragen, wie die Motorentwicklung erfolgte, welche Schnittstellen zwischen der V. AG und der Beklagten es hierbei gab (S. 7 ff, 31 ff Schriftsatz vom 15.04.2021; S. 5 ff. Schriftsatz vom 07.07.2022) und eine Kenntnis von Vorstandsmitgliedern und anderen Personen bestritten. Dies ist im Hinblick auf die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 8. März 2021 – VI ZR 505/19, 10. Mai 2022 – VI ZR 838/20 (Urteil), 26. April 2022 – VI ZR 965/20 zur sekundären Darlegungslast in den Fällen einer Haftung der Beklagten für die Verwendung von bei der V. AG entwickelten Motoren, ausreichend.
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Daher hätte die Klagepartei, wenn sie denn von einer hinreichenden Darlegung einer Verantwortlichkeit für die Beklagte handelnder Personen ausging, zudem Beweis antreten müssen, denn ihre Behauptung war – durch substantiierte, einer etwaigen sekundären Darlegungslast genügende – Ausführungen der Beklagten bestritten. Es fehlt jedoch an jeglichem Beweisantritt, sowohl erstinstanzlich als auch im Rahmen der Berufungsbegründung. Die Kenntnis Verantwortlicher der Beklagten liegt auch sonst nicht zur Überzeugung des Senats auf der Hand und ist damit nicht als erwiesen anzusehen. Auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 17. November 2022 – VII ZR 623/21 –, juris wird ergänzend hingewiesen.
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Der Senat regt daher an, die Berufung zur Meidung weiterer Kosten zurückzunehmen, im Fall der Rechtsmittelrücknahme ermäßigen sich die zweitinstanziellen Gerichtsgebühren um die Hälfte.
10
Den Streitwert für das Berufungsverfahren beabsichtigt der Senat auf € 22.080 festzusetzen.