Titel:
Sittenwidrigkeit, Feststellungsinteresse, Kraftfahrt-Bundesamt, Betriebsuntersagung, Abschalteinrichtung, Feststellungsantrag, Vorläufige Vollstreckbarkeit, OLG Bamberg, Prozeßbevollmächtigter, Arglistige Täuschung, Vertragsschluss, Unzulässigkeit, Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist, Amtliche Auskunft, Abgasmanipulation, Kostenentscheidung, Vorsätzliche Herbeiführung, Zug-um-Zug, Sachverständigengutachten, Darlegungs- und Beweislast
Schlagworte:
Schadensersatz, Sittenwidrigkeit, Abschalteinrichtung, Beweislast, Feststellungsinteresse, Thermofenster, Rückruf, Schadensersatzanspruch, unzulässige Abschalteinrichtung, arglistige Täuschung, Typengenehmigung, EG-Typengenehmigung, Schutzgesetze, Manipulation, Berufung, Vertragsschluss
Vorinstanz:
LG Bamberg, Endurteil vom 18.10.2021 – 43 O 259/21
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 16.10.2023 – VIa ZR 509/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 52234
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Bamberg vom 18.10.2021, Az. 43 O 259/21, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Dieses Urteil sowie das angefochtene Endurteil des Landgerichts Bamberg sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Entscheidungsgründe
1
Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Kauf eines gebrauchten Fahrzeugs Marke Audi A3 2.0 TDI Sportback. Die Beklagte ist die Herstellerin des im Fahrzeug eingebauten Motors.
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Der Kläger erwarb am 20.08.2018 den gebrauchten Pkw Marke Audi A3 2.0 TDI Sportback (FIN: …) bei der Firma X. in …. Der Kaufpreis des Fahrzeugs betrug 31.830,- €. Zum Zeitpunkt des Kaufs hatte das Fahrzeug einen Kilometerstand von 6.154 km. Die Erstzulassung des Fahrzeugs war am 12.12.2017. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor vom Typ EA 288 (EURO 6) ausgestattet. Die Beklagte war in den Vertragsschluss weder eingebunden noch hatte sie Kenntnis davon.
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Das Fahrzeug unterlag keinem amtlichen Rückruf durch das Kraftfahrt-Bundesamt. Die EG-Typengenehmigung wurde nicht entzogen.
4
Im Fahrzeug ist ein sog. „Thermofenster“ implementiert. Bei der Abgasrückführung wird ein Teil der Abgase zurück in das Ansaugsystem des Motors geführt und nimmt erneut an der Verbrennung teil.
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Das Kraftfahrt-Bundesamt nahm mit amtlichen Auskünften vom 08.10.2020 gegenüber dem Landgericht Bayreuth zu einem Fahrzeug Marke Audi A3 und vom 13.11.2020 gegenüber dem Oberlandesgericht Stuttgart zu einem Fahrzeug Marke Audi A4 Sport Avant Stellung. Auf den Inhalt der amtlichen Auskünfte vom 08.10.2020 und 13.11.2020 wird Bezug genommen.
6
Der Kläger behauptet, in seinem Fahrzeug sei ein Motor verbaut, der mit Hilfe einer unzulässigen Motorsteuerungssoftware den Ausstoß von Stickoxiden auf dem Prüfstand reduzieren würde. Im konkreten Fahrzeug sei sowohl eine unzulässige Zykluserkennung als auch eine unzulässige „Aufwärmfunktion“ enthalten. Auch würde sein Fahrzeug über ein unzulässiges sog. „Thermofenster“ verfügen. Der Beklagten sei zudem eine Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamtes vorzuwerfen. Auch bestehe ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB.
7
Erstinstanzlich hat der Kläger beantragt,
Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klägerpartei Schadensersatz zu leisten für Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs Audi A3 TDI 2.0, FIN: …, durch die Beklagtenpartei resultieren.
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Die Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt.
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Die Beklagte führt aus, das Fahrzeug verfüge über keine unzulässige Abschalteinrichtung. Auch eine Zykluserkennung wie beim Motor des Typs EA 189 sei nicht vorhanden. Eine Prüfstanderkennung existiere nicht. Das Kraftfahrt-Bundesamt habe den Motor EA 288 bereits im Jahr 2016 geprüft und wäre zu dem Ergebnis gekommen, dass dieser von Abgasmanipulationen wie beim Motor EA 189 nicht betroffen sei. Auch habe es keinen Rückruf durch das Kraftfahrt-Bundesamt gegeben. Die EG-Typengenehmigung sei weiterhin wirksam. Auch das sog. „Thermofenster“ führe nicht zu einer sittenwidrigen Handlung im Sinne von § 826 BGB, da das „Thermofenster“ im Prüfstandbetrieb auf identische Weise wie im Normalbetrieb arbeite.
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Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO auf das Endurteil des Landgerichts Bamberg vom 18.10.2021 Bezug genommen. Weiter wird auf die gewechselten Schriftsätze der Prozessbevollmächtigten der Parteien sowie die vorgelegten Anlagen verwiesen.
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Das Landgericht Bamberg hat mit Endurteil vom 18.10.2021 die Klage als unzulässig abgewiesen. Der Klageantrag des Klägers sei nicht hinreichend bestimmt. Zudem fehle das erforderliche Feststellungsinteresse da die Schadensersatzansprüche des Klägers bezifferbar wären. Auf die weiteren Ausführungen des Endurteils des Landgerichts Bamberg vom 18.10.2021 wird verwiesen.
12
Gegen das den Klägervertretern am 22.10.2021 zugestellte Endurteil des Landgerichts Bamberg vom 18.10.2021 hat der Kläger mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 18.11.2021, eingegangen bei dem Oberlandesgericht Bamberg am 19.11.2021, Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 24.01.2022, eingegangen bei dem Oberlandesgericht Bamberg am gleichen Tag, nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist durch den Senat fristgerecht begründet.
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In seiner Berufungsbegründung führt der Kläger aus, ein Rückrufbescheid des Kraftfahrt-Bundesamtes sei keine Voraussetzung für eine unzulässige Abschalteinrichtung. Der klägerische Vortrag sei ausreichend substantiiert gewesen. Im Übrigen sei das OBD-System des Fahrzeugs ebenfalls manipuliert. Auch das verbaute sogenannte „Thermofenster“ sei unzulässig. Auf die weiteren Ausführungen in der Berufungsbegründung wird Bezug genommen.
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In der Berufungsinstanz hat der Kläger nachfolgende Anträge gestellt:
1. Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klagepartei Schadensersatz zu leisten für Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs Audi A3 2.0 TDI, FIN: …, resultieren.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 31.830,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5% Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19.02.2021 zu bezahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Pkw`s Audi A3 2.0 TDI, FIN: …, abzüglich einer durch richterliches Ermessen festzusetzende Entschädigung für die Nutzung des streitgegenständlichen Fahrzeugs.
15
Die Beklagte hat die Zurückweisung der Berufung beantragt.
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Zur Begründung ihres Antrags führt die Beklagte aus, es existiere weder ein verpflichtender Rückrufbescheid des Kraftfahrt-Bundesamtes noch ein verpflichtendes Software-Update für das Fahrzeug des Klägers. Das Kraftfahrt-Bundesamt habe den Motor mehrfach geprüft, ohne eine unzulässige Abschalteinrichtung feststellen zu können. Im Übrigen fehle dem Feststellungsantrag des Klägers weiter das erforderliche Feststellungsinteresse.
17
Zur Ergänzung wird auf die Schriftsätze der Prozessvertreter nebst Anlagen im Berufungsverfahren sowie das Protokoll der öffentlichen Sitzung des Oberlandesgerichts Bamberg vom 02.03.2022 Bezug genommen.
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1. a) Der Feststellungsantrag des Klägers ist (weiter) aufgrund eines fehlenden Feststellungsinteresses unzulässig.
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Nachdem unter Ziffer 2. der Berufungsanträge der behauptete Schaden des Klägers nunmehr beziffert wurde, kann der verbliebene Feststellungsantrag aus Sicht des Senats nur auf etwaige zukünftig zu erwartende Schäden gerichtet sein. Ein auf Ersatz künftiger Schäden gerichteter Feststellungsantrag kann aber nur dann Erfolg haben, wenn die sachlichen und rechtlichen Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs vorliegen, also ein haftungsrechtlich relevanter Eingriff gegeben ist, der zu möglichen künftigen Schäden führen kann (BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 397/19, NJW 2020, 2806, 2809, Rdnr. 29). Dabei kann die Möglichkeit ersatzpflichtiger künftiger Schäden ohne weiteres zu bejahen sein, wenn ein deliktsrechtlich geschütztes absolutes Rechtsgut verletzt wurde und bereits ein Schaden eingetreten ist. Hier soll die Beklagte aber nicht wegen der Verletzung eines absolut geschützten Rechtsguts, sondern wegen der sittenwidrigen vorsätzlichen Herbeiführung eines ungewollten Vertragsschlusses haften. Der in dem Vertragsschluss selbst liegende Schaden wird aber bereits durch den Leistungsantrag unter Ziffer 2. erfasst. So wird in dieser Ziffer beantragt, dass die Beklagte zur Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des erworbenen Pkw`s verurteilt werde. Welche weiteren Schäden aus dem Fahrzeugerwerb der insoweit darlegungsbelastete Kläger befürchtet, ob solche Schäden möglich sind und ob auch insoweit die materiell-rechtlichen Haftungsvoraussetzungen erfüllt waren, wird durch den Kläger nicht schlüssig vorgebracht. Insoweit ist ein Feststellungsinteresse für den Kläger nicht erkennbar.
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2. a) Der zulässige Leistungsantrag des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.
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b) Ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten im Sinne von § 826 BGB ist nicht erkennbar.
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Sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB ist ein Verhalten, welches nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage getretenen Gesinnung und den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 15, NJW 2020, 1962, 1963). Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH, Urteil vom 28.06.2016, Az.: VI ZR 536/15, Rdnr. 16, NJW 2017, 250, 252). Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, Urteil vom 07.05.2019, Az.: VI ZR 512/17, Rdnr. 10, NJW 2019, 2164, 2165).
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Als objektiv sittenwidrig wäre das Verhalten der Beklagten im Verhältnis zum Kläger insbesondere dann zu qualifizieren, wenn die Beklagte auf der Grundlage einer für ihren Konzern getroffenen grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorentwicklung im eigenen Kosten- und damit auch Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamtes systematisch, langjährig Motoren in den Verkehr gebracht hätte, obwohl deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 25, NJW 2020, 1962, 1965). Durch die Verwendung eines derartigen Motors würde in dieser Konstellation nicht nur eine erhöhte Belastung der Umwelt einhergehen, sondern auch die Gefahr, dass bei einer Aufdeckung für die betroffenen Fahrzeuge eine Betriebsbeschränkung oder eine Betriebsuntersagung droht. Ein solches Verhalten wäre im Verhältnis zu einer Person, die eines der bemakelten Fahrzeuge in Unkenntnis der illegalen Abschalteinrichtung erwerben würde, verwerflich und mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren.
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c) Im vorliegenden Fall konnte der Kläger weder nachweisen, dass im Motor seines Fahrzeugs eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form einer Prüfstanderkennung verbaut worden ist, noch dass seinem Fahrzeug eine Betriebsbeschränkung bzw. Betriebsuntersagung drohte bzw. droht.
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Durch das Kraftfahrt-Bundesamt wurde sowohl gegenüber dem Oberlandesgericht Stuttgart in der amtlichen Auskunft vom 13.11.2020 zu einem Fahrzeug Marke Audi A4 Sport Avant als auch in der amtlichen Auskunft vom 28.10.2020 gegenüber dem Landgericht Bayreuth zu einem Fahrzeug Marke Audi A3 dargelegt, dass in Fahrzeugmodellen mit dem Motor EA 288 keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt werden konnte. Weiter bestätigte das Kraftfahrt-Bundesamt, dass weder Nebenbestimmungen angeordnet wurden noch ein behördlicher Rückruf ergangen sei. Auch durch den Kläger wurde in der Berufungsverhandlung vom 02.03.2022 bestätigt, dass er kein Schreiben des Kraftfahrt-Bundesamtes mit einer Androhung einer Betriebsuntersagung erhalten habe.
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Da auch mehr als sechs Jahre nach dem Bekanntwerden von „Abgasmanipulationen“ bei Fahrzeugen mit einem Motor vom Typ EA 189 kein Rückruf für Fahrzeuge mit einem Motor vom Typ EA 288 erfolgt ist, und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dieser in Zukunft droht, bestand zu keinem Zeitpunkt die Gefahr einer Betriebsuntersagung bzw. Betriebsbeschränkung für das Fahrzeug des Klägers. Daher fehlt ein wichtiger Umstand, durch den das sittenwidrige Verhalten beim Motor des Typs EA 189 begründet wurde (OLG Bamberg, Urteil vom 19.05.2021, Az.: 8 U 113/20, BeckRS 2021, 29894, Rdnr. 38; OLG Bamberg, Urteil vom 14.07.2021, Az.: 8 U 37/21, BeckRS 2021, 44004, Rdnr. 27; OLG Bamberg, Urteil vom 12.01.2022, Az.: 8 U 119/21).
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Auch wenn der Kläger die Stellungnahme des Kraftfahrt-Bundesamtes (zumindest indirekt) in Zweifel zieht, sieht der Senat kein Motiv, aus welchem Grund das Kraftfahrt-Bundesamt als staatliche Behörde andere staatliche Behörden bzw. Gerichte mit falschen Auskünften bedienen sollte. Etwaige klägerische Ausführungen, die den Wahrheitsgehalt der Auskünfte des Kraftfahrt-Bundesamtes in Zweifel ziehen würden, erweisen sich daher als unbeachtlich. Beweisanträgen auf Einholung von Sachverständigengutachten war daher ebenfalls nicht nachzukommen.
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d) Auch die Verwendung eines sog. „Thermofensters“ im Motor der Beklagten führt zu keinem Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 826 BGB. Insoweit fehlt es zumindest an einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung der Beklagten.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs reicht der Umstand, dass die Abgasrückführung in einem Fahrzeug durch eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems bei bestimmten Temperaturen reduziert und unter Umständen auch abgeschaltet wird, für sich genommen nicht aus, um das Verhalten der für den Automobilhersteller handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 433/19, Rdnr. 16, NJW 2021, 921, 923). Dabei kann es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs letztlich offen bleiben, ob eine derartige temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 der Verordnung 715/2007/EG zu qualifizieren ist. Ein derartiger Gesetzesverstoß wäre auch unter Berücksichtigung einer damit einhergehenden Gewinnerzielungsabsicht der Beklagten nicht geeignet, den Einsatz dieser Steuerungssoftware als besonders verwerflich erscheinen zu lassen (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 433/19, Rdnr. 16, NJW 2021, 921, 923).
30
Es liegt auch keine Vergleichbarkeit mit der Konstellation der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Motoren des Typs EA 189 vor, die dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 25.05.2020 (Az.: VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 ff.) zugrunde lagen. Bei diesem Motortyp wurde die grundlegende strategische Entscheidung getroffen, im eigenen Kosten- und Gewinninteresse von der Einhaltung der Grenzwerte im realen Fahrbetrieb vollständig abzusehen und dem Kraftfahrt-Bundesamt zwecks Erlangung der Typengenehmigung mittels einer eigens für diesen Zweck entwickelten Motorsteuerungssoftware wahrheitswidrig eine Einhaltung der Grenzwerte durch die speziell ausgerüsteten Dieselfahrzeug vorzutäuschen. In diesen Fällen war die Software bewusst und gewollt so programmiert, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten wurden. Dieses Verhalten zielte auf eine arglistige Täuschung der Typengenehmigungsbehörde ab (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 433/19, Rdnr. 17, NJW 2021, 921, 923).
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Bei dem Einsatz eines sog. „Thermofensters“ fehlt es an einem derartigen arglistigen Verhalten, welches die Qualifikation des Verhaltens des Automobilherstellers als objektiv sittenwidrig rechtfertigen würde (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 433/19, Rdnr. 18, NJW 2021, 921, 923). Das „Thermofenster“ weist keine Funktion auf, die bei erkanntem Prüfstandbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und den Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert. Vielmehr arbeitet das sog. „Thermofenster“ sowohl im Normalbetrieb als auch im Prüfstandbetrieb in gleicher Weise.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der der Senat folgt, wäre bei dieser Sachlage der Vorwurf der Sittenwidrigkeit nur gerechtfertigt, wenn zusätzlich weitere Umstände hinzuträten, die neben einem Verstoß gegen die Verordnung 715/2007/EG das Verhalten der handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen (BGH, Beschluss vom 09.03.2021, Az.: VI ZR 889/20, Rdnr. 28, BeckRS 2021, 4148). Dies würde jedenfalls voraussetzen, dass die handelnden Personen bei der Beklagten bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (BGH, Beschluss vom 09.03.2021, Az.: VI ZR 889/20, Rdnr. 28, BeckRS 2021, 4148).
33
Derartige Umstände wurden vom Kläger nicht schlüssig dargetan. Die Darlegungs- und Beweislast für diese Voraussetzungen hat nach den allgemeinen Grundsätzen der Kläger als Anspruchssteller zu tragen (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 433/19, Rdnr. 19, NJW 2021, 921, 923). Seitens des Klägers wurde insbesondere nicht schlüssig dargetan, dass die Beklagte das Kraftfahrt-Bundesamt im Zusammenhang mit der Entwicklung und Genehmigung arglistig getäuscht haben könnte. Aufgrund der amtlichen Stellungnahmen des Kraftfahrt-Bundesamtes gegenüber dem Oberlandesgericht Stuttgart und dem Landgericht Bayreuth erscheint dem erkennenden Senat eine arglistige Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamtes fernliegend.
34
e) Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht bei Berücksichtigung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 17.12.2020 (Az.: C 693/18, NJW 2021, 1216 ff.).
35
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs mag für die Zukunft die objektiven tatbestandlichen Voraussetzungen einer unzulässigen Abschalteinrichtung von den bislang bestehenden Zweifeln befreien. Die Klärung ist aber nicht geeignet, eine bereits für den Zeitpunkt der Genehmigungszulassung des hier betroffenen Fahrzeugs bestehende subjektive Kenntnis der bei der Beklagten verantwortlichen Personen rückwirkend zu begründen (OLG Koblenz, Urteil vom 08.02.2021, Az.: 12 U 471/20, Rdnr. 37, BeckRS 2021, 1241; OLG Bamberg, Urteil vom 19.05.2021, Az.: 8 U 113/20, Rdnr. 45, BeckRS 2021, 29894). Durch den Kläger wurde das Fahrzeug im August 2018 als Gebrauchtfahrzeug erworben. Die Erstzulassung des Fahrzeugs war bereits im Dezember 2017. Dessen EG-Typengenehmigung erfolgte deutlich früher. Dass bereits während dieses Typengenehmigungsverfahrens die nunmehr durch den Europäischen Gerichtshof geklärten engen Grenzen einer zulässigen Abschalteinrichtung erkennbar gewesen wären, ist weder aus dem Sachvortrag des Klägers noch aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs erkennbar. Der bewusste Einbau einer als unzulässig erkannten Abschalteinrichtung in Gestalt eines sog. „Thermofensters“ kann der Beklagten damit nicht angelastet werden (OLG Koblenz, Urteil vom 08.02.2021, Az.: 12 O 471/20, Rdnr. 37, BeckRS 2021, 1241; OLG Bamberg, Urteil vom 19.04.2021, Az.: 8 U 113/20, Rdnr. 45, BeckRS 2021, 29894).
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f) Auch der Umstand, dass das OBD-System unter Umständen keine Fehlermeldung erzeugt, wenn die Abgasrückführung temperaturabhängig reduziert wird, spricht bei fehlendem Prüfstandbezug im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht hinreichend zwingend für ein objektiv sittenwidriges Verhalten (BGH, Urteil vom 28.10.2021, Az.: III ZR 261/20, Rdnr. 27, BeckRS 2021, 38422; OLG Hamm, Beschluss vom 28.12.2021, Az.: 7 U 64/21, BeckRS 2021, 44474; OLG Bamberg, Urteil vom 14.07.2021, Az.: 8 U 37/21, Rdnr. 19, BeckRS 2021, 44004).
37
3. a) Ein Schadensersatzanspruch des Klägers folgt aus nicht aus anderen deliktischen Anspruchsgrundlagen.
38
Aus Sicht des Senats sind im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte für ein betrügerisches Verhalten im Sinne von § 263 StGB erkennbar. So fehlen insbesondere bereits nähere Darlegungen, welcher Irrtum bei dem Kläger kausal erregt worden sein soll und welche subjektive Vorstellung er bei Vertragsschluss gehabt habe.
39
b) Auch steht dem Kläger gegen die Beklagte kein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. den §§ 6, 27 EG-FGV oder Art. 5 der Verordnung 715/2007/EG zu. Bei diesen Vorschriften handelt es sich nicht um Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB. Weder die §§ 6 und 27 EG-FGV noch Art. 5 der Verordnung 715/2007/EG dienen dem Schutz vor der Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit. Selbst wenn diese Vorschriften vorliegend durch Verwendung einer Motorsteuerungssoftware verletzt worden sein sollten, so könnte dieser Umstand allein einen Schadensersatzanspruch nicht begründen (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 73 f., NJW 2020, 1962, 1971; OLG Saarbrücken, Urteil vom 05.01.2022, Az.: 2 U 86/21, Rdnr. 37, BeckRS 2022, 256). Vielmehr verfolgen diese Normen gesamtgesellschaftliche Ziele wie die Weiterentwicklung des Binnenmarktes sowie die Sicherstellung eines hohen Umweltschutzniveaus (OLG Bamberg, Urteil vom 19.05.2021, Az.: 8 U 113/20, Rdnr. 49, BeckRS 2021, 29894; OLG Bamberg, Urteil vom 01.12.2021, Az.: 8 U 71/21).
40
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
41
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
42
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die zugrunde zu liegenden Rechtsfragen durch zahlreiche Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, denen der Senat inhaltlich gefolgt ist, geklärt sind.